Читать книгу Überlast und Kernschmelze - Renate Amelung - Страница 9

Isa ärgerte sich insgeheim,

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was sie wiederum mächtig störte. Sie wird Lev sicher nicht wiedersehen, denn sie hatte es aus der Hand gegeben. Sie musste sich eingestehen, dass sie es bedauerte. Alles Weitere regelt der Herr Architekt mit den Senioren. Klara und Hannes suchten nicht mehr nach einer Hypothek, es war ruhig um die Senioren geworden, also zog sie das Resümee das Projekt Alten WG sei geschlossen.

Sie gönnte sich an diesem sonnigen und recht milden Herbsttag einen Bummel durch die Stadt, kehrte bei Breuniger ein und verließ genauso schnell wieder den Kö-Bogen, denn es war nicht ihre Welt. Gelangte bald zur Königsallee. Die Straßencafés waren voll und überall wurde Prosecco geschlürft. Düsseldorf konnte so dekadent sein. Obdachlose kauerten mit ihren Hunden vor Prada oder H & M Fenstern. Auf der Straße parkten die Nobel Cabriolets. Die ersten Pelze wurden ausgelüftet und stolz ausgeführt.

Dann sah sie ihn. Er war so auffallend anders, nicht billig aber schlicht gekleidet unspektakulär, Cargo Hose, T-Shirt. Im Sonnenlicht sah sie, dass er mehr grau als blond war. Lev hatte eine Tüte von Saturn in der Hand und steuerte direkt auf sie zu. Und neben ihm ging, sie stutze, ein älterer Mann. Jedoch, sie traute ihren Augen nicht. Hannes, sie hatte ihn beinahe nicht erkannt. Hannes trug die grauen Haare, die seit Jahren keine Schere gesehen und ihn so wie ein zu groß gewachsenes Rumpelstilzchen aussehen ließen kurz gestutzt. Nicht genug, da war auch Klara, mit flottem Kurzhaarschnitt und Föhnfrisur. Sie hatte das ewig alte und langweilige rosa Ajour-Muster abgelegt und gegen blauen Strickblazer und Jeans ausgetauscht. Ausgelassene Laune ging mit ihnen des Weges. Ja, Isa war als musste sie ihre Emotionen neu organisieren.

Hannes umarmte sie überschwänglich und Klara verteilte Wangenküsse während Lev da stand wie eine vereiste Wassersäule. Doch bei genauem Hinsehen, huschte ihm polare Sonne über das Gesicht. Sein Händedruck war viel zu frostig und zu fest. Idiot, elender, dachte Isa, wenigstens den Verstand wollte sie auf Abstand halten.

Eigentlich wollte Lev ins Büro und sich mit seinem neuen Laptop befassen. Eine wichtige Anschaffung die er für das Projekt Senioren WG benötigte. Was er vorhatte beschrieb er selbst mit einem hohen Maß an Hybris oder aber mit Mut, gar flottierendem Leichtsinn. Vermutlich war beides mit von der Partie. Jetzt aber wurde sein Verstand, eher ausgeschaltet, von anderen Organen regiert, so ließ er sich nicht lange bitten und landete in einem Café. Es war eng und er saß viel zu dicht neben Isa. Nähe die ihn irritierte.

Die beiden Rentner bestellten Sekt, auch für Isa, er wählte einen doppelten Espresso. Sektrauschen im Kopf konnte Lev jetzt nicht gebrauchen.

Isa hätte sich freuen sollen die beiden Alten so munter zu erleben. Ausgerechnet diese Heiterkeit zog sie runter. Verunsicherte sie. Intuitiv gab sie Lev die Schuld, war natürlich völliger Unsinn. Das wusste sie. Er muss doch mit ihnen geredet haben, das Bauvorhaben ausgeredet haben! Das hatte er, und zwar grünlich erfuhr sie von Hannes nach dem ersten Schluck Sekt. Nur warum stimmt es die beiden Senioren noch immer so gut gelaunt?

Sie beobachtet Lev aus dem Augenwinkel. Er war stumm, löffelte zu viel Zucker in seinen Espresso. So frostig wie er war, spürte sie doch den Teufel des Jahrhunderts, der sein Feuerzeug sucht in ihm.

Isa öffnete die Handtasche und gab den beiden Alten, die Einladung zu ihrer kleinen Vernissage und sie zog noch eine für Lev aus der Tasche. Das war der Moment ihm zu zeigen, dass sie nicht nur Gemüse verkaufte. Vor allem aber ihr ein Wiedersehen versprach, wenigstens die Hoffnung darauf..

Hannes prostete ihr vergnügt zu. „Wir haben einen Verein gegründet.“

„Wer wir?“, wollte Isa wissen. Hatten die Alten jetzt den Verstand verloren?

„Wir vier, Klara, Franz, Berta und ich.“

„Ihr vier!“

„Du kannst eintreten, jeder kann es“, soufflierte Hannes während Klara heftig nickte. Ihre Augen hingen an Hannes.

„Warum sollte ich das tun?“

„Du kannst dir zum Beispiel einen Altersruhesitz sichern. Oder jetzt schon einziehen in ein hübsches Appartement. Wie denken an eine zentral gelegene Stadtvilla.“

Wer? Isa sah zu Lev. Der dachte gerade nichts außer Kaffeesatz im Espresso.

Hannes fuhr fort: „Wer von Anfang an dabei ist kann sein Reich noch mitgestalten. Natürlich nur, wenn es in das Baukonzept passt. Du weißt schon Bio, also nachhaltig. Wir finanzieren das mit einem Mehrgenerationen Haus. Jung hilft Alt und anders rum.“ Hannes sprach es aus einer tiefen Überzeugung heraus. „Jedem ist so geholfen.“

Nachhaltig, Isa schluckte. Sie tötet Lev fast mit einem schneidenden Blick. „Wer brauch das denn, wem wollt ihr helfen? Da bleiben doch nur Alleinerziehende mit sozial schwachem Hintergrund über und die wollen bestimmt nicht zu ihren sechs Kindern zusätzlich für alte Leute einkaufen und putzen. Geschweige dass sie über Kapital verfügen, das ihr ja benötigt. Die anderen Menschen brauchen euch nicht, die beschäftigen Personal. Ich sehe nicht wie ihr das finanziell stemmen wollt!“

„Einem Verein kann man auch Geld stiften“, grinste Klara ihren Einwand weg. „Einige Investoren könnten wir schon noch gebrauchen.“

„Ha, das glaubst du doch nicht, dass ihr da jemand für begeistern könnt.“

„Ich glaube sogar noch mehr, nämlich, dass wir einen Investor und nicht nur einen finden,“ sagte Hannes lakonisch. Isa sah den alten Mann an als hätte er in der letzten Nacht den Verstand völlig verloren. Dabei sah sie Lev an wie ein Stier vor dem Kampf.

„Isa, glaube mir er kann Berge versetzen“, zischte Hannes, während Klara noch immer bestimmend nickte.

„Nun ja, Isa, an das Gute glauben war noch nie dein Ding.“ Mit diesen Worten erhoben sich die beiden Alten. Hannes klopfte Lev auf die Schulter. Der zuckte erschrocken zusammen.

„Die Quittung von dem Laptop kannst du behalten. Ich kann sie eh nicht abrechnen“, sagte Hannes.

„Ich auch nicht“, antwortetet Lev. „Behalte sie, ist bei dir besser aufgehoben.“

Sie waren per du? Isa stutzte.

Mit einem Elan der Isa Sorgen machte und einem kurzen Ade, verschwanden die älteren Herrschaften.

Unvermittelt trat Isa Lev vors Schienenbein. Er erschrak sichtlich zwei tätliche Angriffe auf seine Körper das ging gar nicht. Dazu wurde er doch aus seiner stoischen Ruhe gerissen.

„Hast du den Alten die Flausen in den Kopf gesetzt!“ fauchte sie mehr als fragend.

„Fuseln?“

Flausen, Unsinn!“

„Was heißt hier Unsinn? Du wolltest, dass ich ihnen es ausrede in der Diaspora zu bauen. Zeige mal etwas Zufriedenheit! Genau das habe ich getan, sie vor dem Bauvorhaben abgebracht. Nur nicht ohne ihnen Perspektiven zu bieten. Stadtvilla klingt doch nicht schlecht.“

„Idiot, Vollidiot!“

„Danke, ich weiß schon seit der Zehnten was du von mir hältst.“

Sie wollte etwas sagen, nur was und wie, bloß keine Entschuldigung abringen, aber sie kam nicht dazu.

„Ich habe einen Freund, der kümmert sich darum.“

„Du hast Freunde?“ Verdammt schon wieder so ein Patzer! Kontenance!

Genau diese Kontenance zeichnete ihn aus, nicht auf solche Fauxpas zu reagieren. „Nicht wirklich ein Freund. Bruder kann ich schlecht sagen. Ich bin mit ihm aufgewachsen in einer Familie damals. Er ist Rechtsanwalt bei Götz & Partner.“

Der Nobelschuppen! Die sind gerade in den Kö-Bogen gezogen! Und er stammt auch aus dem Immigrations-Getto Hellweg?. Was haben die denn den zwei Jungs damals ins Essen gekippt, dass die so durchstarten konnten?

„Das Grundstück hätte nicht vom Eigentümer verkauft werden dürfen. Der Boden ist verseucht. Da hat mal vor vielen Jahren ein Mastbetrieb gestanden als man von Biologisch noch nichts wusste, geschweige es schreiben konnte. Jede Menge Chemie ist im Erdreich. Das Fundament hat ein Architekt zu verantworten, der wenig Ahnung hat und wer das vermessen hat erschließt sich mir nicht. Es lag keine Baugenehmigung vor. Da hatte man wohl auf eine rückwirkend fungierende gehofft. Der Notar macht da auch noch eine windige Figur. Sie werden ihr Geld zurückbekommen.“

Jetzt hätte er ein Lob verdient., dachte sie. „Und was soll das mit der Stadtvilla?“, wollte sie wissen.

„Abwarten!“

„Ich kann nicht abwarten.“

„Musst du aber! Wenn wir alles täten wozu wir in der Lage sind, glaubten wir an Wunder. Ich glaube an Wunder!“

Noch nie hatte sie ihn so genau gemustert wie jetzt. Irgendetwas tut sich da auf und das ist nichts Kleines. Er glaubt an Wunder – weil er etwas tut wozu er in der Lage ist! Wozu ist der Mann noch in der Lage außer die Grünen Bewegung mit Bio-Hütten zu erfreuen? Wenn sie mal davon absieht, dass er ein Grüppchen Senioren verjüngt hat. Aber diese verdammt gute Laune, die aufgeladene Energie. Wieso kauft Hannes einen Laptop und benötigt die Rechnung nicht und Lev schleppt das Gerät mit sich?

Dünn wie eine Bohnenstange, ausgefranste Jeans mit Löchern und Schlabberpulli und wirren dunkelblonden Haaren. Immer eine Digital-Kamera mit Teleobjektiv in der Hand so stand Isas Bruder plötzlich am Tisch um sich im selben Moment schlaksig auf einen Stuhl zu katapultieren.

Und Lev hätte sein Vermögen verwettet, wenn das kein Schreiber vom Stadtanzeiger oder Blitz weiß alles ist. Tatsächlich Isa stellte ihn mit Jonas ihrem kleinen Bruder vor. Jonas betonte Halbbruder Jonas Vogt und outete sich spontan selbst als Freiberuflichen Schreiber und Reporter, Betonung erfolglos, aber er war sicher der Durchbruch kommt.

Genau das war es was Lev noch in sein Konzept passte, ein Schreiber der Erfolg suchte und eine gute Geschichte benötigte. Er würde sie ihm liefern und ihn damit zu einem kleinen Zahnrädchen in einem großen Getriebe schmieden. Jonas war der Mann, der ihm die Lösung zu einem Problem, das bisher noch im Raum schwebte auf dem Silbertablett servierte.

Isa machte unterdessen ein Gesicht als hätte sie an einer Peperoni gelutscht. Lev hatte nicht unrecht, denn ihr war die Anwesenheit ihres Bruders eher etwas peinlich. Für sie war er ein Spinner mit hochtrabenden Flausen im Kopf, der morgens nicht aus den Startlöchern kam, der darauf lethargisch für den nächsten Tag Ziele steckte die er nie erreichen konnte.

Lev hatte inzwischen bezahlt. Es war Zeit zu gehen und sich einen Hot Spot zu suchen.

Die Königsallee, bei sonnigem Wetter erlaubt es sicher einen Menschen in Windeseile zu verschlucken und durch die Pokemon go Massen über die Girardet Brücke unterzutauchen. Das nutzte Lev. Isa saß noch da und war in Gedanken verzerrt.

Dann tauchte Sabine auf. Isa hatte bei den Ereignissen fast vergessen, dass sie mit ihr hier verabredet war. Zwei gerade verlassene Frauen, die gemeinsam über die Verflossenen lästern wollten.

Das Erste was Sabine fragte war. „Wer war das?“

„Wer?“

„Der Typ. Den würde ich auch nicht von der Bettkante schubsen.“ Sabine schaute noch immer zur Girardet Brücke. Aufpassen bei der Wahl der Männer, das hatte Sabine noch nie gekonnt.

„Du wirst es nicht glauben, das war Lev Czok.“

Sabine lachte. „Nicht etwa der kleine dicke, linkische Trottel von damals.“

„Doch, genau der!“

„Oh, hast du ihn eingeladen?“

„Eingeladen, wozu?“

„Zu deiner Ausstellung, ein Grund mehr um zu kommen“, flötete Sabine und winkte der Bedienung zu um zwei Prosecco zu bestellen.

Für Sabine hatte Isa einen mitleidigen Blick. Lev war kein Mann den man sich auf die Speisekarte setzt, den ein üppiger Ausschnitt oder ein Augenaufschlag aus der Fassung bringt. Wenn den Lev überhaupt zu ihrer bescheidenen Veranstaltung erscheint. Das war gerade genau ihr Problem. Lev und Gesellschaft, Smalltalk das passt nicht zusammen.

Nur sie kann jetzt nicht fünfzehn Leute ausladen wegen einem Egozentriker.

Überlast und Kernschmelze

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