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Kapitel 4: Normen akzeptieren keine Sonderfälle
ОглавлениеAuf einer Straße zwei Kinder.
Sehen sich gehässig in sämtliche Richtungen um, als wollten sie sicher gehen, dass ihnen niemand folgt.
Es war keine gute Idee, nochmal auszureißen.
Ich mache mich doch nicht zu deren Sklaven! Ist Dir die Wahrheit denn nicht genug?
Mir ist bewusst, dass sie ein Spiel mit uns treiben. Im Interesse unseres Plans wäre es jedoch klüger, sich dem Theater hinzugeben, nur solange es nötig ist.
Vertraue mir! Ich weiß, wie weit wir gehen dürfen. Man wird uns nicht vermissen.
Du bist der Chef, Adeel. Du weißt, ich folge Dir, wenn Du mich darum bittest. Alles, was ich sonst tun kann, ist, Dich zu beraten.
So ist`s recht… Kennst Du die Neue?
Wen?
Das dunkelhäutige Mädchen, das gestern an Deinem Nachbartisch in der Kantine saß.
Ich erinnere mich. Sie schien mir einsam.
Und weiter ist Dir nichts aufgefallen? –Sie ist es! Da bin ich mir ganz sicher.
Du meinst: Das letzte Glied des Pentagons?
Was sonst? Ich erspähte die Brosche an ihrem Pullunder.
Großartig! Dann kann es ja endlich losgehen!
Geduld! Erst müssen wir sie einweihen. Ich habe auch schon eine Idee wie.
Und Du glaubst, dass es außer uns niemand anderen mit dieser Gabe gibt?
Ich studierte sie nicht umsonst so viele Jahre. Ich kenne jedes Detail. Wir haben nur diesen einen Versuch. Denkst Du, dass da all meine Theorien bloß auf Spekulationen beruhten?
Schon gut… Wohin gehen wir denn überhaupt?
Na zu Wanda. Ihr können wir vertrauen. Sie verpfeift uns nicht.
Ich wollte Dich das schon einmal fragen: Fühltest Du Dich bei Ihr wie in einer Familie?
Aus! Ich ertrag es nicht, über jene Angelegenheit zu sprechen.
Mich interessiert nur, ob Du Dich nicht doch manchmal nach einer richtigen Familie sehntest.
Wie denn? Ich hatte nie eine.
Was ist mit Deiner Schwester?
Wir stammen von derselben Leihmutter, waren aber für unterschiedliche Familien bestimmt. Streng genommen sind wir keine Geschwister. Ich hätte welche gehabt, wenn meine „Eltern“ nicht verstorben wären. So kam ich in ein Heim, weil meine leibliche Mutter in mir nur das Geld sah. Um auf Deine Frage zurückzukommen: Wanda ist für mich mehr eine Freundin. -Dabei könnte sie auch meine Großmutter sein, aber darauf kommt es mir nicht an. Was interessiert Dich das überhaupt?
Ich--- ach, ich weiß nicht. Ich denke, ich bin bloß neugierig.
Genug. Wir sind da. Beeilen wir uns. Die Nachbarn sollten uns nicht sehen!
Betreten ein Grundstück, dessen Vorgarten mit einer Vielzahl an bunten Blumen geschmückt ist. Läuten die Klingel.
Kurz darauf öffnet den Jungs eine ältere Dame, woraufhin ihnen direkt Einlass geboten wird.
Im Wohnzimmer. Die Regale gefüllt mit kleinen, bunt verzierten Elefanten, Kettchen mit daran hängenden Glücksymbolen und, nach Tians Blick zu urteilen, weiterem Ramsch derart.
Es ist schön, Euch beide einmal wiederzusehen. Kein Wunder, dass Ihr ständig ausreißt. Dieses Internat muss furchtbar sein.
Schenkt sich und ihren Gästen Tee ein.
Ich hätte es nicht erkannt, wärst Du nicht gewesen.
Das, was einem meist ausgeredet wird, ist die Wahrheit. Nur zu uns selbst können wir ehrlich sein… Es war leicht, die Hintergedanken der Regierung zu durchschauen.
Ms.?
Ja, mein Kind?
Adeel erzählte mir, Sie glaubten an die Seelenwanderung. Ist das wahr?
Seelenwanderung, Freisetzung und Neugebrauch von Energien--- ist für mich alles das Gleiche. Das eine ist Religion, das andere Wissenschaft. So oder so ist es in meinen Augen die einzig logische Erklärung, wieso der Körper einmal zu Ausschuss werden sollte. Wir alle wurden sicherlich schon etliche Male geboren. Es fehlen die Erinnerungen, weil das Gehirn, indem all die Bilder wie in einem Fotoalbum aufbewahrt werden, ein Teil des Korpus, des Vergänglichen ist. Oder glaubst Du, dass es Zufall sei, ausgerechnet in diesen einen Körper geboren zu sein? Dein Geist macht eine ewige Wanderung durch und kann in jedes beliebige, frisch erwachende Lebewesen übergehen.
Dieser Theorie zufolge müsste es einen Ausgleich geben zwischen Sterbendem und Neugeborenem.
Kombiniert Tian.
Niemand kann dies so genau überprüfen. Wenn beispielsweise eine Blume eingeht, gibt es möglicherweise eine Kuh auf einer Weide mehr. Wer kontrolliert das schon? Nur muss es so etwas wie einen Ursprung geben. Aus jener Quelle entspringt die Seele, oder für einen Wissenschaftler die Energie, aus der wir uns zusammensetzen. Vielleicht sucht sie sich auch nicht sofort einen neuen Wirt, sondern kehrt hin-und wieder zu diesem Ursprung zurück.
Das denke ich nicht.
Lenkt Adeel ein.
Irgendwie muss ja auch das Bevölkerungswachstum erklärt werden. Machte die Seele eine Pause, käme dies nicht zustande. Im biologischen Sinne zu erklären ist dies mit Anpassungsmechanismen. Zum Beispiel ahnt der Geist eines Tiers, dass er in einem menschlichen Körper oder einem bakteriellen eine längere Handlungsphase zu erwarten hat. Deshalb schwinden mehr Pflanzen- und Tierarten und neue Menschen werden daraus geboren.
Glauben Sie, dass es etwas wie Gut und Böse gibt? Und wenn, ob das Auswirkungen auf die Wiedergeburt hat?
Nein. Denn Gut und Böse sind zwei definierte Begriffe des Menschen. Tiere kennen diese nicht. Daher ist es nichts Allgemeingültiges. Es gibt keinen Auf- oder Abstieg, da alle Lebewesen den gleichen Wert haben. Bloß wir sind es, die Differenzen ziehen. In Wahrheit ist es sogar möglich, dass manch anderes Geschöpf erkennt, dass es die Seelenwanderung gibt. Wir wissen es nicht. Wir denken bloß an die Zeit.
Weil wir denken, dass wir sie nutzen müssen.
Dabei existiert sie nur in unseren Köpfen. Prinzipiell stirbt sie mit dem Individuum. Spielte sie auch ohne dieses eine Rolle, so ist sie unvergänglich. Selbst wenn es einmal nichts mehr geben sollte, würde sie als das eine bestehen bleiben, um jede Sekunde, die vergeht.
Und sie ist unveränderlich.
Das Schöne daran, Mensch zu sein, ist es, sich Dinge vormachen zu können. Wir haben so viele Möglichkeiten, wie wir leben, weil wir stets hoffen können. Hoffen, dass es besser wird, egal, wie gut es gerade ist.
Das liegt daran, dass wir alle Perfektionisten sind. Wie man damit umgeht, bleibt der inneren Einstellung überlassen.
Gibt Adeel zu Wort.
Perfekt ist undefiniert. Für jeden ist Perfekt-sein etwas anderes. Ein überflüssiges Wort, denn niemand wird je einen Punkt erreichen, an dem er sagen kann: Mein Leben ist vollkommen. Diejenigen, die sich Ziele setzen, aber nicht ernst verfolgen, weil es ihnen mehr oder weniger egal ist, sind diesem Begriff noch am nächsten.
Am weitesten entfernt bleiben ihm die Pessimisten.
Blickt Tian in seine Tasse. Den Tee darin hin-und her wippend.
Wenn es allerdings zur Auseinandersetzung zwischen Optimist und Pessimist kommt, ist der Optimist seinem Gegenüber deutlich unterlegen. Spätestens dann, wenn dessen Ansichten ins Wanken geraten, ist er darum bemüht, den Pessimisten mit all seinen Redekünsten vom Gutgemeinten zu überzeugen, wobei er gnadenlos scheitert. Jemanden aus dem Bann der Verzweiflung zu befreien, ist schwieriger, als einen selbsterklärten Gott vom Himmel in die Realität zu holen. Letzteres bereitet die größeren Schmerzen.
Eigentlich macht das keinen Unterschied. Beide werden Zufriedenheit niemals erreichen. Am Schwersten hat es jedoch der Realist.
Wanda überzeugt.
Dieser wird nie träumen können. Das Leben wird für ihn zum Gefängnis, für welches es keinen Schlüssel gibt.
Demnach gibt es nur einen Menschen, dem es gelingen kann, sich und seine Vorstellungen zu verwirklichen. Ein Mensch, der ohne fremden Einfluss, ohne irgendwelche Kenntnis aufwächst und nur auf seinem Verstand beruht, den Duden nicht kennt und selbst entwickelte Sprache spricht…
Jener Mensch kann perfekt sein.
Wenn er nicht den Sinn des Lebens hinterfragt.
Wir mögen so nicht angefangen haben. Für Veränderungen ist es aber längst noch nicht zu spät. Wir haben das Steuerrad in der Hand. Nur müssen wir es lernen, den Kompass vom Norden abzubringen.
Genau deshalb bin ich gekommen, Wanda. Ich wollte Abschied nehmen, bevor es dafür zu spät ist.
Dann hast Du sie alle ausfindig gemacht?
Ganz recht. Es wird Zeit, Veränderungen vorzunehmen.
Dir wird`s gelingen. Euch beiden.
Und Du willst nicht mit uns kommen?
Ich wählte bereits früher einen anderen Weg. Doch ich verspreche, das Geheimnis bis hin ins Grab zu bewahren.
Moment!- Ich hoffe, ich habe das gerade falsch verstanden!
Ich fürchte nicht. Mein letzter Wille war es, Dein Glück abzusichern. Nun ist alles zu meiner Zufriedenheit.
Dann soll es so sein.
Tian reibt sich Schultern und Arme.
Was ist? Stimmt etwas nicht?
Wanda besorgt.
Mir ist irgendwie so kalt.
Bei dem Wetter?
Nein, Wanda. Es ist die Gabe.
Erklärt Adeel.
Sie verbildlicht sogar innerste Empfindungen. Fühlst Du Dich unwohl, illustriert sie Frost, unsichtbare Kräfte, als Messer wahrzunehmen, die Dich an allen Stellen Deines Körpers stechen. So wie wir uns eben manches Gefühl ausmalen, nur in echt.
Das ist ja schrecklich.
Alles hat seinen Preis. Darüber lässt sich hinwegsehen, betrachtet man die Absicht hinter den Qualen.
Was kann man sonst dagegen tun?
Nichts. Wir können nur abwarten und müssen es aushalten. Am besten Du denkst an das, was uns bald erwartet. Nicht mehr lange, dann wird es soweit sein.