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ОглавлениеVladan war überaus freundlich zu ihr. Er brachte sie auf ihr Zimmer, indem er sie sanft am Ellbogen berührte. Es war alles noch unverändert: das Bett, der Tisch, zwei Stühle, der Schrank und der Fernseher auf dem Schrank. Nur ihre braune Ledertasche, die früher ihrem Großvater gehört hatte, hatte jemand auf das Bett gelegt.
»Setz dich«, sagte Vladan auf Rumänisch. Seine Augen schimmerten dunkel.
Sie wartete auf seinen Wutausbruch, aber nichts kam. Er nahm auf einem Stuhl Platz und steckte sich eine Zigarette an, obschon man ihnen erklärt hatte, dass sie in diesen Räumen nur zu Gast waren und dass man hier nicht rauchen dürfe. Leise Musik drang aus dem Nebenzimmer, zur Rechten, nicht aus dem Nachbarraum, in dem Irina gewohnt hatte.
»Ich habe mir Sorgen gemacht«, sagte Vladan in einem väterlichen Tonfall. »Du warst weg, und ich … ich bin für dich verantwortlich. Wo bist du gewesen? Du musst es mir sagen!«
Er zog an seiner Zigarette und schnippte die Asche dann ganz einfach auf den Boden.
Sie schaute ihn an. Nein, sie durfte ihm nichts von Therese erzählen, die sie wahrscheinlich am Bahnhof suchen würde. Zum Glück hatte sie ihr nicht genau erzählt, wo das Haus stand, in dem Vladan sie gefangen hielt.
Als sie nicht antwortete, machte Vladan eine Geste, als wolle er ihr über den Kopf streichen. Hastig zuckte sie zurück.
»Ich weiß, es ist alles neu für euch hier«, sagte er, »und wir hätten euch auch besser Bescheid sagen müssen, was euch erwartet. Bevor ihr arbeiten dürft, müsst ihr untersucht werden. Das ist in diesem Land hier so. In Deutschland gibt es viele Gesetze und Vorschriften.«
Plötzlich sah sie, dass er eine Wunde am Hals hatte, ein Pflaster klebte da. Ein Gedanke kam ihr.
»Wo ist Irina?«, fragte sie. »Was ist mit ihr passiert?«
In Vladans Augen loderte etwas auf, sein Kopf ruckte in die Höhe. »Irina ist nach Hause gefahren – mit dem Bus«, sagte er. »Sie hat eine Krankheit, deshalb haben wir sie zurückgeschickt. Sie darf in diesem Land nicht arbeiten.«
»Sie hat geschrien«, sagte sie. »Warum hat sie geschrien? Hast du ihr gesagt, dass sie hier in einem Bordell arbeiten soll?«
Vladan sprang abrupt auf. »Miststück!«, brüllte er. »Ich bin gut zu dir. Ich könnte auch anders, und wenn du noch einmal nach Irina fragst, dann …« Er beugte sich vor.
Sie roch seinen Atem. Nikotin und Bier. Widerlich!
Seine Hand schoss vor, auf ihr Gesicht zu, aber dann kniff er sie nur so heftig in die Wange, dass ein scharfer Schmerz sie durchzuckte, und stürmte aus dem Zimmer.
Sie spürte, dass sie zu weinen begann. Es war ein Fehler gewesen, zurückzukommen – nur wegen ein paar Sachen und ein wenig Geld. Sie zog ihr Nokia hervor. Sie musste Therese Bescheid geben, wo sie war – dass sie wieder eingesperrt war. Jetzt auf der Stelle!
Doch kaum hielt sie das Telefon in der Hand, war Vladan zurück. Er starrte sie hasserfüllt an, so kam es ihr vor, und als er das Nokia entdeckte, ergriff er es sofort.
»Biest!«, brüllte er erneut. »Was soll das? Du machst mir nur Ärger. Wenn du noch einmal wegläufst, muss ich dich fesseln.«
Mit dem Nokia verschwand er, aber zumindest sperrte er sie nicht ein.
Als sie zum Fenster ging, entdeckte sie, dass nun ein Schloss daran angebracht war. Keiner der beiden Flügel ließ sich mehr öffnen. Nun müsste sie schon das Glas zerschlagen, um hinunterspringen zu können.
Der Anblick des Schlosses saugte ihr die letzte Kraft aus dem Körper. Erschöpft sank sie auf das Bett, und ohne dass sie es selbst recht merkte, kamen ihr die Tränen. Sie weinte stumm, bis sie so müde war, dass sie einschlief.