Читать книгу Nachtengel von Köln - Reinhard Rohn - Страница 8
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Оглавление»Geh nicht ans Telefon«, hatte Max gesagt, während sie noch auf ihr Telefon geschaut hatte.
Selten hatte sie ihn so aufgekratzt gesehen. Er hatte Fotos und Kataloge um sich ausgebreitet. Hawaii – bevor sein Buch herauskommen würde, würden sie nach Hawaii fliegen, seinem Sehnsuchtsort. Zwei Wochen auf der Insel. Im Mai waren die Temperaturen noch erträglich, selten über dreißig Grad, anders als im September, wenn der berühmte Triathlon stattfand. Das war sein Plan gewesen – ein Mal an diesem Wettbewerb teilzunehmen –, aber mittlerweile hatte er sich damit abgefunden, dass dieser Lebenstraum sich nicht erfüllen würde. Beim Training auf dem Rennrad hatte ihn ein Lastwagen überfahren, der Unterschenkel seines rechten Beines hatte ihm amputiert werden müssen. Der Phantomschmerz machte ihm immer noch zu schaffen.
»Geh nicht«, sagte er wieder. »Ich will dir ein paar Fotos zeigen, und für die zweite Woche müssen wir noch ein Hotel buchen.«
Birte schaute ihn an. Sie versuchte besänftigend zu lächeln. Seit vier Wochen waren sie verlobt. Max hatte auf einem altertümlichen Ritual bestanden: Ringe überstreifen und einen Schwur leisten, danach waren sie in einem edlen Hotel essen gegangen und hatten von einer Dachterrasse auf Köln hinabgeblickt.
»Es ist Nele.« Sie warf einen letzten Blick auf die Kataloge. »Sie würde nicht anrufen, wenn es nicht dringend wäre. Und Jan will morgen mit seiner neuen Freundin in einen kurzen Urlaub fliegen. Bis Freitag, damit wir am Samstag abreisen können. Da kann ich nicht so tun, als wäre ich nicht da.«
Fünf Minuten später saß sie in ihrem alten Alfa, der immer mehr Rostflecken aufwies, und gab die Adresse einer Straße in Weidenpesch ein – Auf dem Ginsterberg. Obschon sie nun schon über drei Jahre in Köln lebte, kannte sie immer noch nicht jeden Winkel dieser Stadt.
Sie hatte das Gefühl, aus der Stadt herauszugeraten – in eine einsame, öde Gegend. Eine schmale Straße führte am Bahndamm entlang, rechter Hand befanden sich ein paar Gärten, ein Schrotthändler. Dann sah Birte eine Ansammlung weiß getünchter Häuschen. »Im Volksmund heißt diese Ecke auch Zigeunersiedlung«, hatte Nele noch gesagt. »Nicht sehr nett.«
Sie bremste ab. Zwei Polizeiwagen parkten da. Ja, sie war also richtig. Langsam rollte sie auf das erste der Häuser zu. Aus der Entfernung hatte es hübsch ausgesehen, doch je näher sie kam, desto mehr erkannte sie, wie heruntergekommen dieses Ensemble von Häusern war. Der Putz war abgeblättert, die Jalousien waren überall heruntergelassen; nur an einigen Fenstern waren die Plastiklamellen abgerissen worden.
Hinter ihr tauchte plötzlich ein weißer Golf auf. Offenbar hatte Nele auch Jan Bescheid gegeben. Im Rückspiegel beobachtete sie, dass er ausstieg, mit düsterer Miene, und er war nicht allein. Therese, die alte Hebamme, stieg auf der Beifahrerseite aus. Birte stellte gleichfalls den Motor ab.
»Therese kann uns vielleicht weiterhelfen«, sagte Jan statt einer Begrüßung.
Birte nickte der alten Frau zu, die sie freundlich, aber mit erschöpfter Miene anlächelte. Sie schien ihren blauen abgewetzten Wollmantel niemals auszuziehen.
»Er wollte gar nicht herkommen«, sagte sie mit ihrer schrillen Mädchenstimme. »Weil er in Urlaub fahren will, aber ich habe ihn gezwungen. Ich suche Julika, ein Mädchen aus Rumänien.«
Jan schaute sich um, ohne Thereses Worte weiter zu erklären. »Was für ein trostloser Ort«, sagte er.
Vor einem der Häuser tauchte ein uniformierter Polizist auf und winkte sie zu sich. Beim Näherkommen roch Birte das Feuer, das hier gebrannt haben musste.
»Ein Spaziergänger hat uns angerufen«, erklärte der Polizist. »Sein Hund hat ihn hierhergelockt.« Er verzog das Gesicht und deutete hinter sich.
Ein schmaler Flur, der mit Scherben übersät war, führte in das Haus. Der Geruch von Rauch und verbranntem Fleisch wehte ihnen entgegen. Therese stöhnte auf. In einem Raum, der vielleicht einmal die Küche gewesen war, jedenfalls gab es noch ein altes Spülbecken und einen Wasserhahn, der aus der Wand ragte, lag ein verkohlter Leichnam auf dem nackten rissigen Betonboden. Von dem Gesicht war nichts mehr zu erkennen; es war völlig verbrannt, doch Birte hatte sofort den Eindruck, dass da der Körper einer Frau vor ihnen lag, die jemand mit Benzin übergossen und in ihrer Kleidung, die auf der Haut geschmolzen war, angezündet hatte.
»Oh, wie schrecklich!«, stieß Therese aus, während Jan zwei Schritte näher trat und sich über den Leichnam beugte. Ein Taschentuch hielt er sich dabei vor den Mund.
»Da werden Schultke und seine Leute von der Technik viel Arbeit haben«, sagte er. »Und die Rechtsmedizin obendrein. Sieht aus, als hätte man die Frau in einer Daunenjacke verbrannt. Ein paar Fetzen sind noch zu erkennen und …« Er stockte. »Sogar die Hände. Sie gehören einer Frau, ganz sicher, das sind die Hände einer Frau.«
Therese stöhnte wieder auf, während Birte das Gefühl hatte, kaum noch Luft zu bekommen. Der Geruch von verbrannter Haut verursachte ihr Übelkeit.
Als ein Smartphone summte, griff sie in ihre Tasche. Max, dachte sie schuldbewusst, er schickte ihr eine SMS. In letzter Zeit fiel es ihm schwer, Verständnis dafür aufzubringen, dass sie von einem Moment auf den nächsten einen Einsatz haben konnte.
Aber es war Thereses Smartphone, das gesurrt hatte. Birte beobachtete, wie Therese auf das Display blickte.
Hinter ihren dicken Brillengläsern kniff sie die Augen zusammen, als fiele es ihr schwer, den Text zu lesen.
»Hat sich die verschwundene Rumänin gemeldet?«, fragte Birte.
Therese blickte auf und hielt ihr das nagelneue Smartphone hin.
»Liebe Therese«, stand da, »tut mir leid bin nach Hause. Vater krank Überraschung. Dank für immer Deine Julika.«
»Na, das ist doch eine gute Nachricht.«
Vor dem Haus konnte Birte endlich wieder durchatmen, obwohl der Brandgeruch immer noch sehr stark war. Sie sah, wie zwei Vans der Spurensicherung von der Straße abbogen und langsam auf das Haus zurollten.
»Nein«, sagte Therese leise und nachdenklich. »Das ist gar keine gute Nachricht. Die Nachricht stammt nicht von Julika. Sie hat keine Eltern mehr, nur noch Großeltern. Deshalb war sie ja in Sibiu geblieben. Nun beginne ich mir erst recht Sorgen zu machen. Kann man mein altes Telefon nicht orten? Geht so etwas nicht?«