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Sickingens und Huttens Ende

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Inhaltsverzeichnis

Trotz des Wormser Edikts breitete sich die Lutherische Ketzerei aus. In Antwerpen, wo Karl V. Landesherr war, wurden Luthers Schriften verbrannt; anderswo wurden sowohl seine wie zahlreiche im selben Sinn verfaßte Flugschriften fortwährend gedruckt und verkauft. In manchen Städten waren die Ratsherren, welche sie einzogen, ihre eifrigsten Leser. Der Handel mit ihnen war so einträglich, daß viele Drucker nur zu solchen Lust hatten und die katholischen ablehnten. Allerdings war es nicht gefahrlos, sich für die neue Lehre einzusetzen. Die Prädikanten, wie von katholischer Seite die lutherischen Priester genannt wurden, führten ein gefährliches Leben, wurden im besten Falle ausgewiesen, oft eingekerkert. Von den Priestern, die sich verheirateten, starb einer im Gefängnis. Wiederum fanden sie bei einzelnen Fürsten und Herren Schutz und Unterkunft. Besonders nachdrücklich und mit der ihm eigentümlichen Großartigkeit übte Franz von Sickingen die Gastfreundschaft aus. Seine beiden Burgen Landstuhl und Ebernburg waren nicht so unwirtlich, wie es die des eigentlichen Mittelalters waren; besonders die Ebernburg war behaglich und reich in dem modernen, aus Italien eingeführten Geschmack eingerichtet. Wenn im Herbst und Winter der Sturm um die Zinnen pfiff und aus der Taltiefe die Wälder hinaufrauschten, konnten die beiden Freunde, Sickingen und Hutten, am Kamine sitzend, in dem Pochen und Rütteln die nahende Revolution zu hören vermeinen und die Augenblicke noch währender Sicherheit innigst genießen. Jeder war Gast des anderen, Sickingen gab sein Haus und seinen Schutz, Hutten gab die Früchte seines Geistes. Es war wundervoll für Hutten, einen gereiften Mann zum Schüler zu haben, der mit der Frische eines Kindes aufnahm und in die neue Betrachtung der Welt getane und künftige Taten einzuordnen hatte. Sickingen hatte bisher für die Größe seines Hauses und seines Standes gekämpft, aber immer den Drang gehabt, einen höheren Gehalt in seine weltlichen Zwecke zu legen. Nun lernte er ein Höchstes zu benennen, worauf sich alles gründen sollte: das Wort Gottes. Drang er auch nicht sehr tief darin ein, fühlte er auch nicht das Bedürfnis, sein Gewissen im einzelnen damit auszugleichen, so bemächtigte er sich doch der evangelischen Grundgedanken, wie sie ihm in Luthers und Huttens Schriften entgegentraten, so gut, daß er bald einen Vetter von Handschuhsheim, der ihn zur Kirche zurückführen wollte, über seinen neugewonnenen Standpunkt belehren konnte. Wie der Kurfürst von Sachsen ließ er auf die Ärmel seiner Dienerschaft das Verbum Domini manet in aeternum setzen. Das Wort Gottes war dieser Generation mehr als ein Schlagwort: des Bibellesens ungewohnt, lauschten sie den mächtigen Urworten, als brächen sie aus der Ewigkeit hervor. Daß sich die Religion zu einer Wechselbeziehung zwischen Gott und Mensch verdichtete, wurde willig erfaßt, es war eine Vereinfachung und Verinnerlichung, die dem deutschen, man kann sagen dem germanischen Gemüt entsprach. Zu den Gesprächen, die die Freunde miteinander führten, gesellten sich verschiedene verfolgte Lutheranhänger, die Sickingen in seinen Burgen – Herbergen der Gerechtigkeit nannte sie Hutten – aufgenommen hatte: der temperamentvolle, kluge und gelehrte Butzer, immer bereit, sich mit seiner Person für eine Überzeugung einzusetzen, der feine, liebenswürdige Oekolampad von Weinsberg, der aus einem Kloster entflohen war, Kaspar Aquila, früher Feldprediger bei Franz, nun einem bischöflichen Kerker entronnen, Johann Schwebel, der einem Orden angehört hatte und sich jetzt auf Landstuhl verheiratete. Alle diese Geistlichen, dem Stande angehörig, den sie jetzt bekämpften, verstanden sich gut mit den Rittern. Es ist anzunehmen, daß Sickingen bei den Gesprächen, die sich entspannen, mehr der Zuhörende war. Auf theologischem Gebiet hatte er mehr zu fragen als mitzuteilen und in bezug auf die kriegerischen Unternehmungen, die er vorhatte, war er sehr zurückhaltend. Überhaupt war er, obwohl aufrichtig und durchaus zuverlässig, doch verschlossen: über seine letzten Ziele sprach er nicht. Er hatte für die Wahl Karls V. gewirkt, war in den Dienst des Kaisers getreten, hatte dem Geldbedürftigen eine beträchtliche Summe aus seinem Vermögen vorgestreckt, er traute sich Einfluß auf den jungen Kaiser zu und setzte sich dafür ein, daß Luther gestattet werde, auf dem Reichstage seine Lehre zu verteidigen. Als Friedrich der Weise vor dem Reichstage in Köln war, lud er Sickingen zu Tisch, um sich mit ihm über Luthers Angelegenheit zu verständigen. Als Luther nach dem Reichstage verschwand, glaubten viele, er befinde sich auf einer von Sickingens Burgen.

Wie Sickingen überhaupt in einem Wahn über sein Vermögen lebte, war es vielleicht Überschätzung seines Einflusses auf den Kaiser, daß er Huttens Ungeduld, der sich nach Taten sehnte, mit der Mahnung zurückhielt, es sei noch nicht Zeit. Während der aufregenden Wochen, die der Eröffnung des Reichstages und dann wieder dem Auftreten Luthers vorausgingen, blieb ihm nichts übrig, als seinen Tatendrang in Schriften auszuströmen, die Revolution durch sein Wort vorzubereiten. Es war durchaus zweckmäßig, daß er Bundesgenossen warb. Immer dringender rief er den Kaiser, den Kurfürsten von Sachsen, das deutsche Volk, insbesondere die Städte an. Bedenkt man, was an gegenseitiger Erbitterung und an Rachegefühl zwischen Rittern und Städten lag, wieviel Ursache dazu die Ritter den Städten gegeben hatten, so ermißt man die Energie von Huttens revolutionärem Willen, der, was die Kaiser Siegmund und Maximilian vergeblich erstrebt hatten, die Erbfeinde und Erbhasser zu einem gemeinsamen Zweck verbinden wollte. Ermutigend war die Neigung mehrerer südwestdeutscher Städte zum Evangelium: die Gemeinsamkeit des Glaubens und der gemeinsame Gegensatz zu den Fürsten konnten ein Band bilden über die alte Feindschaft hinweg.

Schon in der Klag und Vermahnung gegen den unchristlichen Gewalt des Papstes vom Ende des Jahres 1520 hatte Hutten sich aufmahnend auch an die Städte gewendet und seine ganze Wärme, Treuherzigkeit und Freimütigkeit in die kunstlosen Verse gelegt: »Den stolzen Adel ich beruf, – Ihr frommen Städt, euch werfet uf: – Wir wollens halten ingemein – Laßt doch nit streiten mich allein – Erbarmt euch übers Vaterland – Ihr werten Teutschen, regt die Hand! – Itzt ist die Zeit zu heben an – Um Freiheit kriegen … Gott wills han.« Eingehend begründet er seinen Antrag in dem Gespräch ›Die Räuber‹, das er anfangs 1521, während des Reichstags, vollendete. Einem Kaufmann, der die Ritter für Räuber erklärt, wird hier entgegengehalten, wer in Wahrheit Räuber sei, nämlich zum Teil wohl die Ritter, mehr aber die Kaufleute selbst, indessen vor allen die Juristen und die Pfaffen. Gegen diese Räuber müssen Ritter und Städte sich vereinigen. Hutten läßt Sickingen, der eingesehen hat, daß die Städte wie er die Freiheit lieben, Versöhnung mit den einst Befehdeten suchen. Als nach der Abreise des Kaisers das neubegründete Reichsregiment zusammentrat, in dem die Ritter gar nicht, die Städte zu wenig vertreten waren und sowohl Ritter wie Städte reichlich über Benachteiligung zu klagen hatten, rückte Hutten den gemeinsamen Gegensatz gegen die Fürsten in den Vordergrund. Wieder erhebt er in einem deutschen Gedicht, der Beklagung der Freistädte deutscher Nation, die hinreißende Stimme des treuen Warners, schildert, wie unmöglich es ist, gegen die Übergriffe der Fürsten Recht zu finden, ihre Habsucht, ihren unersättlichen Rachen: »Den Adel hat er gfressen schon – Jetzt will er zu den Städten gohn – Den setzt er auf ein neuen Zoll – Sag an, du Wolf, wann bist du voll!« Diesem leidenschaftlichen Anstürmen Huttens begegnete kein Widerhall außer von einzelnen, die ebensowenig Macht hatten wie er. Von befreundeter Seite dagegen wurde er nun mit Vorwürfen überhäuft, daß seinen Drohungen keine Taten folgten, daß er den Hunden gleiche, die bellen, aber nicht beißen. Von Sickingen nicht unterstützt, glaubte der verzweifelte Ritter, der in der letzten Zeit wieder krank gewesen war, allein den Pfaffenkrieg eröffnen zu müssen; er kündigte Fehden gegen Geistliche an, die ihn beleidigt hatten, und soll auch einmal Geistliche auf der Straße überfallen haben; es waren gleichsam Aufrufe, den Mitstreitern gegebene Zeichen zum Losbruch, die aber höchstens Staunen oder Unwillen erregten. Inzwischen hatte Sickingen für den Kaiser gegen Frankreich die Waffen ergriffen, kehrte aber erfolglos und unbefriedigt aus dem Feldzuge zurück. Sein Verhältnis zum Kaiser war verschlechtert; vielleicht hatte er ein zu hohes Gefühl von sich, um überhaupt irgendeinem, sei es auch der Kaiser, auf die Dauer gern zu dienen. Nachdem Karl sich im Frühling 1522 nach Spanien eingeschifft hatte, hielt er den Augenblick zur Tat für gekommen.

Es scheint nicht anders möglich, als daß die beiden Freunde, wenn sie von irdischen und überirdischen Dingen miteinander sprachen, auch Sickingens Kriegspläne und was er damit bezweckte, beredeten und festsetzten; allein es ist davon nichts auf uns gekommen. Immerhin ist anzunehmen, daß das Programm Huttens auch das Sickingens war: das Hauptstück desselben bildete eine große Säkularisation geistlicher Güter. Sie sollten verwendet werden zur Armenpflege und zu Bildungszwecken, hauptsächlich aber zum Unterhalt eines Reichsheeres, das die kaiserliche Macht heben und zugleich den Rittern Beschäftigung und Besoldung verschaffen sollte. Es wäre damit die seit langem für nötig erachtete Stärkung der Zentralgewalt durchgeführt und für das Problem des Ritterstandes eine Lösung gefunden. Allerdings war vorauszusehen, daß der Plan die Fürsten gegen sich haben werde, die weder von der Stärkung der Zentralgewalt noch von der Hebung der Reichsritter etwas wissen wollten. Ob dieser Widerstand ins Auge gefaßt wurde und wie er überwunden werden sollte, wissen wir nicht: die Säkularisation war das Ziel, und mit dem benachbarten Kurfürsten von Trier sollte begonnen werden.

Ein Narr ist, wer den Feind verachtet, sagt ein altes deutsches Sprichwort. Vielleicht war es mehr Überschätzung der eigenen Kräfte als Unterschätzung des Gegners, des sehr tatkräftigen und kriegstüchtigen Richard von Greifenklau, daß Sickingen ihn zum ersten Angriff erwählte. Weil man ihn für unüberwindlich hielt, glaubte er es zu sein, und weil er es zu sein glaubte, hielt man ihn dafür. Trier hatte sich zur Zeit der Kaiserwahl bis zum letzten Augenblick nachdrücklich für Frankreich eingesetzt: es war anzunehmen, daß der Kaiser eine Bestrafung dieses Fürsten nicht ungern sehen würde. Der Umstand, daß Sickingen des Kaisers Sache zu führen schien, wenn er den Kurfürsten bekämpfte, mochte mit ins Gewicht fallen. Schon während des Wormser Reichstages war von seinem bevorstehenden Zuge gegen Trier die Rede. Im August 1522 schloß er in Landau die südwestdeutsche Ritterschaft in ein Verbündnis zusammen. Sickingen ward zum Bundeshauptmann bestimmt; man verpflichtete sich zu gegenseitiger Unterstützung. Dann sammelte er ein Heer und sagte dem Kurfürsten Fehde an, wozu ein Vorwand in der üblichen Art gefunden wurde. Sickingens nächste Freunde sahen das Unternehmen mit Sorge; sie waren der Meinung, daß seine Macht dazu nicht ausreiche. Der getreue Balthasar Schlör, derselbe, der Anlaß zu der großen Franzensfehde gegen Worms gegeben hatte, warnte in einem ausführlichen Schreiben, der Astrolog, durch den Sickingen bei seinen Unternehmungen die Richtung des Schicksals erforschte, wollte drohende Zeichen gesehen haben; aber schon hatte sich die Verblendung, die den Blick der zum Untergang Bestimmten umschattet, seiner bemächtigt; sein Stolz ließ sich nicht erschrecken.

Auf die Abmahnung des Reichsregiments antwortete er, er sei willens, ein besseres Recht in Deutschland aufzurichten. Was die Aufforderung betreffe, seinen Handel vor das Kammergericht zu bringen, so habe er ein Gericht um sich, das mit Reisigen besetzt sei und mit Büchsen und Kartaunen distinguiere. Indes, trotz seiner Zuversicht mußte er Mitte September die Belagerung der Stadt Trier aufgeben, die unter der persönlichen Leitung des Erzbischofs Widerstand leistete. An einen unglücklichen Ausgang dachte Sickingen noch nicht; aber da er auf einen Gegenangriff des Feindes gefaßt sein mußte, hielt er es für richtig, seine Freunde und Schützlinge zu entlassen, denen seine Burgen kein sicheres Asyl mehr sein konnten. Hutten hatte während der letzten Monate gekränkelt, sonst hätte er wohl Sickingen auf seinem Zuge begleitet. Der Herbst entblätterte die Bäume, als Martin Butzer und Oekolampad den Ritter verließen, um sich der eine nach Straßburg, der andere nach Basel zu begeben; sie gingen ins Ungewisse, dunkle Ahnungen mögen sie bedrückt haben. Ob Hutten in ihrer Gesellschaft war, weiß man nicht. In den verflossenen Tagen glücklichen Zusammenseins hatte Hutten für den ungelehrten Ritter seine Gespräche ins Deutsche übertragen und der Ausgabe eine Zueignung vorausgehen lassen, die das schönste Denkmal einer heroischen Freundschaft ist. Hutten spricht von dem Glück, das Gott ihm gewährt habe, in der Not einen treuen Freund zu finden. »Denn als ich auf das äußerste an Leib, Ehre und Gut von meinen Feinden genötigt war, so ungestüm, daß ich kaum Freunde anzurufen Zeit gehabt, bist du mir, nit mit tröstlichen Worten, sondern hilftragender Tat begegnet, ja, mag ich sagen, vom Himmel herabgefallen … Du hast dich nicht durch Schrecken meiner Widerwärtigen von Verfechtung der Unschuld abziehen lassen, sondern aus Liebe der Wahrheit und Erbarmnis meiner Vergewaltigung für und für über mir gehalten. – Dagegen die boshaftigen Kurtisanen und Romanisten, die mich verlassen gemeint, und deshalb beinah einen Triumph von mir geführt hatten, da sie gesehen, daß ich mich an eine feste, unerschütterte Wand gelehnet hab, ihren Stolz und Übermut gegen mich etwas niedergelassen, sich fast eingetan und kleinen Lauts worden.« Zum Dank verspricht er ihm, was einst Virgil zwei verdienten Jünglingen zugesagt habe: »Wo etwas mein Geschrift vermag – Dein Lob muß sterben keinen Tag.« Nun, da der Untergang kam, konnten sie beide ihr heldisches Gemüt zeigen, und sie taten es.

Während des Winters nahm der Kurfürst von Trier, der sich inzwischen mit dem Landgrafen von Hessen und dem Kurfürsten von der Pfalz verbündet hatte, die Burgen der Ritter, die in Sickingens Heer gekämpft hatten; es waren darunter Grafen von Zollern, von Fürstenberg, von Löwenstein, ein Rosenberg, ein Hutten, Gemmingen, Hilcken von Lorch, Dalberg und andere, auch der begeisterte Anhänger Luthers Hartmut von Kronberg. Ihre Treue vergalt Sickingen mit Treue: er weigerte sich, Frieden zu schließen, wenn nicht den beraubten Freunden das Ihre zurückgegeben würde. Die Fürsten gingen nicht darauf ein und begannen im Frühling den Belagerungskrieg; zunächst wendeten sie sich gegen Landstuhl, wo Sickingen sich verschanzt hatte. Bald mußte er erfahren, daß er sich im Vertrauen auf Unterstützung Gleichgesinnter sowie auf die Widerstandsfähigkeit seiner Burgen verrechnet hatte. Die Ritterschaft hielt eine Versammlung ab, um über etwaige kriegerische Schritte zu beraten, hatte aber, vom Reichsregiment abgemahnt, nicht den Mut, etwas zu unternehmen; die Städte rührten sich überhaupt nicht. Vergebens ging Hartmut von Kronberg nach Böhmen, dort um Hilfe zu werben. Noch fühlte sich Sickingen, blieb er auch mit wenigen Freunden allein, in Landstuhl persönlich sicher; aber die für uneinnehmbar gehaltenen Mauern brachen vor dem Geschütz der verbündeten Fürsten in wenigen Tagen zusammen. Man riet ihm zu fliehen, aber er hätte es für unehrenhaft gehalten, seine Diener zu verlassen. Seinen jüngsten Sohn jedoch, den er bei sich gehabt hatte, schickte er unter der Obhut Balthasar Schlörs fort, und es glückte ihnen, den Feinden zu entgehen. Als Sickingen bei einer Besichtigung an ein Schießloch kam, wurde er durch einen Schuß, der gerade dorthin fiel, auf einige spitze Hölzer geworfen, die ihn tödlich verwundeten. Er ließ sich in ein dunkles Gewölbe tragen, wohin die Geschosse nicht dringen konnten, und die Fürsten um eine Besprechung ersuchen. Sie verlangten Ergebung Sickingens und der Edelleute, die bei ihm in der Burg waren, zu ritterlichem Gefängnis. Er ging darauf ein, indem er sagte: »Ich will ihr Gefangener nicht lange sein.« Die Fürsten traten an das Lager des Verwundeten, wechselten einige Worte mit ihm und machten dann dem Kaplan Platz, der ihm die Beichte abnehmen wollte. Sickingen sagte, er habe Gott in seinem Herzen gebeichtet, der Kaplan möge ihm die Absolution sprechen und ihm das Sakrament zeigen. Gleich darauf starb er; es war der 7. Mai 1523. Wenn sein Ende gezeigt hatte, daß er weit weniger mächtig war, als er zu sein wähnte, so hatte er doch bis zuletzt die stolze und großmütige Haltung bewahrt, zu der sein Wahn von Macht und Größe ihn verpflichtete, durch die er die Fürsten, die als Triumphierende zu ihm traten, fast zu Beschämten machte. Der unnahbarste Herrscher von allen, der Tod, trat auf seine Seite.

Für diejenigen, die Sickingen geliebt und verehrt und von seinen Taten Entscheidendes erwartet hatten, war sein Fall eine schmerzliche Erschütterung. Der Tapfere und Bescheidene, der Aufrechte und Hilfsbereite war nicht mehr, die feste Wand, an die sie sich gelehnt hatten, war gebrochen; aber sie fühlten daneben, daß auch für Deutschland eine Hoffnung verloren war. Der Weg zur Reichsreform, den viele bedeutende Geister für den wünschenswerten gehalten hatten, mußte aufgegeben werden; für Ritter und Städte kam die Stunde nicht wieder.

Hutten ging, nachdem er sich von Sickingen getrennt hatte, bitteren Erfahrungen entgegen. Zwar empfand er in Basel sogleich, daß er in einem freien Lande war; der Rat und ausgezeichnete Gelehrte begrüßten den humanistischen Ritter, obwohl er gebannt und verfolgt war, ehrenvoll. Der aber, an dessen Teilnahme ihm besonders gelegen war und auf dessen Teilnahme er besonders glaubte rechnen zu dürfen, Erasmus, peinlich berührt durch die Anwesenheit des kranken Flüchtlings, ließ ihn ersuchen, von einem Besuch abzusehen. Hutten war leidenschaftlich entrüstet. Was sich an Groll bereits in ihm angesammelt hatte darüber, daß Erasmus, der wie kaum ein anderer Luther vorgearbeitet hatte, sich der katholischen Kirche wieder näherte, um, wie Hutten meinte, sich die Gunst des Papstes und katholischer Fürsten zu erhalten, brauste bei dieser Kränkung auf. Daß Erasmus aus Feigheit und Eigennutz, so sah Hutten es an, seine Überzeugung verriet, das erhob den Rächer persönlicher Beschimpfung zu einem Rächer allgemeiner Ehre. Einem Unglücklichen, Flüchtigen, ganz Hilfslosen die Tür zu verschließen, das war eine Handlung, deren Kleinlichkeit ihm Ekel einflößte. Nach der Gewohnheit der Zeit wurde der Streit, der sich daraus entspann, öffentlich, den heftigen Angriff Huttens wehrte Erasmus durch eine gehässige Erwiderung ab. Er konnte manches zu seiner Verteidigung sagen. Auch er hatte hohe Ziele gehabt: eine reinere Religion, veredelte Sitten, den Geist bereichernde Kenntnisse. Dafür hatte er gearbeitet und dazu einen guten Grund gelegt. Warum sollte er Luther beipflichten, der aus seiner Arbeit Nutzen zog – denn er, Erasmus, hatte ja die Geister vorbereitet – und ihm nun das Ziel verrückte. Die Sitten, die er verfeinern wollte, wurden durch gegenseitiges Beschimpfen vergröbert, an die Stelle des kirchlichen Aberglaubens trat der lutherische, der Erasmus schlimmer schien, weil der alte äußerlicher und infolgedessen leichter abzuschütteln war, und die Wissenschaften, die er aus dem Gestrüpp der Scholastik herausgearbeitet hatte, wurden durch theologisches Gezänk von neuem verschüttet. Hutten sah es anders; er sah den Befreier, der sich selbst die Ketten wieder anlegte, weil sie von Gold waren, die behutsame, vorsichtig abwägende Art des Erasmus in einer großen Angelegenheit war ihm widerwärtig, ihm, der wie kaum ein anderer Deutscher etwas vom Adlerrauschen der Freiheit in seinem Wort und Wesen aufgefangen hat.

Wie Hutten voraussagte, hat die Kirche dem Erasmus seine Halbheit nicht gedankt, sondern ihn fast mehr gehaßt als Luther. Einen offenen Feind kann man achten, mit einem, der sich hinter der Maske des Freundes verbirgt, ist keine Versöhnung möglich. Seine eigentlichen Gesinnungsgenossen aber ließ sein Übergang zur Kirche seine schöne Frühzeit fast vergessen. Mag man immer die Tragik im Schicksal des Erasmus verstehen, das ihn von seiner eigenen Vergangenheit trennte und von denen, die ihn am glühendsten verehrt hatten; liebenswerter erscheint uns der verlassene Hutten und erscheint uns Zwingli, der dem kranken und bettelarmen Verfolgten die hilfreiche Hand bot. Denn nach Zürich ging Hutten, nachdem der Rat von Mühlhausen, obwohl selbst lutherfreundlich, ihn nicht mehr vor der Wut der Katholiken schützen zu können glaubte. Trotz der Verdächtigungen des Erasmus nahm sich Zwingli werktätig des Flüchtlings an. Zunächst wurde ein Versuch gemacht, den Schwerkranken zu heilen. Es fügte sich günstig, daß der Abt von Pfäfers ein Freund der Reformation und ein warmherziger Mann war, der Hutten aufs freundlichste aufnahm, damit er die Heilkraft der dortigen berühmten Bäder versuche. Der außergewöhnlich regnerische Sommer jedoch kältete die Quellen so aus, daß es nötig wurde, den Gebrauch auf eine bessere Zeit zu verschieben. Eine neue Aussicht auf Genesung eröffnete ein Freund Zwinglis, der Pfarrer Hans Schnegg: verborgen auf der Insel Ufenau im Zürichsee sollte sich Hutten seiner Behandlung unterziehen. Dort, unter der Pflege eines wohlwollenden Mannes, möchte man hoffen, daß der Kranke noch einige freundliche Sommertage erlebt habe. Vielleicht war ihm die Begegnung mit dem kräftigen Zwingli, zu dem er im Grunde besser stimmte als zu Luther, der einzige helle Ausblick inmitten des Zusammenbruchs seiner Hoffnungen. An einem der letzten Tage des August oder der ersten des September starb er. Er hinterließ nichts, so erzählte Zwingli, als seine Feder. In Wahrheit hinterließ er außerdem noch einen unausgesprochenen Auftrag. Als er in Mühlhausen die Nachricht von Sickingens Ende erfahren hatte, verfaßte er eine Schrift gegen die Fürsten, die ihn besiegt hatten, und schickte sie einem Freunde zur Veröffentlichung. Dieser, Eoban Hesse, ein guter, treuer Mann, hätte sich des Auftrags kaum entledigt, da er inzwischen in den Dienst des Landgrafen von Hessen getreten war; vielleicht aber ist die Schrift gar nicht in seine Hände gelangt. Sie ist verloren und nie wieder aufgefunden, nur den Titel kennen wir, den er ihr gab: über Jahrhunderte hinweg sucht Hutten den Erben, der mit seiner Feder die leeren Seiten ausfülle, über die er die Anschrift setzte: In tyrannos.

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