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Mond und Sterne

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Der Übergang von der Wahrnehmung der Luft zur Mond- und Sterndeutung ist fließend. Wir nähern uns sozusagen durch die Endlichkeit des Luftraums der Unendlichkeit des Universums. Traugott wendet sich somit den beiden großen Themenbereichen Astrologie und Astronomie zu.

Einige Geister sind in die Sonne, andere in den Mond und die Sterne gesetzt worden. Wieder andere sind Gottesbilder oder nur Engelchen mit Flügeln. Viele der Geister sind mit menschlichen Körpern bekleidet. Ärische, irdische, über- und unterirdische Wesen bevölkern die Erde und den weiten Weltenraum. Allerdings übersteigen für Traugott Helfer die modernen Wissenschaften in dieser Frage kaum noch den Horizont jener einfachen Bauern der Frühzeit, die sich noch ordentlich nach den Gestirnen, den Jahreszeiten und der Ausbringung ihrer Ernten richteten. Der Fischer an der Nordsee muss Ebbe und Flut sehr genau kennen, um trockenen Fußes auf seine Hallig zu gelangen oder er würde möglicherweise mit seinem Boot im Wattenmeer stranden.

Zeus hat die Welt wie ein Gestirnreisender durchwaltet. Er hat Zeichen am Himmel befestigt und sich Sternbilder ausgedacht, damit den Menschen alles sicher wüchse, was zu den vier Jahreszeiten gehört. So ähnlich wundervoll hat Virgil das beschrieben.

Ein klassisches Feld der Weissagungen, gewissermaßen für die hoffnungsvolle Prognostik, ist, wenn man in den Himmel schaut: die Astrologie. Die westlich europäische Astrologie ist der chinesischen, indischen oder vedischen Astrologie nicht fremd. Nach der Erhebung des Christentums zur Staatsreligion im Römischen Reich wurde die Astrologie häufig bekämpft und vorübergehend ins Abseits gedrängt. Im späten Mittelalter hat sie wieder an Bedeutung gewonnen. Von der Renaissance bis zum 17. Jahrhundert wurde sie ein anerkannter Zweig der wissenschaftlichen Fachgebiete. Im Zuge der europäischen Aufklärung verlor sie in gebildeten Kreisen jedoch wieder an Reputation. Erst nach 1900 kann man wieder von einem ernsthafteren Interesse an der Astrologie sprechen. Populär ist sie im Volk zu allen Zeiten gewesen. Horoskope sind heute immer noch die beliebtesten Werkzeuge, um einen Blick in die Zukunft zu wagen.

Die Wissenschaft selbst betrachtet die Astrologie zurzeit, eher rückwärtsgewandt, vor allem aus kulturhistorischer und religionswissenschaftlicher Perspektive. Moderne empirische Studien kommen allerdings alle zum Ergebnis, dass überprüfbare Zukunftsvorhersagen durch Astrologen statistisch nicht signifikant häufiger zuträfen als willkürliche Behauptungen. Was man also in einem wissenschaftlichen Versuchsaufbau nicht unmittelbar wiederholen bzw. nachbauen kann, gilt gemeinhin als unwissenschaftlich. Man möchte also wissenschaftlich gewissermaßen das Schicksal nachbauen. Aber es gibt auch einige wenige kritische Wissenschaftler, wie Paul Feyerabend zum Beispiel, die nicht die mangelnde Testfähigkeit oder die fehlende Problemlösungsabsicht monieren, sondern die fehlende Weiterentwicklung der Astrologie. So habe sie für Feyerabend grundsätzlich interessante und fundierte Ideen hervorgebracht. Diese Ideen seien aber nicht konsequent fortgeführt und auf neue Bereiche mit neuen Methoden übertragen worden.

Traugott Helfer sieht das genauso. Für ihn sei es den bisweilen streng organisierten und stark ideologisierten Astrologen bis heute nicht gelungen, ein modernes Verständnis der Sternenbewegungen im weiten Universum zu entwickeln. Immer noch schauten sie durch die alten Fernrohre von vor 2000 Jahren und sehen nur diejenigen Planeten unseres eigenen Sonnensystems, die sie erdbodenfixiert wahrnehmen können. Das Wassermannzeitalter sei wahrscheinlich auch deshalb erst durch das Musical Hair in der Öffentlichkeit bekannt geworden. In den modernen Naturwissenschaftlern fehle es seiner Meinung nach insbesondere an geschichtlicher Abstraktions-, Dynamisierungs- und Inspirationsfähigkeit.

Die klassische Horoskopie kennt nur sieben Planeten, jene, die um die Sonne kreisen. In den Geschichten der Bibel werden auch nur Sonne, Mond, Merkur, Venus, Mars, Jupiter und Saturn beschrieben.

Der horoskopische Aszendent markiert eben nur die Spitze eines sehr irdenen Hauses, von welchem aus man die übrigen, gegen Osten und unter dem Horizont fortgehend, zählen kann. Haus auf Haus folgt, der Reihe nach, also als Haus

· des Lebens,

· des Glücks oder Reichtums,

· der Brüder,

· der Verwandtschaft,

· der Kinder,

· der Diener und der Gesundheit,

· der Ehe,

· des Todes,

· der Religion,

· der Würden,

· der Freundschaft,

· der Feindschaft.

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) rät ihren Gläubigen zu einem vorsichtigen und distanzierten Umgang mit der Astrologie als Instrument der Vorhersage eines festgelegten Schicksals. Die Zentralstelle für Weltanschauungsfragen der EKD sieht in der Popularität astrologischer Vorhersagen aber gleichwohl eine Methode der Lebensberatung, sozusagen einen Bedarf nach geistlicher Orientierung in einer übermodernisierten Welt.

Der Zugang und die Ausübung des Astrologenberufs unterliegen in Deutschland keinerlei Einschränkungen. Es gibt praktisch eine Art von rechtlich zugesicherter Weissagungsfreiheit. Gemäß Paragraph 14 der deutschen Gewerbeordnung ist lediglich eine Anzeigepflicht zu beachten.

Der Astrologe vermutet einen Zusammenhang zwischen den Positionen und Bewegungen der erdnahen Planeten bzw. der Sterne mit gewissen irdischen Ereignissen im Lebensalltag der einzelnen Menschen. Solch eine Weltsicht war und ist religiöser, weltanschaulicher und spekulativer Natur. Planeten und Fixsterne werden als vergöttlichte Wesen mit einer gewaltigen Machtfülle angesehen. Die Astrologenzunft bezieht sich deshalb auf ein geheimes Wissen, welches nur von göttlichen Wesen oder „Eingeweihten“ mitgeteilt wird, auf Erkenntnisse also, die nicht unmittelbar allen zugänglich sind. Der symbolische Astrologe setzt die Tradition eines komplexen Deutungssystems voraus. Sofern die Astrologie wie eine „Erfahrungswissenschaft“ vertreten wird, wird sie sich zwar stets um eine empirisch nachprüfbare Basis bemühen, aber immer nur in einem eingeschränkten Welt- und Sternenbild. Schließlich wird man am Ende auf die allgemeine Hypothese zurückgreifen müssen, wonach astrologisch interpretierte Planetenbewegungen in einer bislang noch nicht näher bekannten Weise auf die Erdlebewesen einwirken.

Die Astrologie befindet sich für Traugott Helfer nicht etwa in einem quasi vorwissenschaftlichen Stadium, sondern eher in einem wissenschaftsähnlichen Endstadium, dem Stadium des unbedingten Systemdenkens.

Schon die frühen Astrologen verwendeten also komplexe mathematische Modelle, um die offensichtlichen Regelmäßigkeiten von Naturphänomenen erkennen zu können. Mit Hilfe von Tabellen, Listen und hübschen Grafiken prognostizierte man den Eintritt bestimmter Ereignisse. Ähnlich sind auch die Darstellungen in der Bibel oder im Koran: Man verwendet exakte geografische Positionen, Umlaufbahnen und hochkomplexe Formen von Geometrie und Trigonometrie. Glaube, Aberglaube und Wissenschaft gehören zusammen. Sie können nur zusammen und aufeinander bezogen interpretiert werden. Die Suche nach gewissen Regelmäßigkeiten in den weltlichen Erscheinungen ist ein weltanschauliches und ein wissenschaftliches Programm. Der Philosoph Ernst Cassirer sah schon deshalb in der Astrologie eine prinzipiell wissenschaftliche Denkform.

Karl Popper unterschied zwischen Wissenschaft, Pseudowissenschaft und Metaphysik. Für Popper funktioniert die Astrologie, ähnlich wie die Psychoanalyse, eher wie ein „Mythos“. Man sucht nach Bestätigungen für seine Überzeugungen und seine Schemata.

Entscheidend für Traugott Helfer ist, dass man Interpretationen intensiv sucht und sich Prophezeiungen zutraut, auch wenn diese Prophezeiungen nur so vage und so gut sind, dass jenes, was als Widerlegung gelten könnte, wegargumentiert und wegillustriert werden kann.

Eine prophetische Gabe kann nicht die Testbarkeit einer Theorie sein. Astrologie will eher wie ein praktisches Handwerk erscheinen, dem Ingenieurswesen oder der frühen Medizin ähnlich. Im Mittelpunkt steht die praktisch-instrumentelle Anwendung, nicht die Forschung und nicht die philosophische Erkenntnis. Auch deshalb ist die Astrologie wahrscheinlich eine gemeine Berufskaste geworden. Gleichzeitig ist sie eine kulturelle Praktik. Sie ist Berufung, Unterhaltung, Metaphysik, Religion und Spiritualität, Esoterik und Aberglaube, Rechnerei und Schwindel, ganz wie man es meint. Traugott meint, dass die Arbeit an der komplexen Nutzlosigkeit der Astrologie allerdings meist weniger Schäden anrichtet als eine fragwürdig angewandte Wissenschaft oder gar die fundamentalistisch interpretierte Religion.

Das frühe Christentum befand sich im Zwiespalt gegenüber der Astrologie. Viele Kirchenlehrer waren der Auffassung, eine Vorhersage des Schicksals widerspräche dem freien Willen des christlich gläubigen Menschen. Andererseits wissen wir aber auch, dass die Geburt des Christuskinds mit einem astronomischen Ereignis und sogar einer astrologischen Vorhersage verbunden war. Der Koran verurteilt zwar die Verehrung astraler Gottheiten, aber die Interpretation der himmlischen Zeichen, zum besseren Verständnis des Willens Allahs, wird akzeptiert. So verwendeten vor allem Herrscher und irdische „Gottheiten“ die Astrologie als Macht- und Legitimationsmittel: Karl der Große, Ludwig der Fromme, Heinrich der Zweite und Friedrich der Zweite.

Die Astrologie führe irdische Dinge auf ihre göttliche Quelle zurück und führe daher den Menschen zu Gott, sagte man. Thomas von Aquin argumentierte anders: Astrologie beruhe auf Vernunft und diese bestimme den Willen. Denis Diderot hielt in seiner „Encyclopédie“ die Astrologie als einer Betrachtung durch vernünftige Menschen unwürdig. Voltaire schloss sich dieser Auffassung an.

Im 19. Jahrhundert kam es in England zu einer Blütezeit astrologischer Studien. Man befasste sich vor allem mit den technischen Aspekten und den empirischen Überprüfungsmethoden. Um das Jahr 1875 entwickelte sich mit der Gründung von Theosophischen Gesellschaften eine esoterische Spielart der Astrologie. In Deutschland ging das astrologische Zaubern erst um das Jahr 1905 los. Die berühmteste Astrologin des frühen 20. Jahrhunderts war Evangeline Adams. Sie siedelte sich 1900 in New York an und beriet dort viele berühmte Personen, darunter auch Millionäre wie J. P. Morgan, den Sänger Enrico Caruso oder den britischen König Edward VII. Im Jahr 1914 wurde sie wegen Wahrsagerei angeklagt. Das Glück sprach sie frei, sagte man.

In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts war Astrologie vorwiegend eine ereignisorientierte Disziplin. Sie begann sich aber immer stärker mit der Psychologie zu verbünden. Man stand nun den Prognosen skeptisch gegenüber, weil man auf die Willensfreiheit und die Entwicklungsmöglichkeiten des einzelnen Menschen, etwa durch deren Begabungen und Schwächen, Wert zu legen begann. Astrologen selbst begannen sich von der Idee einer kausalen Einwirkung astronomischer Faktoren auf den Menschen zu lösen. Hans Driesch sprach von der einer Lehre „akausaler Korrelationen“.

Die modernen Horoskopien, ob Geburts-, Partnerschafts- oder andere Horoskope, sind inzwischen nur noch Nachrichten und Publikationen geworden. Der Brite R. H. Naylor gilt als Erfinder des Zeitungshoroskops. Am 24. August des Jahres 1930 veröffentlichte er im „Sunday Express“ ein ausführliches Horoskop der neugeborenen Prinzessin Margaret. Im selben Beitrag sagte er einige Ereignisse für die laufende Woche voraus. Schon ab Oktober 1930 wurde daraus eine regelmäßige wöchentliche Kolumne. Bezüge auf die Tierkreiszeichen enthielt die Kolumne aber erst ab dem Jahr 1935.

Horoskope in Journalen sind wie Wirtschafts- und Politikseiten, sagt Traugott Helfer. Die Deutungsmuster sind sich verdammt ähnlich. Aber wann schon habe je ein Journalist viel mit Wissenschaft oder Nachprüfbarkeit zu tun. Moderne Nachrichten sind neuzeitliche Fossile der Astrologie. Man muss sie einfach gern haben und kritisieren dürfen.

Agnieszka kann viele persönliche Erkenntnisse zu Traugotts Astrologie-Studien betragen, insbesondere weil sie überaus interessiert an Tieren ist. Sie sagt: „Der Frühlingspunkt im Sternbild Widder wurde als Nullpunkt der 360-Grad-Zählung festgelegt. Gegenwärtig befindet er sich im Übergang des Sternbilds Fische. Trockenheit und Wärme sind das Feuer. Feuchtigkeit und Wärme sind die Luft. Feuchtigkeit und Kälte sind das Wasser. Trockenheit und Kälte sind die Erde. Die einzelnen Tierkreiszeichen werden nach den jeweiligen Elementen gebildet: Feuerzeichen (Widder, Löwe, Schütze), Erdzeichen (Stier, Jungfrau, Steinbock), Luftzeichen (Zwillinge, Waage, Wassermann) und Wasserzeichen (Krebs, Skorpion, Fische).“ Dann erläutert sie etwas, an das sich Traugott noch lange erinnern wird: „ Wenn ein Astrologe die Biografien einzelner Menschen sehr gut kennen würde, so kann er ganz hervorragende Voraussagen machen. Je weniger er Biografie kennt, desto schwieriger wird es für ihn, eine gute Zukunft voraussagen zu können.“

Traugott ist begeistert von Agnieszka und sie auch von ihm.

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