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Hutten und Luther

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Inhaltsverzeichnis

Der merkwürdige Augenblick rückte heran, wo die beiden gegen Rom sich heranwälzenden Ströme, der humanistisch-nationale und der religiöse, zusammenflossen, um vereint die römische Weltherrschaft zu stürzen. Nach der Leipziger Disputation fing Hutten an, in Luthers Auftreten das zu erkennen, was mit seiner Gesinnung übereinstimmte. Der Mut des Mönchs zog ihn an, stellte den Kuttenträger dem Ritter gleich. Als er im Beginn des Jahres 1520 bei Sickingen auf dessen Burg Landstuhl war, erzählte er ihm von Luther und erreichte ohne Mühe, daß Franz dem Augustiner brieflich seinen Schutz versprach und ihn einlud, zu ihm auf eine seiner Burgen zu kommen, wenn er verfolgt würde. Im selben Sinne schrieb Hutten an Melanchthon; eine unmittelbare Beziehung hielt er nicht für statthaft, weil er auf den Erzbischof von Mainz Rücksicht nehmen mußte, in dessen Dienst er damals stand. Daß von einer anderen Seite her und aus anderen Quellen entsprungen ein Angriff auf Rom im Gange war, und zwar ein wirksamerer und folgenschwererer als der seine, bestärkte ihn in der Absicht, zu planvoller Kriegführung überzugehen.

Im Mai des Jahres 1520 ließ ihn der Zufall eine alte Schrift entdecken, Erlasse verschiedener Universitäten vom Ende des 14. Jahrhunderts, deren gewissenhafter Freimut aller Welt den Knechtssinn gegenwärtiger Universitäten deutlich und verächtlich machen sollte, die keinen anderen Maßstab kannten als den Willen des Papstes und um der Gunst des Papstes willen die Wahrheit verrieten. Der Veröffentlichung ließ er wieder eine Zueignung an alle Deutschen vorangehen, in der er zuerst sich über die unwürdigen Theologen der Gegenwart erging, die ehrliche Menschen denunzierten, denen sie beistimmen müßten, wenn sie ihr Gewissen sprechen ließen. Aber schon sei die Axt an die Wurzel der Bäume gelegt, und jeder, der nicht gute Frucht trage, werde ausgerottet werden. Nun sollten auch sie, die Deutschen, sich unerschrocken erweisen. »Denn durchgebrochen muß endlich werden, durchgebrochen, besonders mit solchen Kräften, so gutem Gewissen, so günstigen Gelegenheiten, einer so gerechten Sache, und da das Wüten dieser Tyrannen aufs höchste gestiegen ist. Das tut und gehabt euch wohl. Es lebe die Freiheit! Ich hab's gewagt!« Auf dem Titelblatte der Schrift stand: Vivat libertas! Iacta est alea. »Ich hab's gewagt!« so übersetzte er das berühmte Wort Cäsars. Er hatte den Rubikon überschritten, hatte nach ritterlicher Ehrenpflicht die Fehde angesagt. Am 4. Juni forderte er brieflich Luther auf, den großen Kampf gemeinsam mit ihm zu kämpfen. Er erwähnt das Gerücht, der Papst habe Luther in den Bann getan, um ihn wegen der Größe glücklich zu preisen, zu der ihn das erhebe, wenn es wahr sei, und er ermutigt ihn, obwohl Luther dessen nicht bedürfe. An mir, schreibt er, hast du einen Anhänger in jedem möglichen Fall.

Schon vorher, im April, hatte Hutten mehrere Gespräche vollendet, von denen eines Vadiscus hieß. Unter dieser Maske faßte er alles, was er Rom vorzuwerfen hatte, in Triaden oder Dreiheiten zusammen. Es waren dieselben Beschwerden, die seit einem Jahrhundert in Deutschland erhoben wurden; sie betrafen auch den Schaden, den die Deutschen durch die in Rom herrschende und von dort weiterwirkende Sittenlosigkeit litten, hauptsächlich aber die finanzielle Ausbeutung. Er nannte Rom die große Scheune des Erdkreises, in deren Mitte der unersättliche Kornwurm sitze und ungeheure Haufen Frucht verschlinge, den Deutschen das Fleisch abnage und das Blut aussauge. Die Deutschen zur Erkenntnis dieser Schmach zu bringen, Deutschland zu befreien, sei eine große, eine herrliche Tat, schon der Versuch sei wertvoll, selbst wenn man ihn mit dem Leben bezahle. Wie ernst es ihm war, zeigte er dadurch, daß er nicht nur klagte und anklagte, sondern einen Vorschlag machte, wie der Kampf einzuleiten sei: Deutschland solle die Zahlungen nach Rom einstellen. Dadurch werde die verarmte Kurie gezwungen werden, sich zu ändern. Das Ziel des Kampfes sei ja nicht, das Papsttum abzuschaffen, sondern es zu reformieren.

Einige Monate darauf erschien Luthers Sendschreiben an den Adel deutscher Nation von des christlichen Standes Besserung; wie zu einem Zwiegesange fiel die deutsche Stimme ein, nicht weniger schwungvoll, aber viel tiefer begründend, einem reicheren, umfassenderen Geist entsprungen. Luther hatte bisher als Theologe und gläubiger Christ geschrieben, jetzt schrieb er als Glied des Reiches, alle öffentlichen Verhältnisse überblickend. Zweck seiner Schrift war, ein Konzil, ein freies rechtes Konzil zu verlangen und die Forderungen aufzuzählen und zu begründen, die dort im Hinblick auf die Reformation erhoben werden sollten. Sie wendet sich an den Kaiser und an den Adel, weil die Geistlichkeit, der es eigentlich zustehen würde, die Reformation vorzunehmen, versagt habe.

Indem Luther den Triaden-Rhythmus, den Hutten angegeben hatte, aufnahm, nannte er drei Mauern, mit denen der Heilige Stuhl sich umgeben habe, um vor dem Konzil gesichert zu sein. Die erste sei die Behauptung, daß der Priesterstand dem weltlichen Staat nicht unterworfen sei, die zweite, daß nur der Papst befugt sei, die Schrift auszulegen, die dritte, daß nur der Papst das Recht habe, ein Konzil zu berufen. Im Gegensatz dazu wird auseinandergesetzt, daß zwischen Priestern und Laien kein Unterschied des Standes, nur einer des Berufs, des Amtes sei; hierbei berief sich Luther hauptsächlich auf die Schriftstelle: »Ihr seid ein königlich Priestertum und ein priesterlich Königreich«, und auf die Verhältnisse unter den ersten Christen. Den Beweis, daß jeder Laie befugt sei, die Schrift auszulegen, führte er hauptsächlich aus Paulus, obwohl er ohnehin aus dem ersten Punkt folge. Die dritte Behauptung begründete er historisch. Der zweite, größere Teil des Sendschreibens befaßte sich mit den Beschwerden, die auf dem Konzil zur Verhandlung kommen sollen: es sind die, welche auch in den Gravamina der deutschen Nation aufgeführt zu werden pflegten. In der Hauptsache schlägt Luther vor, wie Hutten getan hatte, daß das deutsche Geld nicht mehr nach Rom fließe und daß die Zahl der Geistlichen vermindert werde. Dazu kommt noch eine Reihe von Forderungen, die schon bei den Ablaßkämpfen zur Sprache gekommen waren: das Einstellen der Wallfahrten, die Aufhebung der Bettelklöster, des Zölibats, des Interdikts, die Verwandlung der Klöster in Schulen, die Abschaffung der vielen Feste, der Eheverbote, der willkürlichen Dispense. Bei der Kritik der Universitäten werden einige Hiebe gegen den hochmütigen, schalkhaften Heiden Aristoteles geführt, dagegen Studium der Sprachen und der Geschichte empfohlen, das geistliche Recht wird angegriffen, das der Papst selbst nicht halte, da er sich durch einfachen Willensbeschluß über jedes Recht hinwegsetzen kann. Die Grundlage für das geistliche Recht und für das Studium der Theologie soll einzig die Heilige Schrift sein.

Wie sehr sich Luther in den Glaubensfragen noch zurückhielt, geht aus der Art hervor, wie er von Huß sprach. Er befaßte sich beinah nur mit dem Unrecht, das ihm dadurch geschah, daß ihm das zugesagte freie Geleit nicht gehalten wurde. Überhaupt solle man Ketzer nicht mit Feuer, sondern mit der Schrift überwinden. Ob Huß im Recht gewesen sei, wolle er, obwohl er nichts Irriges an ihm gefunden habe, jetzt nicht untersuchen.

So bezeichnete er das Sendschreiben als ein Vorspiel. Er hielt sich darin so ziemlich in den Grenzen der bisherigen Reformvorschläge; in der folgenden Schrift »Von der Babylonischen Gefangenschaft der Kirche« griff er das Wesen der Kirche, ihre Grundlagen an.

Durch die sieben Sakramente setzte die Kirche den Menschen von der Geburt an bis zum Tode mit Gott in Beziehung. Sie waren die Säulen, die die Kirche trugen, sie waren Schalen, in denen der Priester die göttlichen Gnaden empfing, um sie jedem Glied der Kirche zuzuleiten. Von den Sakramenten wollte Luther nur drei, vielleicht nur zwei als solche gelten lassen: das der Taufe und das des Abendmahls, über die Beichte war er noch im Zweifel. Nicht nur, daß er Priesterweihe, Firmung, Ehe und letzte Ölung als Sakrament aufgehoben wissen wollte, weil sie in der Schrift nicht nachzuweisen wären, er faßte das Sakrament des Altars, das den Mittelpunkt des Kults bilden sollte, ganz anders auf, als es in der Übung der Kirche sich herausgebildet hatte. Es war zu einem Opfer geworden, das der Priester Gott darbrachte, indem er Brot und Wein in Fleisch und Blut Jesu verwandelte, während Luther sich streng an die Einsetzungsworte Christi hielt, wie die Evangelien sie überliefert haben, und an den entsprechenden Gebrauch der Urkirche. Dieser Angriff Luthers auf die Messe mußte schon aus seiner Ansicht fließen, daß die Priester keinen von den Laien verschiedenen Stand bildeten; denn nach kirchlicher Auffassung konnte nur der Priester die Wandlung vollziehen, nur er das Opfer darbringen, gerade damit bezeugte er seine Würde und Heiligkeit. Die Messe bildete den Mittelpunkt des Gottesdienstes, sie war das heilige Schauspiel, das den gläubigen Zuschauern sowohl die in ferner Dämmerung verschwimmende Erhabenheit der göttlichen Geheimnisse, wie die Macht und Ehrwürdigkeit der Priester vor Augen führte. Es kam dazu, daß mit der Messe ein großer Teil der kirchlichen Einkünfte zusammenhing; denn es war Gepflogenheit, daß wer es irgend vermochte Geld zur Abhaltung von Messen stiftete, die dem Seelenheil verstorbener Familienmitglieder oder dem eigenen zugute kommen sollten.

Den furchtbaren Eingriff, den Luther damit in das Wesen der Kirche tat, milderte er dadurch, daß er diese Schrift in lateinischer Sprache herausgab. Die darin behandelten Probleme sollten zunächst von Theologen durchdacht, nicht von der ungelehrten Menge ohne genaues Verständnis nach Interesse und Belieben verhandelt werden.

Den beiden grundsätzlichen Schriften Luthers folgte noch im selben Jahre ein andächtiger Gesang aus seinem gläubigen Herzen: Von der Freiheit eines Christenmenschen. Das, worin er das Wesen der Religion sah, den Glauben, die Empfänglichkeit der Seele für den Anhauch des Göttlichen, faßte er in Bilder von keuscher Lieblichkeit. Der Verkehr des Menschen mit Gott, das ist es, was er verkündet, verträgt einen Mittler so wenig, wie zwei Liebende eines Dritten bedürfen, der sie lehrte, was sie einander zu sagen haben; er ist an keinen Zauber, an keine Vorschrift gebunden, er ist frei. Diese Art der Frömmigkeit, in die Staupitz Luther eingeführt hatte, die vertrauensvolle Hingebung an einen Höheren, des Geschöpfs an den Schöpfer, war einst eine schöne starke Welle innerhalb der Kirche gewesen, jetzt wandte sie sich feindlich gegen die Kirche. Sie fühlte sich gegensätzlich zu der Kirchlichkeit, die sich im Gehorsam gegen den Papst und in der Ausübung der sogenannten guten Werke kundtat, gegensätzlich gegen das Priestertum, das sich anmaßte, den Verkehr der menschlichen Seele mit Gott, ihrem Gott, zu regeln und ihrem Urteil zu unterwerfen. Im Gefühl des Zusammenhangs mit Gott durch den Glauben fühlt sich der Christ frei, frei von den Satzungen, die Menschen aufstellten. Er ist frei, ein Herr aller Dinge, freiwillig aber ein Knecht aller Menschen; denn es liegt im Wesen der Liebe, die ihn mit Gott verbindet, daß sie ihn zugleich mit den Menschen, seinen Brüdern, eint.

Freiheit! Das Wort, das in der deutschen Sprache einen so edlen und stolzen und zugleich so breiten und schweifenden Klang hat, braust durch Huttens und Luthers Schriften dieses Jahres wie ein Schlachtruf der Jugend. Freiheit! Nicht ganz dasselbe empfanden und wollten sie dabei. Hutten schwebte eine Ungebundenheit des Denkens und Strebens, eine volle Entfaltung des eignen Wesens vor, wie die Wiedergeburt der Antike sie als Ziel hinstellte, während Luther zunächst an die Freiheit von den einschnürenden Geboten und Verboten der Kirche dachte, zu der sich derjenige berufen fühlen darf, der das Wort Gottes vernimmt und sich ihm unterwirft. Einig waren sie darin, daß sie für das deutsche Volk Veredlung und für das deutsche Reich einen Aufschwung erhofften, wenn es von der Herrschaft Roms befreit wäre, Veredlung, indem Heuchelei, Sittenlosigkeit und Trägheit verschwinden würden, Aufschwung, indem das Geld, das bisher nach Rom geflossen wäre, die eignen Güter mehren würde.

Beide, Hutten und Luther, beeinflußten einander zu gegenseitigem Vorteil. Das zwar wirkte nicht durchaus erfreulich, daß Hutten, bewußt und unwillkürlich, von der religiösen Sprache Luthers etwas annahm. Im Munde Luthers traf sie die Seele, ihm war sie angeboren, anerzogen durch die Umstände seines Lebens und erworben im Kampfe, sie war er selbst; bei Hutten wirkte sie wie etwas von außen Aufgetragenes. Er war, obwohl klug und gebildet, doch einfach; daß es in seinem Inneren bedeutende Probleme und Kämpfe nicht gab, spiegelte sich in seiner Sprache und machte ihre Schönheit aus. Das kirchliche Christentum, wie es ihm in seiner frühen Jugend entgegengetreten war, haßte er, das Christentum, das Luther verkündete, zog das Heldische seiner Natur an, insofern es Kampf gegen den Papst bedeutete, und er fühlte auch, daß Luthers religiöser Standpunkt dem deutschen Volke natürlicher und verständlicher war als sein humanistischer; aber trotzdem er sich religiöser Wendungen mit dem ihm eigentümlichen Schwung bediente, wirkten sie eher befremdend als ergreifend. Befreiend für ihn selbst aber wirkte, daß er, Luther nachahmend, die Fesseln der lateinischen Sprache abwarf und deutsch zu schreiben begann, um nicht nur zu den Gelehrten, sondern zum gesamten deutschen Volk zu sprechen. Es war ein Entschluß, der eine einschneidende politische Wendung bedeutete, aber ebensosehr eine dichterische. Gleich die Verse, mit denen er den neuen Weg anzeigte, den er einschlagen wollte, brechen mit der vollendeten Kraft und Angemessenheit einer Inspiration hervor: Latein ich vor geschrieben hab / Das war eim jeden nit bekannt / Jetzt schrei ich an das Vaterland / Teutsch Nation in ihrer Sprach / Zu tragen diesen Dingen Rach. Es ist noch etwas von der Straffheit und dem Erzklang der lateinischen Sprache in diesen Versen, zugleich aber das Ungestüm und die Urquellfrische der deutschen und die ergreifende Unbeholfenheit des Dichters, der fürchtet, daß sein noch ungewohntes Werkzeug seiner Leidenschaft nicht angemessen sei.

Luther, als der umfassendere Geist, konnte durch Hutten mehr bereichert werden, als es umgekehrt der Fall war. Die weltlichen Interessen, die dem Papst entgegenwirkten, hatte er schon in dem Augsburger Patrizierkreise kennengelernt, durch Hutten wurden sie ihm vollständig nahegebracht und vervollständigten seine Weltkenntnis. Was bei Hutten hauptsächlich gefühlsmäßiger und durch den Humanismus gespeister Widerwille war, verknüpfte Luther mit seinen Erkenntnissen, so daß sich alles zu einem zusammenhängenden, festgegründeten Bilde ordnete. Er konnte folgern und beweisen, wo Hutten nur proklamierte. Wenn Luthers Schriften gehaltvoller sind als die Huttens, so wirkten Huttens entschlossene Kampflust und gerade seine Problemfreiheit wohltätig auf Luther. Die Einladung Sickingens, Sickingens und Huttens gezückte Schwerter gaben ihm die Gewähr, daß er nicht verloren sei, selbst wenn sein Kurfürst die Hand von ihm abziehen sollte. Er würde auch ohne den Beistand der Ritter seiner Überzeugung treu gehandelt haben; aber er tat es nun rascher und freudiger. Das Mönchsgewand und die Mönchsgewohnheiten, die ihn eingehüllt hatten, und die ihn vor sich selbst noch an die ihm einst so teure und heilige Kirche banden, Zeugen seiner großen Qualen und großen Begnadigungen, lösten sich mehr und mehr von ihm ab.

Die Antwort auf den gemeinsamen Angriff war eine Aufforderung Leos X. an verschiedene Fürsten, besonders an den Kurfürsten von Mainz, in dessen Dienst Hutten immer noch stand, Hutten auszuliefern, und der über Luther verhängte Bann. Im Oktober kehrte Eck, Luthers Gegner von der Leipziger Disputation, mit der Bulle Exsurge Domine aus Rom zurück, die Luther auf Grund von 41 Punkten aus seinen Werken als Ketzer verdammte und mit dem Bann bedrohte, falls er nicht binnen 60 Tagen widerriefe. Eck hatte außerdem die außerordentliche Vollmacht, nach seinem Gutdünken hartnäckige Anhänger Luthers mitzubannen. Dem Papst blieb kaum etwas anderes übrig, als den aus der Kirche auszustoßen, der die Kirche zerstörte. Luther seinerseits war fest entschlossen, nicht zu widerrufen. Ein Ausgleich dieses Gegensatzes war nicht mehr möglich: auf der einen Seite die sichtbare Kirche, deren Haupt der Papst ist, deren Lehrgebäude im Laufe der Jahrhunderte durch Übereinstimmung der gesamten Priesterschaft entstand, auf der andern Seite die unsichtbare Kirche, Christus und seine Lehre, die von jedermann aus der Heiligen Schrift, dem Worte Gottes, zu schöpfen ist.

Luther verkündete die Notwendigkeit der Trennung und seinen unabänderlichen Willen, sie zu vollziehen, indem er am 10. Dezember 1520 die Bannbulle vor dem Elstertor von Wittenberg in das Feuer warf. Es war ein öffentlicher Akt, der durch einen Anschlag in der Universität bekanntgegeben war: jeder, der von der evangelischen Wahrheit ergriffen sei, solle sich um 9 Uhr zur Kirche des heiligen Kreuzes außerhalb der Stadtmauer begeben, wo die gottlose Bulle der päpstlichen Konstitutionen und der scholastischen Theologie verbrannt werden solle, da die Feinde des Evangeliums die frommen und evangelischen Bücher Luthers verbrannt hätten. »Wohlan denn, du fromme studierende Jugend, tritt zusammen zu diesem frommen und religiösen Schauspiel; vielleicht ist jetzt die Zeit, da der Antichrist offenbar werden soll.« Nicht nur Studenten, auch Doktoren und Magister beteiligten sich an dem fröhlichen Hochgericht. Als die Flammen des Scheiterhaufens hochaufschlugen, warf Luther die Bulle hinein mit den Worten: »Weil du den Heiligen des Herrn betrübt hast, so verzehre dich das Ewige Feuer.« Am folgenden Tage sagte er zu seinen Zuhörern, es sei mit diesem Brande nicht genug, der Papst selbst, das heißt das Papsttum, müsse verbrannt werden.

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