Читать книгу Rotzverdammi! - Reiner Hänsch - Страница 10
Оглавление3
Sskhöne Sskheiße!
„Mie mächste Mpfraße minks abmiegen“, mumpft die geknebelte Frau aus dem Handschuhfach.
Nee, Moment, das weiß ich jetzt aber besser, gute Frau. Entschuldigung, aber hier fahre ich mal geradeaus weiter, denn da war doch immer diese kleine Straße hinter den Feldern lang, die dann direkt bei Schwattmecke wieder auf die Hauptstraße führt.
Ich kenne mich doch tatsächlich immer noch ganz gut aus hier und brauche das Navi eigentlich gar nicht mehr. Ich erkenne doch glatt einiges wieder. Hier steht also immer noch die alte, schon immer recht baufällig wirkende Kirche von Schmelbecke und gleich müsste der Abzweig nach Langenei und dann nach Marbecke kommen. Diese Namen! Haben Sie schon jemals von Hundesossen oder Faulebutter gehört? Nein, sicher nicht. Das gibt’s nur hier. Das ist eben das Sauerland.
Das Sträßchen ist leider schlechter, als ich es in Erinnerung habe, aber es geht. Und wenn ich alle Löcher geschickt umfahre, dann setzt der Porsche noch nicht einmal auf.
„Bippe, wendem Sie bei ber mächsten Melegenheit!“
Jaja. Frau, Geknebelte, du meinst es ja gut, aber vertraue mir trotzdem. Ich bin hier zuhause!
Schwattmecke. Gleich bin ich da.
Ich blicke staunend wie ein kleiner Junge auf großer Fahrt, jetzt ganz wach, über geschwungene Hügelketten und Wäldchen, die sich zwischen Weiden, gewundenen Landsträßchen und kleinen, schnuckeligen Örtchen mit Kirchen in der Mitte, so wie es sich für’s Sauerland-Bilderbuch gehört, an die grünen Berge klammern. Jetzt ist die Sonne auch wieder kräftiger, der Frühling probt schon mal ein wenig, aber er ist sich noch nicht sicher. Ich überlege einen Moment, ob ich nicht das Cabriodach öffnen soll, lasse es dann aber doch. Das dauert ewig bei dem alten Modell. Keine Zeit. Und außerdem bin ich ja gleich da. Doch in diesem magischen Moment taucht der Probefrühling alles in ein sagenhaft intensives, tiefleuchtendes, sattes Grün. Und mit den drohenden schwarzen Wolken im Hintergrund sieht alles sogar noch dramatischer aus.
„Bippe wendem Sie metzt!“, sagt die geknebelte Frau und es klingt fast schon verzweifelt, als wolle sich mich unbedingt davon abhalten, in mein Verderben zu fahren. Ich höre gar nicht hin.
Meine Güte, ist das schön hier. Wahnsinn! Total kitschig eigentlich. Das habe ich auch vergessen. Es sieht aus wie in einem alten Heinz-Rühmann-Film. Dieser Heinz fuhr doch auch immer fröhlich singend in polierten Oldtimern auf kleinen, kurvigen Sträßchen durch Deutschland bergauf, bergab. Manchmal mit sei-nem Filmsohn dabei, dem er dann später „Lalelu“ vorgesungen hat. Das hab ich immer gerne gesehen. Sonntagsnachmittags, wenn mal einfach gar nichts los war. Früher. Da war öfter mal gar nichts los. Und heute?
Ich suche einen Sender auf dem natürlich auch stilechten alten Radio aus den Sechzigern, aber das ist nicht ganz einfach. Viele Störungen, schlechter Empfang, viel Gerausche. Was zum einem an dem alten Röhrenradio liegt, zum anderen aber auch an den vielen Hügeln und Bergen, die immer wieder den Empfang stören. Nach einigem Kurbeln bekomme ich den Sender „Sauer-land Radio“ einigermaßen störungsfrei rein. Na gut. Sie spielen nette alte Sachen. Bisschen rockig, ziemlich altmodisch. Aber mir gefällt’s. Gerade läuft Bachmann-Turner Overdrive mit „Roll on down the Highway“ aus dem Jahre 1975, wie der oberschlaue Moderator des Senders stolz verkündet. Na, warum denn nicht? Passt doch.
Kraatz. Jetzt hat der Porsche doch noch leicht aufgesetzt.
„Bippe wendem Sie metzt!“
Wenn ich jetzt nicht auf dem Weg zur Beerdigung meiner Mutter wäre, würde ich diese Fahrt glatt genießen. Eine tolle Tour durch die alte Heimat. Ach, Mutter, ich war, glaube ich, ein schlechter Sohn. Ich hätte mal öfter kommen müssen.
„Ja, ja, da muss ers’ deine Mutter stärben, dat du dich ma’ wieder seh’n lässt, Heinz-Nobbät Flottmann“, sacht dat Sauerland zu mir. Und es hat noch mal recht.
„Mach mpfünmpfig Mepern … mpfmpf … mpfmpf …“
Was hat die Geknebelte gesagt? Kein Wort verstanden. Und jetzt könnte ich sie gerade mal gebrauchen. Rechts oder links? Das weiß ich jetzt doch nicht mehr so genau. War hier nicht immer die alte Schule, oder bin ich jetzt auf den letzten Metern doch noch falsch gefahren? Ich öffne das Handschuhfach, um die arme Frau besser verstehen zu können. Aber sie sagt einfach nichts mehr.
Sprich, Frau! Du hast deine Freiheit wieder. Rechts oder links? Nichts. Sie schweigt eisern.
Ich versuche auf dem Display mit der Karte zu erkennen, wo ich bin und wo ich hin muss, aber das ist nicht so einfach. Mit einer Hand am Lenkrad versuche ich mit der anderen das Navigationsgerät etwas zu drehen, um besser sehen zu können.
Und dann erschrecke ich mich ganz furchtbar und es durchbrizzelt mich wie ein ernstzunehmender Elektroschock am Weidezaun für Ochsen.
Ich höre meine eigene Stimme aus dem Radio. Ja. Ich singe zu krachenden Gitarren und polterndem Schlagzeug: „Wo die Misthaufen qualmen, da gibt’s keine Palmen!“ Das bin ich, das ist unser alter Hit. Der Hit meiner Band von vor … vor … über zwanzig Jahren. Nein, noch viel mehr.
Rotzverdammi! Das hätte ich nicht gedacht, dass der noch gespielt wird. Ich versuche ganz aufgeregt, den Sender etwas schärfer zu stellen, denn ich selbst habe den Song doch auch schon ewig nicht mehr gehört. Ich weiß gar nicht mehr, wie er so klingt. Das ist ja wie früher, denke ich, als wir diesen Song zum allerersten Mal überhaupt im Radio gehört haben. Da sind wir fast ausgeflippt, haben alle Fenster aufgerissen, das Radio bis zum Anschlag aufgedreht und haben mitgegrölt, damit auch bloß jeder mitbekommt, dass es jetzt endlich so weit ist und das Sauerland seine ersten großen Popstars hat.
Und dann passiert es. Irgendwie verliere ich zwischen Navi und Radio die Übersicht, das heißt, eigentlich habe ich sie zu diesem Zeitpunkt schon längst nicht mehr und schaue auch vor Aufregung schon längere Zeit gar nicht mehr auf das Sträßchen. Und da fühlt das Sträßchen sich wohl ziemlich vernachlässigt und schickt mir aus lauter Bosheit eine ganz gemeine Linkskurve, in der ich dann auch die Fahrbahn auf direktem Wege Richtung Straßengraben verlasse.
Panisch versuche ich noch, ein paar Korrekturen am drohenden Untergang vorzunehmen, reiße das Lenkrad noch hastig herum und trete mit voller Kraft auf die Bremse. Was man eben so macht, um vielleicht doch noch einige wichtige Körperteile retten zu können. Der erschrockene Porsche gehorcht mir zwar und macht einen mutigen Satz, rutscht dann aber doch sehr unsanft, unaufhaltsam und leise stöhnend über den Randstreifen in den Graben. Mit einem ziemlich schmerzhaften Krachen kommt er halb schräg rechts auf der Seite liegend zum Stehen. Mein Kopf prallt unerfreulich hart von innen gegen die Windschutzscheibe, weil dieser alte Wagen natürlich keine Gurte hat.
Aua. Aua. Aua.
Meine Güte. Was war das denn? Lass die Döppen (sauerländisch: Augen) ersma zu, Gunge! Wat du nich siehs’, dat gibbs auch nich.
Es dauert eine Weile, bis ich dann doch den nötigen Mut aufbringe, die Döppen wieder zu öffnen, und sich mir das Sträßchen aus der tiefergelegten Grabenperspektive erschließt. Tja, was soll man sagen? Das war jetzt wohl, egal wie lange man noch darüber nachdenkt oder versucht, es sich irgendwie schön zu denken, auf jeden Fall ein richtiger, echter Unfall. Ist ja wohl klar. So ein Mist. Für so was hab’ ich doch überhaupt keine Zeit jetzt! Oh, unerreichbares Schwattmecke!
Das Radio läuft immer noch. Der Song geht soeben zuende und ich habe wieder nicht richtig zugehört. Der Refrain „Wo die Misthaufen qualmen…“ verliert sich in der Ausblende und der Sprecher bekennt tief seufzend: „Ach, was für ein schönes Lied. Wenn man diese Band doch noch mal live erleben dürfte! Naja, ist ja schon so lange her. War aber ’ne schöne, wilde Zeit. Na, wer weiß, vielleicht kommen die Jungs ja noch mal zusammen.“
Der Typ ist ja völlig durchgedreht. Die Band noch mal live? Meine Band? Ach, halt die Schnauze, du Quatschkopp! Ärgerlich drehe ich den Kasten ab.
„In mümpfhundert Mepern haben Wie ihr Pfiel erweicht!“
Klappe halten! Alle!
Okay. Eins nach dem anderen. Quietsch. Unfall. Bumms. Graben. Kopf. Geht’s mir gut? Hat’s mich erwischt?
Ich blicke an mir herunter und kann erst mal keine Veränderung zu vorher entdecken. Alles scheint an den bisherigen Stellen geblieben zu sein. Ich kann meine Arme bewegen, was ich dadurch feststelle, dass ich sie beide in die Höhe hebe und mit den Händen wackele. Ententanz im Sitzen ginge also noch. Haha. Blödsinn. Meine Beine sind ebenfalls ohne erkennbare Funktionsstörungen, soweit ich das durch einfache Tests feststellen kann. Ich drehe den Kopf. Aah ja, der tut also weh. Mmh. Aber trotzdem, einmal rechts, einmal links gedreht. Er tut’s noch irgendwie in den Grundfunktionen. Ich kann sehen und hören. Jo. Och, dann geht’s mir doch gut. Man kann zufrieden sein.
Is’ der Kopp noch dran am Mann,
kannze mal von Glück erzählen.
Aber nächstes Mal schon, dann
könnten wicht’ge Teile fehlen.
Jetzt versuche ich also mal auszusteigen, um mir den Schaden an meinem schönen Auto anzusehen. Aber das scheint nicht mehr so einfach zu sein, wie vor diesem kleinen Zwischenfall. Die Tür klemmt und ich muss mich mehrmals von innen mit der Schulter dagegenwerfen, um sie endlich aufzubekommen. Dann rolle ich mich ächzend und schnaufend, aber doch dankbar heraus, bleibe dafür aber mit dem Ärmel meines Sakkos am Türgriff hängen. Bisken Schwund is’ ja immer. Dass ich dann mit den Füßen im braunbrackigen, nach Gülle stinkenden Wasser dieses bösartigen Grabens stehe, mir plötzlich, so im Stehen, dann doch leicht schwindelig wird, sogar ziemlich schummerig vor den Augen, und ich dann wie ein Sack auf die weiche, braune, schlammige Erde plumpse, ist mir dann auch egal. Das ist der Schock, sagt man ja. Ich hab’s jedenfalls überlebt … und ich will weiterleben, denn ich habe noch Ziele.
„Schwattmecke“, deliere ich vor mich hin und versuche mich nach einer kurzen Dunkelpause wieder aufzustellen.
Der Porsche sieht schrecklich aus. Halb im Graben versunken, mit Schlamm bis ans Dach versaut. Und die wirklichen Schäden kann ich noch gar nicht erkennen, weil er ja halb im Stinkewasser liegt. Ob man den jemals wieder hinbekommt? Ich kann gar nicht hinsehen.
„Schwattmecke.“ So langsam wird doch noch ein Schimpfwort daraus.
Ich halte mich an der Stange fest, die freundlicherweise zufällig direkt neben mir in den schlammigen Boden gerammt ist. Sie trägt das Ortsschild von Schwattmecke, wie ich erstaunt feststelle.
Ich bin also schon da. Schön.
Schweren Herzens lasse ich also mein Autowrack im Stich und schleppe mich die Straße entlang, in der Hoffnung, irgendwo den Friedhof zu finden.
Mannomann, dat is abba ’ne sskhöne Sskheiße, woll!