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Fünf

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Der Vorteil einer kleinen Wohnung besteht darin, dass sich dort auch über einen längeren Zeitraum nicht so viel ansammelt, sodass ihm ein kleiner LKW ausreicht, sein gesamtes Umzugsgut aufzunehmen. Den Wagen hat er in Wetzlar ausgeliehen. Die Fahrt nach Siegen reicht ihm aus, sich mit dem Fahrverhalten des Wagens vertraut zu machen.

In einem Supermarkt hat er Bananenkisten zum Verpacken des Kleinkrams gefunden. Ein Mitbewohner hilft ihm beim Verladen der schweren und sperrigen Stücke.

Der Abschied von Siegen wird ihm erst bewusst, als er die Wetterscheide bei Kalteiche überquert. Dieses Mal ist es anders als sonst, wenn er seinen Vater besucht hatte: Es regnet auf der hessischen Seite.

Am späten Nachmittag kommt er in Wetzlar an, parkt vor dem Haus am Fischmarkt. Er klappt die hintere Ladeklappe herunter, schaut unschlüssig auf das Umzugsgut. Der Laderaum ist so beladen, dass zuerst die schweren und sperrigen Sachen ausgeladen und in den dritten Stock transportiert werden müssen. „Das scheint nicht einfach zu sein.“

Erschrocken dreht sich Alexander Fabuschewski um. Hinter ihm steht Michelle Carladis, die Bedienung aus dem Bistro.

„Sie haben recht, ich habe vergessen, dass alles in den dritten Stock getragen werden muss.“

„Da haben Sie aber Glück, ich bin frei und kann Ihnen helfen. Einen Moment, Klaus wird sicher mithelfen“, sie dreht sich um und läuft ins Bistro.

„Klaus Wagner“, stellt sie ihn vor, „ein Freund von mir.“

Er registriert, dass sie nicht sagt, „mein Freund“.

Alexander stellt sich nun ebenfalls vor, gibt jetzt auch Michelle die Hand. Er spürt einen kräftigen Händedruck und denkt an seinen Vater, der immer zu ihm gesagt hatte: „Fest zudrücken, Alexander.“

Klaus greift sogleich nach der Waschmaschine. Gemeinsam heben sie diese auf die Straße herunter. Alexander öffnet die Haustür und oben die Wohnungstür. Knapp zwei Stunden später steht alles in der Wohnung, noch nicht auf seinem endgültigen Platz, aber das, so sagt er, würde er alleine schaffen. Unschlüssig stehen sie in der Küche.

„Falls Sie überlegen, wie Sie uns danken können, schlage ich eine Pizza vor, drüben beim Wirt am Dom.“

Tatsächlich hatte Alexander gerade darüber nachgedacht, wie er fragen sollte. Nacheinander waschen sie sich im Badezimmer die Hände, verlassen gemeinsam die Wohnung und gehen hinüber in die Pizzeria. Wie es sich herausstellt, handelt es sich bei diesem Lokal nicht um eine Pizzeria im üblichen Sinne, sondern um ein, wie man oft sagt, gutbürgerliches Restaurant unter italienischer Leitung. Alle drei bestellen sie Pizza und Bier.

„Ich weiß nicht, ob ich Ihnen genug danke, wenn ich das hier bezahle?“

„Ich denke schon“, sagt Klaus, „zumal das heute unser letzter Arbeitstag vor dem Urlaub ist. Morgen werden wir abreisen, zwei Wochen Korsika. Jetzt, im September, ist das Wetter dort noch sehr angenehm, nicht zu warm und nicht zu kalt.“

Im Stillen bedauert Alexander nicht nur ihre Abreise. Er ist also doch ihr Freund, denkt er. Zudem muss er nun noch vierzehn Tage warten, bis er Michelles Hilfe in Anspruch nehmen kann.

„Sicher wird es später noch eine Gelegenheit geben, dass ich mich für Ihre Hilfe erkenntlich zeigen kann“, und an Michelle gewandt, „darf ich dann auch noch auf Ihre Unterstützung rechnen bei meiner Recherche in Sachen Klassenfahrt?“ „Ja, sicher“, sie klärt nun Klaus darüber auf, um was es dabei geht.

Der ist ein wenig erstaunt. „Davon hast du mir ja gar nichts erzählt.“

Michelle erscheint ein wenig verlegen. „Habe ich nicht? Seltsam.“ Kurz darauf verabschieden sie sich mit der Aussage, sie hätten noch einiges vorzubereiten.

Alexander bleibt sitzen, bestellt sich noch ein Bier. Er will sich Zeit lassen, beabsichtigt, erst am kommenden Tag die Wohnung weiter einzuräumen.

Am Morgen, denkt er, wird er im Bistro frühstücken und danach seinen neuen Friseur aufsuchen. Noch einmal überdenkt er die Ereignisse der letzten Tage. Der Unfall seines Vaters, die Besuche im Krankenhaus, der Artikel in der Zeitung, die Wohnung, Michelles Angebot und deren Hilfe beim Umzug.

Er wundert sich, dass er sie in Gedanken Michelle nennt, zumal sie sich mit „Sie“ und Nachnamen anreden. Seltsam auch seine scheinbar grundlose Reaktion auf die Urlaubsankündigung der beiden. Er denkt auch an die Situation im Krankenhaus, als er eine Vase suchte und dabei die Krankenpflegerin kennenlernte, wobei dies wohl etwas übertrieben ist. Ihren Namen, Tamara, hatte er von seinem Vater erfahren.

Und überhaupt fragt er sich, warum er so kurz nach der Trennung von Erika, die er zu lieben glaubte, derartige Gedanken hegt. Sollte der seiner Ansicht nach dumme Spruch „Männer, können besser sehen als hören“ doch eine tiefere Bedeutung in sich bergen?

Warum fasziniert ihn der Anblick eines runden Hinterns so, dass er sich sofort nach dem Namen der Frau erkundigt? Die Frage deutet ja wohl die Absicht an, mit ihr Kontakt aufnehmen zu wollen. Er beschließt, diesen Fragen jetzt nicht weiter nachzugehen, bezahlt die Rechnung und geht hinauf in seine Wohnung.

Weil er müde ist, macht er nur sein Bett, lässt alles andere so stehen, wie es abgestellt wurde, zieht sich aus, wäscht sich und legt sich hin. Bald ist er eingeschlafen.

Der erste Traum in einer neuen Wohnung sei von besonderer Bedeutung, so sagt man. Er erinnert sich an ihn, als er am nächsten Morgen im Bistro ein umfangreiches Frühstück zu sich nimmt.

Zuerst vernahm er ein Klopfen in seinem Traum, rief „herein“ und wurde wach, glaubte sich in seiner alten Wohnung und rief noch einmal. Er hörte, wie unten auf dem Parkplatz eine Autotür geschlossen wurde. Jetzt erinnerte er sich daran, wo er sich in Wirklichkeit befand, und schlief wieder ein.

Kurz darauf, wie er meint, vernahm er wieder das Klopfen, und noch einmal rief er „herein“.

Die Tür öffnete sich, und Erika kam herein, sagte, sie wolle den Kühlschrank abholen, da dieser schließlich ihr gehöre. Sie trug nichts am Körper außer einem roten Tanga. Er bat sie, in sein Bett zu kommen. Daraufhin wandte sie sich ihm zu, hatte plötzlich das Gesicht von Tamara, der Krankenschwester im Dillenburger Krankenhaus. Die sagte zu ihm, sie habe noch zu tun, käme aber später noch einmal wieder und verließ den Raum. Er stand auf, wollte ihr folgen, verlief sich aber in der Wohnung. Dann erinnerte er sich daran, dass alle Räume miteinander verbunden waren. Trotzdem fand er das Schlafzimmer nicht mehr.

Statt dessen saß er jetzt in einem Auto, schaute aus dem Fenster und sah auf der gegenüberliegenden Straßenseite einen PKW, der sich offensichtlich überschlagen hatte. Er wollte anhalten, fand aber das Bremspedal nicht.

Wieder wurde er wach, bemerkte eine Erektion, war erleichtert darüber, dass alles nur ein Traum war. Trotzdem überlegte er, wo Tamara hingegangen sein könnte und wie er der Person, die in dem Unfallauto saß, helfen sollte. Endlich schlief er wieder ein, blieb traumlos, wie er glaubte.

„Wie war die erste Nacht in der neuen Wohnung?“, fragt ihn der Friseur.

„Freud hätte seine wahre Freude an meinen Träumen gehabt. Ansonsten habe ich gut geschlafen, und die Wohnung gefällt mir immer noch sehr gut, auch, wenn da noch einiges an Arbeit zu leisten ist.“

„Und die Frisur?“, fragt ihn der Friseur, als er ihm den Spiegel hinter den Kopf hält.

„Sehr gut“, sagt er und ist aufrichtig.

Um nicht ständig auswärts essen zu müssen, will er zunächst die Küche fertig einräumen, anschließend doch noch einmal irgendwo zu Mittag essen und am Nachmittag nach Dillenburg ins Krankenhaus fahren.

Auf dem Stationsflur begegnet ihm Tamara. Sie lächelt ihn an und sagt, dass er, wenn er eine Vase benötige, ja wisse, wo diese zu finden sei. Er lächelt zurück und bedankt sich höflich. Dann klopft er an die Krankenzimmertür, tritt ein und ist überrascht.

Vor dem Bett seines Vaters sitzt eine ihm unbekannte Frau. Auch Peter Fabuschewski scheint etwas verlegen zu sein, stottert ein wenig, als er ihm, wie er sagt, eine Freundin, Renate Wolzow, vorstellt. Auch die erscheint durch seinen Besuch etwas verunsichert, als Peter ihr seinen Sohn Alexander vorstellt.

Peter überbrückt die Situation mit dem Hinweis, dass der Arzt ihm erlaubt hätte, die Cafeteria aufzusuchen. Er steigt aus dem Bett, zieht den Bademantel über und macht eine einladende Geste in Richtung der Tür. Im Fahrstuhl dann die übliche Situation. Man steht dicht beieinander und weiß nicht, wo man hinschauen soll. Interessant, denkt Alexander und zwingt sich, Renate Wolzow nicht offen anzuschauen.

„Peter hat erzählt, dass Sie nach Wetzlar umziehen wollen.“ Und schon ist die Fahrstuhlsituation entspannt.

„Schon geschehen, Schlafzimmer und Küche sind bereits bewohnbar.“ So bleibt es auch, als sie in der Cafeteria um einen kleinen Tisch herum sitzen. Peter und Renate berichten abwechselnd darüber, wie sie sich kennengelernt haben und dass sie eine recht offene Beziehung zueinander unterhalten.

Alexander ist beeindruckt, als Renate sagt: „Wir treffen einander, wenn uns danach ist und wir Zeit füreinander haben.“

Alexander bemerkt, dass Peter ihn beobachtet, gibt sich locker und bekundet seinerseits Sympathie für eine solche Beziehung. Peter lacht ihn an, nicht genau wissend, ob Alexander auch meint, was er sagt.

Auf alle Fälle ist damit die Situation entkrampft, und sie sprechen über dies und jenes, bis Renate andeutet, dass es da ein Problem gäbe. Alexander will schon aufstehen, um ihnen Gelegenheit zu geben, allein miteinander zu reden, als Renate sagt, dass es nichts Intimes sei, worüber sie reden würden und dass er ruhig bleiben könne. Gespannt schaut Peter Renate an.

„Es ist so, Peter, dass ich dich überraschen wollte. Ich habe schon vor einiger Zeit eine Reise gebucht, vierzehn Tage Sardinien. Mein Jahresurlaub beginnt am kommenden Montag, und ich dachte, du würdest dich freuen, wenn ich dich fragte, ob du mich begleiten möchtest. Nun ist das ja im Moment leider nicht möglich.“

Die Überraschung scheint ihr gelungen zu sein, denn Peter sagt zunächst gar nichts. „Ich glaube“, sagt Alexander, „ich mache jetzt doch lieber einen kleinen Spaziergang“, und entfernt sich, ohne eine Antwort abzuwarten. Draußen, auf dem Gang, schaut er auf die Uhr, denkt, dass fünfzehn Minuten ausreichen sollten, und macht einen Rundgang durch den Park des Krankenhauses.

Als er zurückkommt, schauen ihn Renate und sein Vater erwartungsvoll an. „Und“, fragt er, „wie habt ihr das Problem gelöst?“

„Noch nicht, Alexander, das liegt an dir.“

Nun ist Alexander der Erstaunte, schaut wohl ziemlich ratlos. Renate lacht, wie es den Anschein hat, etwas verlegen.

„Wenn Renate die Buchung für mich storniert, verliert sie fast den gesamten Reisepreis für eine Person. Deshalb wollen wir dich fragen, ob du an meiner Stelle mitfahren möchtest?“

„Es handelt sich“, ergänzt Renate, „um eine Flugreise, ab Köln nach Olbia auf Sardinien, von dort aus geht es mit einem Leihwagen nach Cannigione, einer kleinen Stadt am Rande der Costa Smeralda. Das Problem ist die Unterkunft. Der Bungalow in der Ferienanlage Isuledda hat eigentlich nur einen großen Wohnschlafraum. Es gibt aber einen kleinen, wohl als Kinderzimmer zu nutzenden Raum mit einem Bett und einem Wandschrank.“

Ihrer beider Augen sind nun auf Alexander gerichtet. Jetzt ist es an ihm, überrascht und auch ein wenig verlegen zu sein. Lange braucht er jedoch nicht zu überlegen. Ohne Michelle Carladis Hilfe, denkt er, kann er nicht mit seiner Arbeit beginnen, und auch die befindet sich noch vierzehn Tage auf Reisen. So erklärt er unumwunden, dass er sich freue, Renate begleiten zu dürfen, denke allerdings, dass er an Peters Stelle, wie sie es genannt haben, wohl doch nicht treten könne. Jetzt lachen sie, alle drei.

„Dann will ich nicht länger stören und umgehend mit den Reisevorbereitungen beginnen. Übrigens, Frau Wolzow, wie ist denn das Wetter zurzeit auf Sardinien?“ Sie steht auf, streckt ihm die Hand hin, „ich heiße Renate, und das Wetter ist so, wie es bei uns in einem schönen Sommer ist, Luft zwischen zwanzig und fünfundzwanzig und das Wasser um die zweiundzwanzig Grad.“

„Dann macht’s gut“, sagte er und zu Renate gewandt, „wir telefonieren heute Abend.“

„In Ordnung, 0172-3338357.“

Morina

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