Читать книгу Zum Irrgarten - geradeaus - Reinhard Kreuz - Страница 8
ОглавлениеGEIST UND WELT(EN)
Über die Bedingungen vernünftiger Gespräche
Die Gründung eines politischen Gesprächskreises legt es nahe, sich über den Gegenstand und die Voraussetzungen für das Gelingen des Unternehmens klar zu werden. Beides ist alles andere als evident. Politik scheint etwas seltsam »Zusammengesetztes« zu sein: Faktisches, statistisch Messbares aus Wirtschaft und Gesellschaft trifft auf Wünschenswertes, auf die Frage nach dem Richtigen, auf das Leiden am Unerträglichen. Das Begriffspaar »Geist und Welt« scheint den Umfang des Politischen gut abzustecken und bietet sich als Motto an für unsere Gespräche.
Das Wortpaar »Geist und Welt« klingt vertraut und störend zugleich – vor allem dann, wenn das »und« betont wird. Geistiges erscheint uns oft als »weltfremd«, und die Welt als in einem Maße Geist-verlassen, dass sie uns nur noch Ärgernis ist und nicht mehr Quelle der Erkenntnis. Während aus letzterer Perspektive von einer »besseren«, einer »neuen« Welt geträumt wird führt die erstere zu einer vermeintlich pragmatischen Existenz ohne Störung aus der Welt der »Phantasmen«.
Vielleicht, so eine Vermutung zu Anfang, vielleicht ist ja die Spannung unaufhebbar, bleibt uns Politik dauerhaft erhalten als provozierendes, welt-geistiges Kompositum. Dann wären die beiden Aspekte weder völlig trennbar noch aufeinander reduzierbar. Das Streben des Menschen, in der Welt zu überleben, und dieses Leben zu verbessern, und gleichzeitig seinem irdischen Dasein Sinn zu verleihen, und die daraus folgenden, globalen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veränderungsprozesse, bildeten dann ein Geflecht wechselseitiger Durchdringungen und Beeinflussungen, in dem man Geistiges und Weltliches vielleicht noch unterscheiden, aber nicht trennen kann. So jedenfalls könnte eine These am Anfang unserer Gespräche lauten, für die ich mir eine offene und fruchtbare Diskussion wünsche.
Was aber wünsche ich mir damit? Im konkreten Fall etwa folgendes: Geistiges und Weltliches, wenn es vorgetragen wird, ob als Anliegen oder als Faktum, erst einmal ernst zu nehmen und gelten zu lassen bis hin zu weiterer Prüfung. Den Fakten, wenn sie Gedachtes und Gewünschtes stören, ein besseres Schicksal zu bereiten als Hegel mit dem ihm zugeschriebenen Diktum »Umso schlimmer für die Wirklichkeit«. Dem Geistigen, das ja »nur« gedacht wird, mehr Kraft und Wirksamkeit beizumessen als Stalin mit seiner berühmten Frage »Wie viele Divisionen hat der Vatikan?« Damit dies gelingen kann, bedarf es einer Kultur des Gesprächs, und hier wird es schwierig. Was, wird man vielleicht fragen, ist leichter, als miteinander zu reden? Wer die ideologischen Grabenkämpfe in den Studentengremien der Siebzigerjahre mitgemacht hat, weiß es besser: Gute, Gewinn bringende Gespräche haben Voraussetzungen, die erst durch ihre Abwesenheit schmerzlich ins Bewusstsein treten.
Dass die rechtliche Voraussetzung, die staatlich garantierte Redefreiheit, bei uns gegeben ist, sollte uns nicht zu optimistisch stimmen. Diskussionsfreiheit ist nicht gleich Diskussionsbereitschaft1. Wir alle kennen den Konformitätsdruck einer öffentlichen Meinung, die sich vor Störungen schützt durch das schleichende Gift der »Political Correctness«. Wer hat nicht schon gestöhnt ob der ewig gleichen Argumentationsfolgen in unseren Talkshows. »Dass man die Freiheit hat, zu sagen, was man denkt, besagt nicht viel, wenn man nicht mehr zu denken wagt, was man nicht sagen darf.«2 Wertvolle Gespräche haben also auch ethische Voraussetzungen, verlangen Mut, Demut und Offenheit, fordern die Bereitschaft, gemeinsam nach der Wahrheit zu suchen, was konkret für jeden Einzelnen bedeutet: Der Beitrag oder Einwand eines Anderen kann mich bei meiner eigenen Wahrheitssuche unterstützen und meine Sichtweise verändern. Dies wird wohl nicht die Regel sein und ist gewiss ein hehrer Anspruch angesichts unserer geballten Lebenserfahrung und der ungezählten anderen Evidenzen für die eigene, wohldurchdachte Position. Aber an dieser Stelle scheiden sich trotz alledem die echten Debatten von einem anderen, weit verbreiteten Spiel.
Es hat schon seinen Grund, dass die Griechen die Kunst des Gewinnens im Gespräch, des Rechtbehaltens auch wenn man Unrecht hat, nach Eris, der Göttin des Streits, benannten. »Eristik«, die Lehre rhetorischer Tricks, tritt bei Platon neben die Wahrheit suchende »Dialektik«. In den Dialogen »Gorgias« und »Protagoras« zeigt uns Sokrates Paradoxes: Menschen können auch reden, um das Gespräch zu verhindern, sie machen viele Worte, um den bedrohlichen Fortgang des Arguments abzubiegen und zu stoppen. Die Methoden sind bekannt und eine kurze Erinnerung mag genügen:
Wie uns Protagoras mit seiner halbstündigen Erwiderung auf eine einfache Frage vor Augen führt, ist »Prolixität der Rede […] eines der wirksamsten Mittel, um rationale Diskussion zu verhindern«3. Zitatenhuberei, die Häufung von Beispielen und autoritativen Meinungen gehört ebenfalls an diese Stelle. Erst als Sokrates droht aufzustehen und die Diskussion zu verlassen, lenkt sein Gegenspieler ein.
Eine weitere Methode der Frageumgehung, die man die psychologische nennen könnte, ist die Unterstellung politischer, ökonomischer, und auch persönlicher Motive und Interessen, aus denen heraus der Gesprächspartner gar nicht anders reden könne, als er es tue. Argumente »ad hominem« mögen einen gewissen psychologischen Reiz besitzen, zerstören aber mit Sicherheit das Sachargument.
Eng verwandt mit der Unterstellung von Motiven ist die Methode der »Klassifikation«. »Das Eintreten in die Sache wird dadurch umgangen, dass das Argument des Autors als einer bestimmten religiösen, politischen oder theoretischen ›Position‹ zugehörig klassifiziert wird.«4 Während man sich noch der Einordnung in ein LinksRechts-Schema oder der Subsumtion unter gewisse »Ismen« erwehrt, ist das Sachthema meist längst vergessen.
Andere Diskussionskiller sind moderneren Ursprungs und theoretisch begründet. Nach der wertbeziehenden Methode Max Webers sind gewisse Grundannahmen, die er als »Werte« bezeichnet, der rationalen Diskussion nicht zugänglich und müssen schlicht hingenommen werden. »Werthaltungen« prallen aufeinander ohne dass man sich verständigen könnte. Noch schlimmer ergeht es dem Diskussionswilligen, wenn eine bestimmte Methode, etwa die naturwissenschaftliche, den Gegenstand der Diskussion begrenzt. Über Geistiges kann und will der Positivist nicht reden, weil es nicht messbar sei. Insgesamt gewinnt man somit den Eindruck, dass zu Beginn eines guten Gesprächs bereits die Probleme gelöst sein müssten, zu deren Besprechung man sich zusammenfindet.
Aber Spaß beiseite. Auch bei Erfüllung aller Voraussetzungen bleibt genügend Raum für Unterschiede und spannende Begegnungen. Menschen werden nämlich durch Herkunft und Beruf, Erziehung und Überzeugung in eigene Lebensräume versetzt, die ihnen manchmal wie »eigene Welten« erscheinen. Gespräche hinterlassen in der Tat manchmal den unbefriedigenden Eindruck, als würden Planeten im fernen Weltall aneinander vorbeisegeln. Es bleibt uns also, wenn wir miteinander reden, die bedeutende Aufgabe, durch Landung am anderen Planeten, durch Brücken über reißende Flüsse und Stege in ferne Biotope die Einsicht zurückzugewinnen, dass wir alle eine Vernunft teilen und eine Welt.
September 2010
1 Norbert Bolz, Die ungeliebte Freiheit. Ein Lagebericht, München 2010, S. 88
2 Eric Voegelin, John Stuart Mill – Diskussionsfreiheit und Diskussionsbereitschaft in ders., Anamnesis. Zur Theorie der Geschichte und Politik, München 1966, S. 244: »Nur die wenigsten sind sich bewusst, dass Meinen nicht Denken, dass rhetorische Exposition einer Meinung nicht rationale Diskussion einer Sache ist und dass der Rechtsschutz der Diskussionsfreiheit die Menschen nicht diskussionsbereit macht.«
3 Voegelin, Mill ‒ Diskussionsfreiheit, S. 245. Prolixität: eine ausufernde und ermüdende Weitschweifigkeit.
4 Ebd., S. 249