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Mit an deine Mutter denken wollte ich, sie mit einbeziehen, dass auch sie mitkommt bei den Veränderungen, die sich ergaben; sie steuern wollte ich, aber deine Mutter ist nicht zu steuern, nicht mit einzubeziehen. Was ich ihr im Vertrauen gab, hat sie genommen. Zurückgegeben hat sie nichts. Genommen hat sie. Dich.

Zum Beispiel dein Kinder-Reisepass: Da du bei ihr lebtest, habe ich ihn ihr gegeben. Hätte ich das verweigert, hättet ihr zum Beispiel nicht so einfach mit dem Flugzeug das Land verlassen können. Sie hätte sie mit dir zur Stadtverwaltung gehen können, um einen neuen zu beantragen. Aber es hätte gedauert, und diese Zeit hätte vielleicht gereicht, um den Entschluss zur Ausreise vielleicht noch einmal zu überdenken. Und das Aufenthaltsbestimmungsrecht habe ich für dich nicht beantragt, weil ich einen Gleichstand herstellen wollte: Jedes Elternteil kümmert sich um ein Kind, jedes trägt Verantwortung, und die Kinder können sich häufig sehen und Zeit miteinander verbringen.

Dass meine Pläne nicht funktioniert haben, wem erzähle ich das? Du wirst es am besten wissen, du hast sie am eigenen Leib erfahren: die schmerzlichen Auswirkungen meines Scheiterns. Ich hoffe, du überstehst das alles. Bist stark genug geworden.

In den letzten Monaten hattest du dich weiterentwickelt: körperlich, geistig, viel Selbstbewusstsein. Nach außen zumindest. In der Kita wurdest du Gruppensprecherin! Das war ein Moment, da sah ich dich plötzlich mit anderen Augen: nicht mehr nur als das Kleinkind, das man vor der Welt schützen muss. Nein, als jemand, der beginnt, sich die Welt zu erobern.

Zeitgleich wurde Donald Trump Präsident der USA. Wenn das kein Zufall ist ... Vielleicht hättet ihr tauschen sollen: Trump Gruppensprecher in der Kita und du Präsidentin der Vereinigten Staaten? Wenn ich mir diesen Trump so betrachte, könnte das Sinn ergeben.

Oder war das nur eine noch brüchige Fassade? Du hast so viel gemalt in dieser Zeit, Bild um Bild um Bild ... Prinzessinnen kamen darin vor, schnelle Pferde und wehrhafte Burgen. Man muss kein Psychologe sein, um darin zu lesen: Ein beschützte Prinzessin wolltest du sein. Wie gerne du dich verkleidet hast! Als Elsa. Mit Pferden und Einhörnern warst du per du. Deinen letzten Geburtstag hast du auf einem Ponyhof gefeiert. Es kamen nur wenige Gäste, aber du warst glücklich, dass du reiten durftest. Ich seh dich noch auf dem Rücken des Ponys, strahlend über das ganze Gesicht.

Wo du jetzt bist, gibt es da auch Ponys? Bestimmt. Bist du beschützt, kümmert sich jemand um dich? Muss ich mir Sorgen um dich machen? Wenn doch nur eine Nachricht käme! Vielleicht, wenn du in die Schule kommst, das Internet und Facebook entdeckst, vielleicht dann sind wir wieder in Kontakt. Ich hoffe darauf, bete dafür -, ich, der U-Boot-Christ, wie mich ein Pfarrer einmal nannte, weil ich zu jenen zähle, die nur zu Weihnachten und Ostern in der Kirche auftauchen. Immerhin weiß ich jetzt, warum es Kirchen gibt: wegen der stillen Einkehr, die man dort halten kann. Wegen der Botschaften und Grüße, die ich von dort an dich sende.


Manche deiner zuletzt gemalten Bilder sind abstrakt. Farben- und formenstark. Eines erinnert mich an Franz Marc: Kämpfende Formen. Auch in deinem Bild ist Kampf, Rot und Schwarz und alle möglichen anderen Farben, nichts ruht, alles bewegt sich, ist aufgewühlt, ein Spiegel deines Inneren. Das Bild scheint von einem Erwachsenen zu sein, nicht von einer Fünfjährigen.

Wie die Frau im Kiosk immer schmunzelte, wenn du, als Elsa verkleidet, hereinkamst. Zwei oder drei Kleinigkeiten aus der Süßigkeitenbox presstet du mir immer ab: nein, ihr mir - du und dein Bruder. Wie gern ließ ich mich erpressen. Die Frau im Kiosk, deren Freund keine Kinder will. Und ich sehe doch, wie gerne sie welche hätte. Vermutlich am liebsten so eines wie dich.


Ich hätte deiner Mutter nachgeben sollen. Für sie den Kuchen, für mich die Krümel. Sie: die aufopfernde Mutter, ich: der Versager, der es verdient hat, aus der Familie geworfen zu werden. Ich hätte mich klein machen sollen, damit ihr groß werden und vor allem zusammenbleiben könnt.


Einen Krieg gegen die Polen kann man gewinnen. Einen Krieg gegen die Polinnen? Niemals! Das schrieb der polnische Schriftsteller Andrzej Szczypiorski. Jetzt verstehe ich, was er meint.

Aber dass deine Mutter so weit geht, das ist nicht fair und nicht gut. Sie stellt ihren verletzten Stolz, ihren Egoismus über das Wohl von dir und deinem Bruder. Hat sie noch einen klaren Blick auf die Dinge? Ich zweifele daran.


Ich kann deine gemalten Bilder nicht ansehen, ohne dass sich in mir etwas zusammenzieht. Ich kann die letzten Fotos von dir, von euch beiden zusammen nicht ansehen ohne einen Kloß im Hals. Ich war nie ein weinerlicher Typ und erkenne mich selbst nicht wieder. Es gibt keine Therapie für diesen Schmerz.

Ich danke deiner Mutter, dass sie mir wenigstens deinen Bruder dagelassen hat. So gibt es die Pflicht, weiterzuleben, nicht aufzugeben. Andererseits denke ich manchmal: Hätte sie ihn auch mitgenommen, wäret ihr jetzt nicht alleine. Wäret wie Hänsel und Gretel im dunklen Wald. Könntet euch gegenseitig Mut machen. Euch streiten, vertragen, zanken, wieder Freunde sein. Ihr beide zusammen ward toll. Manchmal saß ich nur da und sah euch zu. Und freute mich darüber, auf was für Ideen ihr kamt. Ich sah euch zu und war glücklich.



Der Facebook-Vater

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