Читать книгу If you believe - Renardo Schlegelmilch - Страница 9
ОглавлениеEin buddhistischer Jude und sein „schräges“ Lied über Jesus
TITEL:Suzanne – Leonard Cohen
ALBUM:Songs of Leonard Cohen (1967)
Ich lehne mich mal aus dem Fenster, und sage: Kaum ein Mainstream-Künstler nimmt seinen Glauben so ernst, wie der kanadische Songwriter Leonard Cohen. Beweis? Um seinem Glauben nachzugehen hat er in den 90ern sein Leben, sein Hab und Gut und alle Beziehungen aufgegeben und ist als Mönch einem buddhistischen Kloster nahe Los Angeles beigetreten. Eigentlich war der Plan hier den Rest seines Lebens zu verbringen. Eigentlich. Dann ist aber seine Managerin mit seinen sämtlichen Ersparnissen durchgebrannt. Für Leonard gab es keine Wahl, es musste wieder Geld in die Kasse. Das hat er sich auf die Art erarbeitet, die er am besten beherrschte: Singen. Von dem Zeitpunkt an ist er quasi konstant auf Tour gegangen und hat Alben veröffentlicht bis zum Ende seines Lebens. Eine gute Entscheidung, nach diesem Comeback wurde er Jahr für Jahr bekannter und erfolgreicher. Der zweite Frühling für den Popstar, der mit seinen melancholischen Melodien und der sanften Stimme die ganze Weisheit der Welt zu verkörpern schien, zog sich bis ins Jahr 2016, als er mit 82 Jahren verstarb. Kurz nachdem er noch sein letztes Album „You want it darker“ veröffentlicht hatte. Musiker war er dabei erst auf dem zweiten Bildungsweg. Sein Lebtag hat er sich als Poet betrachtet, so hat er auch seine Karriere begonnen, als Autor von Gedichten. Mehrere Jahre hat er sich zum Beispiel auf einer griechischen Insel aufgehalten, nur um zu dichten. Selbst damals waren seine Texte schon von Gedanken über Gott und Glaube geprägt. Sein erster Gedichtband heißt dann auch „Let us compare mythologies“. Erst später, 1967, hat er zu den Texten auch Melodien geschrieben. Das Debütalbum heißt deshalb auch „Songs of Leonard Cohen“, zu dem Zeitpunkt für ihn was Neues – Lieder machen.
Ich bin sehr froh, dass ich Leonard Cohen auf dem Höhepunkt seines Comebacks noch live erleben durfte. 2009 hat er in der Dortmunder Westfalenhalle gespielt. Ich kann sehr gut verstehen, warum er in seinen letzten Lebensjahren noch mal so einen Riesenerfolg feiern konnte. Mit seiner Stimme („I was born like this, I had no choice, I was born with the gift of a golden voice“ aus „Tower of Song“) und den meditativen Melodien versetzt er sein Publikum regelrecht in Trance. Man wird in seine Welt hineingezogen. Die Zeit scheint still zu stehen, und jedes Wort von dem alten Mann mit Hut und Anzug auf der spärlich dekorierten Bühne trifft direkt ins Herz und in die Seele. Mich zumindest. Man tritt ein in eine Welt voller Melancholie, Verlangen und auch tiefer Spiritualität. Eine Welt, in der getanzt wird bis ans Ende der Liebe. Eine Welt, in der oftmals die Einsamkeit herrscht („Ich war zu lange einsam. Lass uns gemeinsam einsam sein. Lass uns schauen, ob wir dafür stark genug sind“). Eine Welt aber auch, in der oft zu Gott gesprochen wird. „Dein Wille geschehe. Lass die Flüsse sich füllen und die Menschen auf den Hügeln singen. Zeige Deine Gnade all diesen Herzen, die in der Hölle brennen. Dein Wille geschehe, dass wir ein besseres Leben führen.“ (Frei übersetzt aus „If it be your will“).
Von Leonard Cohen kommt auch das bekannteste und erfolgreichste „Hallelujah“ der Popmusik (siehe dazu das eigene Kapitel), das ist aber bei weitem nicht der einzige Bezug auf Gott und Glaube. Die Thematik zieht sich durch sein ganzes Werk. Mit „Who by Fire“ hat er ein jüdisches Gebet vertont, das traditionell an Yom Kippur, dem jüdischen Neujahrsfest, gebetet wird.
Leonard Cohen war gläubiger Jude. Seine Familie war auch maßgeblich beteiligt an der Etablierung des Judentums im Osten Kanadas. Ein Vorfahre hat im 19. Jahrhundert der jungen jüdischen Gemeinde Montreals vorgestanden. Sein Bruder war respektierter Rabbiner. Nun kann man berechtigt fragen: Wenn Cohen gläubiger Jude ist, mit langer Familientradition, warum geht er dann im Rentenalter in ein buddhistisches Kloster? Er hat selber darauf die Antwort geliefert. Beim Zen Buddhismus gehe es nicht um ein Gottesbild, sondern um Meditation. „Ich habe eine Religion und ich suche keine andere. Ich bin ein Jude.“ Als jüdisch-buddhistischer Mönch trug er den Namen Jikan: „Der Raum zwischen den Stillen“.
Bei all den religiösen Bezügen in seiner Musik findet sich in „Suzanne“, einem seiner früheren Werke, wohl eine der schrägsten Zeilen. Jesus ist ein Segler, sieht, dass nur die Ertrinkenden ihn sehen, und macht alle Menschen zu Seeleuten. Warum? Das hat zu tun mit seiner Heimatstadt Montreal, einer Fast-Affäre mit einer verheirateten Frau und Orangentee.
Das Lied erzählt von seinem Verhältnis zu Suzanne Vaillancourt, der Ehefrau eines Bekannten, die in einem Haus direkt am Hafen von Montreal wohnte. Cohen und Suzanne fühlten sich unwiderstehlich zueinander hingezogen, respektierten aber die Ehe von Suzanne und haben deshalb nie mehr getan als geredet. Bei diesen langen, intensiven Gesprächen gab es immer Orangentee, der auch in den Zeilen des Liedes verewigt ist. Eine Teemischung, aus China importiert, mit kleinen Stückchen Orangenrinde eingestreut. („She feeds me tea and oranges, that come all the way from China“). Soweit der offensichtliche Inhalt des Liedes. Bevor er aber selbst wusste, dass es in dem Lied um Suzanne gehen würde, hatte er die Melodie im Kopf, und das Bild des Hafens von Montreal. Dort in diesem Hafen befindet sich eine Kirche für die Seeleute, die in der Stadt anlegen. Notre Dame de Bon Secour, auf dem Dach der Kirche steht eine große Marienstatue, Our Lady of the Harbour, die ihre Arme gen Wasser ausbreitet, die Segler, die Ertrinkenden, willkommen heißt. Für Cohen war dies immer ein Ort der besonderen Anziehungskraft, deshalb hat er die Kirche, die Segler und die Statue in diesem Lied verewigt.
Interessanterweise stellt Cohen die Beziehung zu Suzanne und die zu Gott bzw. Jesus in diesem Text auf die gleiche Ebene. Zumindest wenn es darum geht, was sie mit ihm als Menschen anrichten. Im ersten Refrain heißt es „Du willst ihren Weg mitgehen, blind, und du weißt sie vertraut dir, weil du ihren perfekten Körper mit deinem Geist berührst“. Nach der Strophe über Jesus und die Seemänner bezieht er diese Worte aber auf Christus: „Verlassen, fast menschlich, willst du seinen Weg gehen, blind, du willst ihm vertrauen, weil er dich mit seinem Geist berührt hat.“
Und was wurde aus Suzanne? Nachdem sie als Tänzerin in den 70ern die halbe Welt bereiste, erlitt sie eine Rückenverletzung und lebte später in einem umgebauten Campingwagen in der Nähe von Los Angeles. Cohen hatte sie nach der Veröffentlichung des Liedes nur noch einmal getroffen, kurz nach einem seiner Konzerte. Er gab ihr die Hand und bedankte sich mit den Worten: „Du hast mir ein wunderschönes Lied geschenkt.“