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Bütterkes mit Sskhinken

„In mümpfundert Mepern mechts abmiegen“, verkündet die freundliche Frauenstimme meines Navigationsgerätes, die ich aber leider kaum verstehen kann. Denn weil so ein Gerät ja eigentlich nicht in so ein altes Auto gehört, habe ich es tief ins Handschuhfach verbannt, damit es auch ja keiner sieht. Bloß nichts Modernes in meinem Klassiker! Alles stilecht. Das muss schon sein. Leider hört man das nützliche Gerät dann aber auch nicht so gut und die schöne Stimme ist viel zu dumpf, so, als würde man der guten Frau beim Sprechen den Mund zuhalten oder vielleicht hat man sie auch enführt und geknebelt.

Da bin ich also wahrscheinlich die ganzen letzten zwei Stunden irgendwie in einer Art Autofahrertrance gewesen, immer den Blick an den sich ständig windenden, hypnotisierenden Mittel-streifen geklebt, bis diese Hühnerscheiße hier mich wieder ins Leben zurückgeholt hat. Aber trotzdem bin ich in diesem Zustand über endlose Sträßchen und Kurven, Hügel, Berge und Täler wohl doch ganz in die Nähe meines gewünschten Zieles gekommen. Jedenfalls sieht es ganz danach aus. Und ich hab sogar jemanden aus meinem früheren Leben getroffen.

Der Himmel sieht nicht so ganz echt aus. Die Sonne scheint zwar noch, aber am Horizont nähern sich bedrohlich dicke, schwarze Wolken und ein kühler, leichter Wind kommt auf. Ich glaube, dass es bald ganz furchtbar zu regnen, zu gewittern, zu unwettern, nein, zu plästern oder schütten, wie man hier sagt, anfangen wird.

„Schütten“ übrigens immer ohne die Ts aussprechen. Sauerländisch. Da müssen Sie unbedingt drauf achten. „Schü’en“, sagt man hier. Und statt „Kotelett“ sagt man zum Beispiel „Ko’le’“. „Scho’land“, „Ko’en“ (Kotten) und so weiter.

So ist das eben im Sauerland. Normal. Machen Sie sich nix draus.

Meine Güte, wie lange war ich eigentlich wirklich nicht mehr hier?, denke ich, als der Porsche wieder alleiniger, zufriedener Chef einer Straße ohne Hühner ist und jetzt ordentlich Tempo macht – ich hab’s ja echt eilig. In zwanzig Minuten soll es schon losgehen mit der Trauerfeier.

Zehn, zwölf Jahre ist es bestimmt her. Ja, zu Vaters Beerdigung, wahrscheinlich. Und Onkel Willi habe ich seit meiner Kindheit nicht mehr gesehen. Ich hatte ihn, ehrlich gesagt, eigentlich total vergessen. Den lustigen Onkel Willi, immer die Taschen voller Klümpkes für uns Kinder.

Und war ich sonst mal wieder hier, seitdem ich nicht mehr hier bin? Also, seitdem ich damals quasi Hals über Kopf hier abgehauen bin? Naja, ist lange her. Und es gibt da ein paar Leute, die sicher immer noch hier wohnen und möglicherweise nicht besonders scharf drauf sind, mich noch mal zu treffen. Es sei denn, um mir vielleicht eine reinzuhauen. Hoffentlich ist es lange genug her … und vielleicht hauen sie ja nicht so feste. Aber dann hätte ich es wenigstens endlich hinter mir. Ich erzähle Ihnen gleich noch mehr davon.

Eigentlich hat mich auch nichts wieder hierhingezogen. Ich war immer ziemlich froh, aus dem ganzen Misthaufen-Milieu endlich rausgekommen zu sein. Düsseldorf. Ja. Das war schon was ganz Anderes. Die feine, große Welt ohne Misthaufen, Gülle und ewige Kirchenglocken. Doch Mutter wollte ich natürlich schon mal ab und zu besuchen und hatte es ihr auch immer wieder versprochen. Und ich hatte es auch wirklich vor. Ja. Bestimmt. Und so weit war es ja nun auch nicht vom feinen Dorf an der Düssel bis hierhin in dieses sauerländische Outback. Aber irgendwie hat es doch nie geklappt. Hat nich’ sollen sein!

„Dat is mir doch ’n chanz dummen Spruch, Heinz-Nobbät“, sagt das Sauerland da zu mir und ich glaube, es hat recht. „Du hast doch in dein’ Düsseldorfer Luxusleben char nich an mich chedacht.“

Ja, kann sein, liebes Sauerland. Wahrscheinlich hast du sogar recht.

Zwei- oder dreimal hatte mein Bruder Bernd und sein wuchtiges und überaus patentes, liebenswürdiges Vollweib Sabine, die beide zusammen mit Mutter in ihrem, also, unserem alten Haus in Schwattmecke leben, sie zu mir nach Düsseldorf geschleift, „damit we uns nich so chanz ausse Augen verlier’n”.

Aber gerne hat Mutter das nicht mitgemacht.

„Da kannze ein’ drauf lassen! Düsseldorf, dat is nix für mich“, hatte Mutter sich immer beklagt und war immer heilfroh, schnell wieder wegzukommen. Und wenn ich ehrlich bin, dann war ich das eigentlich auch. Denn Mutter brachte immer eine gewisse Instabilität in mein schönes, feines Düsseldorfer Überholspur-Leben.

Wie Mutter einmal im „Bugatti’s“, dem angesagtesten Ess- und Trefftempel der Düsseldorfer Werbeszene, der meinem guten Freund Hugo gehört, die Scampis in hohem Bogen wieder ausgespuckt und dem Ober hinterhergerufen hat, solche „eckeligen Würmer würd’ man in Schwattmecke noch nich ma an de Schweine verfüttern“, das war in dieser Umgebung unterhaltsam, befremdlich und schockierend zugleich. Und als sie dann noch lauthals „Bütterkes mit Ssckinken“ bestellt hatte, „aber zack, zack, Herr Oberst!“, sind wir dann auch nicht mehr so lange geblieben. Naja, ich hatte den Laden ja selbst vorgeschlagen. Und die Scampis auch. Blöd von mir. Das musste ja schiefgehen.

Mutter Hilde war eben durch und durch Sauerländerin und da gehörte sie auch hin – nach Schwattmecke.

Schwattmecke, Schwattmecke,

dat is’ nich umme Ecke,

dat is’ im schönen Sauerland,

den meisten Leuten unbekannt.

Sylvia wollte sowieso nie hierhin. Ist ja noch nicht mal heute dabei. Sylvia ist meine Frau … also, eigentlich nur Freundin oder, wie sagt man, Verlobte, nein, das ist zu altmodisch, vielleicht Partnerin, obwohl manchmal … na, dann eben Lebens-abschnittsbegleiterin … ach, irgendwie haben wir uns da noch nicht so richtig festgelegt, was wir eigentlich so für- oder eben manchmal auch gegeneinander sind … sagen wir also, die sehr attraktive, zwölf Jahre jüngere Frau, mit der ich seit vier Jahren zusammenlebe – immer im hart umkämpften Niemandsland zwischen endgültiger Trennung und überzeugter Liebesheirat. Ja. So kann man mit der Formulierung eigentlich zufrieden sein.

Sylvia ist ganz toll und ganz furchtbar. Je nachdem. Wir passen überhaupt nicht zusammen, aber irgendwas an ihr lässt mich immer wieder ihre schlechten Eigenschaften vergessen. Ich denke mal, ihr geht es genauso mit mir.

Gestern Abend war sie wieder mal ganz furchtbar. Ich wahrscheinlich aber auch. Es ging eigentlich ja nur darum, dass sie trotz vollgequetschter Kleiderschränke aber auch rein gar nichts anzuziehen hatte für eine Beerdigung und dass mir das natürlich fuuurchtbar leidtat. Oooch, gar nichts anzuzieh’n, du Arme! Dann malen wir dich eben schwarz an, mit einer weißen Blume auf dem Hintern. So was und noch ein paar ähnliche Vorschläge habe ich ihr gemacht, weil es immer dasselbe Theater ist mit ihren scheiß Klamotten. Entschuldigen Sie! Ist mir so rausgerutscht. Naja, und am Schluss hat sie die Tür geknallt, aber vorher noch gesagt, dass sie dann eben überhaupt nicht mitkäme. Und dabei ist es dann geblieben. Von mir aus. Ich habe auch keine Lust mehr, mich darüber zu ärgern. Heute nicht.

„Du und deine Sauerländer!“, sagt sie immer schon so abwertend, aber ich habe es ihr noch nicht einmal so richtig übel genommen, weil ich diese Käffer im Hühnerscheiße-Niemandsland ja auch irgendwie ziemlich satthatte. Aber wenn ich mir dann doch mal fest vorgenommen hatte, wenigstens Mutter zu besuchen, kam doch glatt immer in letzter Minute irgendetwas dazwischen, weil mal wieder was Wichtiges in der Agentur zu tun war.

Ach ja, die Agentur!

Ich mache Werbung, Reklame, Kommunikation, müssen Sie wissen … wie immer man diese zwielichtige Branche vornehm benennen will. Man könnte auch etwas bösartig sagen, wir bescheißen einfach nur sehr professionell die Leute und verdienen ’ne Menge Geld dabei. Das ist eigentlich schon alles. Man könnte auch sagen, wir geben den ansonsten ja völlig hilflosen Personen, die da draußen in den Supermärkten, den Einkaufsmalls und überhaupt so im Leben zwischen den marktschreierischen und überall lockenden Angeboten und Versprechungen umherirren, „Kaufempfehlungen“ für gewisse Produkte. Wir helfen da nur. Phh. Aber: Wir müssen die Hersteller und Vertreiber dieser Produkte überzeugen, dass wir am effektivsten und lautesten für ihre Produkte schreien können und ihnen dann ihr Geld dafür aus den Taschen ziehen. Das ist eigentlich das Schwerste und der leider etwas demütigende Teil dieser Arbeit.

Und ich bin sozusagen der wichtigste Mann in der Agentur. Kreativ-Chef. ECD – Executive Creative Director – Head of Creation. Toller Titel, oder? Unentbehrlich. Hochbezahlt. Mr. Wichtig. Aber dafür auch Niggersklave in goldenen Ketten – rund um die Uhr.

Bölkemeyer & Friends heißt die aufstrebende Düsseldorfer Reklamefabrik mit immerhin fast einhundert hektischen Angestellten. Und Sylvias Vater, Arno Bölkemeyer, ist der Chef. Massa Arno. Also gut, eigentlich ist ER der wichtigste Mann, natürlich. Und er ist mein Vielleicht-Schwiegervater. Mal sehen. In ein, zwei oder drei Jahren setzt der Alte sich wahrscheinlich zur Ruhe, ich könnte praktischerweise seine Tochter heiraten, den Laden übernehmen und viel, viel weiteres schönes Geld einsammeln bis ans Ende eines wohlhabenden, unbeschwerten Daseins.

Schöne Vorstellung eigentlich. Und wahrscheinlich mache ich das auch. Na klar, mach ich’s. Ich meine, ich bin ja nicht blöd. Das ist die Chance meines Lebens. Und was soll ich sonst tun?

Aber erst in ein, zwei oder drei Jahren. Vielleicht auch später. Im Moment muss ich jedenfalls noch Ideen liefern, Konzepte erfinden, die Nächte durcharbeiten und eben Kunden überzeugen.

Aber vor allem muss ich Arno überzeugen. Ich muss ihm zeigen, dass ich der Richtige bin, um seine Agentur weiterführen zu können. Er muss wissen, dass man sich auf mich verlassen kann, dass ich die richtigen Entscheidungen fälle, dass ich immer und voll für die Agentur da bin. Die Betonung liegt auf „immer“. Also los, Flottmann, dann hau rein! Ackern und ackern und ackern – und da ist es natürlich klar, dass ich überhaupt keine Zeit habe. Für nichts.

„Vorwicht! Gepfwindikeitsbeschwänkung!“

Ich drehe TV-Spots, kreiere Anzeigenkampagnen, entwerfe Visionen für unsere Kunden, treffe Entscheidungen, bin ständig unterwegs, Vielflieger natürlich, ich bin einfach mittendrin in dieser gnadenlosen Reklamemühle, die sich immer dreht. Tag und Nacht. Manchmal hab’ ich echt große Lust, in den berühmten Sack zu hauen. Aber feste. Doch das geht natürlich nicht. Und es darf auch keiner wissen, dass ich das möchte, weil es ja auch keiner verstehen würde.

Zum Beispiel gestern: Was gab es da für ein Riesentheater, als ich sagte, ich sei heute mal nicht da?

„Wie, Sauerland?“, haben sie regelrecht angewidert gefragt. „Wo ist das denn? … Beerdigung? Deine Mutter? Oh, ja ... tut uns leid … jaja ... schon vergessen … natürlich“, und zähneknirschend hat mir Arno Bölkemeyer dann freigegeben.

„Ja, ja“, hat er gesagt, „selbstverständlich“. Aber ich wurde den Gedanken nicht los, dass er es eigentlich nicht so richtig eingesehen hat, wo doch soooo wichtige Arbeit auf dem Tisch lag. „Aber sieh bloß zu, dass du übermorgen pünktlich wieder hier bist, Hardy!“

Hardy.

Ja, so heiße ich in der großen Werbewelt. Hardy Fetzer. Nicht Heinz-Nobätt Flottmann. Nä, das geht ja nicht. Eigentlich war der tolle, schnittige Name Hardy Fetzer für eine ganz andere zweifelhafte Karriere gedacht: Sänger. Das erzähle ich Ihnen auch später. Aber für die Werbung passt er doch auch ganz wunderbar. Man hat mir nämlich vor langer Zeit ziemlich schnell klargemacht, dass eine Karriere im Reklamegeschäft als Heinz-Norbert Flottmann quasi ausgeschlossen wäre. Das hat mir auch eingeleuchtet. Kein Mensch hat hier solche Namen. Nicht hier im Zentrum der Großkotz-Werbewelt. Und da habe ich diesen Namen einfach wieder hervorgekramt. Hardy Fetzer. Hört sich doch gar nicht übel an für so’n Reklameheinz auf der Überholspur, was meinen Sie?

Ich heiße und bin jetzt H. F., der Senkrechtstarter der Düsseldorfer Werbeszene, strahlender Stern am Firmament der Kreativen, der Mann, dem die Unternehmen ihre Millionen anvertrauen, um damit Werbekampagnen zu erschaffen, die die Welt erschüttern.

„Naja, nu chib ma nich so furchtbar an, Düsseldorfer!“, sacht dat Sauerland. Und es hat schon wieder recht.

Rotzverdammi!

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