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Keine Kameras, sagte ihr erster Blick, als sie den Hintereingang des Krankenhauses absuchte, aber warum hätten hier auch Kameras hängen sollen? Hier wurden Materialien angeliefert und vielleicht auch die Toten aus der Leichenhalle abtransportiert. Bei dem Gedanken musste sie schlucken. Jan würde durchdrehen, wenn Therese ihre Verletzungen nicht überleben würde. Eine Krankenschwester hatte ein Foto von ihr gemacht und Birte gezeigt. Thereses Gesicht war blutüberströmt gewesen, und ihr rechtes Auge, das nicht von Haaren und Blut verdeckt wurde, wirkte auf dem Bild bereits verschattet, tief in die Höhle gesunken, als würde es statt nach außen in ihr Inneres schauen.

Die vier uniformierten Beamten, die Birte auf die Severinstraße geschickt hatte, um in den Geschäften zu fragen, ob jemand etwas Verdächtiges beobachtet hatte, einen Wagen etwa, der abrupt vor dem Hintereingang des Krankenhauses gehalten hatte, kehrten nach einer halben Stunde ohne Ergebnis zurück. Niemandem war etwas aufgefallen. Auch die Krankenschwester, die Therese entdeckt hatte, weil sie heimlich eine Zigarette hatte rauchen wollen, hatte keinen abfahrenden Wagen bemerkt.

Am Ende würde es auf Therese ankommen – auf ihre Aussage.

Alles hatte mit dem rumänischen Mädchen zu tun – nun war sich auch Birte dessen sicher. Sie mussten nicht nur herausfinden, wo sich diese Julika befand, sondern auch, wo Therese sich zuletzt aufgehalten hatte.

Sie schrieb Jan eine SMS und fuhr dann ins Präsidium. Sobald sie die letzten Verbindungsdaten von Thereses Smartphone hatten, würden sie weiterkommen.

Nele hatte zwei Kriminalassistenten hinzugezogen, um sämtliche Taxizentralen und die KVB zu kontaktieren. Aber wer würde eine schwer verletzte Frau in einem Taxi ins Krankenhaus fahren, wenn er danach untertauchen wollte?

Dann rief Nele sie zu sich. »Hier«, sagte sie und deutete auf ihren Computer, »eine Sprachnachricht. Kam eben von der Leitstelle.« Sie klickte eine Audiodatei an.

Die routinierte Stimme einer Beamtin war zu hören. »Polizeileitstelle Köln.« Ein heftiges Atmen, dann ein Räuspern und ein unverständliches Wort.

»Hallo«, sagte die Beamtin völlig unaufgeregt, »Sie haben den Notruf gewählt. Können Sie mir sagen, was Sie wollen?«

»Es war ein Unfall«, sagte eine männliche Stimme, offensichtlich kein Deutscher, sondern dem Akzent nach ein Osteuropäer. »Mit der alten Frau. Unfall – gestürzt. Schrecklich. Ein Unfall.« Das letzte Wort ging in einem Schluchzen unter. Dann wurde aufgelegt.

»Der Anruf ging vor sieben Minuten ein«, sagte Nele. »Die Kollegin musste sich kurz orientieren, worum es gehen könnte.«

»Haben wir einen Hinweis, woher der Anruf kam?«, fragte Birte, auch wenn sie die Antwort bereits zu kennen glaubte.

»Noch nicht«, sagte Nele. »Könnte aber eine öffentliche Telefonzelle gewesen sein.«

»Spiel die Datei noch einmal ab«, sagte Birte.

Der Anrufer war eindeutig ein Mann, wahrscheinlich älter, um die fünfzig, und er konnte gut und gerne ein Rumäne sein. Zumindest kam er mit großer Wahrscheinlichkeit aus Osteuropa. Im Hintergrund glaubte sie, Autogeräusche zu vernehmen.

»Wir müssen darauf hoffen, dass Therese bald eine Aussage machen kann.« Birte ließ sich auf einen Stuhl neben Nele sinken. Zum ersten Mal am Tag überfiel sie Müdigkeit.

An diesem Fall passte nichts zusammen. Nun dieser hilflos klingende Anruf. Da lag eine Frau schwer verletzt im Krankenhaus – und dieser Mann stammelte etwas von einem Unfall, statt sich bei der Polizei zu melden. Aber ganz offenkundig hatte er mit diesem Unfall zu tun, hatte ihn beobachtet oder war beteiligt gewesen.

»Ich werde der Kriminaltechnik die Datei schicken. Sie können eine genauere Bestimmung vornehmen«, sagte Nele. »Wenn es derselbe Mann ist, der die Frau getötet und angesteckt hat, dann hat er plötzlich sein Gewissen wiedergefunden.«

Nein, dachte Birte, jemand, der eine Frau umbringt und den Leichnam in Brand steckt, ruft nicht wegen einer alten Frau an, die gestürzt ist.

Einen Moment später hatte Nele einen Mitarbeiter von Thereses Telefongesellschaft am Apparat. »Die Hebamme ist zuletzt in Rodenkirchen gewesen«, sagte sie. »Von da hat sie eine SMS an Henning Broder verschickt.«

Rodenkirchen – konnte das weiterhelfen?

»Was ist mit dem alten Nokia-Handy, das Therese diesem verschwundenen Mädchen gegeben hat?«, fragte Birte. »Haben wir da etwas?«

Nele sah sie an. »Tut mir leid«, sagte sie schuldbewusst. »Das habe ich ganz vergessen. Kümmere mich sogleich darum.«

Birte nickte müde. Ich muss ein paar Stunden schlafen, dachte sie. Es kam ihr vor, als wäre es Tage her, dass sie Danuta, diese andere Frau, am Bahnhof aufgelesen hatte, dabei waren kaum zwölf Stunden vergangen. Max hatte ihr keine Kurznachricht mehr geschickt, er würde zu Hause sitzen, die Urlaubskataloge durchsehen und auf sie warten, um das Hotel für die zweite Woche auf Hawaii zu buchen. Doch wenn sie ehrlich war, musste sie sich eingestehen, dass sie in Wahrheit bereits wusste, dass sie am Samstag nicht nach Hawaii in den Urlaub abfliegen würde – genauso wenig, wie Jan mit seiner neuen Freundin, die Birte bisher erst einmal von Weitem gesehen hatte, nach Bordeaux geflogen war. Aber wie sollte sie Max das beibringen?

Ich werde nachkommen, dachte sie, ja, das werde ich ihm sagen. Zwei, drei Tage später. Wenn Therese rechtzeitig eine Aussage machen kann, kommen wir bestimmt schnell voran.

Kaum hatte sie diesen Gedanken zu Ende gedacht, ging eine SMS von Max bei ihr ein. »Wann kommst du, meine Schöne? Habe gekocht und warte.«

Sie lächelte.

Es war achtzehn Uhr dreiundvierzig, als sie auf die Uhr an ihrem Computer sah.

»Ich muss gehen«, sagte sie zu Nele. »Ich brauche etwas zu essen und ein wenig Schlaf und …«

Nele winkte ab. Sie hatte zurzeit keinen Freund. Ihre Vorliebe galt erfolglosen Jazzmusikern, und den letzten hatte sie vor ein paar Wochen nach Norwegen verabschiedet. »Geh ruhig. Ich halte dich auf dem Laufenden …«

Birte war schon an der Tür, als ihr Smartphone summte. Keine SMS, ein Anruf. Von Jan. Seine Stimme zitterte, und sie ahnte, was passiert war.

Nachtengel von Köln

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