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Reise in die Vergangenheit

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Wir erreichen Nat nicht«, sagte Sofie, als Jean sich endlich bequemte, aufzutauchen. »Hat er dir gesagt, was er heute vorhat?«

Sie warteten in einem Café in der Nähe der Zentrale, das auch nachts geöffnet hatte. Es gab sogar frische Croissants, deren buttriger Duft über die schwarz-weißen Fliesen und die blank polierten Tische wehte. Sofie tunkte ihres in schwarzen Kaffee und hoffte, dass es genug war, um nüchtern zu werden. Die Starkbier-Promille brausten immer noch durch ihre Blutbahnen.

»Nee. Keine Ahnung.« Jean wirkte noch schlechter gelaunt als sonst. Andererseits irgendwie … erfrischter. Energie strahlte aus jeder seiner Bewegungen und seine Schritte waren federnd und raumgreifend. Die beiden Vampirinnen am Nebentisch musterten ihn wie hungrige Katzen.

»Vielleicht ist er früh schlafen gegangen«, sagte Vivi. »Die Sache mit seinem Bruder hat ihn sehr mitgenommen.«

»Ja.« Jean ließ sich auf einem der schwarz lackierten Holzstühle nieder. »Bestimmt.« Seine Miene wurde noch finsterer.

Sofie zuckte mit den Achseln und schlürfte ihren Kaffee, der voll mit aufgeweichten Teigblättchen war. »Vielleicht hat er ein Date. Isa meinte damals, dass er so das letzte Mal verarbeitet hat, als sein Bruder ihn verraten hat.«

»Ja.« Vivi klang besorgt. »Wir haben ihn kaum gesehen, und wenn, war er verkatert. Und die Kerle, die er mitgebracht hat …« Sie schüttelte den Kopf. »Einer schräger als der andere. Aber es hat wohl geholfen.«

»Na dann.« Sofie lächelte. »Hoffentlich ist er unterwegs und hat Spaß.«

Jean sah auf die Tischplatte. Er reagierte erst nicht, als die hübsche Kellnerin ihn ansprach. Schließlich bestellte er dasselbe wie Sofie: schwarzen Kaffee und ein Croissant. Auf Französisch. Das kühle Gesicht der Kellnerin wurde um zwei Grad wärmer, als er sprach. Sie fragte ihn etwas, er antwortete mürrisch und Sofie wünschte, sie hätte die zweite Fremdsprache doch nicht abgewählt.

»Was hat sie gesagt?«, flüsterte sie, als die Kellnerin verschwunden war.

»Nichts«, knurrte er. Was hatte ihm die Laune verhagelt?

»Klang, als hätte sie dich angeflirtet.« Sofie legte den Kopf schief.

»Hat sie.« Vivi musterte die Frau, die nun hinter der Theke stand und einen Kaffee zubereitete. Sie warf eine Maschine an, die aus ungefähr tausend auf Hochglanz polierten Einzelteilen bestand und die halbe Wand füllte.

»Ooooh.« Sofie grinste. »Und, was hast du gesagt?«

»Nein.« Er verschränkte die Arme.

»Warum? Mit dem Amulett könntest du doch wieder …«

»Könnte ich nicht«, knurrte er. »Was wird das hier? Meerjungfrau, was ist los?«

Vivi sah sich um, bevor sie den Kopf vorstreckte und flüsterte: »Ich glaube, ich habe einen Weg ins Archiv der ABIMA gefunden.«

Sofie und Jean lehnten sich ebenfalls vor.

»Ins Archiv?«, fragte Jean. »Was willst du da?«

Vivi sah sich erneut um. »Im Papierteil lagern alte Unterlagen, die nie digitalisiert wurden. Ich vermute sogar, dass ein Teil nie digitalisiert werden soll, damit er schwerer zu finden ist. Diese Akten gibt es nur im Archiv und nirgendwo anders. Natürlich im geheimen Bereich, aber ich schätze, also … Vielleicht weiß ich, wo er ist.«

»Wo denn?«, fragte Sofie.

»Nicht in der Zentrale.« Vivi kaute auf ihrer Unterlippe herum. »Ich habe um Zugang zu allen Teilen des Archivs gebeten, aber General Stein hat das abgelehnt. Verständlicherweise. Wir sind erst seit kurzem Teil der ABIMA und noch nicht vertrauenswürdig genug. Und … na ja, unser Ruf ist nicht der Beste. Auch wenn General Stein mehr von uns hält als Onkel Lars, ist er trotzdem vorsichtig.«

Gemein von ihm, hätte Sofie fast gesagt, aber sie verstand ihn auch. In der Vergangenheit hatte ihr Team die Art Chaos veranstaltet, die man bestimmt nicht in einem geheimen Archiv haben wollte. Doch die Zeit lief ihnen davon. Aeron und Adina konnten das Ritual jederzeit durchführen. Vielleicht taten sie es in diesem Moment.

Vivi fuhr sich durch die kurzgeschorenen Haare. »Ich muss in dieses Archiv. Vielleicht kann ich etwas finden. Bestimmt kann ich das. Etwas zu Adinas erstem Versuch, das Ritual durchzuführen. Hinweise zu ihren Kindern. Hinweise über ihren Aufenthaltsort. Es gibt dort Akten über Aeron und sie, die uns sagen könnten, wo sie sich verstecken, wenn wir Glück haben. Die Familie Caligari hat eventuell weitere Häuser, irgendwo in Magow, die in den alten Akten verzeichnet sind. Sofie könnte etwas finden, schließlich kennt sie Adina am besten.« Sie seufzte. »Um ehrlich zu sein, greife ich nach Strohhalmen. Ich finde nichts zu möglichen Kindern. Gar nichts. Keine Adoptionsunterlagen, keine Findelkinder, kein nichts. Wahrscheinlich hat sie ihre Magie unterdrückt, wie bei Sofie, aber selbst meine Recherchen in der Menschenwelt haben nichts ergeben. Eine Zeit lang habe ich die Spur eines elternlosen, rothaarigen Kindesindes in Liechtenstein verfolgt, aber das war auch die falsche Fährte. Das hat der DNA-Test bewiesen.«

»Sie haben dich einen DNA-Test durchführen lassen?«, fragte Sofie.

»Nicht wirklich.« Vivi sah auf die Tischplatte. »Ich begehe gerade eine Straftat nach der nächsten.« Sie schluckte. »Das Kind hat an einer Stammzellenspender-Suche teilgenommen, um einem Klassenkameraden zu helfen, der an Krebs erkrankt war. Daher hatte ich eine Speichelprobe.« Sie räusperte sich.

»Und?«, fragte Sofie. »Haben sie einen Spender gefunden?«

»Ja.«

»Oh, gut.« Sofie vernichtete den Rest ihres Croissants. »Und wie kommen wir jetzt in dieses Archiv?«

Vivi sah auf die Tischplatte. »Ich würde es wirklich lieber auf anderem Wege machen. Aber General Stein will mir keinen Zutritt gewähren und die Zeit drängt. Ich schätze, dass nur ein paar Eingeweihte das Archiv überhaupt betreten dürfen.«

»Frau Murik?«, schlug Sofie vor.

»Vielleicht.« Vivi legte den Kopf schief. »Als das Archiv aufgegeben wurde, haben sie die alten Akten an einen geheimen Ort verlegt. Also alle Akten der ABIMA, die ohnehin offiziell nicht existiert. Sie mussten sich nicht allzu viel Mühe geben, schätze ich, da sich kaum jemand für die Dinger interessierte. Aber sie haben es leider trotzdem getan.« Sie räusperte sich. »Weißt du noch, dass ich dich gebeten habe, General Steins Leute zu beschatten?«

»Klar.« Sofie rührte in den Teig- und Kaffeeresten in ihrer Tasse herum. »Also, dass Gurke das machen sollte. Ich habe ja nur weitergegeben, was er herausgefunden hat. Hat es viel gebracht?«

»Hoffentlich. Er hat zwei von ihnen dabei beobachtet, wie sie ein bestimmtes Haus betraten. Das Haus des grünen Friedens.«

Jean schnaubte missbilligend. Sofie sah ihn fragend an.

»Da leben diese Dryaden«, erklärte er. »Faule Hippie-Dryaden, die alles zuwuchern lassen und den ganzen Tag mit Klangschalen tanzen.«

»Klingt doch nett.« Sie versuchte, das Bild in Einklang mit der Dryade zu bringen, die sie am besten kannte. »Netter als Liliflora jedenfalls. Wäre schön, wenn die ein bisschen klangschaliger und etwas weniger pitbullig wäre.«

»Hör auf, Wörter zu erfinden«, knurrte Jean. Er war heute noch schlechter drauf als sonst. Dabei hatte er in den letzten Wochen solche Fortschritte gemacht.

»Tatsächlich wohnt ein Großteil von Lilifloras Familie im Haus des grünen Friedens.« Vivi betrachtete ihr Handy. »Ihre Eltern, Großeltern und vier ihrer Geschwister.«

»Vier Geschwister?« Sofie hob eine Augenbraue. »Nicht schlecht.«

»Sehr schlecht, wenn die alle solche Hippie-Nervensägen sind.« Jean dippte sein Croissant in den Kaffee, als wollte er es ersäufen. »Liliflora ist noch die Normalste von denen.«

Sofie schauderte. Morbide Faszination bemächtigte sich ihrer. »Und du glaubst, dass dieses Archiv bei den Dryaden liegt?«

»Die wenigen Akten, die ich sehen durfte, wurden mir von einem der Mitarbeiter gegeben, die in das Haus des grünen Friedens gegangen sind.« Vivi knetete ihre Unterlippe. »Natürlich ist das kein Beweis, aber …«

»Scheißegal.« Jean streckte sich. »Legen wir los. Wie kommen wir in dieses grüne Haus rein?«

»Ich bin nicht sicher.« Vivi überlegte. »Es ist ein Dryadenhaus. Andere Wesen dürfen es betreten, aber sie müssen von einem Bewohner eingeladen werden. Die beiden ABIMA-Mitarbeiter, die das Haus betreten haben, sind beide Dryaden.«

»Fragen wir Liliflora«, sagte Sofie. »Wir können doch ein teambildendes Event bei ihren Eltern veranstalten und nebenher nach dem Zugang suchen. Falls Onkel Lars sich fragt, was wir da zu suchen haben, haben wir auch gleich eine Ausrede.«

»Super Idee«, knurrte Jean. »Kann gar nicht schiefgehen.«

Die Wächter von Magow - Band 10: Grün ist die Hölle

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