Читать книгу Rotzverdammi! - Reiner Hänsch - Страница 14
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Fell versaufen
Die Trauerfeier, oder soll ich lieber „Fete“ sagen, steigt im Hinterzimmer von Pollmanns und die Stimmung auch, wie es scheint. Die ersten Lacher quellen schon durch die geschlossenen, schmutzigen Fenster und gehen hoch in die verrauchte, stickige Luft, und bald hat man sicher auch vergessen, dass es Hilde Flottmann ist, die hier noch ein allerletztes Mal einen ausgibt. Alles auf Hilde ihre Kappe. Aber richtig! Auf ei’m Bein kannsse nich steh’n! … und die ganzen Sprüche.
Die ersten munteren Bierchen machen längst die Runde. Die Phase der ersten Traurigkeit scheint man erfolgreich hinter sich gelassen zu haben. Es darf jetzt etwas lockerer zugehen, hat man wohl beschlossen. Stufe zwei wird gezündet und die „Beschleuniger“, also, „Kurze“, naja, ich meine, die klaren Schnäpse kommen ins muntere Spiel.
Das darf doch wohl nicht wahr sein, denke ich, als ich den fröhlichen Lärm aus dem Saal höre. Na, da werde ich erst mal aufräumen müssen. Später. Jetzt muss ich erst mal dringend meinen Bruder suchen. Der Porsche liegt noch immer im Graben und verlangt nach augenblicklicher Rettung, der Arme. Ich sehe mich im Tresenraum um, kann aber niemand entdecken. Sind alle am Feiern. Aber da kommt Bruder Bernie wie gerufen schon aus dem Hinterzimmer.
„Mensch, wo bleibse denn, Heino? Die Feier is’ doch schon in vollem Gange“, sagt er vorwurfsvoll. „Du gehörs’ doch dabei!“
„Sag mal, Bernie, seid ihr denn alle bekloppt geworden? Was ist das denn für ’ne Sause da drin? Wir sind hier auf ’ner Beerdigung, Mensch! Unsere Mutter ist tot. Das geht doch nicht!“
„Ja, du hass ja recht. Die übertreiben immer ’n bisken. Die nutzen eben gede Gelegenheit“, meint er kleinlaut. „Ich sach ma gleich Bescheid.“
Und dann verschwindet er wieder im Saal von Pollmanns Kneipe und ich habe wieder nicht mit ihm über die dringende Rettung meines Autos reden können. Und ich höre auch nicht, dass sich irgendwas geändert hat an der Geräuschkulisse der Trauergemeinde. Jetzt muss ich da selbst rein!
„Heino!“, höre ich da aber jemanden rufen und dieser Jemand kommt direkt breitbeinig und so wuchtig auftretend auf mich zu, dass die Gläser hinter dem Tresen klappern. Es ist ein ganz dicker Mann, der kaum noch etwas mit dem Günni Günther Niggeloh zu tun hat, den ich kenne. Mindestens hundert Kilo schwerer als damals. Aber er ist es. Hinter den dicken Backen und dem gewaltigen Doppelkinn sind seine alten Gesichtszüge noch so in etwa zu erkennen.
„Mensch, Günni … ich … ich freu’ mich, dich zu sehen“, sage ich und gehe ihm hoffentlich ohne Kopfschütteln und offenstehenden Mund entgegen.
„Määänsch, lange nich geseh’n“, meint er, hält mich etwas auf Abstand und schaut mich reichlich kritisch an.
„Siehs’ abba nich besonders aus“, meint er dann und schüttelt den Kopf. Ich weiß ja, dass er recht hat. Aber er sieht ja nun auch nicht gerade …
„Na, komm her, altes Sackgesicht, lass dich anpacken!“, sagt er überaus wohlmeinend und dann versucht er, mich zu umarmen, obwohl der dicke Bauch mitten im Weg ist. Meine Beule, die ich schon fast wieder vergessen habe, findet irgendwie mit viel Schwung den direkten Kontakt zu seinem kantigen Schädel und es tut furchtbar weh. Doch dann klopfen wir uns auf die Rücken, dass es staubt und lachen herzlich.
„Mensch, Günni, ich … äh … du … äh …“
Was soll man da sagen, wenn einer so ohne jeden Plan aus-einandergegangen ist?
„Ich weiß“, sagt er dann selbst, „hab’ mich so ungefähr verdoppelt. Hach, dat ewige Bier, weiße.“
Doch dann baut er sich vor mir auf, breitet erwartungsvoll grinsend die Arme aus und fragt dann: „Un … wie gefällt et dir?“
Naja, geht so.
„Hömma, Heino, tut mir leid“, sagt er dann hastig, „ich hab überhaup’ keine Zeit im Moment. Dat erste Fass is’ leer. Die saufen wie die Stiere da drin. Geh schomma rein, wir sehen uns.“ Und dann verschwindet er schnaufend und stampfend im Keller der Kneipe und ich kann mir gar nicht vorstellen, dass er die Kellertreppe auch in der umgekehrten Richtung mit einem vollen Fass Bier bewältigen kann.
Der dicke Günni! Er war immer ein langer, drahtiger Kerl, der mit seinem Dackelblick alle Mädchen verrückt gemacht hat. Ich glaube, damit ist es jetzt erst mal vorbei.
Der Saal tobt. Ich betrete also mit eindeutigen Hinrichter-Absichten und einem dementsprechenden Blutdruck von etwa dreihundertfünfzig zu zweihundertachtzig den hinteren Raum der Gaststätte.
„Heinz-Nobätt!“, geht es da aber schon los, als man mich entdeckt, und der erste Unbekannte klopft mir gewaltig auf die Schulter. Aua. „Kennze mich nich mehr?“
Nee, irgendwie nicht. Ich kenne hier keinen Menschen.
„Helmut!“, dröhnt es mir entgegen.
„Ach ja, Onkel Helmut“, sage ich mit angemessener Zurückhaltung und weiche seinem Bieratem geschickt aus.
„Och, lass den Onkel ma wech. Nur Helmut!“ Und schon wieder gibt es einen derben Schlag auf die Schulter, dass mir der Schmerz voll hoch in die Beule fährt. Ehe ich mich wehren kann, habe ich einen Schnaps in der linken Hand und rechts ein Bier.
„Hau wech, die Scheiße!“, fordert Helmut mich auf und fügt dann aber ehrenhafterweise noch mit ernster Miene und Grabesstimme hinzu: „Auf unsere Hilde!“
Als er spürt, dass ich zögere und vielleicht sogar mit dem Gedanken spiele, abzulehnen, sagt er, ohne irgendein Verständnis für mein Verhalten zu entwickeln: „Na los, wat is’ denn? Willze nich auf deine Mutter trinken?“
So, jetzt reicht’s mir aber! Und ich werde laut. Muss jetzt sein!
„Ruhe hier, Rotzverdammi noch mal!“, brülle ich durch den Saal und Onkel Helmut weicht erschrocken einen Schritt zurück. „Seid ihr denn alle noch ganz klar? Das ist hier ’ne Beerdigung und keins von euren üblichen Besäufnissen! Setzt euch mal schnell alle wieder hin, bedient euch bei den Bütterkes, nehmt euch was vom Blechkuchen, trinkt Kaffee und trauert gefälligst um eure Hilde Flottmann, verdammte Scheiße!“
Na gut, das Ende ist mir ein wenig entglitten, aber es stimmt doch! So eine Mordsstimmung auf der Beerdigung meiner Mutter. Das gibt’s doch gar nicht!
Es ist tatsächlich augenblicklich Ruhe im Saal und ich kann also beruhigt wieder vom Stuhl heruntersteigen, den ich mir ganz spontan für meine kleine Ansprache ausgesucht hatte. Im Hintergrund fällt mir ein breitschultriger Mann mit Pferdeschwanz und Sonnenbrille auf, den ich auch schon mal irgendwo gesehen habe. Sonnenbrille drinnen!
„So“, sage ich trotzig zu Onkel Dieter, „geht doch nicht, Mensch!“
Zum Feiern ’ne Gelegenheit,
die find'st du überall.
Musst nich’ drum verlegen sein
im Sauerland – normal.
Eine leicht peinliche Stille beherrscht von nun an den Raum, die Temperatur ist ein wenig gesunken und ich habe das Gefühl, die Trauergäste kommen jetzt auch ganz gut ohne mich klar. Ich muss jedenfalls wieder raus hier. Tut mir leid für Günni, der mir im Vorraum heftig schwitzend fast ein Bierfass in die Kniekehlen rollt. Dem habe ich jetzt wohl den Umsatz versaut. Naja, stirbt ja sicher bald der nächste.
Und dann geht mein Handy. Ach du meine Güte, ich habe Sylvia völlig vergessen. Hätte ja mal anrufen müssen. Im Hintergrund erhebt sich schon wieder ein mächtiges Gemurmel, aus dem sicherlich bald wieder der Soundtrack eines gemütlichen Beisammenseins und dann vielleicht sogar wieder der einer Wahnsinnsfeier wird. Ich habe das so im Gefühl.
„Jaaa?“ rufe ich, immer noch etwas wütend, in das Gerät.
„Wie, ,JAAA‘?“, keift es da aus dem kleinen, handlichen, elektronischen Dingsda zurück. „Hardy, bist du das?“
„JA. Und du auch? Ich meine, bist du das auch da? Äh … Sylvia?“
„Hardy, was ist denn los mit dir? Was macht ihr da? Bist du nicht auf der Beerdigung? Sprich mit mir!“
„Mmh, jo, alles klar so weit … wir sind jetzt hier am Kaffeetrinken. Wie zur Bestätigung geht gerade ein spitzer Lacher steil in die Luft und die Meute lässt sich zu einem noch leicht verhaltenen Gröler hinreißen.
„Kaffeetrinken?“
„Ja, das macht man so nach einer Beerdigung, alter Brauch, weiße? Sylvia?“
Dann kommt Bernd wieder an mir vorbei.
„Sylvia, ich ruf’ dich gleich noch mal an … ich muss nur mal kurz eben …“
Tüt-tüt. Schon aufgelegt. Mist. Tja, wat willze machen?
„Bernd, hör mal!“, winke ich meinen Bruder ran.
„Ja“, sagt Bernd, „hass ja recht. So geht dat nich’. Aber so sin' die immer. Beerdigung’n, Hochzeit’n, Geburtstage … is’ alles eins. Da kannze nix machen!“
Ja. Ja?
Genutzt hat meine kleine Rede scheinbar allerdings nicht viel, denn es geht schon wieder lustig rund bei der feiergeilen Trauergemeinde. Doch erst mal zu den anderen wichtigen Sachen.
„Hör mal, Bernie, ich muss unbedingt mein Auto aus dem Graben ziehen. Ich muss heute noch nach Düsseldorf zurück!“
Bernie runzelt seine Stirn, auf der einige glänzende Schweißperlen stehen.
„Was is’ denn getz mit dei’m Auto?“
„Na, ich hatte da doch so ’n scheiß Unfall, Bernie. Die Karre is’ im Graben und muss da jetzt raus. Unbedingt.“
„Tja, ich will ma kucken, wat sich machen lässt.“ Und dann ist er schon wieder weg.
Ja.
Da klingelt das Handy wieder. Ich räuspere mich kurz und bereite mich auf ein paar ernstzunehmende Worte zu meiner Verteidigung vor.
„Sylvie, pass auf, es is’ nur, weil …“
„Ich bin’s. Arno.“
Oh, der Herr Schwiegerpapa. Vielleicht. Doppelte Vorsicht ist also geboten.
„Hallo, Arno, was gibt’s?“ Die Stimmung erfährt gerade wieder einen neuen kleinen Höhepunkt. Sind die schon bei der Polonaise?
„Was ist denn da los bei euch? Ich denke, das ist ’ne Beerdigung?“, sagt er. Und ich sehe förmlich, wie er hinter seinem mächtigen gläsernen Schreibtisch steht und seinen grauen Kopf voller Haare schüttelt. Arno ist so der Typ Dressman für die etwas ältere Generation, sieht nicht so schlecht aus für sein Alter, hat aber leider ein etwas zu kantiges, vorspringendes Kinn, was für mich immer seine Sturkopfigkeit symbolisiert.
„Ja, so sind die Beerdigungen eben hier. Sehr … herzlich. Meine Mutter war eben sehr beliebt, weißt du?“
„Tja, nun … du hast sicher von Sven gehört, was hier los ist. Also, bitte, sieh zu, dass du dich so schnell wie möglich da von dieser … Feierlichkeit loseisen kannst und dann mach mir noch schneller eine neue Kampagne für Atzenberger. Der geht zur Konkurrenz. Und du weißt, was das heißt. Wir, du, ich, die Agentur, wir sind alle geliefert. Wir brauchen diesen dämlichen Atzenberger und seine Millionen.“ Dann macht er eine kleine Pause, die durch einen heftigen Lacher aus der Kneipe gefüllt wird. „Hörst du mich, Hardy?“
„Ja, ja, alles klar. Morgen früh geht’s los“, versichere ich ihm lässig und füge überflüssigerweise noch ein leider etwas unsicheres „Läuft schon“ hinzu.
„Hardy, ich meine es ernst. Sehr ernst. Wenn du nicht morgen früh um neun Uhr im Besprechungszimmer bist, dann war’s das. Verstehst du mich?“
„Ja, ja.“
Und dann legt er auf.
Dann war’s das? Habe ich das wirklich verstanden? Was meint er damit? Atzenberger? Mich? Alles?
Ach … bis morgen.
Wie spät ist es denn jetzt eigentlich? Ich blicke leicht ängstlich auf das Display meines Handys. Und das sagt mir sehr deutlich, digital genau und sogar ein wenig vorwurfsvoll, wie ich meine: vier! Es ist schon vier! Mach was, Fetzer! Ach, du meine Güte! Jetzt muss aber wirklich was passieren, denke ich. Wer zieht mir jetzt die Karre aus dem Dreck? Ich weiß ja gar nicht, ob das arme Auto überhaupt noch fährt. Aber eins steht fest, ich muss zurück nach Düsseldorf. Unbedingt. Hatte ich vielleicht gerade noch gedacht, ich könne vielleicht auch morgen noch zurück, dann hat sich das mit Arnos Anruf jetzt weitgehend erledigt.
Und dann sehe ich sie.
Sie steht vor einem parkenden … BMW, sucht anscheinend ihren Schlüssel oder irgendwas in einer riesigen, schön verzierten, ledernen Handtasche und sieht umwerfend dabei aus.
Von hinten.
Henni???
Kann ja sein, oder? Sie wohnt ja jetzt wieder hier.
Jetzt stellt sie die Tasche ab und bückt sich, um noch intensiver darin herumzuwühlen, flucht ein wenig dabei und ich kann ihre Kniekehlen sehen. Donnerwetter. Diese Kniekehlen kenne ich. Ich muss ganz tief Luft holen. Flach atmen.
„Henni?“, frage ich ganz vorsichtig in Richtung … BMW, Handtasche, Kniekehlen.
Jetzt dreht sie sich um, hat wohl auch ihren Schlüssel gefunden und sieht noch besser aus. Von vorne.
„Henni?“
Sie hat sich ja überhaupt nicht verändert, denke ich. Wie ist das denn möglich? Sie sieht genauso toll aus wie früher. Meine Henni. Plötzlich ist die ganze Zeit dazwischen einfach weg. Es ist wieder 1983, '84, '85 oder so und wir sind jung, verliebt – und blöd.
Ich weiß natürlich, dass an mir die Zeit leider nicht so spurlos wie an ihr vorübergegangen ist, und daher bin ich mir etwas unsicher, was ich selbst gerade so für einen Eindruck mache. Es ist auf jeden Fall nicht der beste. Da kann ich ganz sicher sein. Henni hat mich jetzt seit fünfundzwanzig Jahren nicht gesehen, da könnte das erste Treffen nach so langer Zeit ein schwerer Schock für sie sein. Naja, die richtigen Momente kann man sich ja nie aussuchen. Also dann …
„Henni!“
Sie knibbelt ein wenig in meine Richtung mit ihren schönen blauen Augen, was darauf schließen lässt, dass sie wohl kurzsichtig geworden ist. Ja? Dann hätten die Jahre also doch ihre Spuren hinterlassen? Gehört hat sie mich scheinbar auch nicht sofort. Vielleicht ist da auch was mit den Ohren. Na, dann bin ich doch einigermaßen beruhigt. Das Alter macht also vor keinem Halt, nicht mal vor Henni Heggemann mit den Kniekehlen, denke ich und gehe mit viel zu viel Herzklopfen auf sie zu. Sie knibbelt immer noch ein wenig. Aber jetzt müsste die Entfernung eigentlich reichen … ja! Sie erkennt mich.
„Heinz-Norbert! Da bist du ja!“
„Jou. Da bin ich.“
„Määänsch, Heinz-Norbert“, sagt sie dann mit ihrer Stimme. Sie müssen nämlich wissen, dass sie auch eine ganz tolle warme, weiche Stimme hat. Ich könnte ihr stundenlang zuhören, auch wenn sie bloß meinen blöden Namen sagt.
„Ich wollte nur schnell … weil ich ja wusste, dass heute …“, stolpert sie verbal drauflos, „… ach, wie geht’s dir denn so?“, sagt sie dann aber entschlossen, lässt ihre Tasche stehen – sie tritt sie nur beinahe mit ihren schönen Füßen um – und kommt mir entgegen. Bis auf ungefähr eineinhalb Meter.
„Das mit deiner Mutter tut mir leid“, sagt sie dann. „Meine ist auch tot seit ’nem halben Jahr.“
„Ja, hat Klaus erzählt. Tut mir auch leid.“
Ich kann sie beinahe anfassen. Ich könnte sie eigentlich umarmen oder so was. Tu ich aber nicht. Warum? Weiß nicht. Ich habe wahrscheinlich immer noch ein schlechtes Gewissen wegen … naja, das erzähle ich Ihnen noch, wenn Sie’s noch nicht ahnen … und bin natürlich auch immer noch beleidigt wegen dem … BMW-Fahrer. So was sitzt tief.
„Mir geht’s sonst ganz gut … so weit“, stammele ich jetzt dafür blöd und sinnlos daher, fasse mir ohne weiteren Plan ins Gesicht und reibe orientierungslos an meinem Kinn herum. Henni, Henni, du machst mich nervös. Immer noch. Schon wieder.
„Und dir, Henni? Wie geht’s dir so?“
„Och jo, auch gut.“
Dann stehen wir voreinander wie zwei ahnungslose Sechzehnjährige und glotzen uns nur dämlich an. Sie lächelt allerdings sehr schön, sie kann ja gar nicht glotzen. Aber wir müssen reden!
„Wir haben uns ja ewig nicht gesehen … und dann jetzt leider auf ’ner Beerdigung …“, sagt sie da mit ihrer Stimme … den Füßen und ihren Knien. Jetzt kann ich nämlich ihre Knie sehen, weil sie sich ja umgedreht hat. Die sind auch so toll, aber ich will da jetzt nicht so hinstarren.
„Ja“, sage ich, und dann muss ich ihn einfach doch noch ins Spiel bringen, „seitdem du damals mit diesem … BMW-…“
„Ach ja“, sagt sie da ganz müde und fast bedauernd. „Heinz-Jürg.“
Ja, so hieß der breitbeinige Arsch. Heinz-Jürg. Würg. Was für ein grandioser Blödmann-Name. Naja, da kann ja keiner was für.
Und dann fällt noch ein Name.
„Tja, und seit du und Gaby damals …“, sagt sie. „Das wollen wir ja auch nicht vergessen.“
Ich atme schwer aus. Doch, das wollen wir vergessen! Ja, wir waren jung und … eben blöd. Und jetzt ahnen Sie’s auch. Da war mal was mit Gaby … naja, wie soll ich das erklären? Es ist ganz schwer. Genauso schwer wie damals, als ich versucht habe, es Henni zu erklären. Das hat auch nicht geklappt. Aber Sie wissen jetzt, dass da was war. Und das war ganz blöd – von mir.
„Ich bin ja jetzt geschieden“, sagt Henni dann wieder ganz fröhlich so weit. „Schon seit ’n paar Jahren.“
Aha, also doch schlau geworden. Na, bitte. Sie sitzt also dann nicht mit ihm abends vor dem Fernseher und er hat wahrscheinlich keine schwarzen Hände von der Arbeit in seiner Tuningwerkstatt … aber ein Goldkettchen, das hatte er. Der … BMW-Fahrer.
„Ach so“, sage ich aber nur und versuche ansonsten einigermaßen unbeteiligt zu bleiben.
„Ja, und ich wohne jetzt wieder hier“, sagt sie, ganz froh, das Thema wechseln zu können. „Hab’ nach dem Tod meiner Mutter unser altes Haus hier geerbt.“
„Ja, das hat Klaus mir auch erzählt.“
„Aha. Hat er vielleicht irgendwas nicht erzählt?“
Ich grinse etwas unsicher und würde natürlich gerne nach dem „Interessenten“ fragen, den Klaus ja erwähnt hatte und über den man schon so redet im Örtchen, weil der ja offensichtlich ab und zu mal hier erscheint, der Doofmann.
Aber was geht das mich an?
Wieder eine dumme Pause. Verdammt aber auch. Ich habe Herzklopfen und Lampenfieber. Hennifieber.
„Was … macht die Musik?“, fragt sie dann. Wieder ein geschickter Themawechsel.
„Och, nix mehr. Ist ja schon so lange her.“
„Ja, ja. Ich hab’ gehört, du bist doch jetzt irgendwie ’ne große Nummer in der Werbung oder so.“
Sie hat also von mir gehört in all der Zeit zwischen damals und heute. Sie hat sich also für mich interessiert, mich vielleicht sogar vermisst, gesucht, gebraucht …?
„Och ja“, sage ich nur.
„Und du wohnst doch in Düsseldorf mit einer …“
„Ja, ja“, falle ich ihr schnell ins Wort.
„Mmh. Und: Du verdienst aber ’ne Menge Geld, erzählt man sich so.“
„Oooch, was man so erzählt.“
Ja, Sie merken schon, jetzt ist unser Wiedersehensgespräch leider schon wieder festgefahren. Ich bin schuld, aber sie will es retten. Das spüre ich und das gefällt mir.
„Siehst gut aus!“, sagt sie dann energisch, nachdem sie einmal tief Luft geholt hat und ihre Brüste sich sehr erotisch gehoben und gesenkt haben. Ich will aber nicht zu lange hingucken und darf auch gar nicht an ihre Brüste denken. Einfach flach weiteratmen. Aber das mit dem Gut-Aussehen hätte ich eigentlich sagen müssen. Vergessen. Hach, ja, Heinz-Norbert, wenn’s drauf ankommt.
„Na, du aber auch, Henni. Hast dich ja gar nicht verändert.“
„Haha, sehr witzig“, lacht sie. „Wie lange ist das jetzt alles her?“
„Fünfundzwanzig Jahre!“ Ich weiß es genau.
„Meld’ dich doch mal bei mir. Ich wohne ja jetzt wieder …“
„… im gelben Haus, ich weiß.“
„Ja, dann komm doch mal vorbei, ’ne … Zosche hab’ ich immer kalt.“
Oh, wie sie das so sagt mit ihrer Stimme, den Füßen, den Kniekehlen, den Knien und den Brüsten … und diesen Augen … ich glaube, wenn sie noch weiterredet, wird mir ganz schlecht.
„Tja, ich muss jetzt leider“, sagt sie dann abrupt und bestimmt, wie, um sich loszureißen. „Lass dich mal sehen, Heinz-Norbert!“
Und dann bewegt sie wieder jedes Körperteil einzeln, wie früher, nimmt ihre Tasche und schwebt zu ihrem … BMW. Sie startet ihn, aber er springt erst beim zweiten Mal an, fährt etwas ruckelig los und Henni winkt mir dann durch die getönten Scheiben noch ein letztes Mal zu. Meine Henni.