Читать книгу If you believe - Renardo Schlegelmilch - Страница 6
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I still believe in Rock n Roll
Die Schwäbische Alb vor ungefähr 35.000 Jahren. Eine Gruppe von Frühmenschen sitzt gemeinsam am Lagerfeuer. Im Hintergrund zwitschern die Vögel. Einer der frühen Schwaben nimmt sich ein Gerät zur Hand, das er gerade geschnitzt hat. Ein hohler Tierknochen. Wenn man vorne hineinbläst, kommt hinten ein Ton raus, der sich fast so anhört, wie das Zwitschern der Vögel. Die anderen Männer um das Feuer schlagen sich einem simplen Rhythmus folgend auf die Brust. Eines der ersten Lieder der Geschichte entsteht, und es berührt die erste Musik-Gruppe der Welt. Es verbindet sie auf eine Art, die man nicht in Worte fassen kann. Es passiert irgendwas, das ihren Wissenshorizont überschreitet.
Zeitsprung. Wir sind im Wembley Stadion in London im Sommer 2016. Bruce Springsteen steht mit seiner E Street Band auf der Bühne. Die Rock-Hymne „Born to Run“ wird angestimmt. Die knapp 50.000 Menschen in der Arena fühlen sich als Gemeinschaft verbunden, für ein paar Minuten werden sie ein Leib, der das Gleiche denkt und fühlt. Einige von ihnen weinen. In Worte fassen können sie dieses Gefühl aber kaum, es übersteigt ihren Wissenshorizont.
Noch ein Zeitsprung: Wir sind in Harlem, New York City. Eine kleine Kirche, voll mit tiefgläubigen Afro-Amerikanern. Wenn die Gospelhymne „Oh Happy Day“ angestimmt wird, wird die Gemeinde zu einer Einheit. „When Jesus walks“. In religiöser Ekstase vergessen die Menschen Raum und Zeit, in Worte fassen kann das Gefühl keiner. Es übersteigt ihren Wissenshorizont.
Drei Geschichten, drei Situationen, die sich ziemlich ähnlich sind, obwohl sie Raum und Zeit weit voneinander trennt. Religion und Musik sind archaisch. Sie gehören zu den frühesten Erfahrungen der Menschheitsgeschichte. Einige Experten vermuten sogar, dass das musikalische Erlebnis, mit seiner unbeschreiblichen Emotionalität, erst zur Entwicklung der Religion geführt hat. Da ist etwas, das wir nicht erklären können, also muss es von einer höheren Macht kommen.
In der Geschichte des Christentums spielt die Musik auch eine große Rolle. Luther hat sie nach der Theologie zum zweitwichtigsten Aspekt des Glaubens erhoben. Angefangen mit den gregorianischen Chorälen der Klöster des Mittelalters bis hin zum Neuen Geistlichen Liedgut oder Sacro-Pop ist die Musik eines der wichtigsten Gestaltungselemente des Gottesdienstes und des Gemeindelebens. Ohne Musik fehlt einfach etwas. Eine Möglichkeit, das was man empfindet, auch auszudrücken, mit mehr als nur simplen Worten. Ob es um den Lobpreis im Halleluja geht, um die Bitte um Gottes Erbarmen im Kyrie, die Musik schafft eine Dimension im Gottesdienst, die dem Ausdruck der religiösen Gefühle ein neues Mittel geben kann.
Das beginnt vielleicht im Gottesdienst, aber es hört dort nicht auf. „Hallelujah“ ist auch ein Song von Leonard Cohen, „Kyrie“ ist ein 80er-Jahre-Hit der schottischen Band „Danny Wilson“. Im 20. Jahrhundert haben sich schier endlose Variationen der modernen Popmusik entwickelt. Rock, Pop, Hip-Hop oder Jazz können ganz genau so eine religiöse Dimension haben. Das kann ganz offensichtlich sein. Joan Osborne fragt in „One of us“ von 1995: Was wäre, wenn Gott einer von uns wäre? Nur ein Fremder im Bus, der genau so wie wir versucht nach Feierabend nach Hause zu kommen. Keiner wird ihn anrufen heute Abend, nur vielleicht der Papst in Rom. – Die Art-Rock Band Barclay James Harvest spricht auch ganz offen über ihren Glauben, im Lied „Hymn“ (kann man auch mit „Hymnus“ übersetzen), geht es um das Leben Jesu Christi, seine Leiden und die Auferstehung: „Für seine Werke haben wir ihn ans Kreuz genagelt. Er ist wieder auferstanden, als ob er uns fragen will: warum?“
Es kann aber auch ganz anders gehen. Popmusik kann religiöse Dimensionen entwickeln, ohne dass der Künstler es überhaupt beabsichtigt. Wenn Queen im Konzert „We Will Rock You“ anstimmen, weiß jeder im Publikum was zu tun ist: Stampf – Stampf – Klatsch! Stampf – Stampf – Klatsch! Auch hier wird ein Gefühl von Einheit beschworen, das über den Einzelnen hinausgeht. US-Rockstar Bruce Springsteen hat dieses Gefühl mal so beschrieben: „Wir kommen in eine Halle, und da ist nichts. Wir kommen zusammen mit den Menschen, die unsere Musik hören wollen. Und gemeinsam mit ihnen erschaffen wir etwas reales, etwas greifbares. Da liegt etwas in der Luft, das man nicht in Worte fassen kann.“
Die Popmusik bedient sich dabei auch sehr gerne der Symbolik des Christentums und der anderen Weltreligionen. Ohne die biblischen Texte über Verdammnis und Hölle würde es kein „Highway to Hell“ von AC/DC und kein „Sympathy for the Devil“ von den Rolling Stones geben. Musik und Religion hängen also enger zusammen, als man vielleicht denken mag. Auf vielerlei Ebenen.
Mich hat dieses Thema schon immer fasziniert. Als Moderator im katholischen Kölner Radiosender domradio habe ich mit beidem, Musik und Religion, täglich zu tun. Wie oft es da zu Zusammenhängen und Überschneidungen kommt, ist erstaunlich. Jede Radiostunde beenden wir im Programm mit einem „Himmlischen Hit“; ein Popsong, der etwas ruhiger ist als der Rest des Programms. Eine Möglichkeit runter zu kommen, zu sinnieren und auch zuzuhören, denn in diesen Liedern von Cat Stevens, Ed Sheeran, Katie Melua oder Udo Lindenberg finden sich fast jedes Mal auch Fragen zu Religion oder Spiritualität. Antworten werden übrigens eher selten geliefert, da müssen wir uns schon selber drum kümmern. Im Radioalltag finden sich viele solcher Geschichten, die zum Nachdenken über Gott und die Welt anregen. Ein paar davon habe ich im vorliegenden Buch gesammelt. Einige Geschichten befassen sich mit den schweren Fragen des Lebens, wenn zum Beispiel Eric Clapton in „Tears in Heaven“ Gott fragt, weshalb er seinen vier Jahre alten Sohn hat sterben lassen. Andere kratzen eher schmunzelnd an der Oberfläche. Belinda Carlisle findet in einem Disco-Klassiker heraus, dass der Himmel sowieso ein Platz auf Erden ist, wenn wir nur ordentlich tanzen gehen. Und mit welchen Worten beginnen wir unsere erleuchtete Reise durch die Popmusik? Ich wähle die Worte des britischen Singer-Songwriters Frank Turner (Atheist). In dem Lied„I still believe“ antwortet er auf die Frage nach seinem Glauben: „Ich glaube daran, dass jeder von uns ein Lied für sich finden kann. Ein Lied für jeden Moment, an dem wir gewonnen oder verloren haben. Wir retten hier keine Leben, wir retten Seelen. Und wir haben Spaß dabei.“ In diesem Sinne!