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Jeder Fall ist anders

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»Duuuu …?!«, klang es gedehnt, als Christel Dreyer ihre Wohnungstür öffnete und Max Bergmann vor ihr stand.

»Wir haben uns eine Ewigkeit nicht gesehen. Wenige Kilometer von hier entfernt habe ich die nächsten Tage zu tun. Da dachte ich, schau doch mal vorbei.«

Sie unterhielten sich eine Zeit lang, als Christel Dreyer plötzlich am ganzen Körper zu zittern anfing. Nachdem Max Bergmann sich nach dem Grund erkundigte, fing sie an zu schluchzen. »Depressionen. Ich habe dem Arzt erzählt, dass mir die Krankheit meines Ehemannes zu schaffen macht. Aber, in Wirklichkeit …«

»Was ist in Wirklichkeit?«, wollte Max Bergmann wissen.

»Ich bin vor Kurzem in meinem Geburtsort gewesen. Als Handelsreisender kennst du den bestimmt auch. Ich hatte mich dort mit dem ehemaligen Schulkollegen Volkmar Ruster verabredet. Wir wollten ins Kino. Volkmars Ehefrau hatte nichts dagegen. Nachdem wir am Filmpalast ankamen, waren alle Plätze ausverkauft. Danach sind wir mit Volkmars Wagen ein bisschen in der Gegend herumgefahren. Das war so gegen acht Uhr abends. Schließlich kamen wir an einem abgelegenen Parkplatz an. Früher wurde der von den Jugendlichen als Liebestreffpunkt genutzt. Volkmar kannte diesen Ort nicht. Wir waren die Einzigen. Dann schwärmte ich träumerisch von alten Zeiten. Plötzlich legte er seinen Arm um mich …«

»Was hat das mit deinen Depressionen zu tun?«

»Wir standen dort fast drei Stunden. Kurz bevor wir zurückfuhren, so gegen halb elf, bemerkten wir hundert Meter vor uns einen Wagen. Der fuhr auf dem Feldweg Richtung Wald. Ich schmunzelte Volkmar zu, dass es sich um einen Fremden handeln muss. Denn nichts lag für ein Liebespärchen versteckter, als der Parkplatz auf dem wir standen. Es dauerte keine fünf Minuten bis der Wagen wieder aus dem Wald herauskam. Er fuhr in unsere Richtung. Plötzlich bemerkte der Fahrer den Parkplatz. Mit einem kräftigen Schlenker lenkte er das Fahrzeug dorthin. Er traute sich nicht, mit seiner Freundin zu bleiben. Zumindest vermuteten wir das. Denn er wendete den Wagen und fuhr wieder davon.«

»Ich verstehe immer noch nicht, warum du so trübsinnig bist.«

»Tags darauf habe ich in der Zeitung eine kurze Mitteilung gelesen, dass ein Mädchen getötet wurde. Und zwar an der Stelle, an der dieser Wagen im Wald verschwand. Die Polizei gibt als Tatzeit zehn bis elf Uhr abends an. Zu der Zeit gab es nur ein Auto, das in den Forst fuhr. Eben dieses. Wir haben also den Mörder gesehen. Oder vielmehr den Wagen«, ergänzte sie.

»Was war es für ein Fahrzeug?«

»Unsere Scheiben waren innen beschlagen. Wir haben lediglich zwei Scheinwerfer gesehen. Nur als der Wagen direkt vor uns wendete, habe ich das Nummernschild lesen können. Ich musste lächeln, weil ich recht hatte. Es war kein Fahrer aus der Gegend. Das Kennzeichen vom Fahrzeug belegte das.«

»Du hast der Polizei natürlich gleich alles berichtet?!«

»Wie sollten wir das unseren Ehepartnern erklären, was wir dort um diese Uhrzeit machten? Oder sollte ich etwa anonym die Polizei informieren? Mich durch den Anruf und die Stimme verraten?«

»Wie denkt Volkmar darüber?«

»Der bringt den Mord mit unserer Beobachtung nicht in Verbindung. Der Polizei das Kennzeichen anonym zu nennen, hilft auch nicht weiter, denke ich. Selbst, wenn man feststellt, dass sich der Fahrer dort um diese Zeit aufhielt, muss er nicht gleich der Mörder sein.«

»Aber vielleicht hat er Spuren am Tatort hinterlassen?«

»Davon stand nichts in der Zeitung. Stell dir vor, der Kerl wird verhaftet und man muss ihn schließlich aus Mangel an Beweisen laufen lassen. Aber meine und Volkmars Ehe wären kaputt.«

Sie wurde durch das Schrillen des Telefons unterbrochen. »Dreyer! – Was sagst du, Volkmar wurde gestern Nachmittag bei euch in der Tiefgarage überfallen?! – Tot, Raubüberfall, die Brieftasche fehlt?!« Wortlos legte sie den Hörer auf. Mit Falten auf der Stirn sprach sie: »Natürlich, der Mörder hat das Nummernschild von Volkmars Wagen notiert. Dann den Besitzer ausfindig zu machen, ist machbar. Verflixt, Volkmar trug in seiner Brieftasche bestimmt meine Anschrift mit sich herum …«

»Du musst die Polizei einschalten.«

»Ich muss noch heute aus der Wohnung verschwinden. Vielleicht verschont er mich, wenn er nicht gesucht wird.«

»Du bist kreidebleich. Komm auf den Balkon, an die frische Luft.« Hastig öffnete Max Bergmann die Balkontür im zwölften Stockwerk und leitete Christel vorsichtig hinaus.

Nach vorn gelehnt, an das Geländer gestützt, atmete sie kräftig durch.

Max Bergmann beugte sich zu Boden, ergriff Christel an den Füßen und schleuderte sie in die Tiefe. Hastig schritt er in die Wohnung zurück. Niemand durfte ihn sehen. Beim Beseitigen der Fingerabdrücke schmunzelte er leise vor sich hin. Eine depressive Bewohnerin nahm sich das Leben. Nichts Ungewöhnliches. Nun gab es keine Zeugen mehr für den Mord im Wald. Er öffnete die Wohnungstür und blieb wie angewurzelt stehen.

»Kommissar Steffen!« Mit einer leichten Handbewegung zur Seite fuhr er fort. »Mein Assistent, Kröger.« Die beiden Kriminalbeamten drängten Max Bergmann in die Wohnung zurück.

»Christel Dreyer hatte anfangs tatsächlich nicht den Mut, die Polizei über das zu informieren, was sie sah«, sprach der Kommissar. »Allerdings rief die Ehefrau von Volkmar Ruster gestern Abend bei ihr an und berichtete vom Tod ihres Gatten. Da bekam sie mit einem Mal doch Angst. Sie informierte uns und nannte uns das Kennzeichen. Wir ermittelten Sie als Fahrer. Ich ließ Sie umgehend observieren. Nachdem Sie das Haus von Christel Dreyer betraten, gaben wir ihr Bescheid, dass ihr Mörder jeden Augenblick bei ihr klingeln würde. Deshalb war sie so überrascht, als Sie plötzlich vor der Tür standen. Dort hinter dem Bücherregal haben wir zuvor eine Videokamera installiert. Wir mussten allerdings warten, bis Sie Frau Dreyer wirklich vom Balkon stürzten. Sonst hätten Sie sich vielleicht hinterher herausgeredet. Ihr Griff zu den Füßen könnte als sexuelle Annäherung ausgelegt werden.«

»Sie haben den Tod von Christel Dreyer in Kauf genommen, um mir den Mord im Wald nachzuweisen?«

Hinter dem Rücken von Max Bergmann japste jemand vollkommen außer Atem. Eine Frauenstimme. »Hast du vergessen, dass ich früher im Schwimmverein Turmspringerin war?«

Die Augen von Max Bergmann waren vor Schreck weit geöffnet, als er Christel Dreyer vor sich stehen sah. »Aber unter dem Balkon ist ein Parkplatz! Kein Schwimmbecken«, stotterte er.

Kommissar Steffen meldete sich zu Wort. »Nachdem Sie das Haus betraten, hat die Feuerwehr vereinbarungsgemäß auf dem Parkplatz ein Luftkissen aufgeblasen.«

Kröger zuckte mit den Achseln. »Jeder Fall ist anders.«

Grüße von Charon

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