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Geld und Verwandtschaft
ОглавлениеWie ein Magnet zog das klassische Landhaus Jacks klapprige Blechkiste an. Viel war ihm von seinem Erbonkel Ted Gregor nicht bekannt. Nur das dieser sehr reich sein sollte. Und das er nur zwei Erben hatte. Ihn und seine verhasste Stiefschwester Maren, mit ihrem Ehemann Adam.
Vor dem Landhaus parkte er direkt neben dem einzigen Fahrzeug. Die beiden sind also bereits angekommen, schoss es ihm durch den Kopf. Einem Reflex folgend tastete seine rechte Hand die leichte Delle des Jacketts ab, unter der sich die 38er befand.
In der Eingangstür nahm ihn seine Stiefschwester mit ihrem Gatten in Empfang. Ein formloses Händeschütteln und künstlich knappes Lächeln. Eine nichtssagende Antwort auf die Frage Wie geht’s?
»Er liegt im oberen Stockwerk, im Schlafzimmer. Sei leise«, bat ihn Maren.
Wenige Augenblicke später stand Jack am Bett von seinem Erbonkel. Nachdem er sich im Zimmer umgesehen hatte, fragte er ihn: »Sag mal, Onkel Ted, hast du niemand, der dich pflegt?«
»Der Arzt kommt dreimal die Woche. Das genügt. Außerdem seid ihr jetzt da.«
Nachdem Jack nach einiger Zeit wieder hinunterging, ärgerte er sich. Er ist gekommen, um möglichst eilig sein Erbe anzutreten. Und nicht Krankenpfleger zu spielen. Da ihm die Gesellschaft der beiden anderen nicht lag, verabschiedete er sich unter einem Vorwand und begab sich in sein Zimmer.
Spätabends erwachte er mit einem Mal. Jack hörte halblautes Gerede von irgendwoher. Vorsichtig näherte er sich der Richtung, aus der die Worte zu ihm drangen. Es waren die Stimmen von Maren und Adam. Nachdem er diese erkannte, wollte er sich wieder in sein Zimmer begeben. Plötzlich blieb er abrupt stehen.
»Denk an unsere Schulden«, ertönte die Stimme von Maren spitz. »Warum sollen wir uns mit der Hälfte zufriedengeben, wenn wir alles haben können. Du bist Arzt«, sprach sie zu ihrem Ehemann. »Lass dir was einfallen.«
Gleich darauf ging das Gespräch in ein leises Nuscheln über. Jack konnte nichts mehr verstehen. Er begab sich wieder in sein Zimmer. Für den Rest der Nacht legte er sich die 38er unter das Kopfkissen.
Am anderen Morgen stand er später als gewöhnlich auf. Maren entdeckte er in der Küche. Von Adam war nichts zu sehen.
»Hallo, Jack. Ich war heute schon früh auf und habe im Wald Pilze gesucht. Frische Pilze mit Zwiebeln, in der Pfanne gebraten und dazu ofenfrisches Brot. Ich erinnere mich, dass du so etwas früher gern gegessen hast. Na, wie wär’s?«
»Je mehr, desto lieber«, war die knappe Antwort.
Wenig später stellte Maren ihm eine dampfende Portion auf den Tisch. Jack langte kurzerhand in den Hosenbund und zauberte die 38er hervor. »Nach dir, mein Schatz«, sprach er schmunzelnd. »Ich habe zufälligerweise gestern Nacht euer Gespräch mit angehört. Mit der Hälfte willst du dich nicht zufriedengeben. Meinen Erbteil möchtest du also auch haben, nicht wahr?!«
»Ach, Jack«, seufzte Maren. »Ich meinte die neue Praxis von Adam. Er sollte an unsere Schulden denken. Die komplette Arztpraxis wirft mehr ab, als wenn er sich diese mit einem Kollegen teilt.«
Einige Sekunden verharrte Jack regungslos an seinem Platz. Dann deutete er mit dem Lauf der 38er an, dass Maren die Pilze essen sollte. Nachdem sie dies genüsslich tat, forderte er sie nach einer Weile auf, ihm auch eine Portion zu geben.
Kaum waren die Teller geleert, betrat Adam den Raum. »Dein Misstrauen war berechtigt, Jack«, sprach er lächelnd. »Ich habe nur gewartet, bis du die Portion gegessen hast. In meiner Arzttasche befinden sich zwei Ampullen mit dem Gegengift. Eine für Maren und eine für dich. Vorausgesetzt du unterschreibst das Schriftstück hier, in welchem du dein Erbteil an Maren abtrittst. Weigerst du dich, stirbst du in einer halben Stunde an Atemnot.« Bei diesen Worten reichte er ihm ein Stück Papier und einen Stift.
Jack überlegte kurz, bevor er etwas entgegnete. »Also gut. Zuerst bekomme ich und danach Maren das Gegengift gespritzt.« Seine rechte Hand mit der 38er lag hierbei drohend auf dem Tisch.
Adam spritzte ihm den Inhalt der Ampulle in die Vene, nachdem Jack das Schriftstück unterschrieben hatte. Gleich darauf schritt Adam zum Faxgerät im Flur. »Ich faxe das Blatt dem Notar von deinem Onkel. Die Nummer steht hier im Buch.«
Nachdem er wieder in die Küche kam, sah er in den Lauf der 38er. Lächelnd zerschlug Jack die Ampulle für Maren. »Wenn sie tot ist, erbe ich trotz der Unterschrift alles. Ich verzichtete nur zu ihren Gunsten auf mein Erbe.«
Adam schmunzelte gelassen. »Die Pilze waren nicht vergiftet. Ich habe dir lediglich eine Zuckerlösung gespritzt.«
»Mistkerl«, fluchte Jack. »Das Schreiben fechte ich an.«
In der nächsten Viertelstunde beschimpften und bedrohten sich die drei abwechselnd.
Von allen unbemerkt stand plötzlich eine überaus korrekt gekleidete männliche Person, mit Aktentasche unter dem Arm, neben ihnen. »Die Haustür war offen«, sah er die Anwesenden entschuldigend an. »Ich bin der Notar ihres Onkels und wohne wenige Häuser weiter. Nachdem ich das Fax bekam, sah ich mich veranlasst, selber vorbeizukommen. Sie sollten wissen, was auf die Erben zukommt. Herr Gregor bat sie, hierherzukommen, weil er sich niemanden leisten kann, ihn zu pflegen. Sein Konto ist im Minus. Haus und Grundstück sind beliehen. Hier sind die Kopien der Schuldverschreibungen.«
Entsetzt sahen sich die drei die Papiere an.
»Im Falle seines Ablebens müssten Sie dann sämtliche Schulden übernehmen. Wenn Sie das Erbe antreten«, ergänzte er. »Sollten Sie auf Ihren Erbanteil verzichten wollen, müssen Sie mir diese Bescheinigung unterschreiben.«
Das erste Mal, dass die drei einer Meinung waren.
Mit den unterschriebenen Dokumenten begab er sich zu Ted Gregor ins Schlafzimmer. Ernstgesichtig sprach er zu dem im Bett Liegenden. »Hier sind die Papiere, in denen Ihre Verwandten sich weigern, ihr zukünftiges Erbe anzutreten.«
Ted Gregor sprang aus der Schlafstelle empor und fragte nach den Kopien der Schuldverschreibungen. Nachdem der andere sie ihm überreicht hatte, rollte er sie zu einer dünnen Papierrolle zusammen. Diese steckte er an einem Ende in Brand. Mit der brennenden Lunte zündete er sich genüsslich eine der dicken Zigarren an.
»Die unterschriebenen Dokumente bringst du sofort zum Notar. Und danach feiern wir die Erfüllung meines größten Wunsches. Auch, wenn wir ein wenig Nachhelfen mussten. Die Verwandten verzichten freiwillig darauf, ihr Erbe anzutreten.« Schmunzelnd sah er zu seinem Diener hinüber. »Geld und Verwandtschaft passen irgendwie nicht zusammen.«