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Erde

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Da es mit dem Job als Hochschullehrer an seiner Heimatuniversität nicht geklappt hat, beschließt Traugott Helfer nun sehr frühzeitig ein Privatgelehrter zu werden, ein selbst Lernender, selbst Lehrender und selbst Verantwortlicher sozusagen.

Das Entscheidende ist für Traugott eine pure Selbstverständlichkeit: Den Erdball gibt es nur im Singular. Das macht die Sache einfacher als bei der Beschäftigung mit den vielen Namen in der Namenmatik. Deshalb wäre es für ihn klar, dass er in seinen Bewerbungsschreiben, wenn er sie denn noch verfassen und abschicken würde, nicht nur das Datum seines Todes angibt, sondern auch exakt den Ort auf der großen Erdkugel, wo einmal versterben wird. So ist er schließlich ein häuslicher und auch sehr sittsamer Mensch geworden, der nur in seiner eigenen Phantasie durch die komplexe Weltgeschichte der Zeiten reist. Er braucht gewissermaßen diesen heimatlichen Ruhepol. Die Geomantik ist ihm dabei behilflich, ihn zu finden.

Geomantik ist eine ubiquitäre Art der Weissagung, etwa wie das Lesen der Zukunft aus der Erdkruste. Nicht nur in der Esoterik sind es vor allem die vielen Erdmarkierungen und speziellen Muster von Erden, Sanden, Steinen, Bodenbeschaffenheiten also, die zum Einsatz kommen.

Man nimmt an, dass das arabische Nordafrika der Ursprungsort der Geomantik sein könnte. Im zwölften Jahrhundert gelangte die Geomantie vor allem durch die lateinische Übersetzung arabischer Werke nach Europa und wurde in der Zeit der Renaissance zur beliebten Methode der Wahrsagung. Heute ist die Geomantie im ursprünglichen Sinn in Europa leider fast verschwunden. Der Begriff wird häufig für andere Methoden verwendet, zum Beispiel im Zusammenhang mit den sogenannten Ley-Linien, die eher dem chinesischen Feng Shui ähneln.

In Europa also wurde die Geomantie im 12. Jahrhundert durch die lateinische Übersetzung arabischer Texte bekannt, so zum Beispiel durch die Abhandlung „Ars geomancie“ von Hugues de Santella. Ein weiteres bekanntes Werk ist „De geomantia“ von Robert Fludd im „Tractatus secundus“, „De naturae simia seu technica macrocosmi historia“ aus den 1620er Jahren.

Durch die Araber, die an der Küste Ostafrikas Handel trieben und auch dort ihren Glauben verbreiteten, kam die Geomantie nach Madagaskar, wo sie als Sikidiy eine starke Verbreitung fand und auch heute noch betrieben wird. Die Sikidiy-Methode, die in Europa nach der madagaskarischen Methode vom französischen Kolonialbeamten Raymond Decary bekannt gemacht wurde, hat Traugott eingehender studiert. Dazu hat er nun auch genügend Zeit gehabt, weil sein Vater ihm ein einträgliches Vermögen und auch ein hochherrschaftliches Haus mit einem großen Garten vermachen konnte. Ein Sklave der Berufsarbeit, wie sein Vater, wird er also niemals werden. Sogar einen Gärtner kann er sich leisten und eine gute Putzfrau aus Polen, die den Namen Agnieszka trägt. Agnieszka ist bildhübsch, wenn sie sich vorn überbeugt und den Boden wischt. So ist sie inzwischen, an jedem dritten Tag, Traugotts spezielle sexuelle Erregungsgeschichte geworden. Sogar einen Hausschlüssel hat Agnieszka von ihm bekommen, den sie sich um ihren schwanenhaften Hals gehängt hat. Er pendelt beim Bodenaufwischen hin und her. Sie trägt den Schlüssel stolz wie einen goldenen Kettenanhänger. Eines Tages wird er sie heiraten, weiß Traugott schon, weil sie schon über zwei Jahre aufreizend vor ihm kniet und darauf wartet, dass er sie einmal von vorn anspricht. Noch hat er das nicht getan. Vielleicht kann ihm Sikidiy dabei behilflich sein, den richtigen Zeitpunkt zu finden.

Die Sikidiy-Übung beginnt mit einem Zufallsexperiment, der sogenannten Befragung des Schicksals, bei dem die Samenkörner des Fano Baums, einer Akazienart, Verwendung finden. Der Wahrsager nimmt eine Handvoll Körner, deren Anzahl er zuvor nicht kennt. Er legt sie als Häufchen vor sich hin. Dann nimmt er davon immer zwei Körner weg, bis nur noch ein oder zwei Körner übrig bleiben. Dieser Vorgang wird 16 Mal wiederholt. Jedes Ziehungsergebnis, ähnlich wie beim Lotto, wird in einer quadratischen Tabelle von vier mal vier Feldern abgelegt, in der sogenannten Muttermatrix. Jede der vier Spalten, von rechts nach links, und der vier Zeilen, von oben nach unten, hat einen speziellen Namen. Aus der Muttermatrix werden durch Addition acht weitere Figuren von jeweils vier übereinander angeordneten Feldern errechnet. Diese acht Figuren werden dann unter der Muttermatrix angeordnet. In jedem Feld liegen im Ergebnis wieder entweder ein oder zwei Körner. Dann werden die „Töchter“ ermittelt, indem in einer festgelegten Reihenfolge je zwei Spalten oder zwei Linien addiert werden. Die Addition erfolgt modular: ein Korn und ein Korn ergibt zwei Körner, ein Korn und zwei Körner ergeben ein Korn. Von drei Körnern werden wieder zwei Körner abgezogen und so fort, wie bei der Befragung des Schicksals eben.

Grundsätzlich unterscheiden die Wahrsager in Madagaskar acht Tochterfiguren, von denen jede einen speziellen Namen trägt. Figuren mit einer geraden Anzahl von Körnern sind die Prinzen und die Figuren mit ungerader Anzahl die Sklaven. Die Regeln für die Interpretationen sind hochkomplex. Aber prinzipiell sind Prinzen die stärkeren Figuren im Gegensatz zu den Sklaven. Der Ratsuchende selbst wird von Spalte eins, der Muttermatrix, repräsentiert. Bei der Frage nach einer möglichen Krankheit würde diese Spalte zur Tochter addiert. Ist die Figur eins, die für den Ratsuchenden steht, ein Sklave und die Figur, die für die Krankheit steht, ein Prinz, dann kann der Wahrsager daraus schließen, dass eine Krankheit sehr schwerwiegend werden kann. Darüber hinaus ist jede der 16 möglichen Sikidiy-Figuren einer Himmelsrichtung zugeordnet. Dies kann also regional erheblich schwanken. Die Himmelsrichtungen spielen für die Interpretation eine große Rolle. Eine der Interpretationen besagt, dass sich zwei Prinzen und zwei Sklaven aus der gleichen Himmelsrichtung nie größeren Schaden zufügen werden.

Traugott hat es herausbekommen. Er wird Agnieszka niemals Schaden zufügen und sie auch ihm nicht. Das hat er sauber errechnen können. Auch das vorletzte untere Quadrat, die Freude, ist bei beiden oft mit dabei. Er hat es sikidieren können. Die beiden sind wie verdoppelte Geschwister in der Matrix vorhanden. Sie ist übrigens meistens der Prinz und er der Sklave. Macht nichts. Ist Gefahr im Verzuge, streut der Wahrsager einfach auf ein ungewöhnliches Tableau ein weißes Pülverchen, die allgemeine Medizin sozusagen. Dann verändert sich wieder alles. Später kann man das Ergebnis sogar noch zu einem als gefährlich geltenden Talisman verarbeiten, wenn es vorteilhaft ist.

Um auf das Orakel zu schlagen, wird entweder auf der Erde oder auch auf einem Blatt Papier ein Raster vorgezeichnet, bei dem die verschiedenen Rechtecke jeweils einer Linie den Figuren entsprechen. Für das Orakel brauchte man insgesamt vier Figuren, aus denen man dann eine größere Weissagung herauslesen kann.

Die 16 Figuren der Geomantie


Sikidiy hin oder her, ganz egal, sagt Traugott. Er sieht mit Agnieszka eine gemeinsame Zukunft. Nun muss er ihr seine Voraussage nur noch einfühlsam mitteilen oder plausibel machen. Aber den Zeitpunkt muss er noch genauer errechnen. Doch leider kennt er diese verflixte Maßeinheit, die man Spontaneität nennt, noch nicht genügend gut. Diese sollte man, das weiß er aber schon, sich einfach herausnehmen.

Die heutige europäische Geomantie wurde inzwischen leider in eine verschwiemelte esoterische Lehre verwandelt. Diese allerdings scheint etwas spontaner zu wirken. Die Esoteriker verstehen sich selbstbewusst als „ganzheitliche Erfahrungswissenschaftler“. Das ist für Traugott diesmal ein bisschen zu wenig.

Die Identitätsmuster des Lebensraums, an einem Ort oder in einer Landschaft können durch geomantische Gestaltung sowohl in der Kunst wie auch in der Raum- und Landschaftsplanung berücksichtigt werden. Geomantie sei also das Erkennen und das Erspüren von guten Plätzen in Räumen und Landschaften. Zum Zweck des harmonischen und gesunden Wohnens, Arbeitens und Lebens bestens geeignet. Damit hat sie sich allerdings vom ursprünglichen arabischen Wahrsagesystem weit entfernt und ähnelt eben eher dem chinesischen Feng Shui.

Nach Ansicht moderner Geomantiker ist die ganze Erde mit einem komplexen globalen Gitternetzsystem überzogen. Dem Liniensystem werden bestimmte „energetische“ Eigenschaften und damit auch gewisse biologische Wirkungen zugesprochen.

Wissenschaftlich ist alles nicht nachweisbar oder gar haltbar. Gut kontrollierte Versuche zur Radiästhesie sind bislang alle negativ ausgegangen. Mit physikalischen Messinstrumenten konnte nichts Ausschlaggebendes nachgewiesen werden. Für Traugott Helfer ist das allerdings auch von vornherein völlig klar gewesen. Wenn man sich in den Abstraktionsstufen vertut, dann kann nichts Vernünftiges oder Zufälliges gelingen. Sehr wohl scheint es aber möglich zu sein, gewisse biologische und energiebezogene Entwicklungen an räumliche Zuordnungen zu knüpfen. Das wiederum hat man millionenfach probiert. Der verdichtete städtische Lebensraum hat stärker verdichtete Liniensysteme. Im ländlichen Raum hat das Netz sehr viel größere Maschen. Man braucht eigentlich nur auf die Landkarte oder den Stadtplan zu schauen. Wie im Großen, so ist es auch im Kleinen, im eigenen Haus oder im Garten. Und dort genau begegnet Traugott der Polin Agnieszka am häufigsten. Er verspürt eine enorme Energiemenge durch ihre Nähe in einem engmaschigen Netz.

Auch ist es so, dass moderne Stadt- und Landschaftsplaner immer schon originelle Gittermodelle verwenden, in denen allerdings die Biologie der Menschen meist nur noch eine untergeordnete Rolle zu spielen scheint. Es geht in Metropolen nur noch um Wirtschaftlichkeit, Bodenpreise, Kaufkraftwegesummen und arbeitsverdichtetes Zusammenleben, über-, neben- und untereinander. Deshalb baut man auch meistens die hohen Türme in der Stadt, statt die weitläufigen Gehege.

Ein anderes Beispiel für die Geomantik bietet die aktuelle Fort- und Weiterbildung. Die Studiengemeinschaft Darmstadt bietet zum Beispiel einen Weiterbildungskurs im Fernstudium an. Er heißt „Geomantie und ganzheitliche Lebensraumgestaltung“. Es geht um störende Wasseradern, Elektrosmog oder einfach nur um das unerklärbare Unbehagen. Viele Menschen fühlen sich unwohl in ihrer Wohnung und wissen nicht wirklich warum. Liegt es vielleicht am Partner? Liegt es an der Arbeitsstätte außerhalb, am Alkohol, an der Werbung oder der Wohnungseinrichtung? Der Mensch ist in seiner unmittelbaren Umgebung vielfältig verwoben mit Natur, Gesellschaft und Umwelt. Der oben genannte Kursus bildet umfassend und gleichzeitig auch einschränkend aus. Ideal für den privaten Gebrauch also, aber auch für den Beraterberuf in Fragen der Lebensenergien, heißt es im Prospekt.

Für Traugott sind heilige Plätze und Stätten jene Orte der Kraft, in denen Natur, Wissenschaft, Glauben und Architektur zusammenzutreffen vermögen. Hier bestimmen Formen von Magie Rhythmus und Zyklus der Zeit in sehr eindrucksvoller Weise. Wer wollte daran schon zweifeln?

Ein Realschulabschluss oder ein vergleichbares Bildungsniveau reichen aus, um sich im Kurs „Geomantie“ fortzubilden, um vernünftig gestalten zu lernen und sich einrichten zu können. Der Kurs dauert 12 Monate. Man kann auch schneller voranschreiten oder sich etwas mehr Zeit lassen. Die Hauptsache ist, man bezahlt. Das Abschlusszertifikat wird in der Wirtschaft, in der Industrie und in der Öffentlichkeit anerkannt und wertgeschätzt. Der Lehrgang Geomantie per Fernunterricht wird in Köln speziell geprüft und ist inzwischen sogar staatlich zugelassen. Wer prüft dort was? Das ist für Traugott immer die entscheidende Frage in einem Studiengang, wie auch im modernen Deutschland des 21. Jahrhunderts im Allgemeinen.

Geomantia oder die „Zauberei, die mit der Erde zugeht“ ist bei Johannes Hartlieb eine „verbotene“ Punktierkunst gewesen. Zweifellos ist es auch möglich, die modernen chinesischen Akkupunkturmethoden in diesem Kontext verstehen zu lernen. Bei Hartlieb werden die folgenden Techniken erwähnt: Sterndeutung, Losorakel, Losbücher, Kriminaltelepathie, Käsesegnung. Traugott Helfer könnte all diese Techniken als Quacksalberei abtun, wenn sie nicht auch die allermodernsten Wissenschaftler in fast allen einschlägigen Fächern beschreiben würden. Sollten Wissenschaftler fälschlicherweise annehmen, sie hätten keine Vorfahren oder Nachfolger, so würden sie sich seiner Meinung nach gewaltig irren. Über das Thema „Beschwörungsformeln in der Wissenschaft“ könnte Traugott auch einen interessanten Fortbildungskurs anbieten.

Was also hat der Historiker, Dr. Traugott Helfer, für ein Verständnis von Geomantia, also der Hellseherei in Bezug auf den Erdboden und den Erdball?

Er weiß bestens darüber Bescheid, dass die Parawissenschaften inzwischen recht bunte Lotosblüten auch an den ordentlichen deutschen Universitäten oder Fachhochschulen austreiben. In diesen Horten der Vernunft darf man auch absonderlich erscheinende Weltbilder vermitteln und entsprechende Diplomarbeiten abgegeben. Allerdings, so findet er, laufen die allermeisten Wissenschaftler, in allen anderen Fächern, ebenfalls mit ihren speziellen Wünschelruten umher. Sie wünschen sich eben nur etwas anderes als der Nachbar in der Nachbardisziplin nebenan. Sie „wünscheln“ sich vor allem die exakte Nachprüfbarkeit, die Begutachtungsfähigkeit, die unmittelbare Praxisrelevanz der Theorie, die Wirtschaftlichkeit und die Vernunft in den Gitternetzlinien eines stark pekuniär ausgerichteten Qualifikationssystems. Selbst die Hermeneutik soll inzwischen logisch-methodisch erklärbar sein. Nur in der Fußnote kann man noch ein wenig träumen. Nur der wiederholbare Versuch gilt noch als Erfolg oder Korrektheit. Dabei spricht die Weltgeschichte in einer ganz anderen Sprache, nicht nur in der des Lingua Tertii Imperii.

Geologen in fast allen Kulturstaaten, besonders in Deutschland, haben seit vielen Jahren nichts unversucht gelassen, mit ausgeklügelten Prüfungsmethoden die Wirksamkeit des Gebrauchs von Wünschelruten zu widerlegen. Sie haben während ihrer eigenen wissenschaftlichen Wünschelrutengänge keine Gelegenheit ausgelassen, die Angaben von parawissenschaftlichen Wünschelrutengängern mit den tatsächlichen Verhältnissen des Untergrunds abzugleichen. Das Ergebnis stand schon von vornherein fest: Ein Zusammenhang zwischen dem Pendelausschlag der Wünschelrute und dem Untergrund ist nicht nachweisbar, noch nicht einmal wahrscheinlich. Traugott hält dieses Ergebnis für historisch überholt und unbefriedigend, wenn nicht sogar für mangelhaft.

Das Wort Wünschelrute leitet sich von „wunsciligerta“ her. Die Verkleinerungsform von „wunsc“, also „Wunsch“, kommt der Bedeutungsmöglichkeit „Glück, Heil“ nahe. Die „wunsciligerta“ von Jacob Grimm als „gerte, durch deren besitz man alles irdischen heils theilhaftig wird“, kann unmissverständlich gedeutet werden. Selbstverständlich fehlt auch nie der ensprechnede Sexualbezug. Im Mittelhochdeutschen, bei Konrad von Megenberg, gibt es die Umschreibung als Penis: schwantz oder wuntzelruht. Wieso also ist dieser Wunschaspekt inzwischen so stark in den Hintergrund getreten? Warum soll die Wünschelrute nur noch ein erfolgloser Versuch sein, eben nur ein gabelförmiger Ast zum vordergründigen Aufspüren verborgener Materialien?

Die Stäbe mit den Wunderkräften, zum Beispiel der Stab des Hermes in der griechischen Mythologie, vermochten die Pforten zur Unterwelt zu öffnen. Der Moses-Stab ließ Wasser aus einem Fels in der Wüste spritzen. Im Jahr 1517 erwähnt Martin Luther in seiner Auslegung der zehn Gebote, unter den Verstößen gegen das erste Gebot, die magischen Praktiken, also die Suche mit der „virga divinationis“ nach verborgenen Schätzen. Zweifellos war es schon damals nur der Zeitaspekt durch die Imagination des Goldes, des allgemeinen Äquivalenz-Edelmetalls, als Schreckensbild des Geldes wahrscheinlich, welches Luther möglicherweise vor Augen hatte.

Im Jahr 1692 erregte Jacques Aymar in Frankreich Aufsehen. Mithilfe einer Rute entdeckte er entscheidende Beweismittel, die am Tatort vergraben wurden. Mit der Rute spürte er schließlich sogar den Täter auf. Aber alles war leider nur vorgetäuscht. Aber immerhin, Aymar kam in die Geschichtsbücher. Die Wirksamkeit seiner Methode konnte ordentlich und öffentlichkeitswirksam falsifiziert werden.

Was also bleibt übrig? Die Leute wünschen sich das Aufspüren von Gold oder flüchtigen Mördern, sagt Traugott zu Agnieszka gewendet. Voller Glücksgefühl und mit viel Zuversicht stimmt sie ihm kopfnickend zu.

Auch heute noch gelten die praktischen Wünschelruten vielen Menschen als geeignete Instrumente, um zum Beispiel Wasseradern aufzuspüren. Neben Privatpersonen treten auch Unternehmen als Auftraggeber für die Rutengänger auf. Die Deutsche Gesellschaft für Technische Zusammenarbeit setzte Rutengänger für die Wassersuche bei Projekten im Brunnenbau ein. Die ASFINAG, die das Netz der Autobahnen und Schnellstraßen in Österreich betreibt, verwendete neben anderen Maßnahmen zur Unfallreduzierung bis ins Jahr 2007 auch Wünschelrutengeher und Pendler. Moderne Wünschelruten werden inzwischen sogar in Form von Hightech imitierenden Spürgeräten hergestellt. Die New York Times berichtete im Jahr 2009 über ein kurioses Antennen-Gerät, welches im Irak zum Aufspüren von Sprengstoff und Drogen eingesetzt wurde. Der Irakische Innenminister Jehad al-Jabiri hielt noch lange an der Funktionstüchtigkeit des Gerätes fest. Aber auch vergleichbare Geräte konnten keine Erfolge erzielen, die über ein zufälliges Aufspüren von Sprengstoffmengen hinausgehen. Den Versuch aber war es zweifellos wert.

Worum geht es bei Wünschelrutengängern? Es geht um das Wünschen und das Aufspüren. Man sucht, was man finden möchte. Allein dieser Vorgang ist wichtig. Traugott meint: In der Prognosefähigkeit sind alle neuen und modernen Geräte den alten Methoden nicht unähnlich.

Wenigstens die allergrößten Umweltkatastrophen wird man voraussehen können, vermutet Traugott inzwischen hoffnungsvoll. Die Umweltprognosen werden das Schicksal des 21. Jahrhundert extrem beeinflussen. Die Entwicklung des CO2-Gehalts meint man gut berechnen zu können, wenngleich es immer noch nicht gelungen ist, den Verursachern das mittelalterliche Handwerk zu legen. Das wäre eigentlich die einfachste Sache der Welt. Aber auch dafür benötigt man eben eine geeignete Wünschelrute.

Wieder ist Agnieszka in Traugotts Herrenhaus beim Putzen. Wieder rutscht sie mit ausgestrecktem Po vor ihm auf den Knien im Arbeitszimmer herum. Seine Wünschelrute schlägt an diesem Tag ganz besonders stark aus. Er wird sie nun endlich fragen müssen, ob sie seine Frau werden möchte. Aber noch kann er sich nicht zu dieser handfesten Prognose entscheiden.

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