Читать книгу Die 13. Karte - Reinhard Ost - Страница 3
Teilung und Verdopplung
ОглавлениеNoel kann man einen waschechten Berliner Kommissar nennen. Er fühlte sich als Leser des nachfolgenden Gesprächs zwischen Aporius und dem Journalisten aber eher wie ein Besucher in seiner Heimatstadt. Heumann fühlte sich zwar auch als Berliner, aber als ein zugereister Wahlberliner, den lediglich die Ereignisse im Zusammenhang mit der Deutschen Einheit auf recht verschlungenen Wegen in die deutsche Hauptstadt geführt hatten. Heumann wurde in Freital, einem kleinen Ort nahe bei Dresden, geboren. Für beide sollte die Lektüre des ersten Kapitels im Buch eine Lesereise in eine ganz besondere Stadt werden, die auf der intensiven Suche nach ihrer Einzigartigkeit ist und deren Aufgabe u. a. darin zu bestehen scheint, immer noch die Folgen der deutschen Teilung und der Vereinigung bewältigen zu wollen. Aporius und der Journalist sprechen über die „Initiative Weltkulturerbe Doppeltes Berlin“. Es geht um Architektur, Städtebau, Kultur und Stadtleben sowie um verschiedenartigste Teilungen und Verdoppelungen und insbesondere um die jüngere Geschichte der Berliner Universitäten.
Journalist
In Berlin ist im September 2012 eine Initiative mit dem Titel „Weltkulturerbe Doppeltes Berlin“ gestartet worden. Ist Berlin überhaupt schon in der Welterbe-Liste der UNESCO vertreten?
Aporius
Berlin ist bislang in der Weltkulturerbe-Liste dreimal verzeichnet, erstens als Welterbe der Schlösser und Parks von Potsdam und Berlin, zweitens mit der Museumsinsel des 19. Jahrhunderts und drittens mit den Siedlungen der Berliner Moderne aus der Zeit der Weimarer Republik. Damit steht Berlin als ein Mitglied der Weltkulturerbengemeinschaft repräsentativ für die Epochen des Feudalismus, der Bürgerlichen Gesellschaft und der Ersten Moderne.
Journalist
Die herausragenden historischen Beispiele für die Verdopplung der Berliner Verhältnisse durch die Teilung und die Wiedervereinigung der Stadt machen die jüngere Geschichte Berlins erst in der aktuellen Gegenwart lesbar.
Aporius
Das Berlin im Jahr 2013 hat, zeithistorisch betrachtet, ein doppeltes Erbe angetreten.
Zwischen 1945 und 1989 stand Berlin für die Repräsentanz zweier politischer Systeme und zweier Lebenswelten als Konsequenz der deutschen Teilung. Die geteilte Stadt brachte zahlreiche Staats-, Arbeits-, Wohn- und Kultur-Bauten sozusagen in verdoppelte Gestalt hervor. Es sind die Spiegelungen von Bauen und Architektur in den ehemaligen Teilstädten West- und Ost-Berlin. Erst durch die Maueröffnung im Jahr 1989 ist die politische Einheit der Deutschen und der Stadt Berlin wieder hergestellt worden. Ost-Berlin, die Hauptstadt der DDR, ist nur die halbe Hauptstadt im wiedervereinigten Deutschland. An der kulturelle Wiedervereinigung von Ost und West und an der Einheit der Lebensverhältnisse, denke ich, arbeitet man im Augenblick noch. Die Teilung Deutschlands und die Teilung Berlins hinterließen verdoppelte Architekturen und auch verdoppelte Ideen von Architektur.
Journalist
Bitte nennen Sie doch bitte einige Beispiele für die Verdoppelungen.
Aporius
Beispielhafte Paarungen für die fast spiegelbildlichen Verdopplungen in Berlin sind:
Axel-Springer-Haus – Komplex Leipziger Straße
Hansaviertel – Karl-Marx-Allee
Zentrum West Zoologischer Garten – Zentrum Ost Alexanderplatz
Kongresshalle West – Kongresshalle Ost
Freie Volksbühne – Volksbühne
Großsiedlung West: Märkisches Viertel – Großsiedlung Ost: Marzahn
Freie Universität Berlin (FU) – Humboldt-Universität zu Berlin (HU)
Nach dem Fall der Berliner Mauer 1989 hat das schnelle Zusammenwachsen der Teilstädte in Ost und West durch die Entwicklung Berlins zu einer Weltmetropole sehr rasch das doppelte Erbe verwischt. Die architektonische Verdoppelung Berlins von einer geteilten, über eine gedoppelte, zu einer vereinigten Stadt wird erst jetzt plastisch und sinnhaft erfahrbar. Die Sichtbarkeit des Doppelten Berlin zu erhalten und zur Sensibilisierung für dieses Berlin-spezifische Phänomen beizutragen, sind Anlass und Ausgangspunkt für die Initiative Weltkulturerbe Doppeltes Berlin.
Ziel der Initiative ist die Aufnahme des „Doppelten Berlin“ in die Nominierungsliste für das UNESCO-Weltkulturerbe.
Journalist
Wie muss man sich konkret eine solche Weltkulturerbe-Initiative in den Arbeitsschritten vorstellen?
Aporius
Organisation und Verlauf der Initiative sind wie eine Kampagne.
In einer interdisziplinärem Architektur- und Geschichtswerkstatt, begleitet durch diverse Veranstaltungsformate, ist die Kampagne im September 2012 durch die Ausstellung „Between Walls and Windows“ im Haus der Kulturen der Welt in Berlin gestartet worden. Das Eröffnungswochenende begann mit einer Ausstellung, einer Konferenz und der Einweihung eines temporären Initiative-Büros. Über die Website der Initiative können sich Interessierte beteiligen. Darüber hinaus stellen Studierende in Zusammenarbeit mit der Berliner Universität der Künste Architektur-Filme her, die das „Doppelte Berlin“ dokumentieren sollen. Diese Filme sind während des gesamten Ausstellungszeitraums zu sehen. Zum Tag des Offenen Denkmals werden darüber hinaus Führungen zu Schauplätzen verdoppelter Straßen, verdoppelter Gebäude und Einrichtungen angeboten.
Journalist
Wer sind die Initiatoren?
Aporius
Die Weltkulturerbe-Initiative geht zurück auf das Netzwerk Akademie c/o mit den Architekten, Stadtplanern und Kulturtheoretikern Arno Brandlhuber, Tobias Hönig und Christian Posthofen. Architektur wird nicht als Addition ästhetischer, ökonomischer und konstruktiver Elemente verstanden. Sie wird vielmehr, nach Auskunft der Initiatoren, über die Frage des Gebrauchs, des Nicht-, Warum- und Für-Wen-Bauens definiert. Brandlhuber und Hönig sind als Architekten in Berlin tätig. Posthofen ist Philosoph, Historiker, Verleger für die Kunstwissenschaftliche Bibliothek und für zahlreiche Architektur- und Kunstpublikationen verantwortlich.
Journalist
Auch die Kongresshalle im Berliner Tiergarten hat ein Spiegelbild in Ost-Berlin. Die im Volksmund „Schwangere Auster“ genannte Konstruktion im Westen der Stadt gilt als Architekturikone und als Paradigma der Nachkriegsmoderne. Wer hat die Kongresshalle im Tiergarten gebaut?
Aporius
1956/1957 ist sie im Auftrag der US-Regierung vom Gropius-Schüler Hugh Stubbins entworfen und anlässlich der Internationalen Bauausstellung den Westberlinern geschenkt worden. Die Kongresshalle ist ein Musterbeispiel für skulpturale Architektur.
Mit ihrer voluminösen Plastizität, dem Spiel von großen Betonflächen und Glasfassaden, die unter zwei architektonisch gewagte Stahlbetonträger gespannt sind, steht das Gebäude stellvertretend für die West-Moderne. Die Kongresshalle galt in der Zeit des „Kalten Krieges“ als ein Symbol für Demokratie und Freiheit. Stubbins sagte, dass er damals seinen Entwurf vom sozialistischen Realismus der Ost-Moderne im sowjetischen Sektor Berlins abgrenzen wollte.
Journalist
Die Kongresshallen in West-Berlin und Ost-Berlin sind einzelne Gebäude und, wenn man so will, auch einzelne Denkmäler, die unter bestimmten kulturellen, historischen und ideologischen Bedingungen entstanden sind. Aber nicht nur einzelne Gebäude sind verdoppelt entstanden, sondern auch die Institutionen und ihre Menschen, wie zum Beispiel die Ensembles der Freien Universität Berlin und der Humboldt Universität zu Berlin. Zur Architektur der Universitätsensembles gehören die Geschichten ihrer Entstehung, ihrer unterschiedlichen Entwicklung und ihres Erhalts nach der Wende.
Wie sind die Entscheidungen zum Erhalt und zur Fortführung beider Universitäten nach der Wiedervereinigung zustande gekommen? Die Verdopplung von Architektur und Kultur in einer wiedervereinten Stadt ist doch gewissermaßen bedeutungslos, wenn Gebäude und Einrichtungen nicht in ihrer ursprünglichen Funktionen weitergeführt werden, wenn Universitäten oder Kirchen zu Kaufhäusern werden. Funktionen muss man dann zweifellos etwas allgemeiner verstehen als nur das technische Funktionieren eines Gebäudes. Funktionieren ist überhaupt immer nur ein Ziel des Architektenentwurfs. Ein einzelnes Gebäude oder auch eine Straße sind Räume in der Kultur. Adolf Hitler habe die Autobahnen gebaut, so sagt man. Geplant hat er sie nicht, sondern das waren die Weimarer Demokraten, und genutzt werden sie heute in einer Form, die man sich damals noch gar nicht vorstellen konnte.
Aporius
Genau, diese Fragen nach der Einheit von Architektur, Funktion, Politik und Kultur müssen gestellt und beantwortet werden.
Journalist
Die Freie Universität Berlin ist in der Zeit der Teilung der Stadt als ein direktes Signal kultureller Verdoppelung entstanden.
Aporius
Die Freie Universität Berlin wurde am nasskalten 4. Dezember 1948, während der Berlin-Blockade durch die Sowjets, im Titania-Palast in Berlin-Steglitz gegründet. Die FU-Gründung war keine schicksalhafte Kriegs- oder Teilungsfolge. Akademisches Leben und akademische Institutionengeschichte sind beileibe keine Automatismen. Es waren engagierte Studierende, die für eine freiheitliche Alternative zur politisch-ideologisch gesteuerten Berliner Universität unter den Linden kämpften. Das kritisch-politische Engagement von Studierenden, vor allem auch aus Berlin-Mitte, wurde dann politisch und später architektonisch umgesetzt. Flankiert durch erzieherische Maßnahmen und einem verständnisvollen Umgang mit ihrem ehemaligen Kriegsgegner, leisteten die Amerikaner großzügige Aufbauhilfe bei der Entstehung einer neuer demokratischen Universität im Südwesten Berlins. Im Gegensatz dazu gab es auch akademische Traditionalisten, von denen nicht wenige kritisch gegen die vermeintlich „politische“ Gründung der FU im Westteil der Stadt eingestellt waren. So blieben beispielsweise die geladenen Rektoren der Universitäten der Westzonen wegen Krankheit oder aus anderen Gründen dem FU-Gründungsfestakt fern. Zweifellos war es auch so, dass zum Ende des Jahres 1948 die Entwicklungsperspektive der Linden-Universität in Berlin-Mitte für viele noch nicht genügend überschaubar gewesen war. Die Gründung der FU war ein Teil des ideologischen Ost-West-Konflikts und eine Folge der nationalsozialistischen Herrschaft. Die politische Gesellschaftsideologie von Ost und West war der schwelende Brandherd für die nächsten Jahrzehnte in einem vielbeschriebenen „Kalten Krieg“.
Rückwärtsgewandt und zugleich prophetisch sprach der FU-Gründungsrektor, der Historiker Friedrich Meinecke, anlässlich des Gründungsakts im Berliner Titania-Palast nicht von Konkurrenz zwischen den beiden Berliner Universitäten. Er sagte: „Nicht Kampf gegeneinander, sondern Wetteifer miteinander sei unsere Losung.“ Der altersweise Friedrich Meinecke bringt uns die Geburt der neuen Universität FU auf eine sehr vorsichtige Weise nahe. Er führt ein „akademisches Brautpaar“ vor den „Traualtar“, das aber leider, von diesem Zeitpunkt, an getrennt voneinander leben sollte. Das „Brautpaar“ war damals eine akademische Vision. Inzwischen ist diese Vision organisierte Wissenschaftspraxis im „Ehebetrieb“ der Berliner Universitäten geworden. Der Familienname des „Ehepaars“ ist ein Doppelname. Er lautet „Wettbewerb und Kooperation“.
Journalist
Friedrich Meinecke beschreibt die Gründung und Entwicklung der Freien Universität wie eine Art von Partnerschaftsoffensive. Wie ist die Entwicklung des einen Partners, der FU Berlin, in den 1950er und 1960er Jahren dann weiterverlaufen?
Aporius
Spaltung und Teilung lösen Verbindungen auf und erzwingen Distanzen. Differenzen und Distanzen aber liefern auch die Basis dafür, von einem Beziehungsgefüge sprechen zu können.
Die Entwicklung der FU in den frühen 1950er Jahren kann man als eine späte Konsequenz und die Erfüllung eines „Kindheitstraums“ beschreiben. Der Traum geht auf den Anfang des 20. Jahrhunderts zurück. In dieser Zeit sprach man von einem möglichen „Deutschen Oxford“ am Standort der damaligen Villenkolonie in Berlin-Dahlem. In den 1950er-Jahren ist dieser Traum dann gewissermaßen in Erfüllung gegangen. Ein geflügeltes Wort machte seinerzeit die Runde: „Dort, wo viele Villen sind, ist auch ein Weg.“
Allerspätestens seit dem Mauerbau im Jahr 1961 wurde dann die Inselstadt West-Berlin ein Symbol politischer Freiheit und politischen Widerstands. Die Freie Universität Berlin stand speziell für akademische Freiheit und akademische Selbstbestimmung.
Journalist
Was machte den Unterschied der getrennt lebenden „Ehepartner“ damals aus? Waren die akademischen Verhältnisse und Lebensumstände im Westen und im Osten Berlins denn wirklich so weit auseinander?
Aporius
Institutionell und politisch betrachtet zweifellos. Beide Universitäten lagen zwar räumlich relativ nahe beieinander. Politisch, institutionell und lebensweltlich betrachtet, ging man aber getrennte Wege, getrennt auch durch Mauer, Stacheldraht, Politik und Ideologie.
Die Freie Universität Berlin war in den Folgejahren, insbesondere in den 1960er und 1970er Jahren, eine bewegte und sehr bewegende Universität. Sie erscheint uns heute, in dieser Zeit, wie ein akademisch-lebensweltlicher Gegenentwurf und ein Kontrapunkt zur Humboldt-Universität in der DDR.
Journalist
Sie denken dabei wahrscheinlich in erster Linie an die Studentenbewegung?
Aporius
Ja, unbedingt! Mitte der 1960er Jahre entwickelte sich an der FU, wie auch an vielen anderen westdeutschen Universitäten, eine Protestbewegung, die man später, viel umfassender und kultureller, die 68er-Bewegung nannte. Die 68er-Bewegung war mehr als eine Studentenbewegung. Sie war Aufbruch, Emanzipation und Abrechnung mit dem kulturellen, politischen und auch akademischen Erbe der 1950er und 1960er Nachkriegsjahre. Rebellen gab es vernehmlich nur im Westen. Die Rebellion in der FU war zudem auch Repression, die sich gegen FU-Hochschullehrer, gewissermaßen als Standesvertreter ihrer Zunft, richtete. Das waren auch rebellische Kämpfe, die sich gegen demokratische und zivilisierte Gepflogenheiten im akademischen Betrieb richteten. Viele gute Hochschullehrer kehrten in der Folge der 68er-Ereignisse der FU den Rücken. Am wenigsten schien dieses studentische Rebellarium übrigens die Amerikaner zu stören, die sich doch ihrerseits in ganz bedeutsamer Art und Weise, natürlich auch mit speziellen Eigeninteressen und Wünschen, an der Gründung der FU Berlin beteiligten.
Journalist
Was ist dann nach der deutsch-deutschen Wiedervereinigung 1989 passiert?
Aporius
Der Fall der Mauer und die Deutsche Einheit stellten Berlin vor ganz neuartige, politische und vor allem finanzielle Aufgaben. FU und HU rückten politisch gänzlich unvorbereitet zusammen. Die Phänomene der Teilung und die verdoppelte Existenz Berliner Akademiker und akademischer Institutionen wurden erfahrbar, sichtbar und fühlbar. Die Berliner Teilungsgeschichte ist auch eine Teilungsgeschichte der Berliner Wissenschaft und Universitäten. Die Einheit musste verhandelt werden. Die Wiedervereinigung Deutschlands war ein Glücksfall und ein historisches Weltereignis. Die Vereinigung Berlins stellte die Bildungs- und Wissenschaftspolitik, wie auch alle anderen Politikbereiche des Landes, vor die größte Aufgabe, die Menschen und Administrationen in Friedenszeiten haben können. Vereinigung und Einheit schaffen besondere Probleme, die man in den Zeiten von Teilung und Abgrenzung nicht hat.
Journalist
Die Aufgabe bestand darin, die verdoppelten Einrichtungen nach 1989 weiterzuführen oder bestimmte Einrichtungen zu schließen. Das heißt, man stand vor allem vor einem Finanzierungsproblem. Wer entschied in welcher Form über Schließung, Erhalt bzw. Weiterführung?
Aporius
Politische Entscheider waren der Senat von Berlin und die Abgeordneten des Berliner Abgeordnetenhauses. Die Aufgabe bestand darin, neben den Westberliner Wissenschaftseinrichtungen auch viele Hochschulen, Klinika und Forschungseinrichtungen der ehemaligen DDR in Ost-Berlin aus dem Berliner Landeshaushalt weiter zu finanzieren. Letztere waren nicht wenige Einrichtungen, denn die DDR hatte vieles in ihrer Hauptstadt Berlin konzentriert bzw. zentralisiert. Das war eine Herkulesaufgabe für den damaligen Wissenschaftssenator Manfred Ehrhardt und seine Administration im nunmehr gemeinsamen Bundesland Berlin. Natürlich stellten sich sofort die entscheidenden Fragen nach Qualität, Quantität, Bedeutung und Zukunftsfähigkeit der einzelnen Institutionen. Welche Einrichtung soll überleben? Warum und wie schließt man überhaupt eine Einrichtung, wenn man gleichzeitig die andere Einrichtung weiterbestehen lässt? Welche Werturteile legt man den Entscheidungen zugrunde? Würden nun die vermeintlichen „Sieger“ im Westen die vermeintlich „Besiegten“ im Osten verspeisen? Im Zentrum stand die Aufgabe des Ab-, Um- und Neubaus von verdoppelten Bildungs- und Wissenschaftseinrichtungen in einer vereinten Stadt. Wie sollte das nun organisatorisch geschehen?
Journalist
Ja, wie denn? Warten Sie, ich ahne es. Es gab Kommissionen.
Aporius
Ja, was denn sonst. Durch Mitwirkung von vielen renommierten Wissenschaftsexperten, die zwischen 1990 und 1992 die Landeshochschulstrukturkommission Berlin bildeten, scheint die Neugestaltung Berlins als ein Ort „verdoppelter“ Akademiker und „verdoppelter“ Wissenschaftseinrichtungen heute, wenngleich auch schmerzhaft für viele, gut gelungen zu sein. Es waren nicht nur prominente Architekten, die die „Mitose“ der Berliner Universitäten erschufen, sondern am Ende die Stars aus der modernen Wissenschaft, die mithalfen, das verdoppelte Berliner Wissenschaftsensemble zu sanieren und neu zu konstruieren. Entscheidend beteiligt waren als Mitglieder der Landeskommission der Philosoph Jürgen Mittelstraß als Vorsitzender, der Historiker Christian Meier aus München, der Mathematiker Friedrich Hirzebruch aus Bonn, der Mediziner Kurt Kochsiek aus Würzburg, der Biologe Helmut Altner aus Regensburg, der Philologe Wilfried Barner aus Göttingen, der Psychologe Franz Emanuel Weinert aus München, die Sozialwissenschaftlerin Renate Mayntz aus Köln, der Rechtswissenschaftler Ernst-Joachim Mestmäker vom Max-Planck-Institut für ausländisches und internationales Privatrecht in Hamburg, der ehemalige Präsident der Max-Planck-Gesellschaft Heinz August Staab und für die Wirtschaftswissenschaften Hans-Jürgen Ewers aus Münster, der spätere Präsident der TU Berlin, nur um einige der Persönlichkeiten zu nennen. Die Landeskommission schaute sich zwei Jahre lang jede Universität, jede Fachhochschule, jeden Fachbereich, jedes Fach und jeden einzelnen Studiengang in Berlin an, um am Ende erkennen und verantworten zu können, mit welchen Kapazitäten, welchen Strukturen und auch mit welchen neuen Ideen sich die Berliner Einrichtungen weiterentwickeln konnten. Entsprechende Empfehlungen gingen dann 1992 an den Regierenden Bürgermeister Eberhard Diepgen.
Die Landeshochschulstrukturkommission Berlin gab insgesamt 33 Empfehlungen ab. Es lohnt sich, die Themenfelder der Empfehlungen einmal aufzuzählen. Sie lauten:
Profile der Universitäten, Campus Berlin-Adlershof, Kapazitäten, Personalstruktur-Ost im Übergang, Struktur der Fachbereiche an den Berliner Hochschulen, Kooperationen in und zwischen den Hochschulen, Organisation und Weiterentwicklung der Berliner Lehrerbildung, Zentral- und Regionalinstitute, Frauen an Hochschulen, Rechtswissenschaften, Wirtschaftswissenschaften, Soziologie und Politikwissenschaft, Psychologie, Geschichtswissenschaft, Philologien, Altertumswissenschaften an der HU Berlin, Kleine Fächer, Bibliotheks- und Informationswissenschaft, Sportwissenschaft, Mathematik, Physik, Chemie, Biologie, Museum für Naturkunde, Geowissenschaften, Pharmazie, Informatik, Universitätsmedizin, Ingenieurwissenschaften und - last but not least - Fachhochschulen.
Das „verdoppelte“ akademische Gesamtensemble Berlins blieb weitgehend erhalten, weil man es wissenschaftlich und organisatorisch neu bewertete. Erhalt und Entwicklung setzen Erneuerung und gleichzeitige das Bewusstsein von Tradition und Moderne voraus.
Journalist
Waren die wissenschaftlichen Berater und die politischen Entscheider damals wissenschafts- und universitätsfreundlich eingestellt?
Aporius
Man hatte zum Anfang der 1990er Jahre ein gutes Gespür für die positive Rolle von Bildung, Wissenschaft und Universitäten in der Gesellschaft. Als Interessenvertreterin der Wissenschaft verstand sich die Berliner Landeskommission selbstverständlich nicht als „Totengräber“ von Bildungs- und Wissenschaftseinrichtungen. Es ging gewissermaßen auch um den Erhalt und die Erweiterung der Bildungs- und Wissenschaftscommunity. Man begründete Verdoppelungen und Vervielfachungen von gleichen oder ähnlichen Fächern an verschiedenen Universitäten oder Fachhochschulen mit starken Argumenten des Wettbewerbs, der Kooperation und der notwendigen Kapazitäten für besondere Schwerpunktsetzungen.
Journalist
Das kostete dann alles sehr viel Geld. Geld war aber in Berlin nicht doppelt vorhanden.
Aporius
Wo ein Wille ist, ist meistens auch ein Weg. Der finanzielle Kollaps im Land Berlin blieb aus, nicht nur, weil im Berliner Landeshaushalt umverteilt wurde. Der FU-Wissenschaftler Klaus Schroeder hat es erst vor kurzem gewagt, eine mutige gesamtdeutsche Transferbilanz der Einheit zu ziehen und dabei viel Kritik aus dem Osten einstecken müssen, möglicherweise nur deshalb, weil der Begriff Transfer in Verbindung mit Kostenüberlegungen sehr einseitig wirkt. Die Transferbilanz im Steuerbudget des Landes Berlin zur Wendezeit war eindeutig: Ein knapper Berliner Haushalt musste für viele neue „Familienmitglieder“, die am Tisch Platz nahmen, ausreichen. Zusätzlich spielten der Länderfinanzausgleich und viele andere zentrale Programme des Bundes sowie auch der EU eine entscheidende Rolle, ebenso wie der mit Umsicht agierende Präsident der FU, Johann Gerlach.
Journalist
Was hatte der damalige Präsident der Freien Universität Berlin damit zu tun?
Aporius
Präsident Gerlach hatte in der Folge der Wende-Ereignisse in den 1990er Jahren einen beispiellosen Abbau wissenschaftlichen Personals in der FU zu verantworten, den er geschickt mit neuen akademischen Leistungsüberlegungen zu verbinden suchte. Haushaltsbezogen ging es von ca. 900 Lehrstühlen vor der Wende zunächst auf 600 Lehrstühle bis auf nunmehr 350 Lehrstühle an der FU herunter. Die Zahlen der Studierenden an der FU lauten: 1948 - ca. 2000, 1968 - ca. 20.000, 1992 - ca. 60.000, 1998 - ca. 43.000, 2013 - ca. 33.000.
Man erkennt an solchen Zahlen, dass sich alle im Doppelten Berlin existenziell bewegen und neu orientieren mussten, weil der Landeshaushalt der gemeinsame Deckel für alle war. Verdopplungen und Vereinigungen erfordern immer das Engagement aller Beteiligten. Sehr vereinfacht und frech gesagt, gab die FU Berlin Kapazitäten an die HU ab. Sie wurde kleiner und gleichzeitig leistungsfähiger gemacht. Für die HU galt, sie für die Anforderungen an eine moderne und international leistungsfähige Universität in Freiheit und Demokratie fit zu machen. Die große zentrale DDR-Akademie der Wissenschaften in Ost-Berlin wurde aufgelöst. Bedeutende Teile blieben erhalten und wurden in andere Einrichtungen überführt.
Beide Berliner Universitäten haben aus heutiger Sicht vom Prozess der Umgestaltung profitiert und wetteifern nun gemeinsam, so, wie Friedrich Meinecke es sich damals, im Jahre 1948, vorgestellt hatte. Der historische Zusammenschnitt konnte nur als „schmerzhafte Neugeburt erwachsener Kinder“ gelingen.
Journalist
Nunmehr gibt es in Berlin zwei Exzellenz-Universitäten, die Humboldt Universität und die Freie Universität. Ich gehe davon aus, dass auch die Technische Universität Berlin und die Universität der Künste Berlin exzellent sind, auch wenn sie einen solchen Titel nicht tragen.
FU und HU waren im deutschen Exzellenzwettbewerb am Ende doppelt, getrennt und gemeinsam erfolgreich, wie wir beide in unserem Gespräch hoffentlich auch.
Ich denke, ich kann auch in Ihrem Namen sprechen, wenn wir der Weltkulturerbe-Initiative „Doppeltes Berlin“ alles Gute und viel Erfolg wünschen. Wie lange wird es dauern, bis man über den Antrag zur Aufnahme in die Weltkulturerbeliste, wenn sie denn zustande kommt, entschieden hat?
Aporius
8 bis 10 Jahre - im Durchschnitt.
Journalist
Herr Aporius, vielen Dank für das Gespräch.
Das erste gemeinsame Telefonat im Aporius-Fall begann für Noel und Heumann, wie geplant, am nächsten Tag pünktlich um 19.00 Uhr. Es ging mit dem beschriebenen Kapitel über die „Teilung und Verdopplung“ Berlins los. Die beiden Kommissare telefonierten, vor ihren Computerbildschirmen am Schreibtisch sitzend, miteinander, in einer Art von Vorfreude auf ihre Ermittlungsergebnisse. Sie nahmen den Aporius-Fall ebenfalls verdoppelt und geteilt in Angriff, ähnlich wie die Stadt Berlin, die ihre Einheit und Gleichzeitigkeit nach der Teilung suchte. Man konnte mit Händen greifen, wie ratlos beide zunächst waren. Heumann, der wieder zum Fenster hingewendet sprach und seinen Fuß auf dem Heizungskörper abstellte, fing fast gelangweilt an zu sprechen: „Also interessant ist das schon, wie so eine Weltkulturinitiative funktioniert“, sagte er. „Ich habe mir zunächst einmal alle Namen notiert, die im Kapitel vorkommen. Aber keine der genannten Personen kann sich meines Erachtens durch Walter Aporius auf den Schlips getreten fühlen oder gar ein potenzieller Mörder sein.“ Heumann fügte noch hinzu, dass das Kapitel tatsächlich, wie im Vorwort angekündigt, eine Art von Feuilleton in einer Zeitung oder wie ein Radiointerview oder auch wie ein Gespräch im Nachrichtenmagazin DER SPIEGEL sei. Alles klinge sehr plausibel und sei auch ausgesprochen informativ.
Noel hatte einen anderen Ersteindruck, weil er sich beim Lesen des Gesprächs den Zusammenhang des Kapitels als erste Etappe in einem Gesamtwerk vorstellte. Er sagte, dass „Teilung und Verdopplung“ mehr als ein Stadtgespräch über Architektur sei. Es solle gewissermaßen ein historisch-philosophischer „Fensterrahmen“ für Universitäten, Wissenschaft und Kultur darstellen. „Also, da gibt es bestimmt auch Leute, die etwas ganz anderes sehen, wenn sie durch das Berliner Fenster schauen. Die Leute konstruieren meistens ihre eigenen Rahmen, durch die sie dann ganz unterschiedliche Blicke auf die Stadt, ihre Universitäten und ihre Architektur haben. Es gibt Leute, die die Einheit Deutschlands, die Einheit Berlins oder gar den Erhalt von verdoppelten Berliner Einrichtungen gar nicht wollten. Diese Verdopplungsgegner in Ost und West gibt es noch heute, in Hülle und Fülle, 25 Jahre danach. Die Ostler und die Westler beobachten sich immer noch mit Argusaugen.“ Noel redete eigentlich nur für sich selbst und gewissermaßen laut vor sich hin.
Heumann nickte am anderen Ende der Telefonleitung. „Ja genau! Die Berliner in Ost und West wollten zwar die Deutsche Einheit, einige aber nur solange, bis dann der Preis der Einheit zu zahlen war. Es ging in Berlin vor allem um die Frage des knappen Geldes im Landeshaushalt. Verdoppelte Architektur und verdoppelte öffentliche Institutionen verschlingen im Prinzip auch verdoppeltes Steuergeld. Wenn man alle Einrichtungen einfach fortgeschrieben hätte, wäre das wahrscheinlich nicht finanzierbar gewesen. Also musste es zwangläufig Gewinner und Verlierer geben, im Osten wie im Westen. Die doppelte Mentalität von Gewinnern und Verlierern gehört zur Teilung und auch zur Einheit der Deutschen mit dazu. Der ‚Verlierer‘ fühlte sich als Unterlegener in einem Standortkampf, und es ist durchaus denkbar, dass einige Leute den verantwortlichen Vereinigungsmanagern immer noch den Hals umdrehen wollten. Aporius sagt doch, dass die Freie Universität Berlin in der Folge der Ereignisse wesentlich kleiner gemacht und die zentrale Akademie der Wissenschaften der DDR abgewickelt wurde. Kann jemand Walter Aporius an den Kragen gegangen sein, nur weil der so etwas erzählt?“
„Aporius ist Berichterstatter und nicht Manager. Romane, Aufsätze oder auch wissenschaftliche Feuilletons bringen, wenn sie gut sind, immer große Emotionen hervor, aber Mordmotive sind das zum Glück nicht, denn sonst würde es vielen Autoren und Journalisten ziemlich schlecht ergehen“, antwortete Noel in einem Anflug von Überheblichkeit. Er fügte dann noch hinzu: „Aber Sie haben Recht, Kollege Heumann, diese Gedankenkonstruktion des Doppelten Berlin und diese ganze Weltkulturinitiative sind in gewisser Weise eine Provokation, insbesondere aus Sicht vieler West-Berliner Bürger. Unter den West-Berlinern gab es damals nicht wenige Leute, die die Einrichtungen im Ost-Teil der Stadt lieber geschlossen hätten.“
„Und umgekehrt gab es noch viel mehr Leute, die die deutsche Vereinigung und dann auch die Bewältigung der Teilung kritisch sahen“, antwortete Heumann. „Schließlich sind vor allem die Einrichtungen im Osten ‚treuhänderisch‘ abgewickelt worden. Im Kern geht es, wie mir scheint, um die Erinnerungen an die Feindbilder und Kriegserklärungen aus der Zeit der Teilung des Landes. Diese Feindbilder sind immer noch in den Köpfen der Berliner latent und unterschwellig vorhanden. Die älteren ‚Krieger‘ geben ihre Erinnerungen an die jüngeren Leute weiter. Man kann nur hoffen, dass wenigstens die Leser des Fensterfeuilletons von Aporius die ganze Entwicklung dann doch als eine Versöhnungschronik auffassen.“
„Versöhnungsversuche können auch Verbrechen hervorbringen oder sogar Mordmotive sein. Ich kann Ihnen einige Fälle nennen“, antwortete Noel grübelnd. „Im Grunde wären dann aber die Erfinder und Organisatoren der Weltkulturinitiative Doppeltes Berlin die potenziellen Opfer und nicht ein Wissenschaftler, der nur davon erzählt und uns lediglich klarmachen will, wie sich die beiden Berliner Universitäten im Prozess der Deutschen Einheit fortentwickelt haben. Teilung, Verdopplung und Vereinigung sind existenzielle Probleme für viele einzelne Leute. Im Grunde will uns Aporius das nur erklären. Alle Universitäten sind wichtige Einrichtungen in einer Kulturstadt wie Berlin. Klar ist dann aber auch, dass sich die einzelnen Wissenschaftler und die Univerantwortlichen dann höchstpersönlich bewegen müssen, weil die Stadt und das Land sich politisch bewegt und verändert haben. Und eine Sache steht fest: Die Einheit Berlins und die Einheit der Deutschen ist auf alle Fälle besser, als die Existenz politischer Verdopplungen oder die Bildung falscher Einheiten. Freiheit, Wissenschaft und Kultur sind im Prinzip unteilbar, auch wenn man zwischenzeitlich alles in doppelter Ausfertigung hat. Wichtig ist natürlich auch die Frage nach der Demokratie, das heißt, zu welcher Einheit die Leute überhaupt gehören wollen.“
Heumann war fasziniert von Noel Worten und stellte fest: „Die Einrichtungen im geteilten Deutschland nach der Wende im Jahr 1989 waren nicht nur doppelt vorhanden, sondern sie waren vor allem ganz unterschiedlich vorhanden. Sie haben ganz unterschiedliche Charaktereigenschaften gehabt.“
„Das stimmt“, antwortete Noel. „Die Einrichtungen in Ost und West mögen zwar funktional und architektonisch ähnlich gebaut worden sein. Inhaltlich waren sie aber höchst unterschiedlich. Gerade vorgestern habe ich mit einem guten Bekannten über die Unterschiede der politischen Wahlsysteme in Ost und West geredet: im Westen der Parteienpluralismus mit diesen ganzen Wahlkämpfen und politischen Auseinandersetzungen, im Osten das Strammstehen der Leute vor der Wahlurne. Das ist so ähnlich wie bei der Abstimmung über die Zugehörigkeit der Leute auf der Krim. In der DDR durfte man zwar in ganz ähnlich aussehende Wahlkabinen gehen. Man hatte dann aber nur einen Wahlzettel mit den Kandidaten der Einheitsliste der SED darauf. Auf diesen Wahlzetteln konnten diejenigen, die etwas anderes als den DDR-Sozialismus wollten und sehr mutig waren, die SED-Kandidaten wegstreichen. Also von allen, die in der Wahlkabine etwas geschrieben oder vermerkt haben, wusste man dann ganz genau, dass die keine Parteikonformen sein konnten. Ist das nicht absurd? Ich kann mich nicht erinnern, dass die linken 68er-Aktivisten dagegen mal protestiert hätten.“
„Wenn man etwas denkt, was der herrschenden Meinung und den herrschenden Politikern widerspricht, dann sollte man vor allem verdoppelt denken können. Man kann eine vernünftige eigene Meinung eigentlich nur in Kenntnis von anderen Meinungen und Interessen vertreten“, antwortete Heumann. „Das System der DDR war eine falsche Form der Einheit. Kürzlich habe ich dazu eine lustige Geschichte in den Nachrichten gehört: Die DDR war doch mit Nord-Korea befreundet. Dem Staatschef Nord-Koreas, Kim Il-sung, wurde während eines DDR-Besuchs im Jahr 1956 eine gut funktionierende LPG in Döberitz gezeigt, von der er wohl stark beeindruckt war. Jahrzehnte später wollte Kim Il-sung bei einem weiteren Staatsbesuch in der DDR genau diese landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaft noch einmal sehen, um sich davon zu überzeugen, wie wunderbar sich doch alles weiterentwickelt habe. Die LPG Döberitz war aber inzwischen total verrottet. So führte man den befreundeten Staatschef diesmal in einen anderen Landwirtschaftsbetrieb, wobei man nicht vergaß, das Ortschild zu überkleben. Der koreanische Staatsgast befand sich nämlich im DDR-Vorzeigeort Golzow, den man dann nur kurzfristig in Döberitz umbenannte. Man sieht also, die DDR war nicht nur eine Kämpferin gegen den Westen, sondern sie hat auch ihre politischen Freunde hinters Licht geführt. Die DDR war keine echte Demokratie. Sie war im Prinzip, von Anfang bis Ende, eine Art von Antisystem, für das man Mauern baute und überklebte Schilder brauchte.“
Noel grinste ins Telefon.
Mit dieser politik- und gesellschaftshistorischer Einschätzung von Heumann über die DDR endete das relativ kurze Gespräch der beiden Kommissare über das „Doppelte Berlin“.
„Schauen wir doch mal ins nächste Kapitel hinein, ob wir dort neue Erkenntnisse über mögliche Feinde und Freunde bzw. fragwürdige Einheiten und Verdoppelungen finden können“, meinte Heumann noch zum Schluss.
Beide fühlten sich am Ende ihres ersten Ermittlungsgesprächs sichtlich erleichtert, weil sie es so knapp und bündig und noch dazu sehr einvernehmlich hinter sich bringen konnten.
Noel verabschiedete sich mit den Worten: „Na dann bis morgen, mein verdoppelter Kollege.