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A. Wesen der Tat

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1. § 211 Abs. 1 bestraft den „Mörder“ und schließt in Abs. 2 eine Aufzählung derjenigen Tatmerkmale (!) an, die den Täter zum „Mörder“ stempeln. Es steht außer Zweifel, dass die Neufassung des § 211 1941 einen Versuchsballon darstellte, der die Reaktion von Praxis und Lehre auf die Einführung des normativen Tätertyps des Mörders registrieren sollte, obwohl die amtliche Begründung (DJ 41, 935) nur versteckt von der Notwendigkeit sprach, die „Gesamtpersönlichkeit“ des Täters stärker zu berücksichtigen. Die Reaktion verlief aber negativ. Wissenschaft und Rechtsprechung lehnten die ihnen implizit empfohlene Wendung zum Täterstrafrecht schon unter dem Nationalsozialismus ab[39]. Heute besteht vollends Einigkeit darüber, dass es allein um die Tat des Mordes geht; die häufig vertretene Forderung nach Würdigung der Gesamtpersönlichkeit hat nur noch dann Bedeutung, wenn (hier abgelehnt) den Tatbestandsmerkmalen des § 211 lediglich indizielle und widerlegbare Bedeutung beigemessen wird (vgl. u. 3).

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2. Einen Mord begeht, wer einen Totschlag unter bestimmten, vom Gesetz aufgezählten qualifizierenden Tatumständen ausführt. Diese Tatumstände gliedern sich schon nach dem (amtlichen!) Druckbild des § 211 in Beweggründe, Begehungsweisen und Absichten. Die Letzteren bilden mit den Ersteren die subjektiven Mordmerkmale (u. B 1), während die Begehungsweisen im Wesentlichen objektive Merkmale darstellen (u. B 2). Die Versuche, alle Mordmerkmale auf einen gemeinsamen Grundgedanken zurückzuführen, bleiben entweder („Verwerflichkeit“) sehr allgemein oder können (Gefährlichkeit[40]) nicht überzeugen[41]. Nach h.L. handelt es sich aber bei allen Mordmerkmalen um Tatbestandsmerkmale[42]. Hieraus folgt, dass die objektiven Merkmale vom Vorsatz des Täters umfasst (u. Rn. 43, 47, 48), dass die subjektiven Merkmale bewusstseinsdominant sein müssen (u. Rn. 40 ff.) und dass für Teilnehmer § 28 in Betracht kommt (u. Rn. 50 ff.).

Die Häufigkeit der Anwendung der Merkmale verteilte sich von 1945–1975 wie folgt (errechnet aus der Umfrage des BVerfG zur lebenslangen Freiheitsstrafe):

Mordlust 2%

Befriedigung des Geschlechtstriebs 7%

Habgier 31%

sonst. niedr. Beweggründe 52%

heimtückisch 39%

grausam 14%

m. gemeingefährl. Mitteln 0,2%

Absicht, Straftat zu ermöglichen

(21%) oder zu verdecken (16%) 37%

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3. Im Grundsätzlichen besteht darüber Einverständnis, dass es nicht um den Tätertyp des Mörders, sondern um die Tat des Mordes geht. Damit sind aber noch nicht alle Zweifel über die Tragweite der qualifizierenden Umstände ausgeräumt. Die hier auftauchenden Fragen laufen auf die Alternative hinaus: Muss beim Vorliegen eines der Mordmerkmale nach § 211 gestraft werden oder kann der Richter trotz Vorhandenseins eines solchen Merkmals gleichwohl den Tatbestand des Mordes verneinen, weil das Mordmerkmal mit einem der Privilegierungsgründe der §§ 213–216 zusammentrifft oder andere Gründe vorliegen, welche einer Qualifizierung der Tat als besonders verwerfliche Tötung entgegenstehen[43]? Die Entscheidung dieser Frage hängt eng mit dem Streit um die Natur des § 211 als einer unselbstständigen Qualifizierung des § 212 oder eines gegenüber dem Totschlag eigenständigen Verbrechens (s.o. Rn. 5) zusammen. Wissenschaft und Praxis stehen hier auf verschiedenen Standpunkten; freilich sind die Meinungsverschiedenheiten in Prinzip und Begründung größer als in den praktischen Ergebnissen.

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a) Die in der Lehre h.M.[44] ist der Auffassung, dass die Mordmerkmale nur symptomatische Bedeutung haben. Sie sollen der „Grundidee“ des Mordes unterliegen, indem sich aus ihnen indiziell die besondere Gefährlichkeit des Täters oder die Verwerflichkeit seiner Gesinnung ergibt. Wo in besonderen Ausnahmefällen (heimtückische Tötung aus achtenswerten Motiven; grausame Tötung aufgrund unverschuldeten Affekts; Tötung des Neugeborenen durch die uneheliche Mutter, um sich der Unterhaltspflicht zu entziehen) diese Symptomatik im Wege einer der Rechtsprechung obliegenden „Typenkorrektur“[45] entkräftet werden kann, gelte die Tat nicht als Ausdruck besonderer Rechtsfeindlichkeit, besonders verwerflicher Allgemeingesinnung oder besonderer Gefährlichkeit des Täters. Daher könne hier die Beurteilung nach § 211 durch eine solche nach den §§ 212–216 ersetzt werden[46]. Indes dürfen die verführerischen Perspektiven einer solchen „Typenkorrektur“ nicht den Blick für ihre Gefahren trüben. Denn zunächst besteht, wenn auch nicht die Zwangsläufigkeit, so doch die naheliegende Möglichkeit einer zum Täterstrafrecht hinführenden Persönlichkeitsforschung (a.M. Bockelmann aaO 309). Vor allem aber ist es ein Gebot der Rechtssicherheit, die Anwendung oder Nichtanwendung des einschneidendsten Tatbestandes unseres Strafrechts nicht von einer allein in die Hand des Richters gelegten Generalklausel der „Verwerflichkeit“ abhängig zu machen.

Weder zulässig noch sinnvoll erscheint es auch, das 1941 abgeschaffte Merkmal der Überlegung (s.o. Rn. 2) wieder zum – sei es auch nur kumulativen – Abgrenzungsfaktor zu machen[47].

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b) Der Praxis, die seit BGH 1, 368 die Eigenständigkeit des § 211 gegenüber den §§ 212 ff. vertritt, ist die Möglichkeit eines solchen Ausweichens in Grenzfällen verschlossen. Auch befürchtet sie nicht ohne Grund durch die Einführung einer solchen personenbezogenen Generalklausel eine „Gefährdung der klaren Abgrenzung des Mordtatbestandes“ (BGH-Gr.Sen.- 9, 389; 11, 143; 30, 115). Sie sieht daher in § 211 Abs. 2 keine symptomatisch-indiziellen Regelfälle, sondern die abschließenden Tatbestände des Mordes (BGH 11, 143): auch bei Konkurrenz der Mordmerkmale mit Privilegierungsgründen ist angesichts der Exklusivität des § 211 stets nach diesem zu strafen[48]. Indes ist diese Auffassung in ihrem Bestreben nach Rechtssicherheit perfektionistisch über das Ziel geschossen. Sie kommt bei der Konkurrenz qualifizierender und privilegierender Umstände (grausame oder heimtückische Tötung aufgrund unverdienter Kränkung, BGH 11, 139) zu untragbar harten Ergebnissen. Da diese aber auch ihr unerwünscht sind, versuchte sie, die krassesten Ergebnisse bis vor Kurzem ausschließlich durch einschränkende Auslegung der Mordmerkmale, insbesondere der Heimtücke, zu umgehen; auch immer größere Teile der Wissenschaft befolgten diesen Weg (s.u. B). Indes hat dieser Weg zuletzt die Mordmerkmale aufgelöst und ist auch nicht bei allen Mordmerkmalen gangbar.

c) BGH 35, 127 hat erwogen, die Verdeckungsabsicht (das gleiche müsste für die übrigen subjektiven Mordmerkmale gelten) als Sonderfall eines „niedrigen Beweggrundes“ anzusehen und damit einer wertenden Gesamtbetrachtung zu unterwerfen (s.u. Rn. 37). Diese Auffassung wurde jedoch vom Schrifttum überwiegend abgelehnt[49] und auch der BGH selbst ist ihr inzwischen entgegengetreten (NJW 96, 939).

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d) Auch ein übergesetzlicher Schuldmilderungsgrund[50] wurde vom BGH (NJW 78, 1336) und vom BVerfG (E 54, 100 m.abl.Anm. E.E. Hirsch JZ 80, 801) abgelehnt. Allerdings benutzt die Rechtsprechung offensichtlich § 21 als Ventil (Kreuzer ZRP 77, 51); auch die subjektive Teilnahmetheorie dient als Ausweg („Badewannen“-Fall RG 74, 84 m.Erl. Hartung JZ 54, 430; Staschynskij-Urteil BGH 18, 87; st.Rspr. zu NS-Taten).

e) 1981 hat schließlich der Gr.Sen. für die Heimtücke unter Berufung auf den Verfassungsgrundsatz der Verhältnismäßigkeit bei außergewöhnlichen Umständen, aufgrund welcher eine lebenslange Freiheitsstrafe unverhältnismäßig erscheint, eine analoge Anwendung des § 49 Abs. 1 Nr. 1 zugelassen (BGH 30, 105). Mit dieser krampfhaft originellen „Rechtsfolgenlösung“ streift die Rechtsprechung jede Bindung an das Gesetz ab, ersetzt die Dreistufigkeit der Tötungsdelikte durch eine Vierstufigkeit, löst das Problem nur unvollständig und schafft eine noch größere Unbestimmtheit, als sie dies den bisher vertretenen Auffassungen vorwirft[51]. Der BGH wird inzwischen die Geister, die er gerufen hat, nicht mehr los (s. näher u. Rn. 46).

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f) Keine dieser Auffassungen kann befriedigen. Es muss daher ein Ausweg gesucht werden, der sowohl dem Anliegen der Wissenschaft (gerechte Entscheidung im Einzelfall) als auch dem der Rechtsprechung (Wahrung der Rechtssicherheit) nachkommt. Dies führt zu einer Differenzierung.

aa) Soweit in der konkreten Handlung Mordmerkmale mit benannten Strafmilderungsgründen zusammentreffen (§§ 213 1. Alt., 216), ergibt sich die zutreffende Lösung aus der Tatsache, dass es sich bei ihnen um benannte Privilegierungen gegenüber dem § 212 handelt, die auch gegenüber der Qualifikation des § 212, nämlich dem § 211, die Sperrwirkung des milderen Tatbestandes ausüben, die unter „kommunizierenden Tatbeständen“ in Lehre und Rechtsprechung anerkannt ist, wobei die Streitfrage, ob diese Privilegierungen unselbstständige Abwandlungen des § 212 oder eigenständige Delikte sind, hier keine Rolle spielt. Es ist z.B. außer Streit, dass ein Haus- oder Familiendiebstahl (§ 247) stets nur auf Antrag verfolgbar ist, auch wenn unter den Voraussetzungen des § 244 begangen. Das für die verwandten Tatbestände §§ 242, 243–244–247, 248a bestehende Verhältnis gilt auch für das Verhältnis der §§ 212–211–216 und 213 1. Alt. (Affekttotschlag). Im Ergebnis schließt das Vorliegen eines nach diesen Strafdrohungen entlastend wirkenden Tatumstandes die qualifizierende Wirkung der in § 211 aufgeführten Tatbestandsmerkmale bedingungslos und schlechthin aus. Der Ausschluss vollzieht sich nach Konkurrenzgesichtspunkten und unter Beschränkung auf die Tat; einer Persönlichkeitsforschung bedarf es ebenso wenig wie einer Gesamtwürdigung der Verwerflichkeit der Tat. Daher haftet der Affekttotschläger (§ 213 1. Alt.) nach dem privilegierten Tatbestand auch bei besonders grausamer Tatbegehung, der auf Verlangen Tötende kann sich auf § 216 selbst dann berufen, wenn er gemeingefährliche Mittel anwendet[52].

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bb) Die Sperrwirkung des milderen Tatbestandes versagt aber bei § 213 2. Alt., da es sich bei den sonstigen minder schweren Fällen nicht um einen besonderen Tatbestand, sondern um eine bloße Strafzumessungsregel handelt. Hier bleibt das Problem in voller Schärfe bestehen: soll trotz der Exklusivfassung des § 211 ein minder schwerer Fall des Totschlags möglich sein (so im Ergebnis aufgrund der „Verwerflichkeitsklausel“ die Wissenschaft) oder kommt im Falle der Konkurrenz der Mordmerkmale mit einem sonstigen „minder schweren Fall“ gleichwohl nur § 211 zum Zuge? Hier kommt es darauf an, ob die belastenden (§ 211) und entlastenden (§ 213) Umstände in einem solchen Exklusivitätsverhältnis zueinander stehen, dass der eine den anderen ausschließt; ist dies der Fall, so ist nach dem Privilegierungstatbestand zu verurteilen. Durch einschränkende Auslegung der Mordmerkmale kommt die Rechtsprechung weitgehend zu gleichen Ergebnissen (BGH 9, 389). Daher trotz heimlicher Handlung keine „Heimtücke“, wenn der Täter das Opfer aus Mitleid tötete; in der Regel auch kein heimtückisches Handeln, wenn der Täter von entschuldbarer heftiger Gemütsbewegung ergriffen war (abw. BGH – Gr.Sen. – 11, 139). Ebenso neutralisiert das Mitleidsmotiv das Tatbestandsmerkmal der „grausamen“ Begehungsweise. Dagegen liegt keine Exklusivität der belastenden und entlastenden Umstände vor, wenn der Täter aus sittlicher Überzeugung tötet und die Tat mit gemeingefährlichen Mitteln begeht: hier Haftung nach § 211 (zust. Laber MDR 89, 861 ff.).

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