Читать книгу „… Gesetz und Freiheit ohne Gewalt“: „Die höchste Form der Ordnung“ - Richard A. Huthmacher - Страница 18
ОглавлениеPARERGA UND PARALIPOMENA
Ausführungen zu Fußnote 3:
Rede von Christa Wolf am 4. November 1989 (auf dem Berliner Alexanderplatz, wo mehrere Hunderttausend, vielleicht gar eine Million DDR-Bürger auf der größten Demonstration, die je in der DDR stattfand [und die nicht von der Partei, vielmehr von Mitarbeitern der Ostberliner Theater organisiert wurde], für ihre verfassungsmäßig garantierten Rechte, für Meinungs-, Versammlungs- und Pressefreiheit, auch für das Recht auf freie Reise [ins westliche Ausland] eintraten [und auch Adlati des Systems wie beispielsweise Markus und eben Christa Wolf, Heiner Müller, Günter Schabowski, Lothar Bisky und Gregor Gysi – die, Bisky und Gysi, später bei der PDS resp. der Linken Heimat und Brot fanden – auftraten und meist gnadenlos ausgepfiffen wurden; Bärbel Bohley, s. DER SPIEGEL 45/1994 vom 07.11.1994, 40-54: „… vor allem als Markus Wolf sprach. Als ich sah, daß seine Hände zitterten, weil die Leute gepfiffen haben, da sagte ich … zu Jens Reich: So, jetzt können wir gehen, jetzt ist alles gelaufen. Die Revolution ist unumkehrbar“]):
„Jede revolutionäre Bewegung befreit auch die Sprache. Was bisher so schwer auszusprechen war, geht uns auf einmal frei über die Lippen. Wir staunen, was wir offenbar schon lange gedacht haben und was wir uns jetzt laut zurufen: Demokratie jetzt oder nie!
Und wir meinen Volksherrschaft, und wir erinnern uns der steckengebliebenen oder blutig niedergeschlagenen Ansätze in unserer Geschichte und wollen die Chance, die in dieser Krise steckt, da sie alle unsere produktiven Kräfte weckt, nicht wieder verschlafen …
Diese Wochen, diese Möglichkeiten werden uns nur einmal gegeben – durch uns selbst … Vorschlag für den Ersten Mai: Die Führung zieht am Volk vorbei. Unglaubliche Wandlungen. Das ´Staatsvolk der DDR´ geht auf die Straße, um sich als ´Volk´ zu erkennen. Und dies ist für mich der wichtigste Satz dieser letzten Wochen – der tausendfache Ruf: Wir – sind – das – Volk!“ (https://www.dhm.de/archiv/ausstellungen/4november1989/cwolf.html, abgerufen am 25.09.2019)
Ausführungen zu Fußnote 4:
MDR-Zeitreise: Was wurde aus der Volkspolizei? Im Herbst 1989 hatten Volkspolizisten noch den Befehl, gegen friedliche Demonstranten vorzugehen. Ein Jahr später schworen viele von ihnen einen Eid auf das deutsche Grundgesetz. Eine unglaubliche Geschichte, https://www.mdr.de/zeitreise/schwerpunkte/was-wurde-aus-der-volkspolizei-100.html, zuletzt aktualisiert am 06. 05.2019 und abgerufen am 25. 09.2019:
„In ´Heimarbeit´ hatten die Polizisten zum Stichtag 3. Oktober 1990 die Hoheitszeichen der DDR von ihren Mützen und den Schriftzug ´Volkspolizei´ von ihren Jacken entfernen müssen. Jetzt herrschte ein heilloses Durcheinander. Nach Feierabend paukten sie die neuen Gesetze, die von nun an Grundlage ihrer polizeilichen Arbeit waren ...“
Ausführungen zu Fußnote 5:
DER SPIEGEL 25/1990 vom 18.06.1990, 59-66: Das Recht ist nur Pappe. Unter den Augen der Polizei machen Schwarzhändler auf dem Ost-Berliner Alexanderplatz ihre krummen Geschäfte. Kein Ordnungshüter schreitet ein:
„Nicht nur die Polizei leidet unter dem Autoritätsschwund und versucht, ihn durch besonders lasche Tätigkeit wettzumachen. Auch die Justiz fällt durch außergewöhnliche Milde und Nachsicht auf. ´Staatsanwälte´, lästert der Ost-Berliner Rechtsanwalt Friedrich Wolff …, einer der Anwälte des vormaligen DDR-Regenten Erich Honecker, ´stellen zum Teil lächerliche Strafanträge´, und viele Richter ´trauen sich nicht mehr, die Leute ... zu verdonnern … Die hatten schon vorher keinen Arsch in der Hose, heute erst recht nicht mehr´ …
Die Zahl der Diebstähle beispielsweise ... habe sich seit der Wende ´verdrei- bis verfünffacht, auffällig sei die Zunahme von Gewaltdelikten. Doch die Räuber und Schläger lachen sich ins Fäustchen.
Staatsanwälte machen keinem mehr Angst. 40 Jahre war die Justiz Disziplinierungsinstrument in der Hand von Stasi und Partei. Nun, da niemand mehr vor diesen Mächten Furcht haben muß, hat auch keiner mehr Respekt.
Hinzu kommt ein eklatanter Personalmangel: Von den rund 1200 Planstellen für Staatsanwälte in der DDR sind derzeit etwa zehn Prozent nicht besetzt – die bisherigen Amtsinhaber wurden wegen früherer Tätigkeit im politischen Strafrecht in den Ruhestand geschickt oder quittierten den Dienst aus eigener Einsicht.
Ähnlich ist die Lage bei den derzeit 1385 Richtern an Kreis- und Bezirksgerichten: Etwa jeder elfte ist seit der Wende ausgeschieden …
´Die Verfolgung allgemeiner Straftaten ... wird schwierig, weil wir der Täter immer weniger habhaft werden können.´ Immer häufiger fallen Prozesse aus, weil die Angeklagten einfach nicht vor Gericht erscheinen …
Kommt es doch zu einem Richterspruch, wird der nicht selten ignoriert. ´Wenn das Urteil der unterlegenen Partei nicht paßt´, berichtet ein DDR-Richter, ´dann wird es einfach als ein Ergebnis stalinistischer Deformation mißachtet.´
Schuldner weigern sich, ihre Schulden zu bezahlen, Väter kommen ihren Unterhaltsverpflichtungen nicht mehr nach, selbst Scheidungsurteile werden nicht mehr anerkannt.
Die gewendete DDR, klagen ostdeutsche Juristen, ist zum rechtsfreien Raum geworden. Der Noch-Staat ist eine einzige juristische Grau-Zone.“
Ausführungen zu Fußnote 6:
„Am Mittwoch, dem 8. November 1989, versammeln sich 90 Rüterberger in der alten Schule. Sie haben auch ihre Vormünder eingeladen, die Grenztruppen der DDR und den Rat des Kreises Ludwigslust. Rasenberger erhebt sich, um einen Vorschlag zu unterbreiten. Da sein Dorf vollständig umgrenzt sei [das Dorf liegt als Exklave im „Feindesland BRD“], also de facto völlig allein auf der Welt, habe man sich entschlossen, diesen negativen Befund in einen positiven zu verwandeln und endlich das zu tun, was man schon längst hätte tun müssen: Er schlage hiermit die Gründung der autonomen Dorfrepublik Rüterberg vor, und zwar nach dem Vorbild der Schweiz!
Ihr seid doch nicht die Schweiz, geben die Organe der Macht zu bedenken. Auch waren die eidgenössischen Urkantone 1291 immerhin zu dritt. Uri, Schwyz und Unterwalden … Doch den Rüterbergern ist das egal. Einstimmig beschließen sie am 8. November 1989 ihre Unabhängigkeit.
Die erste autonome Dorfrepublik auf deutschem Boden hat sich gegründet.“
Ausführungen zu Fußnote 7:
Kleines Politisches Wörterbuch, Ost-Berlin 1988, zit. nach: Anarchy in East-Germany. Ohne Umweltblätter und telegraph hätte es die Wende 1989 so nicht gegeben, https://www.graswurzel.net/gwr/2009/06/anarchy-in-east-germany/, veröffentlicht am 01.06.2019 und abgerufen am 29.09.2019:
„Heute feiern die deutschen Eliten 20 Jahre friedliche Revolution 1989´. Dabei wird die Geschichte des gewaltfreien Widerstands gegen die ostdeutsche Diktatur in den Medien oft verfälscht dargestellt.
So waren sich die MacherInnen einer im April 2009 ausgestrahlten ARD-Dokumentation über die Rolle der Kirchen in der DDR nicht zu schade, die Ost-Berliner Umweltbibliothek und die dort produzierten Umweltblätter als Teile des ´kirchlichen Widerstands´ darzustellen, ohne zu erwähnen, dass sich diese Graswurzelprojekte als ´anarchistisch verfasst´ verstanden.“