Читать книгу Die Chroniken des Südviertels - Rimantas Kmita - Страница 12

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Diesmal fuhr ich mit nur einer Tasche, dafür fein säuberlich in Lagen vollgestopft mit geräucherten Würsten. Das ist was ganz anderes als Brot. Bei dem schleppste zwei volle Säcke mit und weißte gar nicht, wohin damit. Und dann kommste zwar nicht in die roten Zahlen, aber zockst dreimal weniger ab als mit den Würsten. Nach meinen Berechnungen hätte ich, wenn alles glatt ging, etwa sechzig Bucks in der Tasche, und damit lässt sichs schon spielen. Etwas zur Seite legen, bei der Bank, die zahlte ja jetzt ganz passable Zinsen, den Rest an verschiedenen Fronten in Umlauf bringen, um sich n bisschen gegen Risiken abzusichern. Jetzt aber hatte ich all meine Knete reingesteckt, die mir noch von Polen geblieben war, und Dad hatte auch noch was dazugelegt.

Wir fuhren also eher ruhig nach Riga. Wem sollte denn schon ne kleine Tasche auffallen, wenn rundherum Säcke voller Brot standen? Wir quatschten mit allen über die Preise und was wo besser lief. So ne Schabracke hatte furchtbares Mitleid mit den Ukrainern am Bahnhof in Šiauliai. Die würden dort einer nachm anderen skalpiert. In Riga wäre das nicht so. Einmal sollen zwei Typen angetanzt sein, angeblich aus der Polizeiwache Prūdelis. Einer zeigte nen alten Ausweis der freiwilligen Hilfspolizei, der andere nen Führerschein. Woher sollten die Ukrainer denn auch wissen, wie die Ausweise der Polente hier aussahen? Zahlen!, sagten die. N andermal kam einer mit nem echten Polypen, nem neunzehnjährigen Lümmel von eben jener Polizeiwache, und verdonnerte n Taras zu ner Geldstrafe von tausend Talonai. Als jener rumzumotzen begann, tauchten andere Polypen auf, na echte, und sahen zu, dass er sich schnell wieder einkriegte. Jetzt standen Name, Vorname und Adresse des Strafgeldforderers in unserer Zeitung. Irgendwie schnallte ich nicht ganz, warum die dort andauernd die Adressen von irgendwelchen kleinen Fischen veröffentlichten. Vielleicht, damit dieser Taras in die Krimstraße gehen und ihn zu Mus hauen kann? Oder vielleicht, damit andere mit nem Businessplan bei ihm vorbeischauen und sich Uniform und Ausweis von ihm ausleihen?

Lauter Zirkus. Genau wie mit diesen Präsidentenwahlen. Mir ja egal, ich konnte weder wählen noch sonst was, aber dafür reichten die Themen, damit im Zug keinem langweilig wurde. Der Geilste war dieser Vilkaitis, der Kandidat des litauischen Ablegers der Weltbewegung der Essenden. Der ratterte durchs ganze Land, verteilte Semmeln und rief: »Wer hat, der beiße!« Ob das denn nicht eine Verhöhnung der Leute wäre, sagte ne Frau, die nicht nur keine Semmeln, sondern auch sonst kein Brot bekamen.

Im TV zeigten sie seinen Stellvertreter, Erlickas, den humoristischen Autor, wie er die Fragen der Journalisten beantwortete. Der brachte die Lippen nicht auseinander, sprach irgendwie ausm Bauch und zeigte irgendwas mit den Fingern, während n anderer den Journalisten zu übersetzen versuchte, was der Vizepräsident sagte. Minde und ich lachten uns krumm, so beknackt war das. Vilkaitis isn guter Schauspieler und Erlickas ist überhaupt n Supertyp. Sie zeigten Ausschnitte aus nem Theaterstück von ihm, da macht er alle Präsidenten und Möchtegernpolitiker voll konkret zur Schnecke.

Als wir uns Riga näherten, sang Minde wieder sein altes Lied.

»Dann also bei den Markthallen?«

»Bei welchen Markthallen denn? Hab dir doch gesagt, dass die uns dort aufsammeln kommen, da kannste Gift drauf nehmen.«

»Mit den Broten haben die uns kein einziges Mal eingepackt, warum sollten sie das jetzt? Unsere Ware geht weg wie warme Semmeln, und dann ab mitm nächsten Zug nach Hause!«

»Einmal ist immer das erste Mal.«

»Beim ersten Mal gibts Blut aufm Laken. Das ist nicht das erste Mal.«

»Was laberste da? Welches Blut denn? Kommt mir mit Laken daher.«

»Fürn Arsch ist das, hierher zu tuckeln und dann nicht richtig Cash zu machen.«

»Hörma, wenn du willst, dann stell du dich doch vor diese Hallen. Wir müssen ja nicht Händchen halten. Und wenn du wieder daheim bist, dann such dir ne Tusse, und dann reden wir weiter über Laken und so.«

Minde hatte echt keine Freundin, und ich hätte das bemerkt, wenn er sich an eine rangemacht hätte. Aber die waren ihm irgendwie schnuppe, na, zumindest war nix von Interesse zu spüren. Leichte Segelohren, aber sonst n klasse Typ. Da waren ständig n paar Hippiemädchen oder so bei ihm, aber ich verwette meinen Kopf, dass er keine von denen knallt. Die gehen irgendwie alle miteinander, schlurfen durch die Gegend, aber am Abend schläft jeder bei sich zu Hause. Sonst hätte er schon längst in hohen Tönen davon gespuckt. Und hier drängte sich ne andere Frage auf: Wenn er also keine Tusse suchte, wozu dann die Knete? Warum riss er sich den Arsch auf? Natürlich brauchte man nicht nur für die Mädels Kohle, sondern auch für Kassetten, Klamotten … Aber das alles war ja nur der Weg zu den Tussen. Seine Alten hatten n affengeiles Teil mit CD, Laserdisc, zwei Kassettendecks, das konnte man nicht einmal voll aufdrehen, sonst kam der Gips von der Decke runter und mit ihm die Nachbarn. Vom Videorekorder und der ausländischen Glotze ganz zu schweigen. Aber ich konnte ja nicht einfach fragen: Minde, wofür brauchste die Knete? Diese Frage, so schien es, widersprach sämtlichen Regeln der Grammatik von Šiauliai. Das wäre, als würde ich fragen: Warum atmeste? Oder: Warum ist deine Haut weiß? Solche Fragen stellen Kinder, die gerade sprechen gelernt haben, aber schon bald sind sie nicht mehr so rhetorisch.

Minde kam doch mit mir, und wir stellten den Inhalt unserer Taschen gleich am Bahnhof unter der Brücke aus. Ich begann schon zu bereuen, dass er nicht allein zu diesen Hallen oder sonst wohin marschiert war, denn es war doch echt witzlos, dass wir einer neben dem anderen standen und die gleichen Teile verscherbeln wollten. Aber ich sagte keinen Pieps mehr, denn ich wollte nicht, dass er wieder mit blutigen Laken oder ähnlichem Gefasel anfing. Aber noch bevor n paar Frauen zu uns kamen und sagten, wir würden zu viel für die Würste verlangen, tauchten auch schon zwei Polypen vor uns auf. Sie wiesen sich aus (warum wohl nur zeigen die ihre Ausweise immer so, dass du Namen und Foto ganz sicher nicht siehst?), fragten um des guten Tones willen, ob wir Genehmigungen hätten, und sagten dann, wir müssten auf die Wache mitkommen. Rundherum n Gedränge – keine Chance zur Flucht oder was. Die Polypen trugen keine Uniform, und mir ging der Gedanke nicht ausm Kopf, das könnten wie in Šiauliai irgendwelche schwachköpfigen Artisten sein. Doch die führten uns durchn Markt in Richtung Polizeiwache, und mit jedem Schritt wurden meine Zweifel immer kleiner und meine Panik immer größer. Was wird jetzt aus uns? Alles beschlagnahmt und dazu ne Geldstrafe? Oder n paar Tage Arrest? Wenn ich heute nicht heimkomme, dreht meine Mum durch.

Und wer hätte mir sagen können, warum man gerade uns aus diesem Ameisenhaufen ausgewählt hatte? Ich habe noch nie im Lotto gewonnen, aber hier fallen gerade unsere Zahlen! Bingo! Ab ins Studio für die Übergabe des Hauptgewinns! Warum ich? Warum unbedingt ich? Der Markt ist doch voller Typen ohne Genehmigung, aber uns packen sie ein. Wir sind überhaupt nur Plankton, das auf diesem Meer aus Scheiße treibt, aber die regelmäßigen Kunden und großen Fische lassen sie halt in Ruhe. Auf der Wache waren vielleicht noch zwei andere Kleinsthändler wie wir, und damit hattes sich. Dort hätten wahrscheinlich sowieso nur die mit Papieren Platz gefunden, um alle anderen hätte man nen schönen Zaun ziehen können – da haste deine Polizeiwache voller Gesetzesbrecher. Aber jetzt war das nur Affentheater.

Ein noch größeres Affentheater begann, als sie uns in n kleines Zimmer schickten und uns sagten, wir sollten uns bis auf die Unterhose ausziehen. Was wollten die in diesem Schwuchtelkontor denn finden? Hatte ich vielleicht ne Wurst in die Hose gesteckt? Wir steckten mit zitternden Fingern das letzte Bare in die Unterhose – vielleicht könnten wir ja zumindest das retten. Minde ging mir mächtig aufn Sack mit seinem Ich-habs-dir-doch-gesagt-lass-uns-zu-den-Hallen-Gehen. Wie oft wollte er mir das denn noch vorhalten? Und wie sollte ich darauf reagieren? Mich entschuldigen? Habe ich ihm denn nicht gesagt, er solle schnurstracks zu seinen Hallen verschwinden?!

»Einmal ist immer das erste Mal, nicht?«, kann er einfach nicht aufhören und stopft die Socken in die Schuhe.

Wir sitzen fast nackt und ohne Dokumente da. In Gedanken verabschiede ich mich von der Knete, habe keinen Schimmer, wie ich meine Schulden bei Dad bezahlen soll, und an weitere Geschäfte ist nicht mal im Traum zu denken. Der Pleitegeier kreist schon über mir. Im besten Fall. Wenn man uns hier rauslässt. Und die es der Schule nicht mitteilen. Die Alten keinen Wind kriegen. In Riga eingekerkert – das wäre n Business. Ich schaue Minde an. Auch er hat die Hosen voll.

Den Polypen erzählen wir lauter Unsinn: Wir haben nicht gewusst, dass man ne Genehmigung braucht. Wir sind überhaupt zum ersten Mal hier. Meine Mutter ist schwer krank, die Medikamente aus staatlichen Beständen sind rationiert, die muss man zu Marktpreisen kaufen, dafür reicht n Gehalt nicht aus. Minde sülzt ihnen vor, sein Vater ist Alkoholiker, versäuft alles, was die Mutter verdient, alles gluck, gluck in die Kehle, verstehen Sie doch – was sollen wir denn da tun? Sie aber halten uns Vorträge über Hygiene, Sauberkeit, allen möglichen Scheiß, aber alle treiben genauso Handel wie wir, doch ne Genehmigung brauchen nur wir. Und falls wir eine hätten, dann wäre sonst was nicht in Ordnung. Die würden sagen, was verkauft ihr ohne weiße Schürze Würste? Die finden schon irgendwas, um uns das Leben schwerzumachen. Einer hält unser Gequatsche über die Probleme in unseren Familien nicht mehr aus und fragt:

»Was hat denn deine Mutter konkret?«

»Konkret … Ich weiß nicht … Ich weiß nicht, wie man das auf Russisch sagt.«

»Schon lange?«

»Ja, wir haben schon fast alles Ersparte aufgebraucht, Chef, verstehen Sie doch, wenn diese Krankheit nicht wäre, würden wir in der Schule sitzen, die müssen wir doch abschließen, etwas Vernünftiges muss man doch im Leben lernen …«

Sie haben offenbar genug von unserem Gelaber, drohen uns, wenn sie uns noch einmal erwischen, knallen sie nen Stempel in unsere Pässe und wir fahren nie wieder nach Lettland. Am besten aber wäre, wenn wir uns auch ohne Stempel nicht mehr hier blicken lassen. Und meine Mutter soll bald wieder gesund werden, und deine, sagen sie zu Minde, die soll diesen alten Bock rauswerfen.

Wir verlassen die Wache.

»Wir hätten wie Erlickas bauchreden oder Taubstumme spielen sollen«, sagt Minde.

»Du Genie, sag lieber, was jetzt?«

Wir stehen mit leeren Händen und Taschen da. Die paar grünen Scheine bei den Eiern wärmen nicht, drücken nur auf die Tränendrüsen.

Wo hätten wir die paar Scheinchen denn reinstecken sollen, um aus so ner Scheiße wieder rauszukommen? Mit Plakaten haben wir Šiauliai schon versorgt. Und Spiritus zu kaufen, wenn du gerade bei den Bullen zu Besuch warst, das wäre das Schicksal herausgefordert. Und weiter? Wir ziehen die Bucks aus der Unterhose hervor und hirnen. Muss was Billiges sein, denn wir haben nur neun Bucks zusammengeklaubt. Wir beschließen, nur ne einzige Ware zu kaufen: Bis du kapierst, welche Ware du gut raushauen kannst, vergeht Zeit, also besser kein Hin und Her.

Ich sehe, wie Minde bei so Glitzerzeug für Tussen rumsteht. Ich gehe zu ihm, und er sagt zu mir: »Wir nehmen diese Ohrringe.«

»Ohrringe? Was verstehste schon von Ohrringen? Was weißte denn, was den Tussen gefällt?«

Minde: »Ist doch schnuppe, was ihnen gefällt. Gold ist immer und überall Gold.«

Ich: »Die Indianer finden Alufolie schöner als Gold.«

Minde: »Das war einmal, nicht mehr. Und was sollen überhaupt diese Indianer?«

Ich: »Wir brauchen ne Ware, ohne die die Leute nicht auskommen. In die Sahara würdeste doch auch kein Gold mitnehmen, sondern Wasser und Brot.«

Minde: »Was kommste mir jetzt mit dieser Sahara? Ich rede von Investitionen. Willste vielleicht in Brotlaibe investieren?«

Ich: »Lassen wir das Gequatsche, ich möchte erst was zum Investieren haben.«

Minde: »Also, wenn du kein Gold hast, dann investierste in was Vergoldetes. Wenns nämlich ne Nachfrage nach Gold gibt, dann auch nach vergoldetem Mist.«

Mir wird ganz übel vom Zuhören. Aber vielleicht sollten wir ja mal tun, was Minde sagt? Genug für heute. Wir kaufen also diese Klunker. Dann haben wir viel billigen Mist. Wir investieren also unsere Bucks in vergoldete Blechdinger. Ich starre meine Hände an, die dem Verkäufer das Geld entgegenstrecken, und traue meinen Augen nicht. Jetzt bin ich n Juwelier.

Auf der Rückreise im Zug kam ich n wenig zur Ruhe, denn ich hatte keine Entscheidungen treffen müssen und die Grenze verursachte diesmal auch keinen Stress. Es kam also gar nicht so schlimm, wies hätte kommen können. Die Polypen hatten sich über unsere Elterngeschichten krummgelacht und uns gehen lassen. Das hätten sie nicht tun müssen. Aber ich saß dennoch ganz schön in der Scheiße. Statt sechzig Bucks brachte ich vergoldete Blechdinger nach Hause. Beschissener noch als die Lehrer, die ihre lausigen Talonai erhielten – aber auf Nummer sicher.

Was tun? Ich trainieren und Minde Van Damme spielen? Ohne Kohle ist auch der coolste Typ nur n Bauernlümmel. N mit der Mistgabel trainierender abgebrannter Depp. Wie Antans ausm Training. Einmal hatte der die Verteidigung durchbrochen und preschte vorwärts. Er sah sich noch um, ob ihn auch wirklich niemand verfolgte, und lachte happy dabei. Und so rannte er mit nem Affenzahn mitm Kopf in die Stange, dass er n paar Sekunden lang bewusstlos liegen blieb. Dann stand er auf, als wäre nix gewesen, und spielte weiter. Und genau diese Typen, die du nicht mal mit ner Keule erschlagen kannst, sind eben nicht cool.

Du kannst faktisch n Zwerg sein, aber mit genug Kohle und ner Gang haben alle ne Höllenangst vor dir. Oder du bist n Van Damme mit Chicago-Bulls-Trikot, aber das bringt dir rein gar nix. Wenn deine Mutter dir keine Kopeken gibt, dann lässt man dich nicht mal in die Disco, und eine aus der Klasse durchkneten, das kannste, wenn du Glück hast, am Ende des Schuljahres, wenn die ganze Klasse zelten geht. Könnt ihr euch etwa Van Damme vorstellen, wie seine Mutter ihm Schotter gibt? Zu Edita wollte ich nicht zurück. Ich drängte vorwärts, aber irgendwie ging alles den Bach runter.

Kein Geld, keine Geschäfte, also blieb nur Knochenarbeit. Was denn für welche, in der Stadt? Hier pflanzte niemand Rote Beete an und niemand mistete den Stall aus. Hier wurden Schutzgelder erpresst, Karren abgestaubt, Investitionschecks zusammengekauft. Aber das war ne andere Liga. Wir konnten im besten Fall Fahrräder aus Schuppen klauen, uns draufsetzen und den Tussen die Handtaschen aus der Hand reißen, aber bei diesen Cowboy-Mätzchen schaut nur ne Renterausweis-Sammlung raus, und dabei riskierste, mit Namen, Vornamen und Adresse in unserer Zeitung zu landen, sodass die Rentnerinnen schon bald ne Dauerdemo vor deinem Zuhause organisieren, oder dass du am Ende in der Besserungsanstalt einsitzt. Dasselbe galt für alle anderen Arten von Diebstahl – von Kupfer bis zu Hühnern.

Aber es gab noch andere Handarbeiten. Ich hatte schon n paarmal Petzern tüchtig den Arsch versohlt, auch wenns für ne Karriere als Bodyguard wohl noch zu früh war. N solcher Fall war, als n paar Fuzzis sich nach der Disco die Fäuste an Mindes Segelohren abreiben wollten. Sagten, er hat die Tusse von einem von ihnen angebaggert, obwohl sie eigentlich nur schlecht drauf waren. Ich aber war gleich ganz aggro drauf, und das nicht nur, weil die Minde anmachten. Wie Tadas Blinda, unsern Robin Hood, befällt mich manchmal so n bescheuerter Gerechtigkeitsfimmel, wenn ich sehe, wie sich ne Gruppe von Arschgesichtern aus heiterem Himmel vor lauter Langeweile über nen Typen lustig macht. Nach kurzem Gezanke, während dem sie ihn weiter weg von der Schule drängten, verpassten sie ihm eins auf die Lippe – das Blut quoll hervor. Ich sofort ihrem Obermacker eins in die Fresse, der hatte so was natürlich nicht erwartet und ging zu Boden. Bewegung kam in die Gaffermenge, weißte, jetzt gibts gleich ne richtige Klopperei und nicht nur n paar in die Eier. Die brachtens Maul nicht mehr zu vor Staunen, während sich bei mir die Zunge lockerte:

Was labert ihr Schwuchteln da von Opfern – ihr sammelt eure Siebensachen jetzt ein, aber n bisschen dalli, und macht nen Abgang, schrie ich, ohne zu überlegen, Hauptsache, es klang wie Kriegsgeschrei und ich stinksauer. Ohne Warnung verpasste ich noch einem von diesen Armleuchtern eins mitm Fuß vor die Rübe, bevor er sich wieder einkriegte und checkte, was hier ablief. Die Menge wogte hin und her, alle waren happy und schienen vor Freude gleich ne Schlägerei starten zu wollen. Aber dann hörte man das Klirren von ner Kette, und Minde und ich nahmen wie nachm Startschuss die Beine untern Arm. Hinter uns hörten wir außer den Ketten noch Schwüre, dass sie uns erwischen und uns ne tüchtige Abreibung verpassen, dass sie uns kennen und wir nicht wissen, mit wem wirs aufgenommen haben. Wie immer nur leere Worte des Selbsttrostes.

Der Zug ratterte los, alle redeten wie immer übers Geschäft, nur ich schaute durchs Fenster auf die grauen Felder, und in meinem Kopf schwabbelte n grauer Brei. Immer die gleiche Platte: Ich stecke tief in der Scheiße, wie soll ich die Knete zurückgeben, was tun mit den Klunkern. In meinem Kopf stellte ich schon ne Liste der Tussen zusammen, denen ich sie verticken wollte. Zuoberst standen die mit Alten, die Kohle hatten. Minde schaute durchs andere Fenster, aber er dachte wohl ganz ähnlich. Unser Plan B mit den Klunkern aber wirkte schon jetzt völlig utopisch.

Die Chroniken des Südviertels

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