Читать книгу „… Gesetz und Freiheit ohne Gewalt“: „Die höchste Form der Ordnung“ - Richard A. Huthmacher - Страница 20
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Ausführungen zu Fußnote 8:
„In den berühmten ´Reden an die deutsche Nation´ (1808) entwickelt Fichte das Ideal eines auf philosophische Prinzipien gegründeten Staates, dessen höchstes Ziel die allgemeine Erziehung seiner Mitglieder zur Sittlichkeit im gemeinschaftlichen Handeln darstellt … Mit seinen Berliner Reden ..., in denen er – unter den Augen der französischen Besatzer – dem Widerstand gegen Napoleon und dem erwachenden nationalen Bewußtsein in Deutschland eine philosophische Begründung lieferte, errang Fichte (nachdem ihm auf dem Felde der theoretischen Philosophie Schelling längst den Rang abgelaufen hatte) bei seinen Zeitgenossen noch einmal große Anerkennung und Achtung.“
Ausführungen zu Fußnote 9:
„Die napoleonischen Eroberungskriege und der Haß, den sie in Deutschland hinterließen, gehören zur Entstehungsgeschichte des deutschen Nationalwahns. [E.A.: Ob der deutsche Nationalismus oder besser: Patriotismus über die Jahrhunderte hinweg größer war als der anderer Völker darf – so jedenfalls meine Sicht, Liebste – mit Fug und Recht bezweifelt werden; hierauf näher einzugehen würde indes den Rahmen vorliegender Abhandlung sprengen.]
Das entlastet nicht dessen spezifische Ingredienzien einer deutsch-romantischen Hysterie: die Mystifizierung der ´Volksseele´, der Geschichte und des Staates, der etwa in der Organismus-Metaphorik des Novalis als ´Makroanthropos´ erscheint.
Diese Hysterie ist es, was die Ablösung des deutschen Nationalgedankens von seinen universalistischen Ursprüngen im 18. Jahrhundert vorbereitet und ihn für die Zwecke des späteren machtstaatlichen Mißbrauchs aufnahmefähig macht. Immerhin ist in Fichtes ´Reden an die deutsche Nation´ von 1808 noch der Zwiespalt des einstigen Anhängers der Französischen Revolution spürbar, die Freiheitsidee des an Kant geschulten Philosophen.
Noch in seinem Todesjahr 1814 notiert er, ´der Einheitsbegriff des deutschen Volkes´ werde nicht ´eine gesonderte Volkseigenthümlichkeit zur Geltung bringen, sondern den Bürger der Freiheit verwirklichen´“ (Merkel. R.: Wahnbild Nation. In: DIE ZEIT Nr. 11/1990 vom 9. März 1990 [eig. Hervorhbg.], sicherlich unter dem Eindruck der Veränderungen in der Noch-DDR und der sich anbahnenden Wiedervereinigung geschrieben).
Ausführungen zu Fußnote 10:
„Den juridischen Staat bildet eine geschlossene Menge von Menschen, die unter denselben Gesetzen und derselben höchsten zwingenden Gewalt stehen. Diese Menge von Menschen soll nun auf gegenseitigen Handel und Gewerbe unter und für einander eingeschränkt, und jeder, der nicht unter der gleichen Gesetzgebung und zwingenden Gewalt steht, vom Antheil an jenem Verkehr ausgeschlossen werden, sie würde dann einen Handelsstaat, und zwar einen geschloßenen Handelsstaat bilden, wie sie jetzt einen geschlossenen juridischen Staat bildet“ (Johann Gottlieb Fichte: Der geschlossene Handelsstaat. Ein philosophischer Entwurf als Anhang zur Rechtslehre und Probe einer künftig zu liefernden Politik. Vorläufige Erklärung des Titels. Johann Gottlieb Fichtes sämmtliche Werke. Band 3. Berlin 1845/46, 388-389).
Anm.: Juristisch steht letztlich für die Anwendung positiven Rechts, juridisch hingegen bezeichnet Herleitung und Befolgung des Rechts als ethisch-moralische Kategorie resp. Verpflichtung.
Ausführungen zu Fußnote 11:
Die Sainst-Simonisten wollten u.a. das private Eigentum (weitgehend) in gesellschaftliches umwandeln und das Erbrecht abschaffen; nur durch eigene Leistungen solle man zu Besitz kommen (meritokratische Idee: Jeder nach seinen Fähigkeiten und jede Fähigkeit nach ihren Leistungen); namentlich durch den Marxismus verlor der Saint-Simonismus mehr und mehr an politischer Wirkkraft (s. beispielsweise: Strube, J.: Sozialismus, Katholizismus und Okkultismus im Frankreich des 19. Jahrhunderts. De Gruyter, Berlin/Boston, 2016; Bruhat, J.: Der französische Sozialismus von 1815 bis 1848. In: Bedarida, F., Bruhat, J. und Droz, J.: Der utopische Sozialismus bis 1848. Ullstein, Frankfurt/Berlin/Wien, 1974, 106-130).
Ausführungen zu Fußnote 12:
Bodenheimer, N.: Heine, Hegelianismus, Saint-Simonismus und „Zur Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland“. In: Kruse, J. A. (Hrsg.): Heine-Jahrbuch 2008. J.B. Metzler, Stuttgart, 2008, 221-233; hier: S. 221:
„Der unlängst erschienene Band ´Hegelianismus und Saint-Simonismus´ beinhaltet eine Fragestellung, die auch für die Heine-Forschung Relevanz und Potential bereit hält: Der Transfer philosophischer Inhalte zwischen Hegelianismus und den Saint-Simonisten ist nämlich für das Verständnis von Heines Annäherung an den und [seine] Auseinandersetzung mit dem Saint-Simonismus von großem Interesse. Das Ziel dieses Beitrags ist nicht, Heine mit Hilfe seiner ´Geschichte der Religion und Philosophie in Deutschland´ als Saint-Simonisten zu entlarven ... Es geht vielmehr um seinen Ansatz und seine Beweggründe, Hegelianismus und Saint-Simonismus im Rahmen dieses Buches ´unter einen Hut´ bringen zu wollen.“
Ausführungen zu Fußnote 15:
Max Nettlau ist, wie Du sicher weißt, meine Liebe, der Historiker des Anarchismus´; er verfasste Artikel in einer Vielzahl anarchistischer Zeitschriften wie z.B. in Les Temps Nouveaux (1895 als Nachfolge-Zeitschrift von La Révolte gegründet), in Freedom (1886 Nachfolgerin von The Anarchist) oder in Freiheit (radikal sozialdemokratische, später mehr und eher sozialrevolutionäre sowie anarchistische Zeitschrift, die von 1879-1910 gedruckt und konspirativ sowie zu Zeiten der Bismarckschen Sozialistengesetze auch illegal im deutschsprachigen Raum verbreitet wurde – unter Tarntiteln wie „Der Revolutionär“, „Der Rebell“, „Freie Presse“, „Der Anker“, „Gerechtigkeit“, aber auch unter Tarnnamen wie „Der Soldatenfreund“).
Nettlau schrieb u.a. Biographien über Bakunin und Malatesta; sein Hauptwerk ist die siebenbändige Geschichte der Anarchie.
Ausführungen zu Fußnote 23:
„Begünstigt durch das Gesprächsklima, das in jenem Intellektuellenzirkel, der als ´Kreis der Freien´ bekannt wurde, herrschte, und in Diskussionen mit anderen Junghegelianern wie Ludwig Feuerbach, Friedrich Engels und Arnold Ruge, vollzieht sich sein [i.e. Stirners] Bruch mit der Philosophie seines geistigen Mentors Hegel … In mehreren deutschen Staaten wurde … [Der Einzige und sein Eigentum] sofort verboten …
Auch seine Diskussionspartner lassen nicht lange mit einer Reaktion auf sich warten. Ludwig Feuerbach, … Karl Marx und Friedrich Engels greifen zur Feder.
Erstgenannte[r], um sich gegen die von Stirner implizierten philosophischen Angriffe zur Wehr zu setzen, letztere beide, um im Rahmen ihrer Auseinandersetzung in der ´Deutschen Ideologie´ unter dem Ttel ´Sankt Max [Stirner]´ ihre eigene Position zu schärfen.“
Ausführungen zu Fußnote 26:
Wilhelm Marr war Anarchist und glühender Antisemit; er schrieb „Anarchie oder Autorität?“ (Hoffmann und Campe, Hamburg, 1852) – „Ich will mein volles Freiheitsrecht! Find ich die g´ringste Beschränkniß, verwandelt sich mir das Paradies in Hölle und Gefängniß“, so das Motto des Buches (Heinrich Heine entlehnt: Neue Gedichte. Adam der Erste) –, und in „Der Anarchismus. Kritische Geschichte der anarchistischen Theorie“ (von E. V. Zenker. Verlag Gustav Fischer, Jena, 1895, S. 90) ist über ihn zu lesen:
„Am 6. Mai 1819 zu Magdeburg geboren, hatte sich Marr ursprünglich dem kaufmännischen Berufe zugewendet, war aber seit seinem Aufenthalte in der Schweiz (1841) davon vollständig abgewichen und auf die politische und schriftstellernde Laufbahn übergetreten. Anfangs dem Weitling´schen Communismus zugethan [„Namentlich in der Schweiz hatten Weitling, August Becker (ein höchst bedeutender Kopf, der aber an innerer Haltlosigkeit zugrunde ging wie so viele Deutsche) und andre eine starke, mehr oder weniger auf Weitlings kommunistisches System vereidigte Organisation geschaffen“: Friedrich Engels: Zur Geschichte des Bundes der Kommunisten. Karl Marx/Friedrich Engels – Werke. Dietz Verlag, Berlin. Band 21, 5. Auflage 1975, unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1962, Berlin/DDR. S. 206-224], stellte er sich später zu diesem in principielle Opposition durch die scharfe Betonung seines individualistischen Standpunktes, den er, der eifrige Anhänger Feuerbachs, aber nicht in der Richtung Stirners, sondern in der Proudhons suchte.
Im Verein mit einem gewissen Hermann Döleke suchte Marr diese Ansicht den Schweizer Handwerkervereinen einzubinden. Es war allerdings nur ein sehr negatives Programm. Marr bezeichnet es selbst: ´Vernichtung aller herrschenden Begriffe von Religion, Staat und Gesellschaft war das Ziel, welches wir mit vollbewusster Consequenz verfolgten“ [eig. Hervorhbg.].
Marr gilt zudem als Anti-Semit: „In seinen frühen Schriften … spielten die Juden für Wilhelm Narr keine Rolle. Erst die Enttäuschung der politischen Hoffnungen von 1848 führte bei ihm zu einer radikalen Umorientierung, in der das Judentum zunehmend in den Mittelpunkt der Kritik rückte, da nach seiner Auffassung mit der Judenemanzipation auch die Judenherrschaft eingesetzt habe (Der Judenspiegel [Wilhelm Marr, 1862]. In: EVZ-Stiftung. Erinnerung, Verantwortung, Zukunft [Hrsg.]: Handbuch des Antisemitismus. Judenfeindschaft in Geschichte und Gegenwart. Walter de Gruyter, Berlin/Boston, 2013, S. 360).
Ausführungen zu Fußnote 27:
Ruge war glühender Burschenschaftler, weshalb er zu einer 15-jährigen (Festungs-)Haft-Strafe verurteilt wurde (wovon er immerhin 4 Jahre absitzen musste), später Mitglied der Frankfurter Nationalversammlung und Mittelpunkt der so genannten Jungheglianer, eines Freundeskreises, dem u.a. die (bereits genannten) Gebrüder Bauer, (der Philosoph und Theologe) David Friedrich Strauß, Ludwig Feuerbach, Max Stirner und Theodor Echtermeyer angehörten; mit letzterem zusammen gab Ruge die „Hallischen Jahrbücher für deutsche Kunst und Wissenschaft“ heraus, die bald als die Publikations-Plattform der Jungheglianer galten und für die auch die Gebrüder Grimm arbeiteten und schrieben.
Im Pariser Exil edierte Ruge (1843) zusammen mit Karl Marx die „Deutsch-Französischen Jahrbücher“ und kehrte nach einer Zwischenstation in Zürich 1847 nach Deutschland zurück, wo er in Leipzig eine Buchhandlung eröffnete und einen kleinen Verlag gründete (in dem u.a. – wusstest Du dies, Liebste? – Friedrich Hebbel, der Dramatiker, und Georg Herwegh, der revolutionäre deutsche Dichter des Vormärz und einer der seinerzeit populärsten deutschsprachigen Lyriker, veröffentlichten).
Nach Niederschlagung der Märzrevolution 1848/49 musste Ruge (nach England) fliehen, söhnte sich später aber – ähnlich Richard Wagner – „mit den Reichen und Mächtigen“ aus und erhielt (ab 1877) einen jährlicher Ehrensold in Höhe von 3000 Reichsmark: auf persönlichen Wunsch Bismarcks.
Ausführungen zu Fußnote 29:
Richard Wagner: Die Kunst und die Revolution. Otto Wigand Verlag, Leipzig, 1849:
„Es wäre grausam, den Tausenden von dieser Not Betroffene[n] ein menschliches Mitleid zu versagen. War noch vor kurzem ein beliebter Künstler gewöhnt, von dem behaglich sorglosen Teile unsrer vermögenden Gesellschaft für seine gefälligen Leistungen goldenen Lohn und gleichen Anspruch auf behaglich sorgloses Leben zu gewinnen, so ist es für ihn nun hart, von ängstlich geschlossenen Händen sich zurückgewiesen und der Erwerbsnot preisgegeben zu sehen: er teilt hiermit ganz das Schicksal des Handwerkers, der seine geschickten Hände, mit denen er dem Reichen zuvor tausend angenehme Bequemlichkeiten schaffen durfte, nun müßig zu dem hungernden Magen in den Schoß legen muß. Er hat also recht, sich zu beklagen, denn wer Schmerz fühlt, dem hat die Natur das Weinen gestattet.“
Ausführungen zu Fußnote 30:
Institute für Marxismus-Leninismus beim ZK der KPdSU und der SED als Begleitorgan[e] der Marx-Engels-Gesamtausgabe (Hrsg.): Marx-Engels-Jahrbuch 1-5. Band 4 (1981), S. 223 ff: Walentina Smirnowa: Engels Kritik an den Auffassungen Proudhons und sein Kampf gegen den Proudhonismus in der internationalen Arbeiterbewegung:
„Über die Ideologie des französischen kleinbürgerlichen Sozialisten Pierre Joseph Proudhon und über seine prinzipiellen Meinungsverschiedenheiten mit Marx und Engels wird in der Historiographie und politischen Literatur erbittert gestritten. Die Gegner des Marxismus versuchen, die Marxsche Kritik am Proudhonismus zu entstellen und ihre Bedeutung zu mindern; sie behaupten, Marx habe sich auf die Analyse der frühen Werke Proudhons beschränkt und damit die wichtigsten nach 1848 entstandenen Arbeiten dieses französischen Sozialisten unberücksichtigt gelassen.
Daraus ergibt sich für die marxistische Geschichtswissenschaft, nachzuweisen, daß ´Das Elend der Philosophie´, wenn auch das wichtigste, so doch nicht das einzige Werk der Begründer des wissenschaftlichen Kommunismus´ ist, das sich mit Proudhon´schen Ideen auseinandersetzt.
Man muß die kritischen Bemerkungen von Marx und Engels in einer Reihe anderer Arbeiten analysieren und zeigen, wie aufmerksam beide die Entwicklung der Auffassungen Proudhons verfolgten und welch beharrlichen Kampf sie gegen den Proudhonismus in der Arbeiterbewegung, besonders in den Jahren der Ersten Internationale, führen mußten.“
Ausführungen zu Fußnote 31:
Die kollektivistisch-anarchistische Bewegung (Anarchokollektivismus) wurde insbesondere durch Michail Bakunin geprägt; er forderte namentlich die Abschaffung des Privateigentums an Produktionsmitteln sowie die Beseitigung des Staates und seiner Strukturen.
Aperçu am Rande: Huch, Ricarda: Michael Bakunin und die Anarchie. Insel. Leipzig, 1923. Hier: Zit. nach der Suhrkamp-Ausgabe von 1988:
„Ich hätte dies Buch nicht schreiben können ohne die Hilfe der Herren Dr. Max Nettlau in Wien und ..., die mir mit liebenswürdiger Bereitwilligkeit Quellen zur Benutzung eröffneten. Dr. Max Nettlau ist der Verfasser einer umfangreichen, erschöpfenden Biographie Bakunins, die im Manuskript vorliegt … Es ist mir Bedürfnis, an dieser Stelle den beiden Herren für ihre uneigennützige Unterstützung zu danken …
Kapitel 7. 5. Deutschland um 1840:
Er [Bakunin] kannte Goethe, Schiller, Fichte, Hegel, E. T. A. Hoffmann: Sie bedeuteten eine Welt von Schönheit und Freiheit für ihn, in die er sich aus der Welt der Alltäglichkeit und des Zwanges, die ihn umgab, gerettet hatte. Es schien ihm selbstverständlich, daß er den Gehalt dieser deutschen Dichtung im deutschen Leben finden würde; anstatt dessen sah er zahme, vorsichtige Menschen in sauber gepflegter, hübsch verzierter Umgebung, irgendwelchen vorgeschriebenen Beschäftigungen oder einem geordneten, unschädlichen Müßiggang ergeben; vor einer pedantischen, uniformierten, leicht gereizten und knurrenden Regierung sich duckend.
Die Gebildeten schwärmten für Goethes Götz und Schillers Räuber, für griechische Freiheit und römische Republiken; aber wenn ihre Ideale ihnen im Leben begegnet wären, so hätten sie sie der Polizei angezeigt oder wären vor ihnen davongelaufen. ´Die Deutschen´, schrieb Michel deshalb, ´sind schreckliche Philister; wenn der zehnte Teil ihrer reichen geistigen Erkenntnis ins Leben übergegangen wäre, wären sie prächtige Leute; aber bis jetzt sind sie leider ein sehr lächerliches Volk.´“
Ausführungen zu Fußnote 32:
Die Internationale Arbeiterassoziation (IAA), später auch Erste Internationale genannt, wurde 1864 in London gegründet; in ihren Statuten ist u.a. wie folgt zu lesen:
Karl Marx: Provisorische Statuten der Internationalen Arbeiter-Assoziation. Geschrieben zwischen dem 21. und 27. Oktober 1864. In: Karl Marx/Friedrich Engels – Werke. (Karl) Dietz Verlag, Berlin. Band 16, 6. Auflage 1975. Unveränderter Nachdruck der 1. Auflage 1962. Berlin/DDR. S. 14-16:
„… [15| … erklären, daß diese Internationale Assoziation und alle Gesellschaften und Individuen, die sich ihr anschließen, Wahrheit, Gerechtigkeit und Sittlichkeit anerkennen als die Regel ihres Verhaltens zueinander und zu allen Menschen, ohne Rücksicht auf Farbe, Glauben oder Nationalität.
Sie erachten es als die Pflicht eines jeden Menschen, die Rechte eines Menschen und Bürgers nicht bloß für sich selbst, sondern für jedermann, der seine Pflicht tut, zu fordern. Keine Rechte ohne Pflichten, keine Pflichten ohne Rechte. Und in diesem Geist haben sie nachfolgende Provisorische Statuten der Internationalen Assoziation verfaßt:
1. Die gegenwärtige Assoziation ist gegründet zur Herstellung eines Mittelpunktes der Verbindung und des Zusammenwirkens zwischen den in verschiedenen Ländern bestehenden Arbeitergesellschaften, welche dasselbe Ziel verfolgen, nämlich: den Schutz, den Fortschritt und die voll[]ständige Emanzipation der Arbeiterklasse.
2. Der Name der Gesellschaft ist: Internationale Arbeiter-Assoziation.“
Ausführungen zu Fußnote 34:
Eugen Karl Dühring war Philosoph und Nationalökonom; er gilt als Mitbegründer des Rassen-Antisemitismus´ und Wegbereiter des Nationalsozialismus´. Dühring war Positivist (er selbst spricht von Wirklichkeitsphilosophie: Sachlogik statt Positivismus) und bekämpfte als solcher Religion und Metaphysik, Subjektivismus und Idealismus; in Anlehnung an Voltaire und Feuerbach und gegen Hegel und Marx lehrte er diese seine „Wirklichkeitsphilosophie“.
Dühring vertrat einen „Sozialismus des arischen Volkes“ (“socialism of the Aryan people”) und fand Anhänger unter Anarchisten und Anti-Marxisten, nicht zuletzt in der SPD, weshalb Aufsätze von Engels nicht mehr im Vorwärts, dem Parteiorgan der Sozialdemokratischen Partei, erscheinen sollten, was wiederum Engels zum berühmten Anti-Dühring veranlasste.
Ausführungen zu Fußnote 35:
Eugen Dühring: Wirklichkeitsphilosophie. Sachlogik statt Positivismus, https://cdn.website-editor.net/71a77fe4fae34b049f6e308e979d4d9e/files/uploaded/D%25C3%2583%25C2%25BChring%2520%25202%2520-%2520Die%2520Agonie%2520der%2520Kirche.pdf, abgerufen am 04.10. 2019:
„´Ausgangspunkt für die Philosophie ist die Wirklichkeit und die Wissenschaft vom Wirklichen, die Naturwissenschaft. Darum nennt Dühring sein System eine Wirklichkeitsphilosophie oder ein natürliches System ... Als Vorgänger in der Richtung seines Denkens rühmt er Schopenhauer und Feuerbach, daneben auch Comte.
Der Wirklichkeit gegenüber aber hat die Philosophie die Aufgabe, sie aufzufassen, wie sie ist, nicht aber das unmögliche Ziel, sie zu erklären, und etwas, was sie nicht wirklich wäre abzuleiten. Beschränkt man sich auf eine solche schematische Darstellung des in der Wirklichkeit Gegebenen, dann ist eine volle Erkenntnis möglich und jede skeptische oder kritische Anwandlung überflüssig´“ [ibd., S. 17].
Ausführungen zu Fußnote 36:
Wie bereits angemerkt war der Anti-Dühring eine gegen die Angriffe Dührings gerichtete Streitschrift von Friedrich Engels (unter Mitarbeit von Karl Marx: „Da die hier entwickelte Anschauungsweise zum weitaus größern Teil von Marx begründet und entwickelt worden, und nur zum geringsten Teil von mir, so verstand es sich unter uns von selbst, daß diese meine Darstellung nicht ohne seine Kenntnis erfolgte. Ich habe ihm das ganze Manuskript vor dem Druck vorgelesen, und das zehnte Kapitel des Abschnitts über Ökonomie [´Aus der ´Kritischen Geschichte´´] ist von Marx geschrieben und mußte nur, äußerlicher Rücksichten halber, von mir leider etwas verkürzt werden. Es war eben von jeher unser Brauch, uns in Spezialfächern gegenseitig auszuhelfen – Friedrich Engels: Herrn Eugen Dühring´s Umwälzung der Wissenschaft. Vorworte zu den drei Auflagen [von 1878, 1885 und 1894]. In: Karl Marx / Friedrich Engels: Werke. [Karl] Dietz Verlag, Berlin. Band 20. Berlin/DDR, 1962, 5-15); der Anti-Dühring wurde von 1876-78 geschrieben und von 1877-78 im Vorwärts sowie 1877/78 in Leipzig als Buch veröffentlicht (Herrn Eugen Dühring´s Umwälzung der Wissenschaft. Philosophie. Politische Oekonomie. Sozialismus. Von Friedrich Engels. Genossenschafts-Buchdruckerei, Leipzig, 1878):
„Das hier kritisierte ´System´ des Herrn Dühring verbreitet sich über ein sehr ausgedehntes theoretisches Gebiet; ich war genötigt, ihm überallhin zu folgen und seinen Auffassungen die meinigen entgegenzusetzen. Die negative Kritik wurde damit positiv; die Polemik schlug um in eine mehr oder minder zusammenhängende Darstellung der von Marx und mir vertretnen dialektischen Methode und kommunistischen Weltanschauung, und dies auf einer ziemlich umfassenden Reihe von Gebieten.
Diese unsre Anschauungsweise hat, seit sie zuerst in Marx´ ´Misere de la philosophie´ und im ´Kommunistischen Manifest´ vor die Welt trat, ein reichlich zwanzigjähriges Inkubationsstadium durchgemacht, bis sie seit dem Erscheinen des ´Kapital´ mit wachsender Geschwindigkeit stets weitre Kreise ergriff und jetzt, weit über die Grenzen Europas hinaus, Beachtung und Anhang findet in allen Ländern, wo es einerseits Proletarier und andrerseits rücksichtslose wissenschaftliche Theoretiker gibt.
Es scheint also, daß ein Publikum besteht, dessen Interesse für die Sache groß genug ist, um die jetzt in vielen Beziehungen gegenstandslose Polemik gegen die Dühringschen Sätze in den Kauf zu nehmen, den daneben gegebnen positiven Entwicklungen zu Gefallen“ (ebd., S. 8 f.).
Ausführungen zu Fußnote 38:
„Das zeigt sich auch in seiner Ethik. Die Philosophie ist für Dühring, wie er gern betont, nicht bloße Theorie, sondern Ausdruck der persönlichen Gesinnung. Die Keime zur Moral liegen in unseren natürlichen sympathischen Instinkten. Individualismus und Sozialismus gehören notwendig zusammen: die volle Entwicklung des einzelnen ist nicht in dem bisherigen Gewalt- und Unterdrückungsstaat, sondern erst in der ´freien Gesellschaft´ der Zukunft möglich, die das Lohnsystem beseitigen, alle menschlichen Verhältnisse sozialisieren, allen Menschen Gleichberechtigung verleihen wird. Die Einzelheiten seines ´sozietären Systems´ entwickelt sein Kursus der National- und Sozialökonomie (1873, 3. Aufl. 1902)“ (Karl Vorländer: Geschichte der Philosophie. Band 2 [Philosophie d. Neuzeit]. Meiner, Leipzig/Hamburg, 5. Auflage 1919, S. 482-492: § 77 – Realistische Richtungen: Empiriokritizismus, jüngerer Positivismus, Wirklichkeitsphilosophie).
Ausführungen zu Fußnote 39:
Pjotr Alexejewitsch Kropotkin, Schriftsteller und Geograph, gilt als (einer) der einflussreichste(n) Theoretiker des kommunistischen Anarchismus´; er wurde auch der anarchistische Fürst genannt (aufgrund seiner Abstammung aus höchstem russischem Adel). Einer seiner bekanntesten Schriften ist „Die Eroberung des Brotes“ (vgl. Nettlau, Max: Geschichte der Anarchie. Bd. 4. Die erste Blütezeit der Anarchie: 1886-1894. Topos-Verlag, Vaduz, 1981. Dort: Kapitel III, Kropotkins Werke Landwirtschaft, Industrie und Handwerk und Die Eroberung des Brotes, Schriften der Jahre 1888 bis 1891). Viele Jahre seines Lebens verbrachte Kropotkin in Gefängnissen, in Russland und in vielen anderen Ländern, in die ihn sein friedlich-anarchistisches Eintreten für die Menschen, für Freiheit und Menschenwürde verschlug.
Beispielsweise war er zusammen mit Oscar Wilde und George Bernard Shaw maßgeblich an der Organisation der (weltweiten) Proteste gegen die Hinrichtung der Chicagoer Anarchisten beteiligt. (Haymarket Massacre am 1. Mai 1886 – das Datum begründete den 1. Mai als internationalen Kampftag der Arbeiterklasse –, bei dem eine große Zahl von Demonstranten von der Polizei massakriert wurde, nachdem zuvor ein Attentäter eine Bombe geworfen hatte. Angeblich war dieser ein Anarchist. Obwohl es für diese Behauptung keinen Beweis gab – es dürfte sich um ein False-Flag-Attentat gehandelt haben! – wurden acht Anarchisten zum Tode verurteilt.)
Ausführungen zu Fußnote 43:
„… fielen die Ideen Dührings bis etwa 1889 in Vergessenheit. Nunmehr war es der liberale Wirtschaftler Dr. Theodor Hertzka, ein gebürtiger Ungar, welcher das Werk ´Freiland. Ein soziales Zukunftsbild´ (Leipzig 1890), eine Utopie, ausarbeitete …
Hertzka hatte seiner Utopie eine Form gegeben, welche aus ihr gleichzeitig ein Projekt einer Experimentalkolonie in grossem Ausmaße machte. In diesen Jahren … interessierte sich ein großes Publikum außerordentlich für ´Freiland´. Man bereitete seine praktische Ausübung in dem von Hertzka geschilderten fruchtbarem Gebiete von Kenia und Kilimandscharo im östlichen Zentralafrika bevor. Durch die freie Eintrittsmöglickeit in die Produzentengruppen wäre die Anziehungskraft der verschiedenen Gruppen ausgeglichen worden. So, und durch viele andere einfache und praktische Mittel, wäre die Autorität in der neuen Gemeinschaft auf ein Minimum herabgedrückt worden, d.h. auf die reinen technischen Erfordernisse, die man freiwillig anerkennt …
Von hier aus haben die ´Siedlungen´ in Deutschland, vorgeschlagen und zum Teil gegründet von Dr. Franz Oppenheimer, ihren Ursprung. Michel Flürschein verhandelte lange Zeit, um soziale Kolonien in fernen Ländern zu gründen. Dr. Wilhelm, welcher der Gruppe ´Freiland´, welche bereits in Afrika gelandet waren, angehörte, verteidigt immer sein damaliges Ideal. Ich glaube[,] dass indirekt die Idee Dr. Theodor Herzls, die Juden in einem unabhängigen Territorium zu vereinigen, und die heutige zionistische Siedlung in Palästina eine Widerspiegelung der Initativen Dr. Hertzka [sind,] ´Freiland´ in der Region Kenia zu gründen ... Gleicherweise stammt der freiheitliche Willen einiger der Produzentengruppen im heutigen Palästina [Kibuz-Bewegung!], in wohlbehüteter persönlicher Freiheit zu leben, von dem mächtigen Impuls ab, den einst ´Freiland´ gegeben hat“ Max Nettlau: Der Anarchismus in Deutschland, wie zit. zuvor; eig. Hervorhebg..
Ausführungen zu Fußnote 44:
Huthmacher, Richard A.: Nobelpreisträger – Mythos und Wirklichkeit. Band 1 – Träger des Friedens-Nobelpreises. Norderstedt, 2016, S. 46 ff.:
„Mit Hilfe des [von Nobel aus dem Nitroglycerin durch Zusatz von Kieselgur entwickelten und 1867 patentierten] Dynamits konnte nicht nur der Rohstoffhunger der wachsenden Industrien [durch Sprengungen in Bergwerken, Minen etc. zum Abbau dieser Rohstoffe] gestillt werden, auch Revolutionäre und Anarchisten nutzten seine zerstörerische Kraft. In den 1880er Jahren kam es so häufig zu Dynamitanschlägen, daß für die Attentäter der Begriff ´Dynamitarden´ geprägt wurde. Prominentestes Opfer wurde 1882 der russische Zar Alexander II. Im Deutschen Reich erließ man am 9.6.1884 das sogenannte ´Dynamit-Gesetz´ gegen den ´verbrecherischen und gemeingefährlichen Gebrauch von Sprengstoffen´ …
Zola hatte die Diskussion um die Dynamitarden aufgenommen: In Paris schildert er die Gewissensqualen eines Chemikers, der mit seinem neu entwickelten Sprengstoff einen Anschlag auf die Kirche Sacré-Coeur plant und erst im letzten Moment von der entsetzlichen Tat ablässt …
„Nobel erschien seinen Zeitgenossen unheimlich; die Explosionen in seinen Fabriken ängstigten sie. Zudem irritierte es, dass er … nie ein öffentliches Wort des Mitgefühls fand für die vielen Opfer der tödlichen Unfälle in seinen Werken. Schließlich der Terrorismus, die Dynamitarden: … nie äußerte sich Alfred Nobel zu diesem verheerenden Missbrauch seiner Erfindungen ...“
Ausführungen zu Fußnote 45:
„Die Attentäter nannten ihr Vorgehen ´Propaganda der Tat´. Ihre Idee: Die verhassten Repräsentanten des Systems – Präsidenten, Bischöfe, Finanzleute, Polizeichefs – durch gezielte Anschläge zu beseitigen. Eine Hand voll entschlossener, zu allem bereiter Männer konnte so beweisen, dass der mächtige Gegner verwundbar war, und damit dem Volk Mut einflößen. Das Ziel: die massenhafte Erhebung der Arbeiterklasse.
Die beispiellose Welle terroristischer Anschläge, die Ende des 19. Jahrhunderts Europa erschütterte, war zunächst die Antwort militanter Anarchisten auf die blutige Niederschlagung der Pariser Commune 1871 durch die französische Regierung unter dem Beistand preußischer Kanonen. Allein 1892 wurden in Westeuropa über tausend Attentate mit Dynamit gezählt (die meisten in Frankreich), doch auch im Osten kam es zu etlichen Anschlägen. 1881 fiel Zar Alexander II. einer Bombe zum Opfer. Der wenige Jahre zuvor von dem Schweden Alfred Nobel erfundene Sprengstoff avancierte zum ´Zaubermittel der Ausweglosen´, und die ´Dynamitarden´ wurden zum Schrecken ihrer Zeit.
Mit einer Mischung aus Entsetzen, Nervenkitzel und heimlicher Bewunderung verfolgte Europa das neue Phänomen. Auflagenstarke Anarchoblätter verherrlichten die Anschläge, in Liedern und Legenden wurde... der Typus des anarchiste expropriateur, des ´anarchistischen Enteigners´, zum Mythos verklärt, und nach dem Raubmörder und Bombenattentäter Claude Ravachol, der 1892 unter der Guillotine endete, wurde gar ein beliebter Modetanz benannt: La Ravachole“ (Kraetz, O.: Die andere Seite der Medaille. In: DIE ZEIT NR. 42/2001 vom 11. Oktober 2001).
Ausführungen zu Fußnote 48:
Juli 1978: Celler Loch erschüttert Niedersachsen, https://www.ndr.de/geschichte/chronologie/Juli-1978-Celler-Loch-erschuettert-Niedersachsen,cellerloch100.html, abgerufen am 06.10.2019:
„Ein lauter Knall. Ein Feuerball erhellt die Nacht, als am 25. Juli 1978 um 2.54 Uhr eine Bombe an der Justizvollzugsanstalt Celle detoniert. Die Beamten im Wachturm geben Alarm und leuchten mit Suchscheinwerfern die sechs Meter hohe Außenmauer ab. Dort klafft ein Loch von rund 40 Zentimetern Durchmesser. Viel später erst wird bekannt: Es war ein fingierter Anschlag mit Wissen der damaligen CDU-Landesregierung. Der Verfassungsschutz ließ das Loch in die Gefängnismauer sprengen. V-Leute sollten so in den harten Kern der RAF eingeschleust werden. Es dauert bis 1986, bis die Hintergründe aufgedeckt werden.“
Ausführungen zu Fußnote 49:
Der Anschlag von Bologna sorgt weiterhin für politische Spannung. Vor 30 Jahren forderte eine Bombe im Bahnhof von Bologna 85 Todesopfer. Die Frage, wer wirklich hinter dem blutigsten Terrorakt der „bleiernen Jahre“ stand, sorgt auch heute noch für Kontroversen. Neue Zürcher Zeitung vom 31.7.2010, https://www.nzz.ch/der_anschlag_von_bologna_sorgt_weiterhin_fuer_politische_spannung-1.7025942, abgerufen am 06.10.2019:
„… [A]m 23. November 1995 [wurde] Giuseppe Valerio Fioravanti und Francesco Mambro, zwei Mitglieder der neofaschistischen Terroristenorganisation NAR (Nuclei Armati Rivoluzionari), vom Kassationsgericht definitiv zu einer lebenslangen Gefängnishaft verurteilt. Ein dritter NAR-Terrorist, Luigi Ciavardini, der zur Zeit der Tat noch nicht 18-jährig war, wurde 2007 … zu 30 Jahren Gefängnis verurteilt.
Neben diesen drei Personen, die für die unmittelbare Ausübung des Anschlags verantwortlich gemacht wurden, verurteilte das Kassationsgericht auch noch den damaligen Chef der Geheimloge Propaganda Due (P2), Licio Gelli, sowie drei Agenten des militärischen Geheimdienstes Sismi zu mehrjährigen Freiheitsstrafen …
Gelli, dessen Geheimloge 1981 aufflog und verboten wurde, hatte jahrelang rechtsautoritäre Umsturzpläne verfolgt, und der P2 gehörten laut einer in der Villa des ´Grossmeisters´ vorgefundenen Liste zahlreiche Politiker (unter anderen Silvio Berlusconi), Journalisten, Wirtschaftskapitäne, Richter und nicht zuletzt auch einflussreiche Angehörige der Sicherheitskräfte und der Geheimdienste an. Es wurde auch immer wieder vermutet, dass Gelli ... direkt mit der CIA zusammenarbeitete und eine bedeutende Rolle bei der Geheimorganisation Gladio (Kurzschwert) spielte, der italienischen Version der von der Nato auch in anderen Ländern während des Kalten Kriegs zur Abwendung einer kommunistischen Invasion geschaffenen ´Stay-behind-Strukturen´.“
Ausführungen zu Fußnote 50:
Richard A. Huthmacher: Offensichtliches, Allzuoffensichtliches. Zweier Menschen Zeit. Von der Nachkriegszeit bis zur Gegenwart. Höchstpersönliche Betrachtungen zu gesellschaftlichen Ereignissen und Entwicklungen. Zum Menschsein und dazu, was den Menschen ausmacht. Eine deutsche Geschichte – Teil 2. Norderstedt, 2015 (Angabe der einschlägigen Quellen: s. Originaltext):
Atombombe im Gully: … Gladio (lat. gladius: [Kurz-]Schwert) war der Deckname einer (italienischen) von zahlreichen (über ganz Westeuropa verbreiteten) Geheimarmeen, die, sehr wahrscheinlich vom amerikanischen CIA und vom britischen MI6 gesteuert, im Fall der Invasion Warschauer-Pakt-Staaten als sogenannte „Stay-behind-Organisationen“ (auf Deutsch etwa: Organisationen hinter den feindlichen Linien) operieren, nachrichtendienstliche Aufklärung leisten und Sabotageakte verüben sollten. Paramilitärische Partisanen-Einheiten mit ähnlichen Aufgaben gab es natürlich auch im Osten.
1990 verfasste und veröffentlichte der Staatsminister im Bundeskanzleramt einen „Stay-behind-Bericht“; dieser legte offen, dass vorgenannte Geheimarmeen seit Mitte der Fünfziger Jahre von den nationalen Geheimdiensten der einzelnen Länder organisiert und von der NATO koordiniert wurden; deutsche Partisanen-Armeen unterstanden zunächst der Organisation Gehlen, der Vorläuferorganisatin des BND, und dann dem Bundesnachrichtendienst selbst:
„Der Verdacht blüht, in Bonn wie in Rom oder in Brüssel: Verbarg sich hinter ´Gladio´ … ein Geheimbund, der nicht nur gegen den äußeren, sondern auch gegen den inneren Feind eingesetzt werden sollte? Eine ´Ku-Klux-Klan-Organisation´ gegen die Demokratie …?“, so der Spiegel 1990.
„Aufgabe dieser Truppe sei es gewesen, in Zusammenarbeit mit rechtsradikalen Terroristen demokratische Regierungen in Europa zu destabilisieren, lautete der schlimmste Verdacht. Die Belgier glaubten, jetzt sei das Geheimnis einer Mordserie in Brabant von Anfang der achtziger Jahre gelöst, als eine Bande ohne erkennbare Motive Passanten auf offener Straße umbrachte: ´Glaive´, so heißt ´Gladio´ in Belgien, stecke dahinter. Die Italiener spekulierten, daß die subversive Staatsguerilla für das Bombenattentat im Hauptbahnhof von Bologna 1980 verantwortlich sein könnte, bei dem 85 Menschen getötet wurden.“
Deutsche Einheiten werden mit dem Wies´n-Attentat von 1980 in Zusammenhang gebracht. Auch gab es Listen mit Personen (u.a. aus der SPD), die im Kriegsfall zu internieren und zu liquidieren waren.
So also funktioniert Demokratie. Und die dumme Wahlvolk-Schafs-Herde wird alle paar Jahre zur Urne geführt. Auf dass sie der Herrschaft des Volkes Ausdruck verleihe. Mit ihrem Kreuzchen. Alle vier, fünf Jahre. Wie dumm muss man sein, um diese Komödie nicht zu durchschauen!
Ausführungen zu Fußnote 51:
Der Presselügenklub vom 22. Dezember 2016, http://presseluegenclub.blogspot.com/2016/12/berliner-anschlag-sehr-wahrscheinlich.html, abgerufen am 07.10.2019: Berliner Anschlag sehr wahrscheinlich CIA-„False-Flag“-Operation:
„Die Lastwagen-Attacke am 19.12.2016 auf den Berliner Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz forderte zwölf Menschenleben und rund fünfzig Verletzte. Nur wenige Minuten danach stand für ... Nachrichtensender wie N24 oder n-tv fest, dass es sich um einen Terroranschlag mit islamistischem Hintergrund handeln muss. Das ist der typische Reflex, der von der Politik gewünscht wird …
Wie schon bei vermeintlichen ´Terroranschlägen´ in jüngster Vergangenheit spielen die etablierten Medien ein ´Was-wir-wissen-und-was-nicht´-Spielchen. Anders gesagt: Sie geben uns vor, was wir zu wissen haben. Das Spiel verdient [deshalb] eher den Namen ´Was-wir-euch-sagen-wollen-und-was-nicht´, denn die Auflistung vermeintlicher Fakten ist höchst einseitig auf eine ominöse Organisation namens ´IS´ ausgerichtet. Alle Spuren müssen irgendwie in diese Richtung gelenkt werden. Nachdenken in andere Richtungen ist unerwünscht ...
Mit stolzgeschwellter Brust … [präsentierten] BKA und GBA [Generalbundesanwalt] den Tunesier Anis Amri als ... Tatverdächtigen. Die Art und Weise, wie der Mann zum Verdächtigen wurde, sollte allerdings äußerst misstrauisch machen: Ein Ausweisdokument, ausgestellt auf seinen Namen, wurde im Lkw gefunden. Da mussten selbst manche [Mainstream-]Medien zugeben, dass es mehr als seltsam ist, dass ein Attentäter seine Papiere ausgerechnet im Tatfahrzeug ´verliert´ …
Wenn vermeintliche Täter am Tatort ihre Papiere ´verlieren´, dann stinkt die Sache meist ... gewaltig ... [B]ei dem Lkw-Anschlag in Nizza lagen die Identitätspapiere des vermeintlichen ´Terroristen´ ... sorgfältig aufbewahrt im Lastwagen ... Auch beim ominösen Charlie-Hebdo-Attentat in Paris hinterließ einer ... ´rein zufällig´ seinen Personalausweis im Fluchtauto …
[Und] die vermeintlichen ´Flugzeugentführer´ vom 11. September hinterließen – neben vielen anderen auffällig gelegten ´Spuren´ – ihre Pässe ganz akkurat in ihrem Mietfahrzeug am Flughafen. Einer der Pässe wurde gar am Fuße des World Trade Center ´zufällig gefunden´ – das Dokument hatte auf wundersame Weise aus dem brennenden Flugzeugwrack fallen können und war dabei völlig unversehrt geblieben.
Natürlich durfte ein Tatbekenntnis des gefürchteten ´IS´ auch nach dem Berliner Anschlag nicht fehlen … [Ein solches] behauptet zumindest die New York Times unter Berufung auf Angaben von ´amerikanischen Offiziellen´ …
[Es] dürfte klar sein, dass die Infos in der New York Times nur von den US-Geheimdiensten stammen können. Und die Geheimdienste wissen es tatsächlich ganz genau, weil sie den ´IS´ selber ins Leben gerufen, finanziert und bewaffnet haben. Der ´IS´ ist ein Kind des CIA …
Gerichtsprozesse gegen vermeintliche Täter von aufsehenerregenden Anschlägen hat es bislang kaum gegeben – nicht nach Paris, nicht nach Brüssel, nicht nach Nizza und ganz sicher auch nicht nach Berlin. Nur tote Terroristen sind für die Geheimdienste gute Terroristen, denn sie können nichts mehr ausplaudern und es kann auch niemand mehr Fragen stellen, was wirklich passiert ist.“
Ausführungen zu Fußnote 52:
„In München einigten sich Anarchisten, SPD, Bauernbund und USPD auf die Bildung einer Räterepublik, die am 7. April ausgerufen wurde … Als Köpfe der Revolutionäre galten die anarchistischen Schriftsteller Gustav Landauer, Erich Mühsam und Ernst Toller …
Die Gestaltung lokaler Räteherrschaft unterschied sich in Bayern von Ort zu Ort und hing von den jeweiligen Gegebenheiten ab. Münchner Erlasse wurden in der Provinz teils befolgt, teils ignoriert, teils in veränderter Form herausgegeben. Die Regierung Hoffmann flüchtete inzwischen nach Bamberg und ersuchte die Reichsregierung um Unterstützung gegen die Münchner Räte …
Republikanische Truppenteile putschten am … [13. April] mit Billigung der Bamberger Regierung gegen das Rätesystem und verhafteten 13 Mitglieder der Räteregierung, darunter Erich Mühsam. Bewaffneten Arbeitern gelang es jedoch, die Putschisten zurückzuschlagen …
Toller wurde Kommandant der Roten Armee. Landauer arbeitete weiter an der Umstrukturierung des Kultur- und Bildungswesens. Von den Kommunisten enttäuscht … verabschiedete sich Landauer [indes] ein paar Tage später aus der aktiven Politik …
Währenddessen verschärft[e] sich die Situation in München zusehends. Im Norden versammel[ten] sich die ´Weißen´-Regierungstruppen und -Freicorps – und beg[a]nnen, die Stadt einzukesseln. Bei Dachau schlägt die Bayerische Rote Armee die ´Weißen Truppen´, drängt sie vorläufig zurück und besetzt einige Tage später Freising und Rosenheim. Freicorps und von Reichswehrminister Gustav Noske (SPD) entsandte Reichstruppen drangen schließlich am 1. Mai mit Panzern in München ein und brachen äußerst brutal den Widerstand der kämpfenden ArbeiterInnen. Es begann der ´Weiße Terror´, der über 1000 Männer und Frauen das Leben kostete. Landauer wurde festgenommen und von einer Soldatenmeute ermordet“ (Revolution der Räte [Bayern], https://www.anarchismus.at/geschichte-des-anarchismus/deutschland/6924-revolution-der-raete, abgerufen am 08.10.2019).
Ausführungen zu Fußnote 53:
Das Rätesystem (der Münchner Räterepublik) kam (in den wenigen Tagen seiner Existenz) der Vorstellung von Anarchismus bereits recht nahe:
„´Räte sind im eigentlichen Sinne nichts anderes als die Vereinigung Gleichberechtigter zur Beratung ihrer eigenen gemeinsamen Angelegenheiten.´ Dieser Satz Erich Mühsams von 1930 gibt die Richtung vor, in der ein emanzipatorisches, auf dem Rätegedanken gründendes Modell zu denken ist: Die Versammlung der ihr tägliches Leben ohne den Zwang von Institutionen organisierenden Einzelnen. In den Räten schließt sich die städtische und ländliche arbeitende Bevölkerung zur unmittelbaren Ausübung der Verwaltungsfunktionen zusammen; die Verwaltung des Gemeinwesens kann niemals eine staatliche sein. Zweck ist die Ersetzung der staatlich organisierten gesellschaftlichen Leitung durch Bündnis und Zusammenschluss der Arbeitenden zur eigenständigen Regelung von Arbeit, Verteilung und Verbrauch.
Alles öffentliche Leben geht von den Gemeinden aus. Diese starke föderative Gewichtung ist entscheidend für Mühsams Konzeption eines Rätesystems, denn er sah den Grund für eine ausgebliebene erfolgreiche Überwindung des warenproduzierenden Systems im verbreiteten ´Glaube[n] an das Heil der Zentralgewalt, der seine Verkünder zwangsläufig zu der Auffassung führt, dass nur sie sie ausüben dürfen´, der wiederum zu Widerstand im Rest der Bewegung führt.
Mühsam stand das schlechte Beispiel der Sowjetunion vor Augen, die auf die Losung ´Alle Macht den Räten´ hin einen autoritär-bürokratischen Staatsapparat errichtet hatte, dem die Räte als ergebene Organe angegliedert waren und der schließlich in den proletarischen Bonapartismus eines Josef Stalin mündete.
Unter der Errichtung einer ´echten´ Räterepublik hingegen verstand Mühsam mit Bakunin ´die vollständige Liquidation des politischen, juristischen, finanziellen und verwaltenden Staates, den öffentlichen und privaten Bankrott, die Auflösung aller Macht, Dienste, Funktionen und Gewalten des Staates …, [die Aufstellung] einer absolut negativ gearteten Charta, die ... festsetzt, was für immer abgeschafft werden muss …, ferner die Organisation einer gemeinsamen Verteidigung gegen die Feinde der Revolution´.“ (Hesse, Patrick: Die Münchner Räterepubliken: Soziale Revolte oder politisches Emanzipationsprojekt? Https://www.anarchismus.at/geschichte-des-anarchismus/deutschland/6904-die-muenchner-raeterepubliken, abgerufen am 08.10.2019; eig. Hervorhbg.)
Ausführungen zu Fußnote 55:
Étienne de La Boëtie: Von der freiwilligen Knechtschaft des Menschen. Projekt Gutenberg, https://gutenberg.spiegel.de/buch/von-der-freiwilligen-knechtschaft-des-menschen-5225/1, abgerufen am 08.10.2019: Kapitel 1: Vorbemerkung des Übersetzers:
„Étienne de La Boëtie hat von 1530 bis 1563 gelebt; die vorliegende Schrift ist vor dem Jahr 1550 von ihm verfaßt worden, vor mehr als 360 Jahren also. Sie kursierte schon bei Lebzeiten des jungen Verfassers, der in seiner Verborgenheit blieb, in Abschriften; eine solche Abschrift kam in die Hände Michel Montaignes, der darum seine Bekanntschaft suchte und sein Freund wurde. Den revolutionären Republikanern, die in den nächsten Jahrzehnten in England, den Niederlanden und Frankreich gegen den Absolutismus kämpften und die man die Monarchomachen nennt, muß die Schrift wohl bekannt gewesen sein. Aus dem Kreise dieser französischen Revolutionäre des 16. Jahrhunderts heraus ist sie auch zuerst gedruckt worden – gegen Montaignes Willen, dessen widerspruchsvolle Äußerungen auf seine behutsame Vorsicht zurückzuführen sind.
Diese Herausgeber gaben der Schrift den treffenden Namen ´Le Contr´un´, der sich nicht ins Deutsche übersetzen läßt; den Sinn würde wiedergeben die Fremdwörterübersetzung: Der Anti-Monos, wobei unter Monos eben der Eine, der Monarch zu verstehen wäre, als dessen grundsätzlicher Gegner der Verfasser auftritt. Später ist die Abhandlung dann doch von den Herausgebern von Montaignes Essais anhangsweise dem Essai über die Freundschaft, der zu großem Teil Etienne de la Boëtie gewidmet ist, beigegeben, aber immer nur als eine Art literarisches Kuriosum betrachtet worden, bis in der Mitte des neunzehnten Jahrhunderts Lameunais die politische Bedeutsamkeit der grundlegenden Schrift erkannte.
Näheres über den Zusammenhang, in den diese einzige Erscheinung gehört, habe ich in meinem Buche ´Die Revolution´ gesagt.
Gustav Landauer.“
Ausführungen zu Fußnote 58:
Laska, B. A.: John Henry Mackays Stirner-Archiv in Moskau. Der Einzige. Zeitschrift des Max-Stirner-Archivs, Nr. 7, August 1999, S. 3-9:
„John Henry Mackay (1864-1933), der deutsche Dichter mit dem urschottischen Namen, zählte in den späten 80er Jahren des vorigen Jahrhunderts zusammen mit seinem Freund Hermann Conradi zu den radikalsten unter den jungen, rebellischen Schriftstellern, die sich Realisten oder Naturalisten nannten.
Diese waren die ersten, die nach der langen Periode der Restauration nach 1848 wieder an die jungdeutschen und linkshegelianischen Dichter und Denker der vormärzlichen Zeit anknüpften. Max Stirner (1806-1856) allerdings, dessen 1845 (1844) erschienenes Buch ´Der Einzige und sein Eigentum´ 1882 neu aufgelegt wurde, scheint auch diesen Radikalen zu ´radikal´ gewesen zu sein, denn keiner von ihnen nahm direkt auf ihn Bezug.
Auch John Henry Mackay, der spätere Biograph Stirners, zeigt in seinem Gedichtband ´Sturm´ (1888), der ihn schlagartig als ´Sänger der Anarchie´ berühmt machte, noch keine deutlichen Spuren eines Einflusses von Stirner. Erst kurz danach, nach seinem Bruch mit jenen Dichterfreunden, wagte Mackay sein öffentliches Auftreten als Stirnerianer. Noch im Jahre 1888 beschloss er, Stirners Biograph zu werden, und als sein ´Sturm´ bereits 1890 in die 2. Auflage ging, stellte er an dessen Anfang ein neues, geradezu hymnisches Gedicht – ´An Max Stirner´.“
Ausführungen zu Fußnote 59:
Meine Frau schrieb mir in diesem Zusammenhang:
Liebster!
Ich habe zu Tucker und Mackay und zu deren Beziehung („Eine lebenslange Freundschaft verband Mackay mit Benjamin R. Tucker [1854-1939], dem er 1920 ´Der Freiheitsucher´ widmete“), ich habe zu Tucker und Mackay ein hoch interessantes kleines Buch gefunden (Hubert Kennedy: Anarchist der Liebe. John Henry Mackay als Sagitta. Edition AurorA, Berlin, 1988).
Dort ist wie folgt zu lesen (S. 4 f.):
„´Ich war SAGITTTA´
Ich bin der Pfeil, der von der Sonne springt,
Und durch die Nacht der Zeiten schwirrend singt –
Muth hier, dort Trost, und Allen Heilung bringt:
Heil, wenn ihm Heilung ohne Tod gelingt!
SAGITTA bin ich! –
Wisse: bin der Pfeil,
der tötet oder heilt ...
Steh! – oder – enteil’!
Nach einer 19monatigen Gerichtsverhandlung machte am 6. Oktober 1909 der deutsche Staat die erste planmäßige, autonome Kampagne der Neuzeit zunichte, die um öffentliches Verständnis für die Liebe zwischen Männern und Knaben warb. Drei Werke, die unter dem Pseudonym Sagitta erschienen waren, wurden zu ´unzüchtigen Schriften´ erklärt, und man ordnete ihre Einstampfung an, obwohl einer der besten Anwälte Deutschlands als Verteidiger fungierte und Experten ersten Ranges ihre Ehrbarkeit und ihren künstlerischen Wert bezeugten.
Einer der Richter gab sogar zu, daß es sich um ´Werke in vollendeter Kunstform´ handelte, aber offensichtlich machte der Justizminister eine Andeutung, wie die Entscheidung des Gerichts auszusehen hätte.
Der Verleger, der die Anonymität seines Autors nicht preisgab, wurde zu 600 Mark Geldstrafe und den Gerichtskosten verurteilt. Tatsächlich aber wurde dieser Betrag von Sagitta gezahlt – der in Wirklichkeit der deutsche Schriftsteller John Henry Mackay war.
Mackay schrieb seinem amerikanischen Freund Benjamin R. Tucker, die Gerichtskosten hätten um die 1000 Mark betragen, und die ganze Geschichte hätte ihn insgesamt etwa 6300 Mark gekostet. Mehr jedoch als um das Geld ging es Mackay darum, daß er seinen Kampf um die Gleichberechtigung der Liebe zwischen Männern und Knaben verloren hatte. In seiner Erinnerung war jener Tag deshalb der deprimierendste seines Lebens.“
Liebster Reinhard, ich bin gespannt auf Deine weiteren Ausführungen zu „Deutschland und die Anarchie“.
In Liebe
Deine M.
Ausführungen zu Fußnote 61:
In Le Monde diplomatique vom 16.01.2009 (deutsche Ausgabe) ist zu lesen: Edward Castleton: Pierre-Joseph Proudhon, Anarchist. Hommage an einen radikalen Denker zu seinem 200. Geburtstag:
„Was ist vom Denken Pierre-Joseph Proudhons geblieben, zweihundert Jahre nach seiner Geburt am 15. Januar 1809? Der Satz ´Eigentum ist Diebstahl´, aber das war es dann auch schon. Proudhon, von Sainte-Beuve [Anm.: franz. Literaturkritiker des 19. Jhd., selbst Saint-Simonist – s. zuvor –, u.a. Professor für lateinische Poesie und als solcher, wegen seiner aufrührerischen Reden, alsbald mit einem Leseverbot belegt; von ihm, der während eines Duells keinesfalls auf einen Regenschirm verzichten wollte, stammt der legendäre Satz: Lieber tot als nass; Proudhon, von Sainte-Beuve] als bedeutendster Prosaist seiner Zeit bezeichnet, fristet heute ein kümmerliches Dasein in anarchistischen Buchläden und auf dem ein oder anderen Bücherregal eines Gelehrten.
Während sein Werk von den großen Verlagen in Frankreich und Deutschland nicht beachtet wird, sind seine intellektuellen und literarischen Zeitgenossen wie Karl Marx, ..., Victor Hugo oder Alexis de Tocqueville auf dem Buchmarkt sehr wohl präsent …
Die Intellektuellen und Arbeiter, die Proudhon vor dem Ersten Weltkrieg noch schätzten, erklärten ihn nach der Oktoberrevolution zum Anti-Marx. Die radikalen Pazifisten, die für eine ´Gesellschaft der Nationen´ eintraten, bedienten sich bei seinen föderalistischen Ideen. Die Anhänger der nazifreundlichen Vichy-Regierung dagegen griffen auf der Suche nach Legitimationsquellen gewisse ständische Elemente seines Denkens auf ...
Das Ansehen, das der Denker in fortschrittlichen Kreisen einst genoss, hat sich von seiner Inanspruchnahme durch das Vichy-Regime nicht wieder erholt. Zudem war die Linke im Frankreich der Nachkriegszeit intellektuell gänzlich vom Marxismus in Beschlag genommen; andere Quellen der reichen sozialen Reflexion des 19. Jahrhunderts blieben außen vor. Damit war auch Proudhon, der einen Mittelweg zwischen Privateigentum (der exklusiven Aneignung von Gütern durch Privatpersonen) und Kommunismus (Aneignung und egalitäre Verteilung der Güter der Privatpersonen durch den Staat) gesucht hatte, der Vergessenheit anheim gegeben …
Was den demokratischen Charakter des allgemeinen Wahlrechts betraf, war Proudhon pessimistisch ... In den letzten Schriften vor seinem Tod am 19. Januar 1865 erklärte er selbst die Kandidatur proletarischer Abgeordneter für nutzlos. Die Arbeiterklasse müsse vielmehr mit den Institutionen der Bourgeoisie brechen und Genossenschaften gründen, die auf dem Prinzip der Gegenseitigkeit (Mutualismus) beruhen und diese Gegenseitigkeit institutionalisieren – kurz gesagt, sie müsse eine ´Arbeiterdemokratie´ erfinden.“
Ausführungen zu Fußnote 62:
„Pierre Joseph Proudhon war einer der wichtigsten Vertreter des Mutualismus´; er forderte, die Gesellschaft genossenschaftlich und auf der Grundlage von Gruppen freier Individuen zu organisieren. Grundgüter seien auf der Basis von Arbeitswerten zu tauschen; zur Vergabe von Krediten seien ´Volksbanken´ zu errichten.“
Zwar waren seine Ideen in der „alten“ (namentlich in Frankreich und Großbritannien) wie in der „neuen Welt“ (also in Amerika) durchaus verbreitet, aber nicht fundamental-kritisch und (dadurch) wirkmächtig genug, um die kapitalistische Wirtschaftsordnung grundlegend und nachhaltig zu hinterfragen, insbesondere auch, weil (marxsche) Kategorien wie der Interessengegensatz von Arbeit und Kapital und das Klassen-System nicht (hinreichend) berücksichtigt wurden.
Letztlich postulierte sein (ökonomischer) Mutualismus ein „Genossenschaftswesen ohne Bürokratie, Kapitalismus und Profit“ (Kleiner Leitfaden zum Anarchismus, http://www.anarchismus.de/allgemeines/a-leitfaden.htm, abgerufen am 12.10. 2019).
Ausführungen zu Fußnote 65:
Mackay, John Henry: Die Anarchisten: Kulturgemälde aus dem Ende des 19. Jhd. Verlag der Neuen Gesellschaft, Berlin-Fichtenau, Neue Ausgabe, 5. Aufl., 1924, Kapitel 1, Einleitung:
„Auf keinem Gebiet des sozialen Lebens herrscht heute eine heillosere Verworrenheit, eine naivere Oberflächlichkeit, eine gefahdrohendere Unkenntniß, als auf dem des Anarchismus. Die Aussprache des Wortes schon ist wie das Schwenken eines rothen Tuches – in blinder Wuth stürzen die Meisten auf dasselbe los, ohne sich Zeit zu ruhiger Prüfung und Ueberlegung zu lassen. Sie werden auch dieses Werk zerfetzen, ohne es verstanden zu haben.
Das neunzehnte Jahrhundert hat die Idee der Anarchie geboren. In seinen vierziger Jahren wurde der Grenzstein zwischen der alten Welt der Knechtschaft und der neuen der Freiheit gesetzt. Denn es war in diesem Jahrzehnt, daß P. J. Proudhon die titanische Arbeit seines Lebens mit: ´Qu'est-ce que la propriété?´ (1840) begann und Max Stirner sein unsterbliches Werk: ´Der Einzige und sein Eigenthum´ (1845) schrieb.
Sie konnte vergraben werden unter dem Staube zeitweiligen Rückschrittes der Kultur. Aber sie ist unvergänglich …
Seit zehn Jahren kämpft in Boston, Mass., mein Freund Benj. R. Tucker mit der unbesieglichen Waffe seiner ´Liberty´ für Anarchie in der neuen Welt. Oft habe ich in den einsamen Stunden meiner Kämpfe meinen Blick auf das funkelnde Licht gerichtet, das von dort aus die Nächte zu erhellen beginnt …
Als ich vor nun drei Jahren die Gedichte meines ´Sturm´ der Öffentlichkeit übergab, begrüßten mich freundliche Stimmen als den ´ersten Sänger der Anarchie´.
Ich bin stolz auf diesen Namen.“
Ausführungen zu Fußnote 70:
„Sie agitieren bei wilden Streiks, besetzen Wohnungen, stürmen Rathäuser, und einige berauben Banken. Ihr Ziel ist eine brüderliche Gesellschaft, eine idyllische Welt. Sie nennen sich Maoisten, Trotzkisten oder Kommunisten. Man nennt sie Chaoten. Sie sind Anarchisten. Aber sie faszinieren die Jugend und infizieren Parteien.
Die Richter sind ´Schweine´ (Horst Mahler) oder ´fette Ratten´ (Andreas Baader). Des Richters böse Pflicht ist, laut Gudrun Ensslin, Menschen ´zu vernichten´ oder, laut Manfred Grashof, sie ´fertigzumachen´. Mit dem Gesetz sollen die Richter sich ´den Arsch wischen´. Der Anblick von Polizisten ist für Heinrich Jansen nicht zu ertragen. weil er ´sonst kotzen müßte´. Das am häufigsten von Baader verwendete Wort ist ´Scheiße´. Mit seiner zweiten Lieblingsvokabel ´ungeheuer´ ergibt sich eine Art von anarchistischer General-Formel für die ´Gesellschaft von heute: ungeheure Scheiße´. Die Schmutz-Sprache der Anarchisten beschreibt die Gesellschaft als durch und durch böse und entfremdet – eben als beschissen. Sie bezieht ihre Rechtfertigung aus der Vorstellung, es gäbe eine andere, entweder vergangene oder zukünftige Gesellschaftsordnung, die durch und durch gut ist – eine Welt des völligen Friedens, der völligen Freiheit, der völligen Gerechtigkeit und des gleichen Glücks für alle …
Freilich waren nicht alle Anarchisten so optimistisch wie die CNT [„´Das Verbrechen ist mithin für fast alle Anarchisten eine ´Krankheit´ oder die ´logische Folge der sozialen Ungerechtigkeit´, wie es die anarchistische Confederación National del Trabajo (CNT) 1936 ausdrückte“: a.a.O.], die hoffte, das Verbrechen zugleich mit der Armut abschaffen zu können. Der bekannteste amerikanische Anarchist des vorigen Jahrhunderts, Benjamin R. Tucker (geboren 1854), wollte den Schutz von Person und Eigentum, ´solange er notwendig sein mag´, durch kommunale Selbstschutzverbände bewirken, also nach der Art der Cowboys.
Im übrigen meinte Tucker, daß ´alle Versuche, das Laster zu unterdrücken, als an und für sich verbrecherisch´ anzusehen seien. Es sei ´das Recht des Trunkenbolds, des Spielers, des Wüstlings und der Dirne, ihr eigenes Leben zu führen´. Ob auch des Mörders, ließ er offen …
Noch weiter ging Michail Bakunin (1814 bis 1876), der schrieb, daß alle Menschen das Recht hätten, sich zu welchem Zweck auch immer zu ´assoziieren´ – ´selbst mit dem Ziel der gegenseitigen Korruption und der Ausbeutung der Harmlosen und Dummen, vorausgesetzt, daß diese nicht minderjährig sind´. Er wollte also sogar Verbrecher-Assoziationen zulassen. Jedermann habe die Freiheit, entweder ´ehrlich zu leben´ oder durch ´schimpfliche Ausbeutung´ …
Proudhons Sittenstrenge ist unter Anarchisten ein Sonderfall. William Godwin, der Anarchist der ersten Stunde, hielt den Geschlechtsverkehr für ´eine individuelle Angelegenheit´. Benjamin R. Tucker propagierte ´das Recht irgendeines Mannes und irgendeiner Frau, oder irgendeiner Anzahl von Männern und Frauen, sich auf so lange oder so kurze Zeitdauer zu lieben, wie sie können, wollen oder mögen´.
Dutschke meinte, die Frau könne sich für einen Mann oder zwei entscheiden. Cohn-Bendit schrieb: ´Sage nein zur Familie.´ Peter Brückner, der hannoversche Psychologie-Professor, hält die moderne Familie für neurotisiert, Herbert Marcuse sieht in ihr einen Herd von ´Brutalität, Grausamkeit und Aggression´“ (DER SPIEGEL 37/1973 vom 10.09.1973, S. 152-160: Anarchismus: Aufstand der Basis).
Der Schreiberling des Artikels ist namentlich nicht benannt; man sollte ihm, unbekannterweise, posthum, ein Denkmal setzen. Für Volksverhetzung. Für Hassrede. Und wie das Neusprech der Herrschenden heutzutage sonst noch heißt.
Mehr noch: Man sieht resp. liest, dass Lesen bildet. Den SPIEGEL lesen indes eher weniger. Bildet. Oder gar nicht. Bildet. Allenfalls ver-bildet: Eine freundliche Umschreibung von „verblödet“, zumindest „zu verblöden versucht“.
Jedenfalls erstaunt es, mit welcher Dummheit und Dreistigkeit das „Sturmgeschütz der Demokratie“ [wohlgemerkt: 1947 durch Gnade der Briten und mit deren Lizenz gegründet: „So wurden wir angefangen“ – Rudolf Augstein über den SPIEGEL-Beginn, https://www.spiegel.de/geschichte/rudolf-augstein-so-wurden-wir-angefangen-70-jahre-spiegel-a-1131352.html, Abruf am 12.10.2019], mit welcher Dummheit und Dreistigkeit – wohlgemerkt 1973, zur Zeit der RAF – DER SPIEGEL den Bürger zu indoktrinieren versucht.
Wie er die hoch-komplexe anarchistische Bewegung auf einige Schlagworte und Feindbilder reduziert: Anarchisten fressen kleine Kinder, lieben es, im Rudel zu bum… und wollen unsere heißgeliebte Demokratie abschaffen. Sollen sie doch „rüber machen“. In die Ostzone. Die DDR.
Die zu diesem Zeitpunkt noch sechzehn lange Jahre bestehen sollte. Bis sie schließlich – nicht zuletzt an solcher Feindpropaganda – zerbrach. Wiewohl sie, die DDR, mit Anarchie wahrlich nichts am Hut hatte. Allenfalls im letzten Jahr ihres (formalen) Bestehens.
Indes: Zu diesem Zeitpunkt war sie längst nicht mehr die DDR. Sondern nur noch ein Beutestück des Kapitalismus´. Der für eine kurze Zeit – das lange Jahr der Anarchie – auch emanzipatorische tentative Gesellschaftsformen zuließ. In der Gewissheit, dass diese schnell wieder verschwinden würden. In der kapitalistisch neo-liberalen Realität des „Einig-Vaterland“. Denn, wie Brecht schon wusste, wählen die dümmsten Kälber ihre Schlächter selber.
Ausführungen zu Fußnote 71:
Erich Mühsam: Von Eisner bis Leviné. Die Entstehung der bayerischen Räterepublik. Persönlicher Rechenschaftsbericht über die Revolutionsereignisse in München vom 7. November 1918 bis zum 13. April 1919 (https://www.anarchismus.at/geschichte-des-anarchismus/deutschland/6988-erich-muehsam-von-eisner-bis-levine-die-entstehung-der-bayerischen-raeterepublik, Abruf am 13.10.2019):
„Zu meiner persönlichen Legitimation mögen folgende Daten dienen: Im Alter von zweiundzwanzig Jahren (1900) gewann ich die erste Fühlung mit der revolutionären Bewegung in Deutschland und faßte unter der Leitung Gustav Landauers Fuß in der kommunistisch-anarchistischen Bewegung, der ich treu blieb. Gewisse Schwankungen in der Auffassung, die mich zeitweilig in die Nähe Stirners trieben, dann, unter Landauers Einfluß, zum Proudhonisten machten, waren zu überwinden, bis sich mein Standpunkt in der Anerkennung des reinen und bedingungslosen Klassenkampfes festigte, wobei mir in den Kampfmethoden stets Michael Bakunin, im Kampfziel Peter Kropotkin (dieser mit geringen Abweichungen) maßgebend waren.
Mein Bakunismus führte mich 1909 zu dem Versuch, in München die revolutionäre Unterweisung und Organisation des Lumpenproletariats zu unternehmen. Den Freispruch in dem 1910 deswegen durchgeführten Prozeß dankte ich dem Umstand, daß der angezogene Geheimbundparagraph sich als untauglich erwies und das Strafgesetzbuch schlechterdings keine für den Fall verwendbare Bestimmung enthielt.
In einer 1911 begründeten Monatsschrift ´Kain´ bemühte ich mich, speziell die akademische Jugend und die Künstlerboheme revolutionär zu beeinflussen und dadurch den Intellektuellen ihre natürliche Zusammengehörigkeit mit dem Proletariat bewußt zu machen. Beim Ausbruch des Krieges ließ ich das Blatt eingehen mit der Begründung, daß ich meine Kundgebungen einer militärischen Zensur nicht unterwerfen könne.
Während des Krieges unterhielt ich zu vielen Revolutionären Beziehungen. Ein Versuch, den ich 1916 unternahm, alle revolutionären Sozialisten ohne Festlegung der akademischen Formeln zu einem illegalen Aktionsbund zu vereinen – im April 1916 war ich deswegen in Berlin und besprach den Plan mit dem zwar skeptischen, aber grundsätzlich bereiten Genossen Karl Liebknecht –, und für den ich neben Landauer besonders auch den verstorbenen Genossen Westmeyer-Stuttgart gewann –, scheiterte, meiner Meinung nach an intriganten Manövern eines auch schon toten, unabhängigen Führers, den ich in Verkennung des leisetreterischen Charakters dieser Partei glaubte in die geplante Verschwörung mit einbeziehen zu sollen.
1917 korrespondierte ich mit Franz Mehring über die von mir angeregte Reorganisation der II. Internationale. Meine Ansicht war, daß die Aufhebung des Londoner Beschlusses von 1896, der Anarchisten und Antiparlamentaristen die Zugehörigkeit versagte, die Abstoßung des gesamten Scheidemann-Flügels zur Folge haben und dadurch die Wiederbelebung des revolutionären Geistes herbeiführen müsse.“
Ausführungen zu Fußnote 72:
Erich Mühsam: Aufstieg und Niederlage der Räterepublik (https://www.anarchismus.at/geschichte-des-anarchismus/deutschland/8072-erich-muehsam-aufstieg-und-niederlage-der-raeterepublik, Abruf am 13.10.2019):
„Am 4. April nachmittags fand im Ministerium des Äußern unter Niekischs Vorsitz die erste offizielle Beratung über die zu ergreifenden Maßnahmen statt. Es nahmen daran etwa dreißig Personen teil, darunter fünf Mitglieder des siebenköpfigen Ministeriums, nämlich der Herr Minister des Innern Segitz (SPD), der Handelsminister Simon (USP), der Militärminister Schneppenhorst (SPD), der Minister für soziale Fürsorge Unterleitner (USP) und der Landwirtschaftsminister Steiner (Bayrischer Bauernbund) …
Auf Niekischs Bericht hin wurde vorgeschlagen, daß sich provisorisch ein Rat von Volksbeauftragten, der sich paritätisch aus Sozialdemokraten, Unabhängigen und Kommunisten zusammenzusetzen hätte, konstituieren sollte. Am nächsten Tage sollten die Massen zusammengerufen werden, es sollten sofort neue Betriebsratswahlen stattfinden, und ein neuer Rätekongreß sollte dann die Räterepublik definitiv machen und ihr die Verfassung geben. Ein Widerspruch gegen diese Vorschläge wurde von keiner Seite erhoben …
Die Umwälzung vollzog sich vollständig gewaltlos. Fast ganz Südbayern schloß sich der Räterepublik sofort an. In Nordbayern war die Stimmung geteilt. Die Münchener Militärformationen, insbesondere die republikanische Schutztruppe, stellten sich ausnahmslos der neuen Gewalt zur Verfügung. Ich bemerke das, um die Unterstellung der Stand- und Volksgerichte, es sei ein gewaltsamer Umsturz erfolgt, von vornherein zu widerlegen.
Die regierende Gewalt lag nunmehr in den Händen des provisorischen Zentralrats, der den Rat der Volksbeauftragten einsetzte. Der Zentralrat setzte sich zusammen aus Mitgliedern der SPD, der USP, des revolutionären Arbeiterrats, des Landesarbeiterrats, des Soldaten- und Bauernrats und Vertretern der Gewerkschaften. Die Kommunisten standen vorerst abseits, hauptsächlich, weil sie der Ehrlichkeit gewisser Teile der Mitwirkenden mißtrauten.
In der Nacht zum 13. April (Palmsonntag) veranstalteten einige von Bamberg gedungene militärische Kräfte in München unter Leitung des Bahnhofskommandanten Aschenbrenner einen Aufstand gegen die Räteregierung …
Die an dem Putsch beteiligten Soldaten handelten keineswegs aus politischer Überzeugung, sondern um die Geldprämien zu erhalten, die die Bamberger Regierung im Betrag von 1500 Mark für jedes Mitglied der zu dem Unternehmen ausersehenen republikanischen Schutztruppe und mehreren tausend Mark für jeden ihrer Führer ausgesetzt hatte … [E.A.: 1914 kostete ein kleines Wohnhaus ca. 13.000-14.000 Mark (s. Preisermittlungsindex für Wohngebäude und Wohngebäudeversicherungen); die für Offiziere ausgesetzte Prämie entsprach mithin in etwa dem Gegenwert eines halben Hauses!]
Die Wirkung des Putsches war die, daß die Kommunisten aktiv in die Bewegung eingriffen und unter Zustimmung der in der ständigen Betriebsräteversammlung repräsentierten Gesamtarbeiterschaft die Regierungsgewalt übernahmen. Der Rücktritt des bisherigen Zentralrats und der provisorischen Volksbeauftragten und die Machtergreifung der neuen Räteregierung erfolgte … ohne gewaltsamen Umsturz …
Erst als von der Regierung Hoffmann die Reichsexekutive alarmiert worden war und zur Unterstützung des Bamberger Rumpfkabinetts mit großer Truppenmacht und allem modernen Kriegsgerät in Bayern einrückte; erst als das Proletariat vor der erdrückenden Übermacht der von Generalstabsoffizieren befehligten Reichswehr Position um Position, Stadt um Stadt preisgeben mußte; erst als die junge, aus dem Boden gestampfte, ohne strategische Leitung auf sich selbst gestellte Rote Armee in heroischem Abwehrkampf gegen die landfremden Angreifer verzweifelte Straßenschlachten in München schlug; erst als das Blut von Hunderten und aber Hunderten von Feldgerichten standrechtlich geopfert war, als die entfesselte, durch Lügen und Verleumdungen in besinnungslosen Haß gepeitschte Freikorps-Soldateska viele der besten, dem Ideal ergebenen Revolutionäre ohne irgendwelches Verfahren entsetzlich hingeschlachtet hatte und München der Schauplatz ungeheuerlicher Plünderungen und zügellosester Landsknechtsverwilderung geworden war – erst da sah die Arbeiterschaft ein, daß ihr nichts anderes übrigblieb, als sich mit der Rückkehr der tiefgehaßten Bamberger Regierung und eines Parlaments abzufinden, das am 21. Februar in wilder Flucht, ohne irgendwen zu beauftragen, dem durch die Mordtat des Grafen Arco geschaffenen Chaos zu steuern, den Räteorganen des Proletariats die Interessen des Landes überlassen hatte.“