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B. Die Rechtswidrigkeit

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1. Innerhalb der Rechtfertigungsgründe spielt die Notwehr die praktisch bedeutsamste Rolle (s. AT § 26). Die Streitfrage, ob die Tötung in Notwehr durch Art. 2 Abs. 2 der Menschenrechtskonvention auf „die Verteidigung eines Menschen gegenüber rechtswidriger Gewaltanwendung“ beschränkt ist, sollte durch die Fassung des § 32 bewusst offengehalten werden[23]. Eine Rechtfertigung durch Notstand ist nicht möglich[24]; auch ein quantitatives Übergewicht der geretteten Menschenleben führt nicht zur Rechtfertigung (h.L.; zuletzt Küper JuS 81, 785). Aus dem Recht der Polizei- und Grenzschutzbeamten zum Waffengebrauch folgt noch nicht die Befugnis zur Tötung.

Das Ziel des polizeilichen Waffengebrauchs darf nur Angriffs- oder Fluchtunfähigkeit sein. Ein Handeln mit Tötungsabsicht kann demnach nur gerechtfertigt werden, wenn die Tötung das einzige Mittel darstellt, einen drohenden Angriff auf das Leben zu verhindern[25]. Bei Handeln mit bedingtem Tötungsvorsatz ist zu unterscheiden: War die Lebensgefährdung nach den Grundsätzen der Güterabwägung objektiv geboten oder vertretbar (Gefängnisrevolte, Flucht eines gefährlichen Gewaltverbrechers), so darf sie auch subjektiv samt ihren Folgen in Kauf genommen werden[26]. War demgegenüber die Gefährdung objektiv nicht vertretbar (Rückfalldiebstahl an einem geringwertigen Objekt; Flucht des nach Einschlagen einer Fensterscheibe zur Personalfeststellung Festgenommenen), so stehen bei Handeln mit bedingtem Tötungsvorsatz Tatbestand und Rechtswidrigkeit fest, und es kann allenfalls Strafmilderung oder Straflosigkeit nach den Regeln über den Verbotsirrtum eintreten (eingehend Blei JZ 55, 631). Nach h.L. sollen aber auch für Polizeibeamte die allgemeinen Notrechte gelten[27]; gegen diese Auffassung erhebt sich immer stärkerer Widerstand[28].

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2. Kaum noch übersehbar sind die Einzelfragen, die mit der rechtlichen Befugnis zur Tötung im Kriege zusammenhängen.

Gelegentlich wurde vorgeschlagen, schon die Tatbestandsmäßigkeit der „Kriegstötung“ als einer sozialadäquaten, von vornherein aus dem Rahmen fallenden Handlung zu verneinen. Im Grundsätzlichen hat der Gedanke manches für sich, aber entscheidende Abgrenzungsschwierigkeiten gegen sich zu buchen. Daher ist die Bejahung der Tatbestandsmäßigkeit und Prüfung der Rechtswidrigkeit mit ihrem klaren Entweder-Oder vorzuziehen, zumal in den zahlreichen Grenzfällen des Kriegsrechts.

Für die Beurteilung der im Kriege vorgenommenen, mit dem Kriegsgeschehen zusammenhängenden Tötungen ist es nach allgemeiner Auffassung belanglos, ob der Krieg selbst völkerrechtswidrig entfesselt, ein „verbotener Angriffskrieg“ war. Auch ein entgegen dem Völkerrecht begonnener Krieg löst die völkerrechtlichen Kriegswirkungen für und wider den einzelnen Kämpfer aus. Es kommt nur darauf an, ob sich die einzelne konkrete Kriegshandlung im Rahmen des Kriegsvölkerrechts hält. Ist dies der Fall, so tritt Rechtfertigung ein[29].

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Für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit der Tötung von Angehörigen des Kriegsgegners sind in erster Linie die für den Krieg geltenden Konventionen maßgebend; hilfsweise greift internationales Kriegsgewohnheitsrecht ein.

Praktisch von besonderer Bedeutung sind die Haager Landkriegsordnung (LKO) vom 18.10.1907 und die vier Genfer Abkommen vom 12.8.1949: a) über die Verbesserung des Loses der Verwundeten und Kranken der Streitkräfte im Felde; b) über die Behandlung der Kriegsgefangenen (im Zweiten Weltkrieg galt das entsprechende Abkommen vom 29.7.1929); c) zur Verbesserung des Loses der Verwundeten, Kranken und der Schiffbrüchigen der Seestreitkräfte; d) zum Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten. Im Anschluss an die Genfer Konferenz zur Weiterentwicklung des humanitären Völkerrechts wurden am 8.6.1977 zwei Zusatzprotokolle beschlossen.

Nicht rechtswidrig ist nach Konventions- und Gewohnheitsrecht die Tötung des bewaffneten Gegners im Zuge von Kriegshandlungen; dass sie in offenem Kampf erfolgt, ist nicht Voraussetzung, da Art. 24 LKO die Anwendung von Kriegslist gestattet. Verboten ist dagegen die „meuchlerische Tötung“ (Art. 23b LKO), deren Abgrenzung gegenüber der erlaubten Kriegslist allerdings schwierig ist.

Als erlaubte Kriegslist gilt z.B. die Entsendung von sog. Kommandounternehmungen in den Rücken des Feindes, Absetzung von Sabotagetrupps aus der Luft usw., jedoch unter der Voraussetzung, dass sie nationale Uniform tragen. Streitig, aber zu bejahen ist die Rechtmäßigkeit der Entsendung solcher Unternehmungen mit dem Auftrag, den feindlichen Befehlshaber zu töten (Ardennenoffensive 1944) – anders wieder, wenn Zivilpersonen für derartige Mordzwecke gedungen werden oder sich erbieten (Ablehnung des Plans zur Ermordung Napoleons durch England 1806).

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Rechtswidrig ist die Tötung eines die Waffen streckenden oder wehrlosen Feindes, der sich auf „Gnade oder Ungnade“ ergeben hat (Art. 23c LKO); es muss also grundsätzlich „Pardon gegeben“ werden; eine entgegenstehende allgemeine Erklärung ist rechtswidrig (Art. 23d LKO). Die Tötung sich bedingungslos Ergebender oder bereits Gefangener wird durch keinerlei Kriegsräson gedeckt.

Insbesondere dürfen Gefangene auch dann nicht getötet werden, wenn ihr Abtransport ins rückwärtige Gebiet die Kräfte der Gewahrsamsmacht gefährden würde. In einer belagerten Festung oder in einem Kessel befindliche Gefangene dürfen nicht als „unnütze Esser“ beseitigt werden (Fall der Festung Przemysl 1915). Ebenso wenig dürfen Kriegsgefangene zu Repressalienzwecken getötet werden (Art. 13 Abs. 3 des Genfer Kriegsgefangenenabkommens vom 12.8.1949; Art. 2 des entsprechenden Abkommens vom 29.7.1929), auch nicht wegen Verletzungen des Kriegsgefangenenrechts selbst (Berber aaO 152). Straftaten Kriegsgefangener rechtfertigen nicht ihre Tötung durch Anwendung von Verfolgungs- oder Vergeltungsmaßnahmen (RMG 21, 69; BGH 2, 335). Geworbene oder gepresste „Fremdarbeiter“ stehen Kriegsgefangenen grundsätzlich gleich; daher war ihre Tötung weder nach Repressaliengrundsätzen („tu quoque“ – Vergeltung für den Bombenkrieg) noch zur Vorbeugung von Gewalttätigkeiten, die der deutschen Bevölkerung von ihrer Seite drohen konnten, rechtmäßig (BGH 15, 214).

Bei abspringenden oder landenden Flugzeugbesatzungen ist zu unterscheiden, ob der Absprung zu Kampfzwecken oder zwecks Ergebung erfolgt; allerdings ist die tatsächliche Feststellung ex ante kaum möglich (näher Berber aaO 168). Liegt eine Notlandung vor und wollen die Landenden sich erkennbar ergeben, so sind sie nach Art. 23c LKO zu behandeln.

Generelle „Vernichtungsbefehle“ sind auch hier in jedem Falle unzulässig. Die in der letzten Phase des Krieges häufig vorgekommenen „spontanen Tötungen“ der abgesprungenen Besatzungen waren rechtswidrig und, sofern durch Zivilistengruppen durchgeführt, als Akt verbotener Freischärlerei zu behandeln.

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Die friedliche Zivilbevölkerung steht unter dem Schutz des Kriegsrechts (Art. 46 LKO). Die Tötung von Angehörigen der Zivilbevölkerung ist grundsätzlich verboten. Sie wird erlaubt gegenüber denjenigen Zivilisten, die sich entgegen den Regeln der Art. 2 und 3 LKO (Levée en masse und Bildung anerkannter Freiwilligenkorps) am Kampf beteiligen: Ein solches Verhalten lässt sowohl den Schutzanspruch nach Art. 46 LKO als auch das Recht entfallen, als Kombattant gefangen genommen zu werden.

Sehr streitig ist die Beurteilung des Partisanenkrieges. Allgemeine Regeln lassen sich schon deshalb nicht aufstellen, weil die Partisanenkriegsführung sich einheitlicher Bewertung entzieht: sie reicht vom einzelnen, nicht organisierten und als Zivilperson getarnten Widerstandskämpfer bis zur geschlossenen militärischen Organisation, die sich von der Fronttruppe nur dadurch unterscheidet, dass sie im Rücken des Feindes kämpft. Als Zivilpersonen getarnte Partisanen stehen grundsätzlich außerhalb des Kriegsrechts. Bei den anderen Gruppen wird Kombattanteneigenschaft vielfach deshalb entfallen, weil sie unter Verletzung des Art. 1 Ziff. 4 LKO (Beobachtung der Gebräuche des Krieges) kämpfen[30]. Partisanen dürfen ihrerseits ohne Gerichtsurteil nur im Zuge von Kampfhandlungen getötet werden (BGH 23, 105).

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Die Beurteilung des gegen die Zivilbevölkerung geführten Bombenkrieges leidet am Fehlen spezieller Konventionen. Grundsätzlich ist auch die Luftkriegsführung an die allgemeine Regel des Art. 25 LKO gebunden. Hiernach ergeben sich folgende Regeln:

Zulässig ist das Luftbombardement von Ortschaften mit Zivilbevölkerung, wenn die Aktion durch das Ziel der Vernichtung kriegswichtiger Anlagen gerechtfertigt ist; die damit verbundene Tötung von Angehörigen der Zivilbevölkerung ist selbst dann nicht rechtswidrig, wenn dieser Erfolg nicht nur für möglich gehalten, sondern auch als notwendig in Rechnung gestellt wurde. Unzulässig sind Luftangriffe, welche sich allein oder überwiegend gegen das Leben der friedlichen Bevölkerung richten (Terrorangriffe); auch hier hat Güterabwägung zu gelten.

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Stark umstritten ist auch das Recht der Tötung von Sicherheitsgeiseln und als Repressalie gegen kriegsrechtswidrige Tötungen der eigenen Soldaten. Das Recht der Geiselnahme war durch die LKO nicht ausgeschlossen. Zur Effektivität der Geiselnahme gehörte das Recht der Erschießung derselben bei Friedensbrüchen; einzelne nationale Kriegsführungsregeln (so z.B. § 358d der „Rules of land warfare“ der Vereinigten Staaten) sehen ein entsprechendes Recht ausdrücklich vor. Allerdings musste sich die Repressalie in einem erträglichen Verhältnis zu der auslösenden Tat halten; ein krasses Missverhältnis verletzte das Verbot der Kollektivhaftung der Zivilbevölkerung nach Art. 50 LKO. Eine Vertuschung der Tötung oder der Urheberschaft der Besatzungsmacht schloss den für die Repressalie begriffsnotwendigen Beugezweck aus (BGH NJW 61, 373; BGH 23, 107). Die Genfer Konventionen von 1949 schließen auch das Recht der Geiselnahme aus; die Verwendung von Kriegsgefangenen als Sicherheitsgeiseln war schon durch das Kriegsgefangenenabkommen vom 29.7.29 untersagt (s.o. Rn. 13). BGH 49, 189 (Fall Engel) hat die Repressalienerschießung für zwar im 2. Weltkrieg erlaubt, „nach geläuterter Rechtsauffassung“ aber rückwirkend (!) für rechtswidrig erklärt[31].

3. Infolge des modernen internationalen Terrorismus verschwimmen die Grenzen zwischen Kriegs- und Polizeirecht (Waechter JZ 07, 61). Das BVerfG hat die Zulässigkeit des Abschusses eines von Terroristen gekaperten und als Angriffsmittel eingesetzten Zivilflugzeugs nach dem Muster den Angriffs auf das World Trade Center in New York am 11.9.2001 (§ 14 Abs. 3 LuftsicherheitsG) für mit dem Recht auf Leben nach Art. 2 Abs. 1 GG unvereinbar erklärt[32].

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4. Für die Rechtfertigung von Tötungen zur Durchsetzung des militärischen Gehorsams galt während des letzten Krieges neben den Rechtfertigungsgründen des allgemeinen Strafrechts das Befehlsnotrecht des § 124 MilStGB, das einen Vorgesetzten in Fällen äußerster Not und dringendster Gefahr zur Tötung eines befehlsverweigernden Untergebenen berechtigte. Das heutige Wehrrecht enthält keine ausdrücklichen Bestimmungen. Nach § 10 Abs. 5 SoldatenG ist der Vorgesetzte berechtigt, seine Befehle in einer den Umständen angemessenen Weise durchzusetzen. Eine Befugnis des Vorgesetzten zur Selbstjustiz nach Abschluss der Tat besteht dagegen nicht (OLG Stuttgart HESt 1, 21).

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5. Umstritten war, ob sich Angehörige der Grenztruppen der DDR, die an der Zonengrenze gezielt tödliche Schüsse auf „Republikflüchtige“ abgegeben haben, zu ihrer Rechtfertigung auf das Passgesetz der DDR vom 11.12.57 und die dort geltenden Schusswaffengebrauchsbestimmungen berufen können[33]. Der Befehl, im Grenzbereich sofort zu schießen, kann in der Bundesrepublik nicht als Rechtfertigungsgrund anerkannt werden, da er dem Kernbereich des Rechts und § 95 StGB-DDR selbst widersprach und überdies – wie die nationalsozialistischen Geheimbefehle (s.o. § 1 Rn. 42, § 2 Rn. 8) – nicht veröffentlicht worden ist[34]. Da die Grenzsoldaten jedoch im Befehlsnotstand oder (vermeidbaren) Verbotsirrtum handelten (BGH 39, 32; NJW 94, 2711), musste auch der Flüchtling bei einer Gegenwehr den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten (Schroeder JZ 74, 114; NJW 78, 2577). Die Mitglieder des Nationalen Verteidigungsrates der DDR (BGH 40, 218 m. Anm. Schroeder) und des Politbüros des ZK der SED (BGH 45, 270) waren „Täter hinter dem Täter“.

6. Zu der – auch Fragen der Kausalität und der Risikoerhöhung umgreifenden – Problematik von Arzneimitteltests Fincke, Arzneimittelprüfung, 1977 (Kurzfassung NJW 77, 1094).

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