Читать книгу Marijana - Reiner Kotulla - Страница 10
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Am Samstag fragte Alexander Mühlberg, ob er etwas über den Toten, den sie beim Ruderklubgelände aus der Lahn gefischt hatten, erfahren hatte. Mühlberg wies auf seine guten Beziehungen zur Wetzlarer Polizei hin und erzählte, dass diese inzwischen die Identität des Toten ermittelt hatte. Die Obduktion hätte ergeben, dass der Mann keines natürlichen Todes gestorben war. In diesem Zusammenhang suche man nach einer Frau, mit der der Mann zusammengelebt hatte, die aber seit einigen Wochen verschwunden war.
Alexander bat Mühlberg, auch des weiteren seine guten Beziehungen spielen zu lassen, warum, das wusste er zu diesem Zeitpunkt noch nicht genau zu sagen. „Ich bin Schriftsteller“, sagte er zu Mühlberg auf dessen entsprechende Frage hin.
„Ah, verstehe“, sagte der.
An diesem Wochenende waren Volker und er alleine herausgefahren. In der vergangenen Woche hatte es ununterbrochen geregnet. Der Pegel der Lahn war kräftig angestiegen. Die Arbeiten am Floß waren gut vorangegangen, der Ferienbeginn rückte immer näher heran. Heute sollte das Zelt auf der Plattform neu errichtet werden, und sie wollten dann dort eine Probenacht verbringen. Am kommenden Samstag wollten sie dann gemeinsam das Floß im festlichen Rahmen zu Wasser lassen. Sie hatten erfahren, dass an diesem Tag der Ruderklub ein Regattafest veranstalten wollte. Woraufhin Simone die Idee hatte, dass zumindest der Vorstand an der Floßtaufe teilnehmen könnte. Dem hatten sie zugestimmt und Alexander beauftragt, entsprechende Verbindungen aufzunehmen.
Mühlberg versprach, das zu „regeln“, wie er sich ausdrückte.
Am Abend saßen Volker und Alexander im Vorzelt um den auf der Plattform befestigten Tisch. Volker hatte Pizza besorgt, Bier lag in einer mit Gas zu betreibenden Kühlbox, die sie ebenfalls im Boden verankert hatten.
„Du hast doch nicht immer allein gelebt, Volker?“
„Wenn du damit meinst, in meiner eigenen Wohnung, dann stimmt das so. Ich hatte Beziehungen, aber zusammengezogen sind wir nie.“
„Manchmal ist ein Zusammensein ohne gemeinsame Wohnung doch recht unkompliziert. Man kann die Gemeinsamkeiten nutzen, bewahrt sich aber ein gewisses Maß an eigener Freiheit.“
„Kann schon sein, wenn beide denn auch frei sind. Ich hatte eine Beziehung zu einer verheirateten Frau, da war es sehr praktisch, dass ich eine Wohnung hatte. Und doch war das Ganze nicht einfach, wie du dir das vielleicht vorstellen kannst.“
„Hast du sie geliebt?“
Volker antwortete, ohne zu zögern. „Ganz sicher.“
„Und sie dich?“
„Genau weiß ich das nicht, obwohl sie das manchmal gesagt hat.“
„Und ihren Mann?“
„Den angeblich auch. Oft beteuerte sie mir, eine glückliche Ehe zu führen, mit einem Partner, der, anders als sie selbst, absolut treu sei.“
„Gibt es das?“
„Ich habe es lange geglaubt, bis mir jemand erzählt hat, dass ihr Mann mit einer anderen Frau ein Kind gehabt hätte. Ich habe zunächst nicht gewagt, sie daraufhin anzusprechen, weil ich fürchtete, das wäre das Ende unserer Beziehung.“
„Das verstehe ich nicht.“
„So ging es mir anfangs ja auch. Es war nur so ein Gefühl. Dann glaubte ich zu wissen, nein, besser, ich ahnte es nur, dass unser Verhältnis auf einer Lüge aufgebaut war.“
„Welcher?“
„Der von der angeblichen Treue ihres Mannes. Die hatte sie gebraucht, um mir zu vermitteln, dass unsere Beziehung nicht von Dauer sein könnte. Warum auch sollte ich das glauben, wenn sie doch in einer glücklichen Verbindung mit ihrem Mann lebte. Mir wollte sie damit sagen, dass wir beide lediglich eine Affäre sexueller Art hatten.“
„Sie hat dir aber doch, wie du gerade gesagt hast, ihre Liebe gestanden.“
„Ja schon, aber das tat sie nur dann, wenn sie etwas getrunken hatte.“
„Meine Güte, Volker, das war tatsächlich alles andere als eine einfache Sache.“
„Seltsam, ich habe noch nie mit jemandem darüber gesprochen.“
Darauf sagte Alexander nichts, wusste auch nicht, was er hätte sagen können. Eine Frage hatte er aber noch, Volker kam ihm zuvor. „Ich weiß, dass du jetzt wissen willst, ob ich sie dann doch noch nach dem Kind ihres Mannes gefragt habe.“
„Genau das wollte ich dich gerade fragen.“
„Sie hat mir die Frage nicht beantwortet. Sie weinte, verhielt sich so, als ob ich mit dieser Frage unsere Affäre beendet hätte, versicherte mir noch einmal ihre Liebe und ging. Ich verstand nichts, glaubte, sie käme wieder, wartete aber vergebens darauf. Sie ging mir aus dem Weg. Auch arbeitsmäßig veränderte sich ihr Verhalten mir gegenüber. Sagte ich dir, dass wir Kollegen waren?“
„Nein.“
„Hatte sie zuvor meine Arbeitsweise anerkannt, ja sogar öffentlich gelobt, begann sie nun, zunächst in spaßigem Ton, über mich zu lästern. Ich würde, so meinte sie, meine Schüler nur deshalb zur Selbstständigkeit erziehen wollen, weil ich beabsichtigte, mir dadurch Arbeit zu ersparen.“
„Wie denn das, Volker, ich dachte immer, dass die Erziehung zur Selbstständigkeit langwieriger und nervenaufreibender sei, als wenn man den zu Erziehenden jeden Arbeitsschritt einzeln anordnete. Entsprechend der Aussage so manch einer Mutter: ‚Ehe ich dir das erkläre, mache ich es lieber gleich selbst. Das geht schneller.‘“
„Schon, aber erreicht man so bei Schülern, dass sie selbstständig arbeiten? Ich denke, nicht. Tritt man aber als Lehrer zurück, wird eher zum Berater, spart man dann tatsächlich eigene Mühe und Kraft.“
„Verstehe, aber das musste deine Freundin doch gewusst haben.“
„Sicher hat sie das, doch ich glaube, dass sie nach Gründen gesucht hat, meine Arbeit schlecht zu machen. Dann änderte sie auch die Art, wie sie über mich sprach. Sie meinte es nun ganz offensichtlich ernst, wenn sie sagte, ich sei ein Faulenzer. Das Schlimme daran war, dass sie nun auch hinter meinem Rücken anderen Kollegen gegenüber zu tratschen begann und das auch Vorgesetzten gegenüber.“
„Hast du denn nichts dagegen unternommen?“
„Was sollte ich tun? Stimmten doch auch viele der alten Pauker an unserer Schule mit den von ihr geäußerten Ansichten überein, hielten mich für einen linken Spinner, der das Ende der 68er verschlafen hätte.“
„Wenn sie aber nun ganz offen gegen dich gearbeitet hat, obwohl sie früher deinen Methoden zugestimmt hatte, muss sie doch einen wirklichen Grund dafür gehabt haben?“
„Und ich glaube, den zu kennen.“ Jetzt sah ihn Alexander erwartungsvoll an. Die Geschichte interessierte ihn nun sehr. Hatte er anfangs gedacht, er müsse Volker nur zuhören, wollte er jetzt wissen, wie die Sache ausgegangen war. „Ich glaube, dass sie mich wirklich geliebt, auf eine gemeinsame Zukunft mit mir gehofft und ihre Leichtlebigkeit mir gegenüber nur gespielt war. Als sie dann gemerkt hat, dass ich nur eine, wenn auch länger anhaltende, Affäre mit ihr haben wollte, muss ihre Liebe regelrecht in Hass umgeschlagen sein. Wie dem auch sei. Schließlich brach sie jeglichen Kontakt zu mir ab. Als ich dann noch einmal versuchte, ein Gespräch mit ihr zu führen, fuhr sie mich wütend an und sagte: ‚Ich werde nie wieder mit dir reden.‘ Kurz darauf stellte sie einen Versetzungsantrag, dem auch stattgegeben wurde.“
„Und du hast nichts mehr von ihr gehört?“
„Nein.“
Es trat eine Pause ein. Beide hingen ihren Gedanken nach. Alexander war sich sicher, dass Volker an Vergangenes dachte. Ihn selbst bewegte eine andere Frage. „Glaubst du, dass Frauen immer auf eine Beziehung mit Zukunft hoffen, auch dann, wenn sie anderes äußern?“
„Ich weiß es nicht. Vielleicht sollte man das nicht so verallgemeinern.“
Alexander aber hörte nicht mehr zu und dachte plötzlich an ein Gespräch, das er vor einiger Zeit auf der Fahrt von Hiddensee nach Wetzlar mit Simone geführt hatte. Zweideutig hatte sie damals auf seine diesbezügliche Frage geantwortet.