Читать книгу If you believe - Renardo Schlegelmilch - Страница 8
ОглавлениеWenn Musiker bei der Bibel klauen …
TITEL:Turn! Turn! Turn! (To everything there is a season) – Pete Seeger
ALBUM:Turn! Turn! Turn! (The Byrds, 1965)
Ein Lied, das in die Geschichte eingegangen ist. Als es 1965 auf Platz 1 der US-Charts stand, war es das Lied mit dem ältesten Text der Popgeschichte. Das wird es wohl auf absehbare Zeit auch bleiben. Der Text von „Turn! Turn! Turn!“ wurde fast komplett dem Alten Testament entnommen. Genauer gesagt dem Buch Kohelet. Bibelwissenschaftler vermuten, dass das Buch irgendwann zwischen dem zehnten und dritten Jahrhundert vor Christus verfasst wurde. Der Text zum Lied ist also mindestens 2300 und vielleicht auch 3000 Jahre alt. Das Buch Prediger zählt zu den eher schwierigen Texten der Bibel. Es enthält eine Sammlung von allgemeinen Richtlinien und Lebensweisheiten. Der Text des Liedes stammt aus dem dritten Kapitel des Buches (Pre 3,1–8). Die Zeilen waren damals genau so aktuell, wie sie heute noch sind. In den 50er-Jahren hat das den Liedermacher und Protestmusiker Pete Seeger (bekannt unter anderem durch „Where have all the Flowers gone?“) dazu bewegt eine Melodie zu den alten Worten zu verfassen. Ein Protestlied sollte es werden, das vor allem den Frieden in den Mittelpunkt stellt. „Eine Zeit für den Frieden“ erhofft er sich, „ich schwöre, es ist noch nicht zu spät“. Der biblische Text stellt die verschiedenen Aspekte des Lebens, positiv wie negativ, gegenüber. Für alles gibt es eine Zeit: Zum Leben und Sterben, zum Lachen und Weinen, zum Bauen und Abreißen, zum Lieben und Hassen. Das Lied kam zu einer Zeit auf dem Markt, als die Hippie- und Friedensbewegung ihren Höhepunkt hatte. Der Vietnamkrieg war in vollem Gange und auch der Konflikt Amerikas mit der Sowjetunion war allgegenwärtig. Immer mehr junge Leute in den USA wünschten sich eine Zeit des Friedens und sind auf die Straße gegangen. Musikalisch wurden sie von einer großen Garde der Protestmusiker unterstützt. Bob Dylan ist der bekannteste davon, Pete Seeger, der dieses Lied verfasst hat, wahrscheinlich der einflussreichste. Viele große Hits dieser Zeit stammen aus seiner Feder. Für Pazifismus, Umweltschutz und Arbeiterrechte ist er auf die Straße gegangen. Übrigens noch bis ins hohe Alter. Kurz vor seinem Tod 2014 (mit 94 Jahren) stand er noch gemeinsam mit US-Präsident Barack Obama auf der Bühne und hat für die Benachteiligten der Gesellschaft gekämpft. Das übrigens nicht nur auf den großen Bühnen. Es hält sich hartnäckig die Legende, dass er mal im hohen Alter einsam am Straßenrand stand, mit einem Schild mit dem Wort „Frieden“ in Händen.
Obwohl „Turn! Turn! Turn!“ aus seiner Feder stammt, waren es die Byrds, die das Lied zum Welthit gemacht haben, der heute noch gespielt wird. Der Text kommt aus der Bibel – trotzdem wird Pete Seeger als Autor angegeben. Das Einzige, was er aber textlich beigesteuert hat, ist der „Turn! Turn! Turn!“-Ausruf im Refrain, den man frei mit „Kehrt um!“ übersetzen kann, sowie die letzte Zeile: „Eine Zeit für den Frieden, ich schwöre, es ist nicht zu spät.“ Sein Lebtag hat er aber trotzdem für den Text Tantiemen kassiert. Ein großer Teil davon ging an eine jüdische Friedensorganisation, die sich gegen den Siedlungsbau in den Palästinensergebieten und für eine Zwei-Staaten-Lösung einsetzt. „Sechs Worte habe ich für das Lied schließlich geschrieben, und dafür gibt’s auch Geld“. Übrigens war Pete Seeger nicht der einzige, der diesen Bibel-Text zur Inspiration genommen hat. Die DDR-Rockband „Die Puhdys“ hat 1973 für den Soundtrack zum DEFA-Film „Die Legende von Paul und Paula“ das Lied „Wenn ein Mensch lebt“ aufgenommen. Im sozialistischen Arbeiterstaat hat keiner groß über die Bedeutung des Textes gesprochen, die Ähnlichkeiten zum Bibeltext aus dem Buch Prediger sind aber wahrscheinlich kein Zufall: „Jegliches hat seine Zeit, Steine sammeln – Steine zerstreu’n. Bäume pflanzen – Bäume abhau’n, Leben und Sterben und Frieden und Streit.“
Obwohl das Lied den ältesten Text der Popgeschichte hat, ist es bei weitem nicht der einzige Song, der sich in den Versen der Bibel bedient. Allseits bekannt ist zum Beispiel der Disco-Hit „Rivers of Babylon“ von Boney M., der Zeilen aus den Psalmen 19 und 137 zitiert. Es geht um das Exil der Israeliten, nachdem die Babylonier das Heilige Land eingenommen hatten. Das Ereignis, das die 12 Stämme Israels in verschiedene Himmelsrichtungen verstreut hat. „An den Strömen von Babel, da saßen wir und weinten, wenn wir an Zion dachten.“ (Ps 137,1). Auch hier kommt übrigens das Original nicht von Boney M., sondern von der jamaikanischen Raggae-Band „The Melodians“. Der Hintergrund des Liedes ist hier aber ein vollkommen anderer. The Melodians sind eine Rastafari-Band. Kurzer Exkurs: Der Rastafarianismus ist eine in den 1930er-Jahren in Jamaika entstandene Religion. Sie basiert auf dem Christentum, besonders auf den Schriften des Alten Testaments. Die Rastafaris sehen im ehemaligen äthiopischen Regenten Haile Selassie I. (1892–1975) die Wiederkunft des Messias. Er wird auch in diesem Lied berufen. Zur Anbetung des Messias gehört für die Rastafaris ebenfalls der Konsum von Marihuana, was zu Konflikten mit der Regierung und Polizei Jamaikas führt. Hier kommt das Lied „Rivers of Babylon“ ins Spiel. Als Babylon bezeichnen die Rastafaris die Regierung und die Behörden auf Jamaika, die sie, ihrer Meinung nach, genauso unterdrücken, wie die Babylonier die Israeliten. Deshalb werden im Lied die Psalmen über die Vertreibung des Volkes Israel zitiert.
Auch die irische Rockband U2 bedient sich bei der Bibel, im Lied „40“ (1983, Album „War“) werden die Zeilen von Psalm 40 zitiert: „Ich bin arm und gebeugt; der Herr aber sorgt für mich. Meine Hilfe und mein Retter bist du.“ Große Botschaften verbindet U2 damit aber weniger, das Lied ist aus Zeitnot entstanden, sagt Sänger Bono. „Wir haben zehn Minuten geschrieben, zehn Minuten geprobt, zehn Minuten aufgenommen und zehn Minuten produziert. Das hat aber nichts mit dem Titel 40 zu tun.“ Bei den Live-Auftritten der Band ist das Lied zum Standard-Abschlusslied geworden. Bevor die Band zur Zugabe zurück auf die Bühne kommt, singen die Fans den Text des Liedes immer weiter und weiter. Führt dazu, dass bei U2-Konzerten regelmäßig zehntausende Menschen in Ekstase biblische Verse zitieren. Wenn Bands wie U2 oder Boney M. Psalmen zu Liedern machen, sind sie übrigens relativ nah beim eigentlichen Sinn dieser Texte. Obwohl die Melodien über die Jahrtausende verloren gingen, geht man davon aus, dass viele Psalmen im Ursprung oftmals in Liedform vorgetragen wurden.
Auch das „Vater Unser“ hat es einmal in die Charts geschafft, allerdings nur in Großbritannien. 1999 hat Sir Cliff Richard sein „Millenium Prayer“, das Jahrtausendgebet als Charity-Single veröffentlicht. Den englischen Text des Gebetes legt er dabei auf die Melodie des alten englischen Volksliedes „Auld Lang Syne“. Den Engländern hat das gefallen, das Lied blieb mehrere Wochen auf Platz eins der Charts. Neben Cliff Richard haben auch andere das „Vater Unser“ musikalisch überarbeitet, unter anderem Frank Sinatra oder die australische „Rock-Nonne“ Sister Janet Mead.
Ob nun also als tiefgreifende Wahrheit über Glaube und Leben oder aus Zeitnot: Die Bibel bietet vielen Künstlern Inspiration für ihre Musik.