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Es wäre besser gewesen, ich hätte nichts getan, nichts unternommen, nichts in die Wege geleitet. Ja, es wäre besser gewesen, ich hätte deiner Mutter ihren Willen gelassen, hätte auf meine tatsächlich vorhandenen oder nur eingebildeten Rechte verzichtet, dann wären du und dein Bruder jetzt noch zusammen. Und ich könnte euch beide sehen und etwas mit euch unternehmen dann und wann. Mit euch beiden. Ein Wochenendpapi, einer unter vielen.

Wie ruhig es jetzt ist. Früher herrschte zuhause ein quirliges Treiben, Unruhe, Chaos, auch Streit. Jetzt sitzt dein Bruder am Tisch, der Fernseher läuft leise, und er spielt mit künstlichem blauen Sand. Er vermisst dich ebenso sehr, wie ich dich vermisse. Er spricht selten darüber, aber ich merke es ihm an. Ich kenne euch ja schließlich ein wenig, habe euch auf dem Arm gehalten, vom ersten Tage an. Oft erwähnt er dich, erinnert sich an Dinge, die wir gemeinsam gemacht haben. Letztens kam er aus der Nachmittagsbetreuung der Schule, hatte gebastelt, für jeden etwas.

„Das hier ist für mich“, sagte er, „das für dich, Papa, das hier für Mama und das für Jul.“

Was für mich war, schenkte er mir, das für sich selbst legte er beiseite und das für euch beide hielt er in der Hand, und weder er und ich wussten, wohin damit.


„Warum nehmen Sie Ihren Sohn nicht einfach mit?“, fragte mich mein Anwalt, dieser überteuerte Scharfmacher. Auf seiner Visitenkarte stand „Mediator“ und „Anerkannter Streitschlichter“, aber er war das genaue Gegenteil: ein Scharfmacher. Wer einen aggressiven Anwalt will und außerdem noch viel Geld hat (Stundensatz zweihundert Euro, abgerechnet im Fünfminutentakt), der mag bei ihm richtig sein. Ich will ihn nicht schlechtmachen, Anwälte wie ihn muss es auch geben, beispielsweise, wenn einem das Wasser bis zum Hals steht und der Druck der Gegenseite übermächtig wird. Dann kann es sein, dass man jemanden braucht, der einen mit überzeugendem Auftreten und rhetorischer Finesse raushaut, aus was auch immer.

Rückblickend aber denke ich, ich war bei ihm falsch. Und meine Tochter, soll ich die vielleicht opfern?, hätte ich ihn fragen sollen, als er mir vorschlug, meinen Sohn zu mir zu nehmen.

Deine Rechte und Bedürfnisse kamen viel zu kurz, und sie kommen es bis heute. Ich hoffe, du lernst damit umzugehen und hältst durch, bis du älter bist. Dann kann dir niemand mehr sagen, was du zu tun hast. Dann bestimmst du, was du willst. Wo du sein willst. Zu wem du willst. Vielleicht haben wir dann noch ein paar gute gemeinsame Jahre. Das wäre mein größter Wunsch.

Ich hörte zu viel auf andere, auf den Anwalt, auf Berater, Pädagogen, Experten. Rat ist gut, aber Entscheidungen trifft man alleine. Und die Konsequenzen aus den Entscheidungen muss man tragen -, muss sie ertragen können. Und wie weit die Entscheidungen reichen, das muss einem bewusst sein. Ist es einem nicht bewusst, sollte man besser nichts entscheiden. Alles, was man auf diesem wackligen Fundament beschließt, kann nur falsch sein. Und jetzt sehe ich die Strafe, die darauf folgt: die eigene Tochter erst in Jahren wieder und vielleicht - wer weiß das schon - nie wieder zu sehen. Ich habe die Strafe verdient, aber du bist mitbestraft, und das hast du nicht verdient. Du, die immer die Familie als Ganzes behalten wollte.

„Ich mag Mama, ich mag Papa, die alte Oma, die Polen-Oma, die Betreuerinnen in der Kita ...“ - du hast alle aufgezählt und gehofft, dass dieses Gefüge zusammenbleibt, dass alles so bestehen bleibt, wie es ist. Wieso war mir dein Wunsch nicht Befehl? Wieso glaubte ich, mehr für meine Rechte (was immer das sein mag), als für deine Wünsche kämpfen zu müssen?

So hörte ich auf den Anwalt, nahm Domi mit und ließ dich zurück. Verrat an deiner Seele. Tränenreiche Abschiedsszenen, Geschrei und Gezeter, wenn wir, Domi und ich, nach Krefeld zur alten Oma fuhren, wo wir jetzt lebten. Du wolltest mit, unbedingt. Wir ließen dich zurück. Am nächsten Tag würden wir ja wieder da sein. Bis dahin würdest du es schon aushalten, dachten wir. Hast du ja auch. Es wurde ja auch alles irgendwann wieder etwas besser, die neuen Dinge spielten sich ein, jeder wusste, wo sein Platz war. So schien es. Bis auf deine Mutter. Die hatte ihren Platz verloren. Jetzt versucht sie für dich und sich einen neuen zu schaffen, tausend Kilometer entfernt. Ich hoffe, sie weiß, was sie tut und kann dich beschützen. Ich konnte es nicht.

„Können Sie Ihre Kinder schützen?“, fragte mich eine Jugendamtsmitarbeiterin. Domi: ja; Jul: nein, muss die Antwort lauten. Was den Schutz meiner Tochter betrifft, habe ich versagt. Eine so schlechte Ehe zu führen, dass man nicht mehr weiß, wo einem der Kopf steht, ist keine Entschuldigung. Ausreden zählen nicht. Gegenüber seinen Kindern darf man nicht versagen. Und über die Ehe möchte ich nicht reden. Diese Groham-Ehe, wie ich sie nenne. Und Groham steht für: großer Haufen Mist.

Die Erinnerung an diese Zeit wird auch bei dir noch vorhanden sein, tief im Innern. Da sind die ersten Verletzungen deiner Seele, schon so früh; vielleicht machst du einmal eine Therapie und arbeitest alles auf, das liegt bei dir. Und die beste Therapie, die wäre, wenn wir wieder zusammen wären. Den ganz normalen Alltag lebten. Diese Normalität, die in unerreichbare Ferne gerückt ist. Was gäbe ich dafür, sie wiederzubekommen!



Der Facebook-Vater

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