Читать книгу Überlast und Kernschmelze - Renate Amelung - Страница 7
An sonnigen Tagen
Оглавлениеmachte die Arbeit auf dem Carlsplatz mehr Freude, als an Regentagen oder im Winter bei Frost. Sie musste sehr früh da sein, denn bis alle Kisten mit Gemüse und Salaten in der Auslage standen verging eine geraume Zeit, und es war eine anstrengende Plackerei. Isa hatte Stammkunden die jeden Mittwoch kamen, oft schon über Jahre. Das Gemüse und alles was der Markt bot, Fleisch, Käse, Gewürze, Blumen und vieles mehr war nicht billig. Wer hier einkaufte musste schon ein wenig Geld locker haben für Bioproduckte und ausgefallene Auslagen. Sicher der teuerste und edelste Markt in Düsseldorf. Der Düsseldorfer traf sich hier gerne mit Freunden ob flüchtige bekannte, Nachbarn oder man kam beim Kaffee oder Alt nach dem Einkauf einfach nur ins Gespräch.
Dann sah sie ihn. Er kam jeden Mittwoch und samstags. Er war Stammkunde bei Maria. Isa schob Maria an die Seite. „Den Herrn bediene ich heute.“
„Na nu, der Makedores war dir doch immer zu kompliziert“, wunderte sich Maria.
„Heute bin ich kompliziert für ihn!“
„Du weißt doch gar nicht wat der will!“
„Heute will der was ich will!“
Lev Czok machte nicht den Eindruck als benötigte er eine Stammbedienung. Was Isa zu einem kecken Blick zu Maria reizte. Zu Lev sagte sie. „Hallo, Lev.“
„Ja.“ War seine knappe Antwort.
Okay, großartig gesprächig war er nie, hatte sie fast vergessen.
Er wollte Radicchio aber nur di Trativo, drei San Marzano Tomaten, Mini Pak Choi, das war einfach doch dann kam die Diskussion über Zwiebeln denn es durften nur rote Cipolle Rosse di Tropea sein. Sie packte in Ermangelung rote Braunschweiger ein, was sie den ganzen Tag noch schwer belastete. Dann wollte er noch eine Avocado, aber keine Hass Avocado, sondern eine Fuerte, aber nicht aus Israel oder Spanien, sondern aus Kenia. Isa dachte ich hasse dich auch gleich. Ehrlich sie machte drei Kreuze als er mit seiner Beute davonzog. Noch nicht einmal im Ansatz kam sie mit ihm ins Gespräch ob er als Gutachter irgendwas für ihre Tante tun konnte. Das war typisch für sie übermütig prescht sie mit einem Gedanken voraus, malt sich alles in den schönsten Farben aus und dann bringt sie kein Wort raus.
„Bist nicht klar gekommen mit ihm!“ sagte Maria.
„Doch.!“
„Ach wat, ich hab Klüsen im Kopp. Drüben beim Fleisch will er wissen wat dat Tier jefressen hat und ob es jeden Tag gestreichelt worden ist. Und Pfeffer kauf er nur, wenn da keine Kengerhände dran waren.“
„Du kannst ihn wieder haben“, stöhnte Isa.
„Ach wat jing doch. Nur das mit den Braunschweigern war heikel. Ob er dir dat abgenommen hat oder wahrscheinlicher ist, er gibt dir ne Chance.“
„Er gibt mir eine Chance? Was willst du damit sagen?“
„Also wenze jemand suchst der kein Freund von deinem Ulf Friehe ist, dann liegste da richtig. Lass den Kittel hier. Der sitz jetzt vorne im Café, gleich hier den Gang raus, aber pass up das is kein Knüzkesbäcker.“
Überraschungen mochte er nicht. Trotzdem Lev dachte er muss sich mal langsam an das erinnern was er mal gelernt hatte, denn, wenn er an dem Projekt dran bleiben wollte im Alter nicht allein zu sein, dann war sie ein geeignetes Objekt. Attraktiv, nicht gerade groß, mit Biss, sie stand mitten im Leben, das sie alleine meisterte. Er muss ihr nicht die Brocken hinterhertragen. Geld war egal, seins reichte.
Isa hatte sich das gut überlegt als sie zwischen den Ständen durchging. Es gab noch das Argument Auto, sie hatte damit das Recht böse auf ihn zu sein. Wie sollte sie vorgehen? Brav Danke sagen oder ihm die Unverschämtheit seiner Eigenmächtigkeit an den Kopf ballern. Wirtschaftlich gesehen sollte sie ihn lieber fragen, in welchen Raten sie ihm die Reparaturkosten zurückzahlen kann. Es kam anders. Mit einer Handbewegung bot er ihr den freien Platz an, die zweite Handbewegung setzte den Kellner in Gang der zwei Espresso brachte. Dann sagte er. „Ich hatte auch einen Clio, lange her. Es wäre zu schade um den Wagen gewesen. Das ist schon ein Yougtimer, was willst du dafür haben, abzüglich der Reparatur?“
Sie sind per Du! Damit war klar auch er wusste wer sie war. Es war auch der Moment wo sie sich fragte welche Rolle sie damals gespielt hatte. Sie hatten den Vertretungsplan getauscht, er saß in der Klasse und sie waren im Schwimmbad, Sprühsahne in den Turnschuhen, Ärmel der Jacke zugenäht im Winter, Brille weggenommen und in den Schranklaufen lassen, Tür zu, das übelste war sicher, dass sie die hinteren Stuhlbeine angesägt hatten, da gab es richtig Ärger.
„Ich verkaufe nicht!“, sagte sie rasch.
„Ich kann warten.“
„Aber wie soll ich dich finden, wenn ich es mir überlege und ich verkaufen will? Eine Visitenkarte ohne Adresse und Telefonnummer ist da nicht hilfreich.“
„Wer zu mir will hat meine Telefonnummer.“
Idiot!
„Du hast mich doch gefunden“, sagte er.
„Zufall!“
„Das Leben ist ein einziger Zufall.“
„War das auch ein Zufall am Samstag an der Bleibergquelle?“
„Ja, ich war zufällig noch da.“
„Wieso?“
„Ich wollte wissen was aus meinen lieben Mitschülern geworden ist, doch dann dachte ich wozu.“
„Weil es interessant ist“, meinte sie.
„Zu wissen, wer in welchem Reihenhaus wohnt, wie viele Kinder er hat, ob er seine Frau betrügt, wie er auf dem Gang Fahrrad gefahren ist um Amtsrat zu werden, ob er sein Personal tritt oder die Kunden betrügt, welches Auto er sein nennt obwohl er den Brief nicht hat oder die Steuern nicht zahlt. Nee wollte ich nicht.“
Damit hatte er die Hauptthemen angerissen die den Samstag beherrschten.
„Und was wäre dein Beitrag gewesen?“
„Weiß nicht, war ja nicht da.“
Egal eine Frage musste raus, denn eine weitere schlaflose Nacht wollte sie umgehen. Die Frage marterte sie, seit sie seine Visitenkarte gelesen hatte. „Du warst damals nicht auf dem Abschlussfest?“ Wie platt, geradezu ungeschickt. Sofort verfluchte sie die Frage. Schlaflose Nächte waren nichts gegen seinen Blick, mit den Augen eisig, wie ein zugefrorener See. Sie kam sich vor wie eine vorschnelle Schnappschildkröte.
„Ich hatte keinen Anzug, damals.“ Er schmunzelte jetzt mild. „Nein, ich saß im Flieger, ich hatte ein Praktikum in den USA. Außerdem wollte ich zu gar keinem Treffen kommen. Das ist nicht so meine Sache, alte Zeiten und so. Warum bist du gekommen, sicher nicht um mir den Pullover zu bringen.“
Pullover, den hatte sie vergessen, dabei hätte es jetzt die Stimmung auflockern können und sie hätte das eigentliche Ansinnen verwerfen können. Pulli in die Hand gedrückt und weg hier. Weg, für immer, nie wieder in seiner Nähe, die ihr so unheimlich vorkam. War unheimlich das richtige Wort? Pulli? So ein Quatsch, woher sollte sie gewusst haben, dass sie ihn hier triff? Oder hatte er sie schon lange am Stand erkannt? Sie schnappt unmerklich nach Luft. Verdammt der hat eine Art sie in die Irre zu führen. Woher sollte sie wissen, dass sie ihn hier zufällig trifft? Womit sie das Wort Zufall auch wieder in Frage stellte. Also gut, warum ich hier bin. Erlaubt dein Terminplan ein Gutachten, für mich zu erstellen, also für meine Tante?“
„Da kommst Du zu mir?“
„Mir ist nichts Besseres eingefallen.“
„Aha!“
Na super, er hat wieder was ganz anders verstanden als sie gesendet hat. Doch es ging um ihre Tante und einen schäbigen Ex da rappelten sich ihre Gedanken unwillkürlich auf. Er war nicht nur ein Architekt er war ein Regisseur des Momentes. Seine Gegenwart nahm ihr das Selbstbewusstsein. Sie wusste nicht warum und ärgerte sich gleich wahnsinnig.
„Branchenbuch, da gibt es genug!“, sagte er.
„Ja, aber …“
„Was ja oder aber?“
An seiner Körperhaltung erkannte sie, dass er nicht ablehnend war eher amüsiert, bereit ein Spiel zu spielen, das er als Spielmacher in der Hand hielt. Das wollte sie sicher nicht!
„Aber jede Bausparkasse oder Bank bietet das an, wenn man eine benötigt. Für Gefälligkeiten bin ich nicht zu haben,“ sagte er.
„Nein, das sicher nicht. Wie kommst du darauf, dass es eine Gefälligkeit sein soll?“
„Da ist doch ein Hacken, wenn ihr nicht die Bankeigenen Gutachter bemüht. Würdest du da anders denken?“ Er lächelte, sicher sein schönstes was er hatte. „Oder wolltest du mich wiedersehen?“
Ehrlich gesagt musste sie mit ja antworten, das kam ihr schlagartig in den Sinn, und sofort war sie betroffen von ihren Gedanken. Sie war viel zu neugierig und hatte sich auf der gesamten Rückfahrt von Velbert gefragt was aus ihm geworden ist und jetzt sitzt sie hier. Völlig perplex, das hätte sie nie und im Traum nicht gedacht. Jetzt sollten ihr schleunigst ein paar gute Argumente einfallen! Aber sie hörte nur das Rauschen der langsamen Gedanken. Doch plötzlich half er ihr damit sie nicht ganz über den Rand in den Abgrund fiel.
„Lassen wir Sentimentalitäten. Nenne wir es Zufall und zufällig benötigst du einen Gutachter. Ob du bei mir richtig bist, ist noch fraglich. Was ist passiert?“
„Ich weiß nicht wirklich viel. Meine Tante und ihre Freunde wollten ein Haus bauen, Barrierefrei und großzügig, nicht so kleine Zimmer wie sie in den Heimen sind, aber auch nicht so teuer wie der Rosenhof oder Haus Lörick. Und…“ Mist! „Sie haben wohl fehlinvestiert. Das Alter hat sie wohl leichtsinnig gemacht. Es ist Baustopp und der Architekt ist verschwunden.“
Er hatte ihr schweigend zugehört. Nicht eine Zwischenfrage, keine Mimik. Er wollte wissen wo der Bauplatz war.
Irgendwo zwischen Korschenbroich und Liedberg lag die Baustelle. Der Standort entlockte ihm einen Blick als hätte sie ihn auf eine rooftop Party eingeladen, die nun wirklich nicht sein Ding war.
„Unser Bürgermeisterkandidat, meinst du der hat eine Chance?“, wollte er wissen.
Was für eine Wendung im Gespräch?
„Bernd, er war immer schon ein Drahtzieher, ein Macher, wenn er sich was in den Kopf gesetzt hat dann wird er das Ziel erreichen und wenn er über Leichen geht.“
„Der alte Bernd Steiner“, sagte er stimmlos.
„Früher verdammt eitel heute umso mehr. Hast du verpasst am Samstag.“
Das wird jetzt nicht der Einstieg in die Frage was aus ihr geworden ist? Kunststudium erfolgreich, ohne nennenswerten Erfolg, aber ehrliche Arbeit die ihr Spaß macht, ganz ohne Alltagstrott. Da hatte sie gerade verdrängt, dass sie für ihn nur eine Gemüse Marktfrau ist, die Cipolle Rosse di Tropea nicht von Braunschweiger unterscheiden kann.
Er sah auf die Uhr. Fünf Uhr am Nachmittag. Stand auf, zahlte den Espresso. „Schick mir alles was du hast in mein Büro auf den Kaiser-Wilhelm-Ring.“
Er hing am Hacken. Ihm gefiel das Projekt private Altenresidenz, jedoch die Lage, der Bauplatz mitten in der Pampa, was sollen denn rüstige Rentner auf den Kappesfeldern?
Isa sagte. „Ich frage mich, ob ich mir dich leisten kann?“
„Ich weiß nicht ob ich eine Rechnung schreibe. Immerhin habe ich dir das Abitur versaut.“