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2. Die objektiven Merkmale (Begehungsweise)
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a) Das Merkmal „heimtückisch“ kennzeichnet eine besondere Gefährlichkeit des Angriffs; der Täter überrascht das Opfer in einer hilflosen Lage und hindert es dadurch daran, dem Anschlag zu begegnen oder ihn wenigstens zu erschweren (BGH 33, 365; 39, 368; kritisch Otto JR 91, 382). Heimtückisch handelt der Täter, wenn er in feindlicher Willensrichtung die Arg- und Wehrlosigkeit des Opfers bewusst zur Tötung ausnutzt (BGH 9, 385; 32, 382). Herbeiführung oder Bestärkung der Arg- und Wehrlosigkeit wird nicht vorausgesetzt (BGH 18, 88; NStZ 06, 338).
aa) Arglos ist, wer bei Beginn der Tötungshandlung nicht mit einem Angriff auf sein Leben oder einem erheblichen Angriff auf seine körperliche Unversehrtheit rechnet (BGH NStZ 93, 341). Nähert sich der Täter dem Opfer in offen feindseliger Haltung, liegt keine Arglosigkeit vor, auch wenn das Opfer keinen Angriff auf sein Leben erwartet (BGH 20, 301)[104]. Entscheidend ist dabei der Beginn des Versuchs (BGH 32, 382 m. Anm. M.K. Meyer JR 86, 133; BGH NJW 91, 1963). Andererseits wird die Arglosigkeit des Opfers noch nicht stets dadurch ausgeschlossen, dass es nur mit einem tätlichen Angriff rechnen muss (BGH GA 67, 244).
Die die Arglosigkeit noch weiter einschränkende Rechtsprechung (BGH 27, 322; zust. Rengier MDR 79, 974) ist von BGH – Gr. Sen. – 30, 113 und BGH 33, 363 zurückgewiesen worden[105]. Nach Beendigung der offenen feindseligen Auseinandersetzung tritt die Arglosigkeit wieder ein (BGH 28, 210; 39, 368: Erschießung eines bereits gestellten Flüchtlings an der Mauer). Andererseits bejaht der BGH in der letzten Zeit einen „Dauerargwohn“ (NJW 06, 1008 m. Anm. Küper JZ 06, 609; NStZ 08, 273).
BGH 48, 207 hat bei der Tötung eines drohenden Erpressers in „normativ orientierter einschränkender Auslegung“ wegen der „Wertungsgleichheit mit dem Notwehrrecht“ eine „Tücke“ und damit eine Arglosigkeit abgelehnt[106]. Das Urteil enthält jedoch in Wahrheit eine Fiktion der Arglosigkeit oder eine Verwirkung des Schutzes durch die Mordvorschrift[107].
bb) Erforderlich ist eine Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit (BGH 19, 321); doch wird die Wehrlosigkeit von der Rechtsprechung auf die starke Einschränkung der natürlichen Abwehrbereitschaft und Abwehrfähigkeit infolge der Arglosigkeit eingeschränkt (BGH GA 71, 113). Daher ist eine allgemeine Vorsicht und der Schutz durch eine Waffe und Leibwächter unbeachtlich (BGH 18, 87). Hat umgekehrt das Opfer aus Argwohn eine Waffe bei sich, so scheidet selbst bei Unzulänglichkeit Wehrlosigkeit aus (BGH GA 67, 244). Treuherzig erscheint die Ablehnung der Wehrlosigkeit bei „nicht gänzlich aussichtsloser Möglichkeit, auf den Täter verbal einzuwirken“ (BGH NStZ 09, 29 m. abl. Anm. Puppe 208).
cc) Es reicht, dass die Heimtücke in den Vorkehrungen liegt, die der Täter zur Herbeiführung einer günstigen Tötungsmöglichkeit ergreift; lockt der Täter sein Opfer nach einem wohlüberlegten Plan mit Tötungsvorsatz in einen Hinterhalt und tritt er ihm daraus in offen feindlicher Haltung gegenüber, so ist Heimtücke zu bejahen[108], ebenso wenn das Opfer die Gefahr erst so spät erkennt, dass ihm keine Abwehrmöglichkeit bleibt[109]. Das Erfordernis der „Ausnutzung“ der Arg- und Wehrlosigkeit wird von BGH NStZ 84, 507; 85, 216; 87, 173 praktisch aufgegeben. Das Bestehen eines besonderen Vertrauensverhältnisses ist nicht erforderlich (BGH 7, 218), jedoch in der Regel Indiz heimtückischer Begehung[110].
Für Beschränkung der Heimtücke auf „tückisches“ Verhalten i.S. des Missbrauchs sozialpositiver Verhaltensmuster M.-K. Meyer JR 79, 485; Lackner NStZ 81, 349; Spendel JR 83, 272; s.a. BGH 23, 121; 48, 211; NStZ 06, 339. Veh aaO 171 definiert die Heimtücke als Ausdruck der Verschlagenheit, Schmoller ZStW 99, 389 als dem Opfer nicht erkennbare Tatvorbereitung. Eingehend zu alternativen Heimtückekonzeptionen Schneider MK 150 ff.
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dd) Problematisch ist die Heimtücke gegenüber Personen, die konstitutionell arg- und wehrlos sind, nämlich Kleinkinder, Bewusstlose, Schlafende. Die grundsätzliche Bestimmung der Heimtücke als Ausnutzung der Wehr- und Arglosigkeit müsste hier stets zur Bejahung des § 211 führen (so Dreher MDR 70, 248). Der BGH verlangt dagegen mit Recht eine Argwohn- und Verteidigungsfähigkeit des Opfers und verneint sie bei Kleinkindern (BGH 4, 11) und Bewusstlosen[111]. Diese Grundauffassung schränkt der BGH allerdings wieder erheblich ein. Eine Heimtücke durch Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit von schutzbereiten Dritten bleibt möglich (BGH 4, 11; NStZ 08, 93). Ferner soll bereits bei einem drei Wochen alten Kind, wenn ihm ein Schlafmittel zur Vermeidung des Ausspeiens unter die Nahrung gemischt wird, eine „Ausschaltung des natürlichen Abwehrinstinkts“ gegeben sein (BGH 8, 216; krit. auch BVerfGE 45, 266). Ein Schlafender „nimmt die Arglosigkeit in der Regel mit in den Schlaf“ (BGH 23, 121; StV 81, 253; NStZ 07, 524). Mit Recht lehnt der BGH jedoch die Einbeziehung der Ausnutzung der Arglosigkeit schutzbereiter Dritter in Fällen bloßer Hilflosigkeit, z.B. bei Kriegsgefangenen, ab (BGH 18, 38).
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ee) Bei heimtückischer Begehungsweise liegen gelegentlich schuldmindernde Beweggründe vor. Handelt „heimtückisch“ der Vater, der seinen geistig schwerbehinderten 20jährigen Sohn im Schlaf umbringt, um ihn von seinem unglücklichen Leben zu befreien? Kann von Heimtücke die Rede sein, wenn der Ehemann seine schlafende Frau mit in den Tod nimmt, um ihr Not und Schande zu ersparen? Für die in der Wissenschaft h.L. (o. Rn. 25) sind diese Fälle unproblematisch, da die Heimtücke als Indiz einer unwertigen Täterpersönlichkeit hier entfällt. Nach der von der Rechtsprechung und dem Text vertretenen Auffassung ist dieser Weg ungangbar. Eine Lösung bietet die von BGH (Gr.Sen.) 9, 385 gegebene Auslegung des Heimtückebegriffes: Heimtücke verlangt eine dem Opfer feindliche Willensrichtung des Täters, die bei achtenswerten Motiven regelmäßig fehlen wird[112], jedoch – anders als der niedrige Beweggrund (s.o. Rn. 41) – nicht dominant zu sein braucht (BGH NStZ 06, 338). BGH 37, 376 (Tötung von todkranken Patienten auf der Intensivstation aus Mitleid) verlangt eine normative Wertung der Willensrichtung, eine objektive Nachvollziehbarkeit der Wertung des Täters[113]. Sie fehlt bei entgegenstehendem Willen des Opfers (BGH NStZ-RR 00, 327). Bei Fehlen einer feindseligen Willensrichtung führt eine objektiv heimtückische Begehung wegen der Schonung des Opfers sogar zu einem minder schweren Fall nach § 213 (BGH StV 81, 124).
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Schließlich hat die Rechtsprechung bei außergewöhnlichen Umständen, aufgrund derer eine lebenslange Freiheitsstrafe unverhältnismäßig erscheint, § 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB analog angewendet (BGH 30, 105; s. schon o. Rn. 27). In Betracht kommen Taten, die durch eine notstandsnahe, ausweglos erscheinende Situation motiviert, in großer Verzweiflung, aus tiefem Mitleid oder in gerechtem Zorn aufgrund einer schweren Provokation verübt sind, sowie Taten, die durch einen vom Opfer verursachten und ständig neu angefachten, zermürbenden Konflikt oder schwere Kränkungen durch das Opfer, die das Gemüt immer wieder heftig bewegen, verursacht sind. Anerkannt wurden: Tötung des Onkels nach Vergewaltigung der Ehefrau mit der Folge eines Scheidungsversuchs und mehrerer Selbstmordversuche, weiteren Beleidigungen und Todesdrohung (BGH 30, 105); Tötung des Ehebrechers nach Beleidigungen durch die Ehefrau vor anderen und Gerüchten über Tötungspläne von dessen Seite (BGH NStZ 82, 69), Ablauf von 60 Jahren seit der Tat (Ermordung eines Polizisten im Jahre 1931 auf dem Berliner Bülow-Platz durch den späteren DDR-Minister für Staatssicherheit Erich Mielke, BGH 41, 72), vorweggenommene Notwehr (BGH NStZ 95, 231). Für nicht ausreichend erachtet wurden: nichteheliche Geburt, schwere Jugend und Wohnungsverbot durch den Stiefvater nach jahrelangen Demütigungen (BGH MDR 82, 1033); jahrelange Gewalttätigkeiten und Demütigungen durch den Ehemann (BGH NStZ 84, 20); Tötung des früheren Geliebten der Ehefrau durch einen unter dem Anspruch der Virginität erzogenen Ausländer (BGH MDR 82, 1033); Tyrannei des Ehemanns bei Möglichkeit des Auszugs aus der Wohnung (BGH NStZ 05, 154); rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerung (BVerfG NStZ 06, 680). Die analoge Strafmilderung darf erst erfolgen, wenn die vorher erwähnten Einschränkungen, die Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe sowie die gesetzlichen Milderungsgründe nach eingehender Prüfung nicht zum Zuge kommen[114].
ff) Für den subjektiven Tatbestand genügt bloße Kongruenz: die bewusste „Ausnutzung“ der Arglosigkeit usw. liegt schon darin, dass der Täter sie kennt und sein Handeln danach einrichtet[115]. Eine diesbezügliche Absicht (dagegen mit Recht BGH 22, 80; NJW 67, 1141) oder gar darüber hinausgehende Tendenz, insbesondere ein verwerflicher Beweggrund, sind nicht zu verlangen.
Bei hochgradiger Erregung und plötzlich aufsteigender Wut schließt die Rechtsprechung eine bewusste Ausnutzung der Arg- und Wehrlosigkeit aus[116].
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b) Die zweite objektive Qualifikation des Mordes ist die grausame Begehung[117]. Grausam tötet, wer dem Opfer besonders starke Schmerzen oder Qualen körperlicher oder seelischer Art aus gefühlloser oder unbarmherziger Gesinnung zufügt (BGH 3, 264); da auch die Zufügung besonderer psychischer Qualen (Ängstigung, Hinauszögerung des Tötungsaktes usw.) genügt, ist Mord auch dann gegeben, wenn die Tötung selbst schmerzlos, z.B. durch einen sofort tödlichen Schuss erfolgt (OGH 2, 179; BGH NJW 51, 666; BGH 49, 195 zu Vergeltungsmaßnahmen im 2. Weltkrieg). Abwegig erscheint die Auffassung der Rechtsprechung, wonach die Grausamkeit verlangt, dass die zugefügten Schmerzen über das zur Tötung Erforderliche hinausgehen, und gar bei einer Hervorrufung durch Gegenwehr entfällt[118]. Durch eine herabgesetzte Empfindungsfähigkeit des Opfers, z.B. Halbohnmacht, wird das Merkmal der Grausamkeit nicht ausgeschlossen (OGH HESt 2, 277). Dass ein einjähriges Kind das Verhungern und Verdursten als besonders starke körperliche und seelische Leiden empfindet, ist gesicherte Erkenntnis (BGH MDR/D 74, 14). Grausames Verhalten nach der den Tod verursachenden Handlung genügt ebenso wenig (BGH 37, 40; abl. Walther NStZ 05, 664) wie solches vor Fassung des Tötungsvorsatzes (BGH NStZ 86, 265). Auch Handlungen von kürzerer Dauer scheiden aus (BGH NStZ 08, 29 m. Anm. H. Schneider). Beim Unterlassen kann es an der von § 13 verlangten Gleichwertigkeit fehlen[119].
Da die Verursachung besonders starker Schmerzen oder Qualen objektives Tatbestandsmerkmal ist, entfällt der Vorsatz, wenn der Täter versehentlich ein derart wirkendes Mittel verwendet. Die gefühllose oder unbarmherzige Gesinnung ist aus den Tatumständen und aus der Persönlichkeit des Täters zu entnehmen[120]. Sie ist mit anderen Beweggründen (s. Rn. 30 ff.) vereinbar (BGH NJW 88, 2682), kann aber bei notstandsähnlichen Motiven oder beherrschendem Einfluss eines anderen fehlen (BGH NStZ 82, 379).
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c) Einen Mord begeht schließlich, wer einen Totschlag mit gemeingefährlichen Mitteln vollführt. Qualifikationsgrund ist die besondere Rücksichtslosigkeit des Täters, der zur Begehung des Verbrechens Naturgewalten mit konkreter Gefährdung unbeteiligter Werte, insbesondere von Menschenleben, entfesselt[121]. Wie bei den §§ 314, 323c (s. Tlbd. 2, § 50 Rn. 13) bedarf es auch bei § 211 der gleichen abstrakten Gefahr für einen unbestimmten Güterkreis unter Einbeziehung in den Vorsatz des Täters. BGH NJW 85, 1477 lässt die konkrete Gefährdung von zwei Menschen genügen, weil unbestimmt viele hätten anwesend sein können[122]. Die Gemeingefährlichkeit bestimmt sich nicht technisch-absolut nach der Eignung des Mittels, sondern persönlich relativ nach den Fähigkeiten des Täters: die vom Polizisten gezielt einsetzbare Maschinenpistole gerät in der Hand des Unkundigen außer Kontrolle und wird daher gemeingefährlich (Maurach JuS 69, 255). Dagegen macht die Möglichkeit einer aberratio ictus eine Schusswaffe auch dann nicht zum gemeingefährlichen Mittel, wenn der Täter sie bewusst in Kauf nimmt (BGH 38, 353). Ein Kfz wird zum gemeingefährlichen Mittel, wenn der Täter unberechenbar durch eine Menschenmenge fährt (BGH NStZ 06, 167) oder in Selbsttötungsabsicht Beifahrer oder andere Verkehrsteilnehmer mitgefährdet (BGH NStZ 06, 503; 07, 330). Eine bloße Ausnutzung einer gemeingefährlichen Situation und damit ein Unterlassen genügen nicht (BGH 34, 14; 48, 149).
BGH 34, 13 will die Ingerenzhaftung nicht für gemeingefährliche Mittel gelten lassen (fahrlässige Inbrandsetzung eines Wohnhauses)[123].