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1. Die subjektiven Merkmale (Motive und Absichten)
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Mordlust, Befriedigung des Geschlechtstriebs und Habgier werden vom Gesetz ausdrücklich („sonst“) als niedrige Beweggründe angesehen. Auch die Ermöglichungs- und Verdeckungsabsicht ist ein Unterfall der niedrigen Beweggründe[53]. Daher kann bei Nichterfüllung der speziellen Beweggründe immer noch die Generalklausel eingreifen (s.u. Rn. 32, 35). Außerdem wirkt es sich bei der Teilnehmerhaftung aus (s.u. C). Andererseits kann hier und bei der Habgier der „Beweggrund“ nicht als Endzweck verstanden werden (s.u. Rn. 33). Die subjektiven Mordmerkmale beruhen vornehmlich auf dem Prinzip des Missverhältnisses von Mittel und Zweck (Schroeder JuS 84, 277)[54].
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a) Die Tötung aus Mordlust spielt bislang – obwohl im Gesetz an erster Stelle genannt – eine subsidiäre Rolle (s.o. Rn. 23). Allerdings weist dieses Mordmerkmal den logischen Fehler des „idem per idem“ auf. Die Umschreibung als „unnatürliche Freude an der Vernichtung eines Menschenlebens“ (BGH NJW 53, 1440) ist wenig realistisch; die Tötung zum Nervenkitzel oder Zeitvertreib reicht aus[55]. Darüber hinaus wird man jede Tötung ohne jeden Anlass oder aus offensichtlich unmaßgeblichem Anlass auf Mordlust zurückführen müssen; Mordlust liegt vor, wenn der Tod der einzige Zweck der Tat ist[56]. Auch bei manchen Todesurteilen im Dritten Reich wird die Mordlust zu bejahen sein. Die „seelische Grundlage“ der Mordlust, d.h. die Frage der Persönlichkeitsadäquanz, ist auch hier ohne Bedeutung (BGH NJW 53, 1440). Mordlust ist nur bei Tötungsabsicht, nicht bei bedingtem Tötungsvorsatz denkbar (BGH MDR/D 74, 547).
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b) Die Tötung zur Befriedigung des Geschlechtstriebs geht über den engeren Begriff des Lustmords hinaus[57]. Ein solcher wird im strengen Sinne nur angenommen, wenn der Täter sich durch den Tötungsakt als solchen sexuelle Befriedigung verschaffen will. Demgegenüber umfasst die vorliegende Vorschrift auch die Fälle, in denen der Täter tötet, um anschließend nekrophile Akte vorzunehmen (OGH 2, 377; BGH 7, 353) oder sich durch ein Video von der Tötung und die dabei gewonnenen Eindrücke zu befriedigen (BGH 50, 80 87 f.)[58], oder in denen der Tod des Opfers sonst die Folge des auf Befriedigung gerichteten Verhaltens, insbesondere einer Vergewaltigung, ist; in diesem Fall genügt bedingter Vorsatz[59]. Der Umstand, dass die Absicht der bloßen Erregung der Geschlechtslust nicht ausreicht, ist zwar an sich eine Insuffizienz des Gesetzes, aber dadurch unschädlich, dass vielfach Tötung aus Mordlust, regelmäßig aber aus „sonstigen niedrigen Beweggründen“ angenommen werden kann (h.M.). Weder der Wortlaut noch der Zweck des Merkmals verlangen, dass die Befriedigung der Geschlechtslust an dem Opfer der Tötung erfolgt; die Tötung eines Beschützers reicht aus (a.A. BGH GA 63, 84 und h.L.). Erforderlich ist aber ein unmittelbarer Zusammenhang, sodass die Tötung eines Nebenbuhlers ausscheidet (Rissing-van Saan/Zimmermann LK 16).
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c) Ein weiteres qualifizierendes Tatmotiv ist das Handeln aus Habgier, d.h. aus einem rücksichtslosen Gewinnstreben. Es entscheidet dabei weder die Vermögensvermehrung (habgierig handelt daher auch, wer einen anderen tötet, um sich einer Unterhaltspflicht zu entziehen – BGH 10, 399 – oder wer seinen drängenden Gläubiger umbringt[60]), noch kommt es darauf an, ob der erstrebte Vorteil dem Täter rechtens zustand[61]. Bei geringwertigen Gegenständen kommt das für das Merkmal maßgebliche Missverhältnis zwischen Mittel und Zweck (s.o. Rn. 30) besonders deutlich zum Ausdruck (BGH 29, 327; Schroeder JuS 84, 275). In Ausnahmefällen kann das Vorliegen einer „notstandsähnlichen“ wirtschaftlichen Notlage trotz Gewinnstrebens die „Habgier“ ausschließen[62]. Andererseits braucht das Handeln „aus Habgier“ nicht Produkt kalter Berechnung zu sein; auch Affekthandlungen können aus Habgier begangen werden (OGH 1, 165). Die Habgier braucht nicht der Endzweck der Tötung zu sein[63] (zum Motivbündel s.u. Rn. 41). Hauptfälle des Handelns aus Habgier sind der sog. Raubmord (u. § 35 Rn. 36 ff.) und der Auftragsmord durch einen sog. „Bravo“[64]. Für den Raubmord wäre das Merkmal allerdings gar nicht erforderlich, da hier die Tötung zugleich der Ermöglichung einer Straftat (s.u. Rn. 34) dient[65]! Auf die Erforderlichkeit der Tötung für die Vermögenserlangung („funktionaler Zusammenhang“) kommt es nicht an (BGH NStZ 04, 441).
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d) Einen Mord begeht, wer zur Ermöglichung oder Verdeckung einer anderen Straftat tötet. Die Tatsache, dass die Strafschärfung bei dem Verdeckungsmord an eine Selbststrafvereitelung geknüpft wird, die wegen der notstandsähnlichen Situation straflos ist (s. Tlbd. 2 § 100 Rn. 22), macht die Bestimmung nicht verfassungswidrig[66]. Strafgrund sind nach der Rspr. die hohe Gefährlichkeit und die besonders verwerfliche Gesinnung (BVerfGE 45, 265), die Verknüpfung von Unrecht mit weiterem Unrecht durch den Täter (BGH 41, 8 m. Anm. Saliger StV 98, 19 und Küper JZ 95, 1158). Der besondere Schutzzweck der Verhinderung des starken Antriebs zum Selbstschutz verlangt sogar besondere Zurückhaltung bei der Annahme, dem Täter sei die Verdeckung bei der Tat nicht bewusst gewesen (s.u. Rn. 40), er habe diese Tötungsfolge verdrängt; ein gedankliches Mitbewusstsein reicht aus (BGH NStZ 99, 554 m. Anm. Momsen JR 00, 29).
Sieht man mit der h.L. das Rechtsgut dieser Qualifikation in der Strafverfolgung (umfassende Nachw. bei La/Kühl 12), so erscheint diese Qualifikation als weitere „Straftat gegen die Durchsetzung des Strafrechts“ (s. Tlbd. 2, §§ 92 ff.).
aa) „Straftat“ ist hier im weiten Sinn, d.h. einschließlich der Ordnungswidrigkeiten, zu verstehen, da der Grund der Strafschärfung nicht in der kriminellen Absicht, sondern dem Missverhältnis zwischen Mittel und Zweck (s.o. Rn. 30) liegt, das hier in besonderem Maße gegeben ist, und der Begriff „Strafrecht“ in älteren Vorschriften (z.B. Art. 74 Abs. 1 Nr. 1 GG) die erst später verselbstständigten Ordnungswidrigkeiten umfasst (a.A. BGH 28, 93)[67]. Die Tötung zur Verdeckung eines nur ansehensabträglichen Verhaltens wird von der Rechtsprechung als niedriger Beweggrund (s.u. Rn. 37) angesehen[68].
bb) Es genügt die Straftat eines anderen (BGH 9, 180 m. Anm. Dreher MDR 56, 499), ferner ein bloßer Versuch (BGH 2, 22). Weiter folgt aus der reinen Absichtsfassung des Tatbestandes, dass die Tat, deren Begehung der Mord ermöglichen soll, nicht begangen zu werden, ja nicht begehbar zu sein braucht, und dass die Tat, die durch den Mord verdeckt werden soll, auch nur in der Einbildung des Täters existieren kann. Es genügt, dass der Täter sich die Taten als strafbar und verfolgbar vorstellt (BGH 11, 226 m.Anm. Stratenwerth JZ 58, 545; BGH 28, 93; einschränkend Eser/Sternberg-Lieben S/S 33). Die abweichende Auffassung (OGH 1, 190; Eb. Schmidt DRZ 49, 246), die beim „Verdeckungstatbestand“ die Begehung der Tat als objektives Tatbestandsmerkmal betrachtet, kommt zu unhaltbaren Ergebnissen: bei irriger Annahme einer Straftat trotz Tötung nur Versuch des § 211. Umgekehrt entfällt der Tatbestand, wenn der Täter die Tat nicht für strafbar hält (NStZ 98, 353) oder es dem Täter nicht auf den strafbaren Gehalt ankam[69]. Von praktischer Bedeutung sind Tötungen zur Ermöglichung der Wegnahme oder Unterschlagung einer Sache („Raubmord“, vgl. u. § 35 Rn. 36 ff.), Tötungen zur Beseitigung von Tatzeugen, darunter auch verletzten Verkehrsopfern (BGH VRS 23, 207), aber auch Tötungen zum Zweck eines Versicherungsbetrugs (BGH 46, 80), beschimpfenden Unfugs an der Leiche oder der Verbreitung von Videos der Tötung (BGH 50, 80, 88 – „Kannibale von Rotenburg“, s.o. Fn. 151).
Obwohl mit dem Wortlaut schwer vereinbar, bejaht die Rechtsprechung die Verdeckungsabsicht auch, wenn der Täter nicht die Straftat, sondern nur seine Täterschaft verdecken wollte (BGH NJW 52, 431; 15, 295; GA 79, 108; NStZ-RR 99, 235) oder wenn die bisherigen Zeugen nicht ausreichen (BGH 50, 11 m. Anm. Steinberg JR 07, 293).
cc) Zur Verdeckung: Nicht verlangt wird die Befürchtung unmittelbarer Entdeckung. Daher genügt die Befürchtung des Täters, dass das Opfer (z.B. das geschlechtlich missbrauchte Kind) durch Schreien oder auf andere Weise, beabsichtigt oder unbeabsichtigt die Aufmerksamkeit Dritter erregen könnte (BGH GA 62, 143). Dabei kann die zu verdeckende Tat der Tötung nachfolgen, ohne dass zugleich eine Ermöglichungsabsicht vorliegt. Nicht erforderlich ist eine Absicht der Verdeckung gegenüber den Strafverfolgungsbehörden; die Absicht der Vermeidung außerstrafrechtlicher Konsequenzen (z.B. Abjagen der Beute, Reaktion des Opfers nach Entdeckung einer Täuschung) reicht aus[70]. Die Absicht der Ermöglichung der Flucht reicht, sofern der Täter entdeckt ist, nicht aus (BGH NStZ 96, 166).
dd) Ein Verdeckungsmord kann auch durch Unterlassen erfolgen[71]. Allerdings ist eine vorausgegangene vorsätzliche Tötungshandlung keine „andere Straftat“ (s.u. ee).
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ee) Während die Rechtsprechung früher als „andere“ Straftat auch eine der Tötungshandlung unmittelbar vorausgegangene und daher in natürlicher Handlungseinheit mit ihr stehende Tat genügen ließ (BGH 7, 327), schloss der 2. Strafsenat des BGH auf Anregung von BVerfGE 45, 267 zunächst das Merkmal aus, wenn der Täter im Verlauf einer unerwarteten tätlichen Auseinandersetzung unmittelbar, „ohne Zäsur“ vom Körperverletzungs- zum Tötungsvorsatz übergeht[72]. Indessen haben die übrigen Senate diesen Grundsatz erheblich eingeschränkt, nämlich wenn sich der Täter bereits in rechtsfeindlicher (!) Gesinnung in die Situation begeben hatte, wenn die Ausgangstat ein anderes Rechtsgut betraf oder mitbetraf (z.B. Raub oder Nötigung) und wenn der Täter zwischen Körperverletzung und Tötung das Geschehen kurz überdacht oder das Opfer zunächst vom Gang zur Polizei abzuhalten versucht hat (!); sie haben überdies den vom 2. Senat aufgestellten Grundsatz in Zweifel gezogen[73]. In BGH 35, 116 hat ihn der 2. Senat selbst aufgegeben, den Weg zur Einschränkung der Verdeckungsabsicht aber offengelassen[74]. BGH NJW 90, 2758 lehnt jedoch wieder bei – zäsurloser – Tötung zur Verdeckung eines Tötungsversuchs mit bedingtem Vorsatz eine „andere“ Straftat ab[75]. Nach einer vorsätzlichen Tötungshandlung führt der Täter sogar bei einer Zäsur „lediglich die ursprünglich gewollte Tat fort“[76]. In diesem Rahmen kann eine Tötung gleichzeitig die Ermöglichung (der Vollendung) einer Straftat wie die Verdeckung ihres Versuchs beabsichtigen (OGH 2, 19).
ff) Die Absicht der Verdeckung einer nicht strafbaren Tat oder der gleichen Tat sowie die Absicht der Entziehung vor einer Verurteilung können als „sonstiger niedriger Beweggrund“ gewertet werden[77].
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Dass der Täter in Bezug auf den Todeserfolg nur mit bedingtem Vorsatz handelt, schließt eine Ermöglichungs- oder Verdeckungsabsicht nicht aus, sondern ist sogar häufig[78], insbesondere bei primärer Erkennungsverhinderungs- (BGH 15, 291) oder Spurenbeseitigungsabsicht (BGH 41, 358). Bedingter Tötungsvorsatz reicht aber dann nicht aus, wenn die Verdeckung der Straftat nach der Vorstellung des Täters nur durch den Tod des Opfers erreicht werden kann[79]. Zweifelhaft war dagegen die Entscheidung BGH 7, 287: § 211 nicht anwendbar, wenn der Täter den von ihm auf der Autobahn lebensgefährlich Überfahrenen in der Voraussicht verlässt, dass ohne Hilfeleistung dessen Tod eintreten würde. Der nach geltendem Recht unbeachtliche Unterschied zwischen positivem Tun und Unterlassen wird hier in einen der grundsätzlichen Anerkennung des dolus eventualis widersprechenden Unterschied zwischen Mittel und Folge der Verdeckung umgedeutet[80]. Aus dem gleichen Grund verfehlt BGH 23, 194: Ablehnung des § 211, weil der Tod nur als in Kauf genommene Folge der auf die Betäubung des Opfers gerichteten Handlung eingetreten sei[81]. Mit der Verdeckungsabsicht können andere Zwecke zusammentreffen (BGH MDR/D 76, 15).
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e) Die Reihe der subjektiven Mordmerkmale wird abgeschlossen durch das Handeln aus sonstigen niedrigen Beweggründen. Damit soll zwar eine die Kasuistik der Fälle a–d auflockernde Generalklausel geschaffen werden, aber doch nur eine solche, die die einzelne Tat, nicht die Gesamtpersönlichkeit des Täters qualifiziert; das konkrete niedrige Motiv darf nicht in eine allgemein minderwertige Konstitution des Täters umgedeutet werden (bedenklich daher BGH 3, 33; StV 81, 399). Freilich bedarf es einer Gesamtwürdigung, welche die Umstände der Tat, die Lebensverhältnisse des Täters und seine Persönlichkeit einschließt, mithin alle inneren wie äußeren Faktoren, die für die Handlungsantriebe des Täters maßgeblich waren (st.Rspr.; zuletzt BGH NStZ 09, 210). Bei dem häufigen Motivbündel ist auf das Hauptmotiv oder die Motive, die der Tat das Gepräge gegeben haben, abzustellen (BGH NJW 81, 1382; NStZ 97, 81). Die Abhängigkeit der Mordqualifizierung von der ethischen Abwertung des Motivs wird bei dieser Modalität des § 211 besonders deutlich: als niedrig gilt ganz allgemein ein Beweggrund, der nach allgemeiner sittlicher Wertung auf tiefster Stufe steht, durch hemmungslose Eigensucht bestimmt und deshalb besonders verwerflich und verächtlich ist (BGH 3, 132; NJW 69, 2292); freilich wird die „Triebhaftigkeit“ solcher Motive eher ein Grund gegen als für die Annahme der Qualifikation sein (s.u. Rn. 42). In Betracht kommt auch hier vor allem ein grobes Missverhältnis zwischen dem Anlass zur Tat und der bedenkenlosen Opferung des Getöteten[82] – „niedrig“ sind in der Regel nichtige Beweggründe –, kann jedoch durch Besonderheiten der seelischen Situation (BGH NJW 81, 1382; StV 89, 399) und der Vorgeschichte (BGH StV 81, 400) kompensiert werden[83].
aa) Als „niedrige Beweggründe“ sind von der Rechtsprechung u.a. anerkannt: das Handeln zur Erregung von Geschlechtslust (vgl. o. Rn. 32), die Tötung des einem Liebesverhältnis im Wege stehenden Ehegatten (BGH 3, 132), und zwar auch bei unverschuldet unglücklicher Ehe (BGH NJW 55, 1727; JZ 87, 474). Wut über verweigerten Geschlechtsverkehr (BGH 2, 60) oder über eine Niederlage (BGH MDR/D 75, 542), Neid oder ungesunder Geltungsdrang, Handeln zur Verhinderung einer rechtmäßigen Festnahme (BGH MDR/D 71, 722), Lust an körperlicher Misshandlung (BGH GA 80, 23), Tötung zur Vertuschung des eigenen Untertauchens (BGH NStZ 85, 454), Tötung im Auftrag eines anderen zur Verschleierung von dessen Tatinteresse (BGH 50, 8). S.a. Rn. 32, 35 a.E. Bei Handeln aus Hass, Wut, Verärgerung oder Eifersucht ist erforderlich, dass diese ihrerseits auf niedriger Gesinnung beruhen[84]. Frage der konkreten Beurteilung ist auch das Handeln aus Rachsucht[85]. Bei einem Ausländer sind zur Feststellung der niedrigen Beweggründe (und nicht erst bei der Frage des Bewusstseins, s.u. Rn. 42) die Vorstellungen der Rechtsgemeinschaft der Bundesrepublik Deutschland maßgeblich[86]. Problematisch sind vor allem Blutrache[87] und Ehrenmorde[88]. Beide erfolgen in der Regel aus niedrigen Beweggründen, jedoch sind bei der Blutrache nach schweren Gewalttaten Ausnahmen möglich.
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bb) Umstritten ist die Frage, ob politische Motive niedrige Beweggründe sind. Hier gibt es zwei entgegengesetzte Ausgangspunkte. Der extrem liberale Staat sieht auch im Königsmörder nur den politischen Gegner, der zwar unschädlich gemacht werden muss, aber nicht diffamiert werden darf („Hut ab vor dem Franctireur bis zur letzten Galgensprosse!“), denn der politische Gegner handelt aus einer Überzeugung, die zwar irregeleitet sein mag, dem Staat aber nicht das Recht gibt, die Beweggründe als niedrig abzutun. Anders der autoritäre Staat, der in der Vergottung seiner Organisation den Attentäter nicht als Gegner, sondern als minderwertigen Schädling betrachtet und ihm daher ohne Weiteres niedrige Beweggründe unterstellt.
Die Diskussion dieser Frage in der Gegenwart steht verständlicherweise unter dem Eindruck des Wechsels von einem Tyrannenregime zu einer Demokratie. So erklärt es sich, dass sich nach dem Zusammenbruch von 1945 die Auffassung herausbildete, die politische Tötung von „Systemschädlingen“ unter dem Nationalsozialismus als schlechthin niedrig motiviert, den „Tyrannenmord“ (20.7.1944) als ethisch hochstehend und jeden Angriff auf politische Gegner im heutigen Staat wiederum als moralisch minderwertig zu betrachten[89], weil es in einer Demokratie andere Mittel zur Ausschaltung politischer Gegner gibt als den Tod. Maßstab darf aber weder der Staat von gestern oder heute sein noch die daraus folgende personelle Differenzierung des Gegners, je nachdem, ob „der Feind rechts oder links steht“. Von diesem Standpunkt aus ist die Herstellung eines allgemeingültigen Verhältnisses zwischen politischem und niedrigem Motiv nicht möglich. Dies hat auch die Rechtsprechung zutreffend erkannt: weder schließt die politische Tötung die Möglichkeit niedriger Motive aus, noch zwingt sie zu deren Bejahung (OLG Frankfurt SJZ 47, 692; OGH 2, 179). Entscheidend ist stets der Einzelfall (zust. Eser/Sternberg-Lieben S/S 20; Zielke JR 91, 136, 230), und zwar in erster Linie das Verhältnis zwischen der Tat und dem vom Täter für sich persönlich erstrebten Zweck: die Tat ist im Zweifel verwerflich bei persönlichem Machtstreben, bei Beseitigung eines dem Täter persönlich verhassten politischen Gegners, eines anderen als Repräsentanten einer abgelehnten politischen, sozialen oder ethnischen Gruppe (BGH NStZ 04, 89); nicht verwerflich ist sie im Zweifel bei der vermeintlichen Wahrung allgemeiner Interessen (OGH 1, 95)[90], zumal wenn der Täter zur Selbstaufopferung bereit ist (vgl. den Gegenfall OGH NJW 50, 434). BGH NStZ 93, 342 sieht die „Protesthaltung“ gegen die Startbahn West nicht als niedrigen Beweggrund an[91]. Der Terrorismus beruht auf niedrigen Beweggründen, sofern ein fremdes Menschenleben benutzt wird, um eigene politische Ziele zu demonstrieren oder andere von der Verfolgung ihrer politischen Ziele abzuschrecken[92].
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cc) In den zahlreichen Strafprozessen, die in neuester Zeit gegen die an gezielten Massenvernichtungsaktionen besonders in den Konzentrationslagern Beteiligten durchgeführt wurden, wurde meist Mord bzw. Mordbeihilfe wegen niedriger Beweggründe angenommen. Niedriger Beweggrund ist nicht nur der Rassenhass, sondern auch dessen Ausnutzung zu persönlichem Vorteil (OGH 2, 180; BGH NJW 94, 395; s.a. BGH 22, 375). Wenig überzeugend erscheint dagegen die Annahme eines niedrigen Beweggrundes, weil der Täter sich zum Herrn über Leben oder Tod aufgeworfen habe[93], denn dies ist das Wesen jeder Tötung[94]. Auch die Heranziehung der Erwartung der Straflosigkeit (BGH 18, 37) verkehrt die Aufhebung der motivierenden Kraft der Strafdrohung und die Bedenken wegen des Grundsatzes „nulla poena sine lege“ ins Gegenteil. Überzeugender erschiene die Anknüpfung an die Nichtigkeit oder gar das Fehlen des Anlasses (s.o. Rn. 37)[95] und bei fehlendem oder offensichtlich vorgeschobenem Anlass die Annahme von Mordlust (s.o. Rn. 31).
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f) Im Vorhergehenden wurden die tatcharakterisierenden Motive und Absichten des Täters als echte Merkmale des subjektiven Tatbestandes bezeichnet[96]. Hieraus folgt, dass sie nur dann berücksichtigt werden dürfen, wenn sie in das Bewusstsein des Täters getreten sind[97]. Unbewusste Strebungen sind nicht Motive, sondern Triebe. Sie können zwar zur Abrundung des Persönlichkeitsbildes des Täters beitragen, sofern dieses, z.B. als „Gefährlichkeit“ und damit als Voraussetzung etwaiger Sicherungsmaßnahmen, relevant wird. Zur Bildung des subjektiven Tatbestandes – vollends zur Konstituierung des Schuldurteils – sind sie aber nicht zuzulassen. Mit Recht hat daher die Judikatur dieses Bewusstsein auf den Zeitpunkt der Tatbegehung, nicht der Planung bezogen (BGH 6, 331)[98]. Es kann vor allem bei Spontantaten fehlen (BGH StV 84, 72, 465). Damit ist aber das Äußerste dessen erreicht, was auf der Täterseite verlangt werden kann; eine „allgemeine Persönlichkeitswürdigung“ nach der Seite einer habituellen Täterkonstitution darf auch hier keine Rolle spielen (differenzierend BGH 3, 330; wie hier Eser/Sternberg-Lieben S/S 12, 38).
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Das gleiche gilt, wenn – wie es in der Motivation fast die Regel ist – mehrere Motive zur Tat hindrängen („Motivbündelung“ oder „psychisches Kausalbündel“ nach Kretschmer): infolge triebhaften Hasses gegen einen anderen bildet sich beim Täter die Überzeugung, dass sein Gegner als Schädling der Gesellschaft ausgemerzt werden müsse. Hier kann häufig beobachtet werden, dass das ethisch höhere Motiv die Tendenz zeigt, den niedrigen Beweggrund zu verdrängen[99]. Nur das Erstere tritt dann in dem zur Tat führenden Motivationsprozess in das Bewusstsein des Täters. Daher ist auch nur das Erstere für die Wertung der Tat heranzuziehen. Für die Vertreter der Willensschuld folgt dies aus der Schuldstruktur; aber auch vom hier vertretenen Standpunkt aus kann nur ein bewusstseinsdominantes Motiv zur Bildung des subjektiven Tatbestandes dienen[100]. Bei den niedrigen Beweggründen stellt die Rechtsprechung von vornherein auf das Hauptmotiv und die Motive ab, die der Tat das Gepräge gegeben haben[101]. Zu Fernzielen (Schutz der Ehe) LG Passau NStZ 05, 101 m. Anm. Schneider.
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Während die Rechtsprechung für die niedrigen Beweggründe früher ausreichen ließ, dass der Täter die tatsächlichen Umstände kannte, die den Beweggrund als niedrig erscheinen lassen, verlangt sie nunmehr zusätzlich, dass der Täter die Bedeutung seiner Beweggründe für die Bewertung der Tat in dem Sinne erfasst hat, dass er zu einer entsprechenden Wertung fähig ist (ohne diese selbst vorgenommen haben zu müssen) und ggf. gefühlsmäßige oder triebhafte Regungen gedanklich beherrschen und willensmäßig steuern kann[102]. Hier werden allerdings Gesichtspunkte der Schuldfähigkeit in den Vorsatz hineingezogen und damit die biologischen Voraussetzungen der §§ 20, 21 überspielt[103].