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Siegmund im Reich und im Osten
ОглавлениеDie Reichsverfassung, wie sie sich im 14. Jahrhundert entwickelte, konnte man wohl Anarchie nennen. Nur durch dauernden Kampf konnten sich alle die tätigen Kräfte im Gleichgewicht halten, keine hatte ein solches Recht, daß sie es sich nicht beständig, beinah täglich hätte erobern müssen. Niemand versäumte, sich sein erkämpftes Recht durch Privilegien bestätigen zu lassen; aber obwohl diese besiegelten Pergamente in hoher Geltung standen und nicht leicht mißachtet wurden, mußten sie, da sie etwa durch neueroberte Rechte anderer oder durch veränderte Verhältnisse bedroht wurden, immer erneuert, immer durch Kampf gestützt werden. Eine solche Verfassung erforderte die Schwungkraft eines Volkes, das mehr im Kampf als im Genuß Genugtuung findet und das in der Verehrung gemeinsamer Ideale sich einig fühlt. Der Glaube an den dreieinigen Gott und an Papst und Kaiser als seine Stellvertreter auf Erden ersetzte lange Zeit, was diesen beiden Häuptern an wirklicher Macht, das Volk zu beherrschen, fehlte. Im 14. Jahrhundert begann dieser Glaube zu wanken. Exkommunikation und Interdikt des Papstes, Acht und Aberacht des Kaisers erschreckten niemand mehr ernstlich. Immerhin konnte eine bedeutende Persönlichkeit als Kaiser in Deutschland noch etwas ausrichten, das bewies Siegmund, wenn ihn auch die Notwendigkeit lähmte, sich auf eine Hausmacht zu stützen und dadurch viel Zeit und Kraft außerhalb Deutschlands zu verschwenden. An sicheren Bezügen hatte der Kaiser in Deutschland fast nichts mehr als die Abgaben der Reichsstädte. Die beständige Geldnot der Kaiser hemmte sie nicht nur in ihren Handlungen, sondern machte sie lächerlich, wenn sie nicht sogar zu schändlichen Gewalttaten verleitete, wie Karl IV. und Wenzel sie gegen die Juden ausübten. Siegmund, der von kaiserlichem Bewußtsein durchdrungen war, sah ein, daß er sich irgendeinen Stützpunkt im Reich schaffen müsse, eine Partei, auf die er sich verlassen, über deren Kräfte er verfügen könne. Die Vorrechte, die sein Vater den Fürsten eingeräumt hatte, die Macht der Fürsten überhaupt, konnte er nicht rückgängig machen, er konnte nur ihnen eine andere entgegenstellen: dazu schienen sich die Städte und der niedere Adel, die Ritter, zu eignen. In den Städten war hauptsächlich gesammelt, was Deutschland an Intelligenz, an Erwerbssinn, an schaffender Tätigkeit, an Reichtum und auch an Pflichtgefühl besaß; von den Rittern, einer etwas herabgekommenen und deshalb unzufriedenen Klasse, die aber trotz des Umschwunges auf diesem Gebiete für die Kriegführung noch sehr in Betracht kam, ließ sich erwarten, daß sie sich einem kaiserlichen Herrn dankbar anschließen würden, der es unternähme, sie zu heben und zu stärken. In Ungarn, wo das Städtewesen noch wenig ausgebildet war, suchte Siegmund es zu entwickeln und Städte und niederen Adel dem übermächtigen hohen Adel entgegenzusetzen; er zuerst gab den Städten auf den Reichstagen eine Stimme. Ebenso dachte er im Reich zu verfahren. Es kam darauf an, eine umfassende Organisation zu schaffen, die die kaisertreuen Kräfte zusammenfaßte, so daß sie sich wirkungsvoll verwenden ließen. Es gab damals eine Reihe von Rittergesellschaften im Reich, die teils gesellschaftliche Zwecke hatten, teils im Gegensatz zu Fürsten und Städten entstanden waren. Wo es noch keine solche Gesellschaften gab, ermunterte Siegmund die Ritter, sich zusammenzutun, dann aber auch die einzelnen Gesellschaften, eine Reichsritterschaft zu bilden und in ihren Bund die Reichsstädte aufzunehmen. Als er vor der Eröffnung des Konzils in Frankfurt war, besprach er mit dem Rat die traurigen Zustände in Deutschland. Er rechne, sagte er, bei der Herstellung des Landfriedens besonders auf den Beistand der Städte. Durch Einungen müsse dem Übermut der Fürsten entgegengetreten werden. Die Städte sollten Abgeordnete nach Konstanz schicken; wenn er mit den geistlichen Herren durchkomme, werde er wohl auch mit den weltlichen fertig werden. Man meint, die Städte müßten diese Anregungen mit Hingebung aufgenommen haben; aber das war trotz ihrer Anhänglichkeit an den Kaiser nicht der Fall. Sie waren Republiken, deren Verwaltung in bewunderungswürdiger Weise durchgebildet war, deren Finanzen geordnet waren, die eine in reifer Kultur gesättigte Atmosphäre schufen, wo edle Menschen sich wohler fühlten als irgendwo sonst, aber ihre Politik erfaßte nur das Nächste mit kluger Berechnung; es war, als ob die Mauern, mit denen sie sich schützen mußten, ihren Blick einengten. Zum Teil beruhte freilich wohl auf dieser Beschränkung ihre Größe. Zu ihrer Vorsicht, ihrem Mißtrauen hatten ihnen die Fürsten, die Ritter, ja die Kaiser selbst Ursache genug gegeben. Wie oft waren sie von den Kaisern erst ausgenützt, dann im Stich gelassen worden. Bei der zu einer Erbfeindschaft gewordenen Spannung zwischen Städten und Rittern konnte der Versuch, sie zu verbünden, wirklich wenig Aussicht haben, mochte auch der gemeinsame Gegensatz gegen die Fürsten ihnen ein solches Bündnis nahelegen. Wie reich Siegmund an genialen Einfällen war, beweist der Gedanke, ein Reichsbürgerrecht für alle Deutschen zu schaffen. Ein solcher Plan mußte teils an der allgemeinen Stumpfheit, teils am allgemeinen Eigennutz scheitern; aber folgerichtige Anstrengungen, ihn durchzuführen, machte der Kaiser auch nicht. Es hätte einer ungeteilten Kraft, vielleicht auch größerer Ausdauer bedurft, als Siegmund hatte, um so tiefverwurzelte Widerstände zu überwinden.
Ebensowenig wie mit der Einung von Städten und Rittern drang der Kaiser mit seinem Plan durch, das Reich in Kreise einzuteilen, der einer besseren Handhabung des Landfriedens dienen sollte. Danach sollte Deutschland, soweit es nicht unter mächtigen Fürsten stand, in vier Kreise geteilt werden, deren erster den Rhein, das Elsaß und die Wetterau, deren zweiter Schwaben, deren dritter Franken, deren vierter Thüringen, Meißen und Hessen umfassen sollte. An der Spitze eines jeden Kreises sollten vom König gesetzte Hauptleute stehen, an der Spitze des Ganzen ein Obmann. Es war ein Entwurf, der in das fließende Leben des Reiches den Mechanismus einführen wollte, wie die zunehmende Zersetzung es verlangte, der aber dem Kaiser Einfluß gewährt hätte. Die Zurückhaltung der Städte, die wohl in jeweiligen Bedrängnissen Hilfe suchten, aber von einer allgemeinen, umwälzenden Maßregel nichts wissen wollten, verstimmte Siegmund allmählich und raubte ihm die Unternehmungslust, die ihn anfangs beschwingt hatte. Als ihn die Stadt Köln später einmal um Beistand gegen ihren Kurfürsten bat, sagte er: »Ich kann euch jetzt nicht helfen. Die Kurfürsten betrachten sich selbst als das Recht. Zieht heim und sucht euch in der Sache zu helfen, so gut ihr könnt. Es wird in Zukunft sich hoffentlich besser mit Deutschland gestalten.« Als der Erbkämmerer des Reichs, Konrad von Weinsberg, schwäbische Kaufleute, die zur Frankfurter Messe reisten, überfallen und ausgeplündert hatte, beschuldigte Siegmund auf dem Reichstage zu Preßburg im Jahre 1429 die Fürsten der Mitschuld an diesem Frevel. Wenn solche Gewalttaten unbestraft blieben, sagte er, müsse sich alles in Anarchie auflösen. Seine Anwesenheit in Deutschland allein genüge nicht, die Fürsten müßten guten Willen haben. Wenn es so weiterginge, möchte er sich des Reichs entschlagen. In einem Ausschuß der Städte sagte er, nur bei den Städten sei noch das Reich, wenn die nicht wären, möchte er die Krone nicht länger tragen. Er war damals 61 Jahre alt und hatte noch acht Jahre zu leben.
Siegmunds Vorliebe für die Schweizer rührte wohl daher, daß er dort einer Bevölkerung mit politischer Energie begegnete, die das Ziel der auf Einigkeit begründeten Freiheit unentwegt verfolgte, wenn auch mit der dem Bürger und Bauer eigentümlichen Scheu vor allzu weitgreifenden Plänen. Wieviel Wert er auf freie Bauernschaften legte, geht daraus hervor, daß er Schritte tat, um die Friesen wieder mehr an das Reich heranzuziehen. Er habe sich aus Urkunden belehren lassen, schrieb er ihnen, sie wären immer ein freies Volk, nur dem Römischen Reich unterworfen gewesen. In ihnen hoffte er im Nordwesten ein Gegengewicht gegen die zu Frankreich hinneigenden Fürsten zu gewinnen. Als Hüter vielbegangener Pässe nach Italien waren die Schweizer Eidgenossen allen Kaisern wichtig gewesen; keiner aber hatte die Beziehungen mit so viel Wärme und so viel Sinn für ihre Eigenart gepflegt wie Siegmund. Im Juli 1414 besuchte er zum ersten Male, von Turin kommend, die Reichsstadt Bern an der Grenze Burgunds. Bis Bümpliz gingen ihm die Berner in feierlicher Prozession entgegen. An der Spitze des Zuges gingen 500 Knaben, von denen keiner mehr als 16 Jahre alt war und deren schönster das Reichsbanner trug. An ihren Hüten waren Täfelchen angebracht, auf denen der Reichsadler gemalt war. Als diese blühende Jugend vor ihm niederkniete, überkam ihn wohl die Ergriffenheit des Älteren, der plötzlich inne wird, daß andere im Lichte wirken werden, wenn er selbst in der Vergangenheit versunken sein wird. »Da wächst uns eine neue Welt«, sagte er zu den Fürsten und Herren, die an seiner Seite ritten. Am Stadttor empfing ihn der Schultheiß Petermann von Krauchthal und überreichte ihm nach alter Sitte die Schlüssel der Stadt. »Nehmt sie wieder«, sagte der König, »und verwahrt sie wohl.« Umgeben von den Ratsherren, unter einem Traghimmel, den die vier Venner der Stadt trugen, ging er die Hauptstraße hinunter am Zeitglockenturm vorüber zum Dominikanerkloster, wo er abstieg. Später pflegte er zu sagen, es habe ihm keine Stadt größere Ehre erwiesen als Bern. Während seines dreitägigen Aufenthaltes huldigte ihm der Graf von Savoyen und bestätigte er die Privilegien des Landes Uri. Das Verhalten Friedrichs von Österreich auf dem Konzil ermöglichte es dem König, sich die Eidgenossen zu verpflichten, indem er sie aufforderte, die Reichsacht zu vollziehen und sich in den Besitz der ihnen benachbarten österreichischen Länder zu setzen. Bei dieser Gelegenheit eroberten sie den Aargau; sie taten es ungern, nur auf des Königs ernstlichen Befehl, gaben ihn aber nicht wieder heraus, als Siegmund nach erfolgter Versöhnung mit Friedrich es wünschte. Als Siegmund im Jahre 1431 zur Kaiserkrönung nach Italien zog, begleiteten ihn außer einigen Ungarn Eidgenossen durch Graubünden über die Alpen; es waren 800 Züricher dabei unter ihrem Bürgermeister Stüssi. Da die Eidgenossen die ersten waren, die ihn beglückwünschten, ehrte er sie öffentlich vor dem Papst und dem römischen Volk durch besondere Zeichen der Vertraulichkeit und Achtung. Unter den Männern, die er nach der Krönung auf der Tiberbrücke zu Rittern schlug, waren ein Stüssi, ein Escher und noch zwei Züricher Bürger. Es ist charakteristisch für den Dünkel des deutschen Adels, daß sie den von Siegmund zu Rittern geschlagenen Eidgenossen, die sie Bauern nannten, den Zutritt zu den Turnieren verweigerten.
So wenig es Siegmund glückte, Organisationen zu einer besseren Zusammenfassung der Reichskräfte zu schaffen, so wenig konnte er Mehrer des Reichs nach außen sein. Von einem Wachsen des Reichskörpers war nicht mehr die Rede, es handelte sich nur darum, das Abbröckeln von Teilen an der Grenze zu verhindern. Die westlichen Gebiete des alten Lothringen und Burgund, die schon zur Zeit Rudolfs von Habsburg sich abzulösen begonnen hatten, gingen zum Teil an Frankreich, zum Teil an das neu sich bildende Herzogtum Burgund verloren, ohne daß Siegmund etwas anderes tat, als sich das kaiserliche Oberlehensrecht vorzubehalten. Im Süden schenkte er hauptsächlich den Fürsten von Savoyen-Piemont und den Grafen von Savoyen Aufmerksamkeit, welche letzteren er zu Herzögen erhob, und nahm Savoyen, das bisher ein Lehen des Königreichs Burgund gewesen war, unmittelbar an das Reich. Es war natürlich, daß die Tätigkeit, des Kaisers sich hauptsächlich dem noch chaotisch wogenden Osten zuwendete. Am Rhein war die kurfürstliche Macht zu fest begründet, als daß er hätte eingreifen können. Die drei geistlichen Kurfürsten empfingen Jahrgelder von Frankreich, die Kurfürsten von der Pfalz hatten eine ausgesprochen deutsche Gesinnung und warnten vor französischen Eroberungsgelüsten; aber daß sie sich von England bezahlen, wenn auch nicht bestechen ließen, schränkt die Genugtuung über ihr Verhalten ein. Bayern war, seit Stephan seine Tochter Elisabeth an König Karl VI. von Frankreich verheiratet hatte, mehr ein Vasallenland Frankreichs als ein deutsches Fürstentum.
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Im Osten bewirkten die Verhältnisse, daß Siegmund sich noch einmal an die Spitze abendländischer Gesamtkriegszüge stellen konnte, wie einst die Kreuzzüge gewesen waren; aber wenn die Tatsache seine kaiserliche Auffassung befriedigte, so zeigte das Ergebnis nur, bis zu welchem Grade der lebendige Zusammenhang und die Stoßkraft aus dieser Gemeinschaft gewichen war. Kaiser Maximilians Urteil über Karl IV., er sei Böhmens Vater und des Reiches Stiefvater gewesen, ist oft nachgesprochen worden; aber es ist nicht berechtigt. Hat Karl Böhmen, wo er Landesfürst war, gut regiert, so entzog er dadurch dem Reiche nichts, zu dem Böhmen gehörte, so innig gehörte, daß der König von Böhmen zugleich Kurfürst des Reiches war. Natürlich unterschied er Böhmen von Deutschland und pflegte in Böhmen seine böhmische Abkunft zu betonen; aber die Deutschen hatten in den Städten Böhmens und an der von Karl gegründeten Universität in Prag das Übergewicht, und eine Trennung Böhmens vom Reich kam ihm nicht in den Sinn. Die Verschiedenheit der Sprachen schien ihm bei seiner Auffassung des Reiches als Mittelpunkt des Abendlandes kein Hindernis zu sein. Auf einem Reichstage zu Metz ließ er festsetzen, da das Heilige Römische Reich verschiedenen Völkern Gesetze zu geben habe, sei es nützlich und notwendig, daß die Kurfürsten, die die Regierung des Reiches mit dem Kaiser teilten, die Sprache dieser Völker erlernten, und es sollten deshalb die Erben der vier weltlichen Kurfürsten außer in der deutschen Sprache, die in der Regel ihre Muttersprache sei, in der lateinischen, italienischen und slawischen Sprache unterwiesen werden. Ob er die französische Sprache nicht anführte, um die Empfindlichkeit der Franzosen zu schonen? Ebenso nun wie Karl Böhmen, sah Siegmund Ungarn als dem Reiche zugehörig an.
Unabhängig von den Menschen treibt der Genius der Länder nach der Richtung, die ihnen gemäß ist. Seit die Bayernherzöge sich im Widerstand gegen die Frankenkönige mit den Avaren verbündeten, ging von Bayern ein bald feindliches, bald freundliches Hinüberwogen nach dem Osten aus, das von dem durch Abspaltung von Bayern entstandenen Österreich aufgenommen wurde. Schon wollten die Habsburger des kühnen Ottokar Plan, ein großes Ostreich zu gründen, fortsetzen, als das plötzlich aufblühende Glück erst Ludwigs des Bayern, dann der Luxemburger ihre Wirksamkeit unterbrach. Ludwig der Bayer brachte Brandenburg und Tirol an sich, seine Söhne verloren Brandenburg an die Luxemburger und Tirol an Österreich. Als Karl IV. mit Österreich eine Erbverbrüderung abschloß, war der Familienbestand so, daß er hoffen konnte, der Gewinnende zu sein. Von Polen ging Schlesien zu Karl IV. über, das deutsche Land folgte der Anziehungskraft des überwiegend deutschen; aber ein noch weit größerer Ausblick eröffnete sich ihm. Es war ein eigentümliches Zusammentreffen, daß Kasimir der Große von Polen und Ludwig der Große von Ungarn, die ungefähr gleichzeitig regierten und durch verwandtschaftliche Beziehungen verbunden waren, keine Söhne hatten. Da Kasimir überhaupt ohne Nachkommen war, Ludwig aber zwei Töchter hatte, Maria und Hedwig, galt es, mit der Hand dieser beiden die Reiche Ungarn und Polen zu erwerben. Ludwig wurde für die Verlobung Marias mit dem jungen Siegmund gewonnen; sie fand 1380, zwei Jahre vor seinem Tode, statt. Sein Wunsch war, Siegmund möchte nicht nur in Ungarn, sondern auch in Polen, das nach Kasimirs Tode ihm zugefallen war, sein Nachfolger werden; allein angesichts des Widerstandes der Polen wurde Hedwig als Erbin dieser Krone ins Auge gefaßt und zugleich ihre Verlobung mit Herzog Wilhelm von Österreich abgeschlossen. Die Abneigung der Polen gegen einen deutschen Herrscher betraf jedoch auch diesen; sie entschieden sich für den noch heidnischen Herzog Jagello von Litauen, der versprach, wenn er Hedwigs Hand und Polen erhielte, Christ zu werden. Obwohl Hedwig, um nicht von ihrem Bräutigam lassen zu müssen, auf eigene Hand das Beilager mit ihm vollzog, mußte sie nachgeben und Jagello heiraten, der 1387 bei der Taufe den Namen Wladislaw annahm; sie soll den vermeintlichen Barbaren viel annehmbarer gefunden haben, als sie gefürchtet hatte. Durch dies denkwürdige Ereignis schied Polen aus dem Gefüge des Ostreiches aus. Ungarn indessen blieb Siegmiand erhalten trotz der Abneigung der Witwe Ludwigs und eines Teils des ungarischen Adels gegen ihn und trotz all der wilden und tragischen Ereignisse, die daraus folgten. Im selben Jahre, als Jagello König von Polen wurde, wurde Siegmund in Stuhlweißenburg gekrönt. Schon vorher war der Achtzehnjährige mit der sechzehnjährigen Maria vermählt worden. Sie starb, ohne Kinder von ihm gehabt zu haben, im Jahre 1392, sieben Jahre später ihre Schwester Hedwig. Da nach dem kinderlosen Tode Wenzels Böhmen an Siegmund fiel, waren Böhmen und Ungarn neu vereinigt. Auf enge Beziehungen zu Österreich waren sowohl Wenzel wie Siegmund bedacht; der letztere sicherte die Verbindung später dadurch, daß er seine einzige Tochter Elisabeth mit dem jungen Herzog Albrecht von Österreich verheiratete, den er zu seinem Nachfolger in Ungarn erklärte. Ebenso suchte Siegmund ein gutes Verhältnis mit Polen herzustellen, was auch, solange Hedwig lebte, gelang; hier aber war ihm sein Verhalten dadurch erschwert, daß er als Kaiser sich verpflichtet fühlte, für den Deutschen Orden einzustehen, dessen Zugehörigkeit zum Reiche er stets betonte.
Die Taufe Jagellos von Litauen und die Vereinigung Litauens mit Polen bedeutete für den Deutschen Orden eine wesentliche Veränderung. Als der Deutsche Orden sich in Preußen festigte, war die Bekämpfung der Heiden die Voraussetzung gewesen; gab es keine Heiden mehr zu bekämpfen, mußten die Heidenfahrten aufhören, die soviel kampflustige Herren nach Preußen gezogen hatten, und mußte der Orden sich auf Erhaltung seines Gebietes und friedliche Verständigung mit den Nachbarn beschränken. So durchaus aber war der Deutsche Orden auf Kampf gegründet, daß ihm diese Umstellung nicht gelingen wollte, daß er unvorsichtig genug war, bald Arger über das Christentum der Litauer, bald Zweifel daran zu äußern. Es zeigte sich, daß es dem Orden gar nicht auf Bekehrung der Heiden ankam, daß er sich im Gegenteil Heiden zu Nachbarn wünschte, um sie vertreiben oder ausrotten und sich ihres Landes bemächtigen zu können. Es war ein kühner und kluger Gedanke Siegmunds, einen Teil des Deutschen Ordens an die Donau zu versetzen, mit seiner Hilfe das Land bis an die Mündung der Donau zu erobern und dadurch eine Schutzwehr gegen die Türken zu errichten. Denn das Vordringen dieses asiatischen Volkes in Europa betraf ihn als König von Ungarn besonders, betraf ihn aber auch als König des Reiches, das von jeher die Angriffe asiatischer Völkerwanderungen aufgefangen und abgewendet hatte, und schließlich als Kaiser, der in Verbindung mit dem Papst die Grenzen der Christenheit schützte.
Im Jahre 1359, also vor Siegmunds Geburt, machte Sultan Murad das griechische Adrianopel zum Mittelpunkt eines türkischen Reiches, im Jahre 1363 fand die erste Schlacht statt, in der Ungarn gegen Türken fochten. Gegen den gefährlich sich näher wälzen den Feind unternahm der 23jährige Siegmund als König von Ungarn den ersten Feldzug. Seiner Aufforderung zu einem abendländischen Kreuzzuge folgten im Jahre 1395 deutsche, französische und burgundische Ritter, so daß ein Heer von 100 000 Mann zusammenkam, dessen Annäherung den Sultan Bajazeth bewog, die Eroberung Konstantinopels, das er bereits eingeschlossen hatte, aufzugeben und sich der abendländischen Armee entgegenzuwerfen. Sie erlitt eine furchtbare Niederlage bei Nikopolis, deren Folge der Fall Konstantinopels gewesen sein würde, wenn nicht bald darauf der siegreiche Bajazeth in der Schlacht von Angora dem noch größeren Gewaltherrscher Timur erlegen wäre. Von den Gefangenen der Schlacht von Nikopolis ließ Bajazeth nur diejenigen am Leben, die weniger als 20 Jahre alt waren; einer von diesen, ein Bayer, namens Schildburger, ist nach 32jähriger Gefangenschaft zurückgekehrt und hat seine Erlebnisse beschrieben. Siegmund retteten seine treuen Freunde Graf Hermann von Cilly, der Burggraf von Nürnberg und der ungarische Adlige Nikolaus von Gara. Unter dem Schutze der venezianischen Flotte entkam er nach Konstantinopel und von da nach Dalmatien. Einige Jahre später eroberte er Bosnien und Dalmatien und durch seinen Feldherrn und Freund Pippo von Ozora, der in 23 Schlachten gegen die Türken gefochten haben soll, auch Friaul. Dies war der Punkt, wo Siegmund Gegner Venedigs wurde, das ihm den Besitz von Friaul und Dalmatien streitig machte. In einem Zirkularschreiben an die deutschen Reichsstände hob er die Wichtigkeit von Friaul als besten und leichtesten Eingang zu Italien hervor, und daß es deshalb notwendig sei, die Kirche von Agley, die, solange man denken könne, ein Glied des Reiches gewesen sei, beim Reiche zu erhalten. Aber auch für Venedig war Friaul als Handels weg nach Deutschland von größter Wichtigkeit, und es hatte deshalb, als die Grafen von Görz ihre Bedeutung einbüßten, deren Politik der Unterdrückung des Patriarchats aufgenommen. Wiederum griff Siegmund zu einem kühnen und ungewöhnlichen Mittel, um einen Druck auf Venedig auszuüben; er verhängte nämlich eine Handelssperre und versuchte den Handel der deutschen Kaufleute von Venedig nach Genua zu verlegen. Allein wie kräftig er auch die Sache angriff, scheiterte sie doch an dem Widerstande der Kaufleute, die lieber den Ausgang des Kampfes abwarten, als die alte Verbindung mit Venedig aufgeben wollten. Während die kriegerischen Aktionen mit wechselndem Glück verliefen, begab sich Siegmund selbst nach Friaul, wo er von den Ghibellinen mit Jubel aufgenommen und in Belluno von einer Braut, deren Hochzeit er mitfeierte, mit ihrem eigenen Kranze gekrönt wurde. Trotz aller Anstrengungen jedoch ließ sich das von Venedig beeinflußte Land nicht halten. Um 1412 kam der letzte deutsche und der letzte unabhängige Patriarch von Aquileja zur Regierung, bald darauf gingen die beiden Hauptstädte des Friaul, Udine und Cividale, freiwillig unter ehrenvollen Bedingungen an Venedig über, und ihnen folgte das ganze Land. Ludwig von Teck, der Patriarch, starb im Exil zu Basel, sein Nachfolger verzichtete auf seine weltlichen Besitzungen, wofür ihm die Stadt Aquileja mit einigen kleinen Ortschaften überlassen wurde. Wie einst von den Hunnen, wurde die altberühmte und altheilige Stadt nun von den Türken überfallen; aber ihr Untergang hatte schon viel früher begonnen. Die heiße grüne Wüste wucherte langsam über den versinkenden Patriarchenpalast und die Ruinen aus der Römerzeit.
Ging Friaul verloren, so wurde doch die Grafschaft Görz durch eine Erbverbrüderung der dem Erlöschen nahen Grafen mit Österreich dem Reich erhalten; denn an Österreich sollte mit der Hand Elisabeths, der einzigen Tochter Siegmunds, das mächtige Ostreich, das die Luxemburger aufgebaut hatten, übergehen. Hier sammelte sich, während das übrige Deutschland sich in kleinen Händeln zersplitterte, eine gewaltige Macht mit weltwichtigen Aufgaben, würdig, das Haupt des heiligen Reiches zu werden. Zunächst freilich wurde das Bestehen des ganzen Reiches durch die Überfälle der Hussiten, die bald nach Hussens Verbrennung begannen, in Frage gestellt.
Ungefähr 400 Jahre bevor aus Frankreich die Heere eines in seiner Tiefe aufgewühlten Volkes in einmütiger Begeisterung der Fahne neuer Ideale folgend sich zerstörend über Deutschland ergossen, geschah von Osten her etwas Ähnliches. Die Unwiderstehlichkeit der Hussiten, die jahrelang Deutschland verwüsteten, erklärt sich hauptsächlich daraus, daß sie von einem neuen Glauben durchdrungen waren, der ihnen mehr wert als Gut und Blut war, während die Deutschen wie zur Zeit der Französischen Revolution ihre Zustände nur mit halber Anhänglichkeit verteidigten. Am Anfang des 15. Jahrhunderts waren es wie am Ende des 18. bisher unterdrückte Schichten, die im Hochgefühl neuer Freiheit ein morsch gewordenes ständisches Gerüst überrannten. Wohl sahen die herrschenden Gewalten und sah die Mehrzahl des Volkes die Hussiten als Ketzer an, ja als Barbaren und Teufel, aber wenn sie ihre Scholle verteidigten und sich gegen Mißhandlung und Zerstörung wehrten, so waren sie doch weit entfernt, den Angreifern Begeisterung für ihre Kultur entgegenzusetzen. Wurde doch der Kaiser selbst zuweilen hussitischer Ketzerei verdächtigt, und tatsächlich hatte die hussitische Lehre, namentlich im mittleren und östlichen Deutschland, Anhänger. So brüchig, so entartet, so glanzlos waren alle Einrichtungen geworden, daß die Notwendigkeit einer gründlichen Reform kaum irgend jemand zu bestreiten wagte, ohne daß aber über das Ziel der Reform Klarheit oder gar Einmütigkeit geherrscht hätte. Johann Ziska, Sohn eines armen böhmischen Edelmannes, von seiner Mutter unter einer später heiliggehaltenen Eiche zur Welt gebracht, schwur, Hussens Tod zu rächen und soll, so will es die Überlieferung, von Wenzel urkundlich dazu ermächtigt worden sein. Seine kriegerischen Erfolge werden der neuen Technik seiner Kriegführung zugeschrieben, die darin bestand, daß er die Soldaten in durch Ketten verbundenen Wagen beförderte, einer Art Festung also, in deren beweglichen Straßen die Feinde sich wie in einem Netz oder wie in den Armen eines polypenhaften Ungeheuers fingen. Wie verwirrend das aber auch gewesen sein mag, den Ausschlag gab doch, daß Wut, Begeisterung, Todesverachtung die Hussiten erfüllte, ein Volk, das um sein Dasein kämpfte, während das Gefühl, das die zusammengerafften Söldnerhaufen und die Ritter und Bürger beseelte, die das Reich aufbrachte, hauptsächlich Angst und Unlust waren. Wie todesmutig hatten einst die Heere der sächsischen Könige den Ungarn standgehalten. Wie Erzengel waren sie den bewundernden Menschen erschienen.
Siegmund, der nach dem plötzlichen Tode Wenzels als sein Erbe der Nächstbetroffene war, machte alle erdenklichen Anstrengungen, um Böhmen, sei es durch Gewalt oder durch Verständigung, zu beruhigen und zu gewinnen, obwohl er gleichzeitig Ungarn gegen die Türken schützen mußte. Nach den großen Siegen der Hussiten bei Aussig, Mies und Tauß in den Jahren 1426/27 und 1431 konnte er nicht mehr hoffen, sich mit den Waffen Anerkennung zu erzwingen. Da kamen ihm seine Kunst des Vermittelns, die Entzweiungen unter den Böhmen und der Tod der großen hussitischen Anführer zu Hilfe. Wie in Frankreich zur Zeit der Revolution sonderten sich die Besitzenden mit ihren gemäßigten Ansichten von den radikalen unteren Schichten und von denen, die zu den äußersten Tendenzen: Rückkehr zur Natur, Abschaffung kirchlicher und staatlicher Bindungen, Gemeinbesitz, übergingen. Die Abneigung dagegen und die Furcht davor bewog einen Teil des Adels und der Städte, sich in Verhandlungen mit Siegmund einzulassen. Katholisch zu sein, war für Siegmund unerläßlich, er legte Wert darauf, sich mit dem Papst gutzustellen, aber Interesse für theologische Streitfragen hatte er nicht, und ob den Böhmen das Abendmahl nur mit dem Brot oder auch mit dem Kelch gereicht würde, hielt er gewiß für eine nebensächliche Angelegenheit. Nachdem die radikalen Forderungen, die alle Tradition, die Sakramente, kurz, alles Formale und Symbolische, über das platt Verständige und Moralische Hinausgehende, abstoßen wollten, ausgemerzt waren, blieb als entscheidendes Merkmal der hussitischen Umwälzung das Abendmahl unter beiderlei Gestalt, weshalb sich die Gemäßigten Kalixtiner nannten. Es ist merkwürdig, zu denken, daß so viel Opfer an Leben und Gut gebracht wurden, so viel Zerstörung, Blutvergießen, Jammer und Elend hatte stattfinden müssen um des Rechtes willen, das Abendmahl nicht nur im Brot, sondern auch im Wein zu empfangen. Man versteht es wohl, wenn Nikolaus von Cusa den Kalixtinern vorhielt, sie hätten unrecht, um des Kelches willen Spaltung in die Kirche zu tragen; aber sie konnten mit Fug der Kirche denselben Vorwurf machen, um so mehr, als der Text der Abendmahlseinsetzung für sie sprach und als die Austeilung in Brot und Wein bis ins 3. Jahrhundert üblich gewesen war. Indessen war es beiden Teilen wohl bewußt, daß es sich nur scheinbar um den Kelch allein handelte, dahinter stand eine selbstbewußte Gesinnung, die in allen, auch in den höchsten Dingen nur die Heilige Schrift und die eigene Auslegung derselben gelten lassen wollte.
Es war etwas Außerordentliches, ein Ereignis von unabsehbarer Bedeutung, daß ein in Basel versammeltes Konzil die Böhmen aufforderte, Abgeordnete zum Zweck der Verständigung zu schicken, denen freie Rede, um ihre Sache zu verteidigen, zugestanden werden würde. Unerhört, daß die Vertretung des Papstes Ketzer in freundlicher Absicht mit freundlichen Worten einlud, nicht, um sie zu verurteilen, sondern, um sich mit ihnen auseinanderzusetzen, und daß die Böhmen, obwohl sie das Schicksal von Huß und Hieronymus nicht vergessen haben konnten, dem Versprechen trauten. Es konnte geschehen, weil sie sich als unbesiegbar im Felde erwiesen hatten, weil sie in Waffen die Stärkeren waren. Die man mit Feuer und Schwert zu ewigem Schweigen gebracht hätte, wenn sie die Schlacht verloren gehabt hätten, kamen erhobenen Hauptes als geehrte Gäste, da sie selbst Schrecken verbreitet hatten. Wer sich zum Schaf macht, den frißt der Wolf. Eben hatten die Hussiten noch Brandenburg verheert, wo ihnen nur die kleine Stadt Bernau widerstand, da brachten Abgeordnete des Konzils mit dem Kurfürsten von Brandenburg ein Schreiben des Konzils nach Eger, wo bereits böhmische Abgeordnete eingetroffen waren, um zu verhandeln. Nachdem auch Siegmund freundlich an Prokop geschrieben hatte und nachdem vorausgeschickte Böhmen sich in Basel umgesehen und den Eindruck gewonnen hatten, daß es der Kirchenversammlung ernstlich um Verständigung zu tun war, wurde die denkwürdige Gesandtschaft unternommen. Wo die Fremdlinge durchkamen, staunte jung und alt. Das waren die heillosen Ketzer, der unbesiegbare Prokop unter ihnen, die wie ein Gewitter durch das Reich gebraust waren, unwiderstehlich, erbarmungslos, ein unentrinnbares Verhängnis. Waren sie menschenähnlich? Waren sie Unholde wie einst die Hunnen und Magyaren? Am 4. Januar 1433 zogen sie zu 300 Personen in Basel ein. Der päpstliche Legat und Vorsitzende des Konzils, der geistvolle und vornehm gesinnte Cesarini, hieß die Deputierten willkommen und sorgte dafür, daß sie mit Wein und Lebensmitteln versehen wurden. Einige Tage darauf begrüßte er sie in langer Anrede, die der Erzbischof Rokyczana beantwortete; die Sitzungen fanden im Predigerkloster statt. Die gegenseitige Höflichkeit machte die gegenseitigen Gründe nicht überzeugend; nachdem fünfzig Tage lang disputiert worden war, blieb jeder bei seiner Meinung. Logik überwindet Andersdenkende nicht; aber daß die Raubzüge der Hussiten fortfuhren, Schrecken zu verbreiten, während das Konzil tagte, das war ein Beweis, der einleuchtete. Es war einleuchtend, daß die einzige Hoffnung, mit den radikalen böhmischen Elementen aufzuräumen, darin bestand, daß mit den gemäßigten ein Vergleich erzielt wurde. Deshalb ersuchte das Konzil, als die Gesandten nach Prag zurückgekehrt waren, um den Besuch neuer zu nochmaliger Besprechung, worauf die Böhmen – gleichfalls des Friedens bedürftig – eingingen. So kam denn wirklich, als das Jahr zu Ende ging, eine Verständigung zustande, bei der die Kirche nachgab. Der Papst löste die Kalixtiner vom Banne und nahm sie wieder in den Schoß der Kirche auf. Nachdem die Kalixtiner die Taboriten unterworfen hatten, konnte Siegmund als König von Böhmen in Prag einziehen, das als überwiegend deutsche Stadt ihn jubelnd begrüßte.
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So hatte denn das germanische Wesen, schon das seit langem unterirdisch glimmend an den Grundlagen des römischen Reichsgebäudes nagte, ein paar Steine aus dem festen Gefüge gelockert; denn germanisch war ja Hussens Lehre, die zwar die Wiclifs nicht ganz übernommen hatte, aber doch überwiegend von ihr beeinflußt war. Das Konzil hatte auch bei Hussens Prozeß stets auf Wiclif zurückgegriffen und seine Lehre verdammt. Jahrhunderte nachdem ein Angelsachse das Christentum der germanischen Welt dem römischen Papst unterworfen hatte, bereitete ein Angelsachse eine Losreißung vom römischen Papst vor. Siegmund war zu sehr Kaiser, um nicht, wie vorurteilsfrei er auch war, an der Idee der Einheit des Abendlandes unter Papst und Kaiser festzuhalten. Wenn er den Hussiten Zugeständnisse machte, hatte er dabei den Hintergedanken, daß er sie doch vielleicht allmählich zur allgemeinen Kirche zurückführen könnte, und begann mit Begünstigung der katholischen Böhmen, kaum daß er die Zügel wieder in der Hand hatte. Als er Widerstand merkte, lenkte er ein und versuchte es mit mündlichen Verhandlungen, bei denen seine Beredsamkeit so manchen Erfolg verzeichnen konnte. Diese Haltung Siegmunds brachte einen Teil der Böhmen gegen ihn auf und entfachte das nationale Bewußtsein, das von Anfang an die hussitische Bewegung genährt hatte; man verargte es ihm in diesen Kreisen, daß er einen deutschen Fürsten, Albrecht von Österreich, als seinen Nachfolger bezeichnet hatte. An der Verschwörung, die sich vorbereitete, hatte Siegmunds eigene Frau, Barbara von Cilly, Anteil, die er aus Dankbarkeit gegen ihren Vater, seinen Retter in der Schlacht von Nikopolis, geheiratet hatte. Es mag sein, daß Siegmund, der schöne Frauen gern sah, nicht immer ein treuer Ehemann gewesen war; aber wenn das auch ihre Treulosigkeit entschuldigt, so macht es sie und ihre Handlungsweise doch nicht anziehender. Die Cilly waren ein leidenschaftliches, grundsatzloses, wildes Geschlecht, und die Gnaden, mit denen Siegmund sie überhäufte, nahmen sie an, ohne sich dadurch gebunden zu fühlen. Der Plan der Verschworenen war, daß Barbara einen als Thronfolger in Aussicht genommenen, jungen polnischen Prinzen heiraten sollte, eine Verbindung, welche ein polnisch-böhmisch-ungarisches Reich begründen würde. Es sollte, so war die Meinung, eine eigene hussitische Kirche haben. Das bedeutete die Ausschaltung der Deutschen aus dem großen Österreich, in das seit Jahrhunderten so viel deutsches Wesen eingeströmt war. Albrecht von Österreich, Siegmunds Schwiegersohn, der von der Verschwörung Kunde bekommen hatte, riet dem König, zu fliehen; da er sehr leidend war, konnte die Notwendigkeit einer Luftveränderung den Vorwand zur Reise liefern. Es war im November des Jahres 1437, als der 69jährige von Prag aufbrach, um sich nach Znaym zu begeben; einige böhmische und einige ungarische Edle begleiteten ihn, auch seine Frau zwang er, ihm zu folgen. Sein Schwager Friedrich und dessen Sohn, die er kurz vorher zu Reichsfürsten erhoben hatte, entflohen.
Als Siegmund im Jahre 1416 in Paris war, wohnte er als Zuschauer einer Sitzung des Parlamentes bei. Da gerade ein Fall verhandelt wurde, bei dem eine Partei als nicht zum Ritterstande gehörig abgewiesen wurde, sprang Siegmund auf und schlug den Betreffenden, der ein Knappe war, zum Ritter, damit er sein Recht erlangen könne. Dies Feuer des Mitlebens aller Dinge erlosch dem König im Alter nicht, wenn auch sein lockiges Blondhaar früh ergraute. Mühselig, gefährlich, von Kämpfen und vergeblichen Anstrengungen erfüllt war sein Leben; demgegenüber waren seine nie versagende Lebendigkeit und die Anhänglichkeit einiger Freunde die einzigen Mittel, die dem nicht selten Bettelarmen stets zu Gebote standen. Von einem Reichstag zum anderen, von einem Schlachtfeld zum anderen, war er getrabt, immer Streitende beschwichtigend, immer irgendwelche Widerstände überwindend, und dazwischen, fast den Fuß im Steigbügel, leerte er mit erprobten Freunden und anmutigen Frauen einen vollen Becher der Freude. Im Kaiserornat und frischen Lorbeerkranz trat er die letzte Fahrt an. Während der Hussitenkriege hatte er die Reichsinsignien, die sein Vater nach Prag und sein Bruder Wenzel später auf die Burg Karlstein hatte bringen lassen, heimlich nach Ungarn befördert und hatte dann, da die deutschen Fürsten sie in Deutschland wissen wollten, die Reichsstadt Nürnberg zum Aufbewahrungsort bestimmt. Die Stadt ließ es sich tausend Goldgulden kosten, das ehrenvolle Recht zu erwerben, und hat die Kleinodien bis zum Ende des Reiches behalten. Schöner als die Reichskrone von massivem Golde schmückten die frischen grünen Blätter das geniale Haupt des Königs, der verraten, fliehend, sterbend in der Würde seines guten Willens ruhte. Wenn er bedachte, wie er den ihm zugefallenen Aufgaben genügt hatte, konnte er sich manches Erfolges freuen. Als die Kurfürsten ihn wählten, hatte es drei Päpste und drei Kaiser gegeben, Verwirrung und Auflösung in der Christenheit. Er hatte die Einheit wiederhergestellt, er hatte erst das Konzil gegen den Papst, dann, als die in Basel versammelten Väter den Papst ganz entrechten wollten, diesen gegen das Konzil gestützt. Vor noch nicht langer Zeit war er unermüdlich hin und her gereist, um zu vermitteln, fast immer zu Pferde; einmal hatte er den Baseler Stadtrat um Schuhe bitten müssen, weil er nicht in Reiterstiefeln das Münster betreten wollte. Selten, eigentlich niemals hat er durchgesetzt, was ihm als das Rechte vorschwebte; während er eine Erneuerung wollte, hatte er helfen müssen, das Alte zu befestigen. Aber die Türken, die gegen die Christenheit anstürmten, hatte er aufgehalten, und den furchtbaren Kriegsbrand, mit dem die Hussiten das Reich zu vernichten drohten, hatte er gestillt. Es war Frieden im Reich, Frieden hatte er mit liebenden Händen über die schöne Erde ausgebreitet, die nun winterlich schlummerte. In Znaym erwies es sich als notwendig, daß ihm eine Zehe seines kranken Fußes abgenommen wurde; er ließ es unbeweglich geschehen, als ob es einen anderen anginge. Nachdem er von dem Arzt, dem er befohlen hatte, ihm die Wahrheit über seinen Zustand zu sagen, erfahren hatte, daß sein Tod bevorstehe, ließ er sich mit dem kaiserlichen Ornat bekleiden und hörte eine Messe. Dann sagte er: »Nun tut mich an, als man mich begraben wird.« Wenn er gestorben sei, solle man ihn zwei oder drei Tage lang ausstellen, ordnete er an, damit alle sehen könnten, daß der Herr der Welt tot sei. Das wurde ausgeführt und dann die Leiche in Großwardein, in der Begräbniskirche der ungarischen Könige, beigesetzt.