Читать книгу Die Chroniken des Südviertels - Rimantas Kmita - Страница 11

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Was mich bei meiner Rückkehr am meisten ankotzte: Der Frühling war noch nicht gekommen und ich konnte nicht nur im T-Shirt rumlaufen. Mit den Chicago Bulls auf der Brust und Kapuze wären meine Aktien sofort gestiegen. Ich musste unbedingt dafür sorgen, dass man sie sah. Deshalb war zumindest mir selbst in der Schule furchtbar heiß, und vor nem Match der Junioren zog ich mich ganz lange um, massierte mir die Beine und zog mein Shirt aus Polen erst ganz zuletzt aus.

Wir nahmen an so nem Juniorenturnier in Šiauliai teil. Auch wenn ich in Warschau den Clown gespielt hatte, zeigte das Training mit den Männern seine Wirkung. Ich staunte nicht schlecht, irgendwer schien mich mit der geballten Kraft vom Terminator, mit der Geschmeidigkeit von Bruce Lee und der Schlauheit des Paten vollgepumpt zu haben. Obwohl, Schlauheit brauchte man eigentlich nicht wirklich. Du kriegst den Ball, rennst los und raffst selbst nicht ganz, warum alle nur so auf alle Seiten davonfliegen, wie Holzspäne. Ich fand das sogar n bisschen langweilig. Du hast ne Wahnsinnslust zu spielen, aber da ist kein richtiger Gegner. Du wartest darauf, dass dich endlich jemand zu Fall bringt, aber wenn sie dich anhalten, dann zu dritt oder so wie Hosenscheißer – einer packt n Bein, der Zweite das andere, der Dritte springt dir an den Nacken. Und als man mir den Preis fürn besten Rugbyjunior der Saison in die Hand drückte, da fand ich das irgendwie auch langweilig. War ja so logisch. Und überhaupt – die Matches der Junioren brachten mich zum Gähnen. Es war von vornherein klar, wer den Pokal gewinnt und alle anderen Turniere. Und du rennst übern Rasen und sammelst diese Punkte. Was macht es denn fürn Unterschied, ob es am Ende 50:0 oder 105:10 steht. Dass die Bulls Meister werden, daran haste auch keine Zweifel, aber da wirds wenigstens manchmal spannend. Die kriegen wenigstens manchmal eins aufs Dach. Aber hier …

Vielleicht war das ja der Grund, dass ich mit nem Chicago-Bulls-Shirt rumlaufen wollte. Das trägste und fühlst, dass dus verdient hast, denn du spielst bei den Juniorenmeistern mit, bist n Champ. Du kannst doch nicht die Urkunde fürn ersten Platz mit dir rumtragen, Chicago Bulls sagt alles viel klarer. Natürlich können auch so Lahmärsche mit den Chicago Bulls rumlaufen, aber du hast es dir verdient. Die Chicago Bulls machen allen sofort klar, dass deine Sicht vom Leben die richtige ist. Und noch viel klarer wird alles, wenn die Kapuze des Chicago-Bulls-Trikots aufm Rücken der Lederjacke landet. Die war sozusagen n Geschenk des Himmels. Ne Freundin von Mum nähte die, jemand hatte eine bestellt, war aber wie vom Erdboden verschluckt. Sie selbst verkaufte die eigentlich nicht, sie nähte sie nur, also fragte sie, ob ich sie haben möchte. Fürn halben Preis. Egal, dass sie aus Flicken genäht war – Leder ist Leder. Und ne Lederjacke mit nem Chicago-Bulls-Shirt drunter – das ist nicht zu toppen! Ich sage es doch, die besten Dinge kann man nicht vorausplanen.

Und Basketball – na ja … zumindest für mich, kann das jeder spielen. Deshalb taten das auch Minde und ich. Nachts NBA in der Glotze gucken und am Morgen die Tricks, die du gesehen hast, nachmachen. Aber wenn schon spielen, dann wie sichs gehört. Will heißen, aufm Hof, denn da sind die Regeln n bisschen anders. Wenn du mit mir zusammenstößt, dann ist das dein Problem, aber das mitm Schiri, das will mir nicht ganz in die Birne. Du preschst aufn Platz und spürst gar nicht, dass so n Storchenbein schon der Länge nach am Boden liegt. Und dann stellt sich heraus, dass du ihn umgelegt hast. Aber alle sehen, dass n Windstoß ihn zu Fall gebracht hat. Oder einmal, da mussten wir gegen Artūrs Javtoks spielen. Wen der den Arm ausstreckt, dann kann er den Ball fast von oben in den Korb schmettern. Aber wenn du mit dem zusammenstößt, dann wirst weiß der Henker warum immer du bestraft, nicht er. Vielleicht, weil man ihn den »Terminator« nennt und er spielen darf, wie er will, und dich kennt hier keiner, also biste nur sein Kanonenfutter?

Das kapierte ich einfach nicht, du musst wissen, wie fallen, wie verteidigen, und wenn du die Hand auch nur anrührst, gibts ne Strafe. Ballett ist das. Im Rugby ist alles sonnenklar:Zuschlagen darfste nicht, dich prügeln auch nicht, aber alles andere – du schiebst, rennst, hältst … Wer stärker, schneller und flinker ist, der ist der Bessere – kein Affentheater. Fällt einer hin und schauspielert, dass man ihn verletzt hat, dann schauen ihn nur alle an wie das letzte Weichei. Sogar die von der eigenen Mannschaft. Natürlich gibts mal ne Keilerei, aber der Schiri kommt nicht angelaufen und treibt die Spieler auseinander wie die Hühner. Wenns was auszumachen gibt, dann sollen die das unter sich ausmachen. Wie im richtigen Leben.

Aber Basketballmatches mit Schiri, bei denen sich Schulteams gegenüberstanden, die konnte ich noch weniger ausstehen als das Duschen nachm Training, den Mathelehrer und die Heuernte aufm Dorf zusammengenommen. Die Schulbasketballmatches waren öffentliche Schäm-dich-Trainings. Spannend war einzig und allein, ob wir mit zwei oder fünfzig Punkten Unterschied auf die Fresse kriegen. Da half es nix, dass ich von morgens bis abends NBA glotzte und draußen alles nachzumachen versuchte. Und auch nicht, dass auf meinen Trikot jetzt Charlotte stand. Auf allen anderen stand ja Chicago Bulls und, Gott behüte, vielleicht auch noch Jordan drauf. Die Chicago Bulls waren für in die Stadt, ich sagte doch schon, dieser Schriftzug hatte gar nix mitm Basketball zu tun, dafür hatte ich Charlotte Hornets draufgeschrieben und die Rückennummer zwei. Larry Johnson. Ja, Johnson, aber nicht Magic. Damit es einer wie ich ist, n normaler Spieler, Durchschnitt, der aber manchmal nen Bombenschuss landet. Und von ähnlicher Statur sollte er sein und auf ner ähnlichen Position spielen. Aber das alles ist völlig egal. Barclay, Morning, Ewing … Du stehst vor Javtoks und könntest es vielleicht schaffen, seinen Flattop zu berühren, mehr nicht. Während wir uns aufwärmen, ruft der Trainer ihm zu, wie er beim Anlaufnehmen und Korbwurf keine Schritte macht, aber das scheint mir unwichtig, denn er muss sich nur lang machen und schon kann er den Ball in den Korb legen.

Wir hatten, glaube ich, in unserem Team keinen aus der Basketballschule. Also reichte den Gegnern einer von denen. Zum Beispiel gegen die 15. Mittelschule – keine Chance, die hatten Slanina. Und die vierzehnte … Keine Basketballschule, aber bei denen spielte ne ganze Armada von dort: Minde Žukausks, noch zwei weitere. Obwohl auch ich in der fünften Klasse das Training bei Sireika besucht hatte, kapierte ich einfach nicht, wie diese Basketballer mich mühelos stehen ließen. Ich wusste, dass man in der Verteidigung die Beine schulterbreit auseinanderhalten musste – in der Sportschule hatte ich so mehr als ne Runde gedreht –, aber offenbar wussten die noch was, denn nachm ersten Jahr warfen sie die nicht raus. Es war klar, dass ich rausfliegen würde, aber n Jahr hielt ich durch. Das ging so: Ich haute einen aus unserer Klasse an und sagte, ich geh mit dir ins Basketballtraining. Das tat ich dann, aber die Einteilung war dort nicht nach Klassen, sondern nach Geburtsjahr. Aber für nen Fünftklässler mit denen aus der sechsten zu spielen – da kannste dich schon im Voraus auf alles gefasst machen. Diese Sechstklässler sahen wie Erwachsene aus und trainierten auch schon seit Jahren. Gut, beim Laufen kam ich ja mit, bei den Sprüngen auch, aber Basketball spielten die fast wie die Profis. Zumindest kam mir das so vor. Deshalb schummelte ich und stellte mich n Jahr jünger als ich war, um mit den Fünftklässlern zu trainieren.

Irgendwas raffte ich dort von Grund auf nicht. Bald pfiff man mich wegen Schritten zurück, bald wegen dieser drei Sekunden, bald blamierte ich mich und traf von unter dem Korb nicht, aber dann zittern dir das ganze restliche Match durch die Hände und du versuchst es besser gar nicht erst, wenn man dich überhaupt aufm Feld lässt. Nach einigen Spielen stand eines auswärts an und wir mussten unsere Geburtsurkunden mitbringen. Am nächsten Tag versammelten wir uns am Bus, und Sireika kam zu mir und gab mir meine wortlos zurück, ich nahm sie entgegen und ging schweigend nach Hause. So musstes ja kommen. Die anderen rafften wahrscheinlich gar nicht, was passiert war.

Aber es gab nicht nur Schulbasketballmeisterschaften, sondern auch solche für Rugby. Wahrscheinlich nur in Šiauliai. Die entschädigten mich mehr als genug für alles. Piepegal, welche Schule wie viele Spieler hatte, die zum Training gingen, das ging immer wie durch Butter. In meiner Schule gab es eigentlich nicht viele, die sich auskannten, vielleicht zwei oder so. Ich erklärte ihnen n bisschen die Regeln, damit sie keinen Scheiß machten, und basta. Und dann nehm ich den Ball und lauf los. Natürlich spielte Žukausks nicht für die vierzehnte Rugby, genauso Slanina nicht für die fünfzehnte. Das hätte mir so richtig in den Kram gepasst. Denen hätte ich die Knochen gebrochen, sie zermalmt, und diesen Javtoks hätte ich so elegant wie n Baum stehen lassen. Aber ich musste ihren Klassenkameraden den Hintern versohlen. Vielleicht würden sie ihnen ja Grüße von mir ausrichten.

Spaß vorbei, morgen ist schulfrei, da haben wir Pläne. Die Lehrer streiken. Die Zeitungen schrieben auch darüber: »Dasgegenwärtige Lehrergehalt ist katastrophal, verboten niedrig. Außerdem liegt das Prestige des Lehrerberufs am Boden. Bis heute arbeiteten die Lehrer fleißig, übten sich in Geduld. Aber die Geduld hat ihre Grenzen.« Ich sagte es doch schon. Was kann diese Mathematikerin uns schon beibringen? Wenn du klagst, dass du katastrophal wenig verdienst, woher soll dann deine Autorität kommen? Das ist wie ne Gleichung, die sie nicht kennt. Autorität ist gleich Kohle plus deren vernünftige Verwendung. Oder im Litauischen, da mussten wir Sprichwörter auswendig lernen: »Wer liest und schreibt, der muss nicht um Brot betteln.« Was meint ihr dazu? Um Brot betteln jetzt alle, aber nicht alle kriegen welches. Und die, die lesen und schreiben, die stehen ganz hinten in der Schlange an. Einige stellen sich gar nicht erst an, denn sie sind absolut pleite. Was bringt es, diese Sprichwörter zu lernen? Wo soll ich mit denen hin? Könnt ihr euch denn den Mafia-Baranis vorstellen, der so nem Esel erklärt, was Sache ist, und plötzlich sagt: »Die Augen sind der Spiegel der Seele, du wirst mich nicht übers Ohr hauen, ich sehe und verstehe alles.« Könnt ihr euch das vorstellen? All diese Sprichwörter haben so nen Bart. Das Lebenist neu, da müssen auch neue Sprichwörter her. Deshalb werde ich den Lehrern sagen: Kannste schreiben und lesen, dann frisste nen Besen.

Aber nicht nur zur Schule zu gehen ist fürn Arsch, sondern auch gute Noten – für die darfste dich schämen. Mein Cousin ist kaum älter als ich, aber den sehe ich auch fast nie in der Schule. Der dreht irgendwelche Dinger, und alle respektieren ihn. Ist doch klar: Du musst dich durchschlagen, nicht die Schulbank drücken. Du kaufst was, und bis dus loswirst, sind die Preise gestiegen, aber wenn dus wieder kaufen willst, sind die Preise nochhöher. So läufste wie der Hamster im Rad. Aber wie sollteste auch anders. Wenn du stehen bleibst, dann kannste dir in nem Monat den Arsch mit den Scheinchen abwischen, das Geld muss im Umlauf bleiben, damit du wenigstens auf demselben Level bleibst. Wenn du nicht dauernd läufst, dann kannstes vergessen.

Und die Rentner … Die verlangen, dass man ihre Rente jeden Monat anhebt, aber wie soll das gehen? Meine Mutter kam irgendwie durch, aber Taschengeld gabs fast keins. Fürs Mittagessen, n Kinoticket oder auch in die Disco. N waschechter Feiertag. Sie war Friseurin. Kein Superberuf, aber zum Friseur mussten alle. Natürlich, du kannst dir auch ne Schüssel überstülpen und dir die Haare selbst schneiden, aber dann siehste aus wie Jim Carrey in Dumm und Dümmer. Das ist aber nur im Film saulustig, und wir befanden uns im Leben, und nicht in irgendeinem, sondern in dem, das in Šiauliai stattfand und in dem die bereits erwähnten Autoritätsformeln galten. Deshalb gab es hier einige Grundregeln. Was die Frisuren betrifft, kann ich dazu nur sagen, dass für meine Mum die Anforderungen zu hoch waren. Also ging ich zu ihrer Freundin, die mir auch umsonst die Haare schnitt. Man musste mit nem Flattop rumlaufen. Na, wie Arnie im Terminator oder Pippen von den Chicago Bulls oder Chris Mullins, der zusammen mit Marčiulionis bei den Golden State Warriors spielte. Und auch bei uns – Minde Žukausks, Slanina, Javtoks – alle mit Flattop, deshalb wurde über die Frise nicht diskutiert. Damit war alles klar.

Mein Dad arbeitete als Lagerarbeiter im Fleischkombinat. Falls jemand von euch denkt, das ist scheiße, dann kann ich nur so viel dazu sagen: Er erzählte nie viel von seiner Arbeit, aber an Knete fehlte es nie. Genau damals kaufte er sich wie aus heiterem Himmel n Auto, dabei hatte er nicht mal nen Führerschein. Warum auch, wenn er sich sowieso nie ne Karre würde leisten können. Und jetzt – seht ihn euch an! Da habt ihr euren Lagerarbeiter.

Also, Dad hatte mir geräucherte Würste aus seiner Fabrik organisiert, morgen streiken die Lehrer, also ab nach Riga und wieder zurück mit Kapital, das man mit den Händen greifen kann. Und wenns rund läuft, dann ist alles chicago bulls.

Die Chroniken des Südviertels

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