Читать книгу Morina - Reiner Kotulla - Страница 12

Neun

Оглавление

Alexander Fabuschewski ist beunruhigt, als Renate um zwanzig Uhr noch nicht zurückgekehrt ist. Sollte sie doch eine längere Tour geplant, aber ihm nichts davon erzählt haben, fragt er sich. Er hat sein Handy eingeschaltet gelassen und weiß, dass auch Renate ihr Telefonino nicht ausschalten würde, wenn sie alleine unterwegs ist. Das sei eine berufliche Gewohnheit, hatte sie erzählt, seit es ihr einmal das Leben gerettet hätte, das Handy nicht ausgeschaltet zu haben. Alexander hatte nachgefragt, wollte weitere Einzelheiten wissen. Renate hatte ihn nur angeschaut und gesagt: „Du weißt schon.“

Er beruhigt sich damit, dass er sich sagt, sie würde sich schon melden, wenn etwas passiert sein sollte. So überprüft er nur den Ladezustand seines Mobiltelefons und stellt fest, dass er in Ordnung ist. Da er keine Lust verspürt, für sich alleine etwas zu kochen, geht er ins Restaurant. Dieses Mal setzt er sich nicht auf die Terrasse, sondern zieht den wärmeren Innenraum vor.

Er gesteht sich ein, dass er Renate vermisst, hat eigentlich auch gar keinen Hunger und bestellt sich deshalb lediglich einen Salatteller. Dazu ein Glas Bier der Marke Ichnusa, übersetzt die Schuhsohle, benannt nach der Form Sardiniens, die tatsächlich der einer Schuhsohle ähnelt. Der Sage nach soll die Gottheit, die die Erde erschaffen habe, zum Schluss ihres Werkes noch einen Haufen Granitfelsgestein übrig behalten haben. Diesen Haufen habe sie ins Mittelmeer geschüttet und sei mit einem Fuß darauf getreten. So hätte die Insel ihre Form erhalten.

Die Unruhe ist geblieben. Alexander wählt nun doch Renates Nummer auf seinem Handy. Er erhält keine Antwort, es meldet sich eine Ansagerin, die etwas auf Italienisch erklärt, das er nicht versteht.

Er bezahlt und macht sich auf den Weg zur Rezeption. Dort fragt er nach, ob eine Nachricht für ihn eingetroffen sei. Die Frau an der Anmeldung verneint seine Frage. Er hinterlässt seine Handy-Nummer und bittet darum, benachrichtigt zu werden, sollte eine entsprechende Nachricht eingehen. Alsdann macht er sich wieder auf den Weg zum Bungalow Nr. 74. Dort setzt er sich auf die Terrasse, will ein wenig arbeiten, kann sich aber nicht konzentrieren. Wieder versucht er, Renate anzurufen, auch dieses Mal ohne Erfolg. Eigentlich müsste er seinen Vater anrufen, könnte ihm aber nicht verschweigen, dass Renate nicht anwesend und ihm ihr Aufenthaltsort unbekannt ist. So verzichtet er darauf.

Bald weht der Wind stärker, und er setzt sich ins Wohnzimmer, verschließt die Haustür. Inzwischen ist es spät geworden, fast Mitternacht, und er rechnet nicht mehr damit, dass Renate heute noch zurückkommt. Sicher wird sie irgendwo übernachten, denkt er, und von dort aus auch erst nach dem Frühstück aufbrechen, weiß er doch, dass Renate, wenn es ihr möglich ist, zuerst frühstückt, bevor sie etwas unternimmt. So geht er zu Bett, lässt aber die Verbindungstür zum Wohnzimmer offen stehen.

Zuerst kann er nicht einschlafen, wälzt sich von einer Seite auf die andere. Dann vernimmt er ein Klopfen, ruft „herein“ – keine Reaktion. Sollte er die Tür abgeschlossen haben, fragt er sich, steht auf, stellt aber fest, dass das nicht der Fall ist. Sicher ist das wieder jenes „Traumklopfen“ gewesen, beruhigt er sich und schläft auch bald darauf ein.

Gegen sieben Uhr wird er wach, steht sofort auf und schaut im Wohnzimmer nach. Renates Bett ist unberührt. Er öffnet die Haustür. Die Sonne, die gegen sechs Uhr aufgegangen ist, steht noch rot über dem östlichen Horizont. Ein schöner Platz, denkt er, um den Sonnenaufgang beobachten zu können, und nimmt sich vor, Renate, wenn sie wieder da ist, einen entsprechenden Vorschlag zu machen.

Auf dem Küchenboard findet er in einer Papiertüte ein Brötchen, kocht sich Kaffee und setzt sich zum Frühstücken auf die Terrasse. Aber auch heute Morgen verspürt er keinen großen Appetit. Er bleibt auf der Terrasse sitzen, will sich nicht vom Haus entfernen. Um acht Uhr klingelt sein Telefon. Er wird gebeten, umgehend zur Rezeption zu kommen. Sofort macht er sich auf den Weg, nimmt Geld und Papiere mit, ahnt Schlimmes.

Die Frau in der Rezeption bittet ihn in einen Nebenraum.

„Nehmen Sie doch bitte Platz, Herr Fabuschewski.“

Angst überkommt ihn. „Was ist mit ihr, sagen Sie schon?“

„Machen Sie sich bitte keine Sorgen, Herr Fabuschewski, Frau Wolzow geht es, den Umständen entsprechend gut.“

„Was heißt, den Umständen entsprechend?“ Alexander wird ungeduldig.

„Ich weiß nur soviel, dass sich Frau Wolzow im Hospital von Palau befindet und Sie bittet, dorthin zu kommen.“

„Haben Sie mit ihr persönlich gesprochen?“

„Nein, mit der Stationsschwester, und diese hat gesagt, ich sage es noch einmal, Sie sollen sich keine Sorgen machen.“

„Wie komme ich von hier aus am schnellsten nach Palau?“

„Drüben, auf dem Platz vor der Ferienanlage Tanca Manna, befindet sich eine Bushaltestelle, warten Sie, ich schaue nach, wann der nächste Bus dort losfährt.“

Sie blättert in ihren Unterlagen. Dann greift sie nach einem kleinen Funkgerät und gibt eine Order, die Alexander nicht versteht. Kurze Zeit darauf erscheint ein Mann in der Tür, der Alexander andeutet, ihm zu folgen.

Der bedankt sich bei der Frau und entschuldigt sich dafür, dass er ungeduldig geworden war. Die Frau lächelt und fragt ihn, ob er Ausweis und Geld dabei habe. Alexander bejaht das, schon im Hinausgehen.

Der Mann bringt ihn zur Bushaltestelle. Alexander bedankt sich und rennt zu dem Bus, der gerade losfährt. Der Bus hält noch einmal, und man lässt ihn einsteigen.

An der nächsten Haltestelle fragt er den Busfahrer, der zum Glück ein wenig Englisch versteht, nach dem Krankenhaus von Palau. Der sagt, er werde ihm an der entsprechenden Haltestelle Bescheid geben. Die Busfahrt zwingt ihn zum Abwarten. Er überlegt, was Renate passiert sein könnte. Hatte sie einen Unfall? Ist sie überfallen worden? Worin bestehen ihre Verletzungen? Plötzlich fragt er sich, ob er wohl den Gashahn am Küchenherd abgedreht hat. Meines Vaters Kaffeemaschine lässt grüßen, denkt er. Nur, dass er nicht mehr zurückfahren kann, um nachzusehen.

„Signore“, wird er in die Gegenwart zurückgerufen, „nächste Station Ospedale.“ Er steht auf, geht nach vorn, bedankt sich beim Fahrer und steigt aus, als der Bus hält. Sogleich steuert er auf das weiße Gebäude zu, beschleunigt seine Schritte.

An der Auskunft nennt er Renates Namen und wird an eine Station im dritten Stock verwiesen. Seltsam, denkt er, eine innere Abteilung, auf die das Schild über der Eingangstür hinweist. Eine Krankenpflegerin kommt ihm entgegen, schaut ihn ernsten Blickes fragend an. Er fragt nach Renate Wolzow. Die Schwester weist auf eine der Türen an der rechten Seite des Ganges. Unsicheren Schrittes geht er hin, klopft an und tritt ein.

Umso erleichterter ist er, als er Renate im Bett sitzend vorfindet und diese ihn anlächelt.

„Renate“, kann er nur sagen, geht hin, nimmt sie, wie es eben geht, in die Arme, weint, keines Wortes fähig.

So verharren sie, bis er sie sagen hört, „Alexander, wenn du mich weiterhin so festhältst, bekomme ich keine Luft mehr.“

Das bringt ihn in die Realität zurück. Erschrocken lässt er sie los. Renate lacht und entspannt damit die Situation. Jetzt holt er sich einen Stuhl und setzt sich vor ihr Bett.

„Nun los, Renate, erzähle, wie geht es dir und was ist passiert?“

„Es ist eine Rauchvergiftung, zum Glück hat man mich rechtzeitig gefunden.“

„Wieso Rauchvergiftung, und wer hat, dich wo und warum gefunden?“

Sie beginnt ihren Bericht mit dem Cafébesuch in Arzachena, erzählt von der wunderschönen Bucht an der Costa Paradiso, dass sie anscheinend zu viel Wein getrunken habe und dann später im Auto eingeschlafen sei.

„Wie von fern hörte ich die Explosionen, habe sie aber nicht als solche erkannt, eher an ein Gewitter gedacht. Als ich wach wurde, lag ich auf einer Trage und wurde von zwei Männern in einen Krankenwagen geschoben. Ich hatte eine Maske auf dem Gesicht, Sauerstoff, wie mir später berichtet wurde. Ich hätte Glück gehabt, sagte mir dann der Arzt, dass sie mich rechtzeitig gefunden hätten.

Heute Morgen habe ich nachgefragt, was denn eigentlich passiert sei. Autofahrer, die auf der Straße in Richtung San Pietro Martiri unterwegs waren, hätten einen Feuerschein beobachtet und den Notruf betätigt. Daraufhin seien Notarzt und Feuerwehr ausgerückt. Man hat mich, bewusstlos in meinem Auto liegend, gefunden – Rauchvergiftung lautete die Diagnose des Arztes.

Die drei Häuser seien restlos niedergebrannt gewesen. Der Wind hatte den Rauch in Richtung meines Autos getrieben. Man vermutet, dass es sich um Brandstiftung handeln könnte. Alle drei Häuser besaßen eine Gasheizung und entsprechende Gasflaschen, die direkt an den jeweiligen Außenwänden standen. In meiner Handtasche fand man Papiere, aber auch unsere Anmeldung von Isuledda. Daraufhin wurdest du benachrichtigt. Das war’s, Alexander, ach so, du kannst mich mitnehmen, das Auto haben sie inzwischen zum Parkplatz des Krankenhauses gebracht.“

Alexander kann nicht anders, er muss sie noch einmal umarmen. Renate hat nichts dagegen, erwidert seine Umarmung.

„Was hältst du davon, Renate, wenn wir uns morgen früh den Sonnenaufgang anschauen?“, fragt er sie, als sie am Abend auf ihrer Terrasse sitzen.

Morina

Подняться наверх