Читать книгу Die Chroniken des Südviertels - Rimantas Kmita - Страница 13
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Dad musste ich doch erzählen, wo die Würste verschwunden waren. Ich versuchte ihm weiszumachen, dass ich die Schulden abbezahlen würde, doch er winkte ab. Ich kapierte, dass ich die Knete nicht zurückgeben musste, aber auch keinen Cent mehr von ihm kriegen würde. Von den Ohrringen sagte ich ihm nix, denn die kamen mir selbst bescheuert vor.
Minde hatte irgendwo nen ganzen Haufen Popcorn-Magazine aufgetrieben. Ich blätterte darin und hirnte, wie ich diese Klunker absetzen konnte. Ich las was über Metallica, Guns N’ Roses und ähnliche Langhaartypen. Bei uns trieben die sich an den Straßenrändern oder in Kellern rum, aber da, sieh nur, mit was für Kohle die um sich warfen. So viel machte nicht mal unser Baranis. Wenn die sich in Šiauliai auf der Straße blicken ließen, dann kämen sie nicht ohne Abreibung davon. Irgendwie hatte ich das Gefühl, n bisschen Abwechslung an meiner Wand würde nicht schaden. Also hängte ich neben Rambo, SEL, Kris Kross und n paar Mädchen am Strand zwei von diesen Langhaartypen – Bon Jovi und Metallica.
Seit kurzem wusste ich, dass Kris Kross hier nicht nur mir gefiel. Im Training erwähnte ich beiläufig, dass ich ne Originalkassette von denen aus Polen mitgebracht hatte. Kris Kross konnte man auch hier in Šiauliai bekommen, aber im besten Fall als Kopie auf ner BASF-Kassette mit maschinengeschriebener Songliste drauf. Meine aber war von VOX MAD, aufm Cover n Farbfoto, na, alles so, wies sein musste. Original. Vom Markt in Polen. Vaiduks war Feuer und Flamme, verkauf sie mir, die muss ich haben. Wer Rap hört, ist cool, aber wenn du so ne Originalkassette hast, dann landeste sofort im Olymp der Obercoolen. Unverkäuflich, sagte ich, die brauch ich selber. Mir gefallen Kris Kross auch. Und ich wollte sie wirklich nicht verkaufen. Komm schon, verkauf mir deine Kris Kross. Ja, die habe ich, sagte ich zu ihm, was machste dich hier zum Affen. Ich habe sie und du nicht. Als wir aber übern vierfachen Preis sprachen, da musste ich überlegen. Seine Eltern hatten Geld wie Heu, also schraubte ich den Preis schamlos hoch, verkaufte das Teil und bereute es nicht. Nicht n einziges Mal. Ich fühlte mich besser und konnte mich an die Arbeit machen.
Hier begann mein langsamer und eher verzweifelter Weg aus der Scheiße. Mit der Losung »Wer hat, der kauft!« versuchten wir unseren Blechschmuck bei den Mädels aus der Klasse und ihren Freundinnen loszuwerden. Die Ohrringe bestanden aus kleinen Teilen, zu so ner Pyramide zusammengefügt und mit so Dingern dran, die wie kleine Eiszapfen aussahen. Ich band den Tussen den Bären auf, dass die von meiner seligen Großmutter sind und ich nur n einziges Paar habe. Die sind wahrscheinlich echt, sagte ich, das heißt aus Gold, was weiß ich. Zu Omas Zeiten gab es ja nur echtes Gold. Und ich brauche unbedingt Geld. Eine von den Schlaueren fragte, ob meine Großmutter vielleicht ne Zigeunerin war, dass sie solche Klunker trug. Aber ich gab mir alle Mühe, sie den Schlaueren gar nicht anzubieten. Du gehst zu so einer voller Sommersprossen, die Angst hat, in die Disco zu gehen, und wenn sie trotzdem kommt, dann steht sie die ganze Zeit in der Ecke, schaut den anderen beim Tanzen zu und träumt von so nem Prinzen, der auf seinem weißen Pferd schnurstracks in ihre Ecke galoppiert … Also, du gehst zu so einer und lügst ihr das Blaue vom Himmel: Die Klunker sind wirklich günstig, anderswo zahlste mehr, als ich die bekommen habe, dachte ich sofort an dich, denn die passen so gut zu dir, du wirst n ganz neuer Mensch sein damit, und du weißt ja selbst, dass die anderen voll scharf sind auf diese Ohrringe, wenn du die trägst, biste sofort ne coole Tusse …
Ein paar davon wurde ich los, wenn auch mit viel Mühe. Der Plan, es zuerst bei den Tussen zu versuchen, deren Eltern am meisten Kohle hatten, stellte sich als bescheuert heraus, denn die ließen sich durch die Blechteile gar nicht beeindrucken. Die mit weniger Knete würden sie ja nehmen, aber für die waren sie zu teuer. Ich konnte sie ja nicht für weniger als zwei Bucks weggeben. Das Leben ist grausam …
Mit den Mädels aus der Klasse waren keine guten Geschäfte zu machen, denn die wollten ja nicht mit denselben Klunkern rumlaufen, und wenn doch, so würden sie die einander ausborgen. Bei mir zu Hause aber lagen noch Berge von Klunkern rum, also bot ich die bei n paar von den Kommerzshops an. Okay, sagten die, aber wir brauchen nen richtigen Ausweis, der Schülerausweis reicht nicht. Also musste ich mit Dad herkommen, der seinen Pass vorzeigte, und auch beim Preis musste ich ganz schön nachgeben, damit auch sie Gewinn machen konnten. Minde wollte den Eltern nix davon erzählen, also sagte er zu mir, nimm meine fürn Drittel. Nein, du siehst doch, dass die nicht laufen, bist wohl nur zu faul zum Verticken? Ach, scheiß auf diese Klunker aus Falschgold, Gold kann ich selbst machen, meinte er. Gold ist doch n chemischer Stoff, n Metall, oder? Er hatte sich aus Holland n Buch kommen lassen, in dem stand, wie man Gold herstellt. Wenn schon die alten Ägypter das konnten, warum sollte das dann im zwanzigsten Jahrhundert nicht gelingen? Man musste sich nur ranhalten.
»Halt du dich nur ran. Aber wer hat in Riga schon wieder Märchen von Investitionen, immerwährender Nachfrage und der Sahara erzählt? Irgendwie sehe ich keine Durstigen hier, aber du gehst jetzt ganz ruhig für dich dieses Gold herstellen? Damit hätteste beginnen sollen. Oder schaff dir doch lieber nen Gold scheißenden Esel an. Den musste nur füttern und weiter nix. Nach Riga kann ich auch alleine fahren …«
»Wären wir zu den Hallen gegangen, dann hätten wir alles im Nu verkauft, aber nein, wir musstens ja unter der Brücke versuchen …«
»Schon gut, wenn du so n gescheiter Kerl bist und wirklich Gold herstellst, dann kannste mit Prophezeien anfangen.«
Also blieb mir noch der Markt. Sich dort die Beine in den Bauch zu stehen war gar nicht lustig. Aus irgendnem Grund hatte ich nicht die geringste Lust, dass mich n Nachbar oder n Bekannter dort mit diesen Klunkern in der Hand sieht. Aber man gewöhnt sich an alles. Als ich meine Mathelehrerin Wollsocken verkaufen sah, da schämte ich mich nicht mehr. Ganz Šiauliai arbeitete hier. Aber dieser Paukerin mit den Formeln wollte nix gelingen. Kein Riecher. Ob bei der Berufswahl, bei der Partei oder bei der Ware, die sie aufm Markt verhökern wollte. Wollsocken kurz vor Sommeranfang … Diese Lehrerin hatte einst im Korridor Jagd auf uns gemacht und uns angefaucht, wir sollten die Pionierkrawatten umbinden. N paar von uns trugen die nicht mehr, denn die schnürten echt den Hals zusammen, und außerdem musste man die vor dem Turnen abnehmen und danach wieder umbinden – noch nicht wieder auf normaler Betriebstemperatur und du musst dich mit diesem Würgeteil foltern … Jetzt aber hält uns diese Lehrerin bei jeder Gelegenheit die litauische Trikolore unter die Nase und treibt uns zu Veranstaltungen zum Lobe der litauischen Großfürsten oder von Kudirka, dem Autor der Nationalhymne. Ist das nicht ne zu plötzliche Wende in ihrem Alter? Die sitzt jetzt sicher auch noch in der Kirche in der vordersten Reihe. In den wenigen Jahren seit der Unabhängigkeit hat die ihre Flagge schon so abgenutzt, dass sie sich kaum mehr von der früheren einfarbigen unterscheidet.
Ich als Teenie verband den Sąjūdis, die litauische Unabhängigkeitsbewegung, mit neuen Farben, neuen Abzeichen am Revers des Jacketts und, ja, auch ner neuen Art von Stimmung. Neben dem Abzeichen des Sąjūdis trug ich am selben Kragen noch n Perestroika-Abzeichen und am anderen Sabrina und Stallone. Fast keine Politik. In unserem Block gab es keine Russen, also auch keinen Zoff. Deshalb stand auch außer Zweifel, dass alles litauisch sein musste. Und irgendwie sah es auch so aus, dass alles seit jeher litauisch war, nur sprach niemand darüber. Mit Russen traf ich nie zusammen. Bei den Turnieren spielten wir gegen Letten, Ukrainer, Polen, Deutsche, Rumänen, aber nicht gegen Russen. Ich erinnere mich noch, wie ich im Fernsehen sah, dass am Parlament die neue Flagge gehisst wurde – farbig, schön, alles schien sich zum Besseren zu wenden – jetzt wirds bunter.
Und wirklich, neue Farben sind in unser Leben gekommen. Und neue Geschmäcker. Bananen, Coca-Cola, Bounty, Snickers, Mars an jeder Ecke. Aber die kosteten horrende Summen. Wichtig war jetzt, aus diesem vorübergehenden Tief rauszukommen. Also stehe ich da und sage wie das Ave-Maria auf: ND, LD, OC und JH … ND, LD, OC, JH … So geht der Seriennummern-Rosenkranz der gefälschten Talonai. Auch die Farben der Scheine sind jetzt viel bunter. Die Tiere des Waldes haben den Lenin abgelöst, denn für den Litauer ist der Wald Lenin, die Kirche und alle Fürsten zusammengenommen, zumindest hat man uns in der Penne so was erzählt, als wir den Hain von Anykščiai durchnahmen. Aber diese Talonai werden jetzt in Massen gefälscht … Mir scheint fast, die nehmen einfach ne Rolle Klopapier und drucken die. Alle sind in Panik, es vergeht kein Tag, an dem nicht Zeitungen und Fernsehen neue Fälle melden. Am liebsten haben die Fälscher die Fünfhunderter-Bären. Ein Bär gleich ein Dollar. Deshalb muss man die Seriennummern der Bären wie das Vaterunser auswendig kennen. Und wenn man mir so n Scheinchen in die Hand drückt, dann halt ichs ins Sonnenlicht, dreh und wendes lange hin und her und versuche dort was zu sehen, obwohls bei diesem Geld nix zu sehen gibt.
Dafür kapierte ich aufm Markt was Wichtiges schon sehr bald. Hier gabs keine Preisangaben. Das war nicht das Theatercafé, wo die Preise auf ner metallenen Speisekarte, die so n Gentleman mit Zylinder hielt, eingehämmert, genauer gesagt eingefräst waren. Die Preise aufm Markt geistern eher wie Gespenster in den Köpfen rum. Und wenn die in etwa übereinstimmen, dann wird gekauft. Wenn du nur Kartoffeln oder Karotten im Angebot hast, dann gilt das natürlich nicht, von denen haben ja auch viele andere, aber bei Waren, die sonst niemand hat, gibts ne einfache Standardprozedur. Du sprichst wie n erfahrener Juwelier, siehst den Käufer n bisschen von oben herab an, denn wenn er dich fragt, ob das echtes Gold ist, dann kannste ihm erklären, wie man echtes von falschem Gold unterscheidet. Das tust du dann und zeigst ihm, dass deine Blechdinger wirklich aus echtem Gold gefertigt sind. Wenn er nämlich so was fragt, dann kannste dir sicher sein, dass du ihm erzählen kannst, was immer du willst – er hat ja von Tuten und Blasen keine Ahnung. Und dann sagst du wie beiläufig, dass du in Riga warst, da verkaufen die solche Teile doppelt so teuer – ja, wer sollte die auch für solches Geld kaufen, aber die gehen dort weg … Wenn so ne Tusse kaufen möchte, aber sich einfach nicht entscheiden kann, dann schwärmste ihr vor, wie gut die Teile zu ihrer Haarfarbe und zur Form ihrer Ohren passen. Sie hat sicher noch nie über die Form ihrer Ohren nachgedacht, und auch kein Mann hat je was dazu gesagt, aber hier, der subtile Verkäufer, der tut es, ihr wird ganz warm ums Herz und sie zieht den Geldbeutel hervor.
Andere fragen nur nachm Preis und werden, wenn sie ihn hören, ganz konkret – Idiot. Da gibts nix abzustreiten. Da sagste nur leise, dass die anderen es hören, er aber nicht, so was wie: Zeig mir doch, wo du das billiger kriegst, der sucht wohl selbst nachm Döskopp und so weiter. Es gibt sogar welche, die fragen nach dem Preis, zücken das Portemonnaie und bezahlen. Und auf Wiedersehn. Die finden wohl, der Preis ist genau richtig. Diese Art von Zusammentreffen der Kopfgespinster ist am angenehmsten, aber so selten, dass mans in die Liste der bedrohten Arten aufnehmen müsste. Der Preis bedeutet fast nix. Jeder hat seinen Käufer. Wenn bei den Billigheimern alles ausverkauft ist, kaufen die Leute auch bei den teureren alles leer. Es finden sich immer Blödmänner, die das Dreifache bezahlen. Und n paar von denen glauben noch, wenn sie mehr bezahlen, kaufen sie auch was Besseres.
Aber Markt war nur selten und nur am Morgen, und fürn Abend musste man sich was anderes ausdenken. Ich hatte n paar Bucks in der Tasche und dachte, während ich durch die Warenlager strich, die direkt verkauften, ich nehm nen Karton Wodka Magic Crystal mit. Da hau ich dann n wenig drauf und verticke sie – bei mir ist der dann auf jeden Fall billiger als im Laden. Macht dich nicht reich, klar, aber gar nicht so übel. Ich kenne da n paar ganz Durstige, die ohne Magic Crystal keinen Abend rumbringen, und warum in die Nachtbar latschen, wenn dus beim Nachbarn billiger bekommst? Ich versprach mir nicht viel davon, aber die Sache kam so in Fahrt, dass ich kartonweise Stoff aus dem Warenlager anschleppte – so viel ich tragen konnte.
Erst kamen nur Bekannte zu mir, um zu kaufen, dann auch völlig Unbekannte. Als sich vollgepisste Alkis vor unserer Tür rumtrieben, sagten meine Alten, ich solle dieses Business für Omas an den Nagel hängen. Sie hatten mich schnell überzeugt. Solange das Geschäft ruhig läuft, ist alles im grünen Bereich, aber wenn die Alkis langsam Schlange stehen, musste jeden Augenblick mit Besuch von den Bullen rechnen. Und dann musste dich entscheiden: Entweder du nimmst dein Business ernst oder dann hängstes an den Nagel. Viel Kohle machste nicht damit, es sei denn, du bringst jeden Tag ne Palette davon an den Mann – dann spürste was. Also gab ich mein neues Business auf, aber zwei Wochen lang oder so klingelten diese Alkis noch an der Tür und regten sich auf – sei nicht so n Arsch, komm, rück schon damit raus. Das Hirn im Alk ertränkt, verstanden nicht mal mehr Litauisch. Also schickte ich sie auf Russisch weit weg. Das kapierten sie dann.
Während ich mich mit diesen Klunkern und Alkis abmühte, verloren die Letten völlig den Verstand. Führten Zölle ein und begannen Märkte und Züge zu durchkämmen. Zweihundert Grenzer ließen die auf einen einzigen Zug los, die knallten dann Stempel für Stempel in die Pässe, Tür zu nach Lettland. Und wenn du trotzdem mit deinen Brotlaiben bei ihnen anklopfst, dann sitzt du für drei bis sieben Jahre ein. Jeder darf nur so viel Essen mitführen, wie er für einen Tag braucht. Sie durchsuchen jeden Zug und halten ihn so lange auf, wies sein muss – alles von den Ministerien abgesegnet. Den Minderjährigen nehmen sie sogar Geburtsschein und Schülerausweis weg bei der Durchsuchung. N ganz mutiger Papa schimpfte: Was sollen wir denn tun, was durchsucht ihr uns, geht besser zu den Kleinlastwagen an der Grenze und durchsucht die, hier, schaut doch, diese Leute sind am Verhungern, und überhaupt, geben Sie meiner Tochter ihre Dokumente zurück, sie darf sich nicht aufregen, sie hat Epilepsie …
Da habt ihrs: Epileptiker schmuggeln Waren nach Lettland und verticken sie ohne Genehmigung auf den Märkten. Und regen sich kein bisschen auf, sind ruhig wie n tiefer See. Nur wenn man ihnen die Ausweise wegnimmt, dann bekommen sie gleich nen Anfall. Clowns. Aber was ist jetzt schon so n Ausweis? Es gibt Leute, die lassen, wenn sie sehen, dass Gefahr im Anzug ist, ihre vollen Taschen samt den alten Pässen, die ja schon bald durch neue, litauische ersetzt würden, stehen und nehmen die Beine unter die Arme. Wer weder nen alten noch nen neuen Pass hat, sondern nur diesen Wisch, der die Annahme der litauischen Staatsbürgerschaft bestätigt, den lassen die auch nicht mehr rein. Oder dann muss er n Foto reinkleben und von der Polizei abstempeln lassen. Die Letten nehmen jetzt die Warendeklaration ganz ernst. Wenn ich nur schon daran denke … Und natürlich musste Zoll bezahlen … Das ist ganz übel. Ich kannte das von meiner Mutter her – sie ist bei uns zu Hause nämlich so was wie der Zoll: Wenn du dir was beschafft hast, dann musstes deklarieren.
Im Herbst und im Winter liefen alle mit so coolen grauen Jacken rum, wo aufm Rücken Los Angeles Kings stand. Wahrscheinlich wusste keiner von denen, wer diese Kings waren (Eishockey und dann auch noch in Amerika, das ging hier allen am Arsch vorbei), und verwechselten sie mit den Lakers, aber alle liefen mit diesen Jacken durch die Gegend. Dann spielt es keine Rolle, wer diese Kings sind, und du brauchst unbedingt auch so eine. Ich bin zu faul, um euch hier zu erzählen, wie ich so eine aufgetrieben habe, Hauptsache, dass Mum, als ich damit und mit den geilsten Rap-Rhythmen im Herzen nach Hause kam, als Erstes fragte, wo ich die herhabe. Genau das ist das Wichtigste an der Deklaration, wie ich sie mir vorstelle. Und dann beginnt die Märchenstunde:
»Ach, die hat mir einer aus der Klasse zum Ausprobieren gegeben.«
»Zum Ausprobieren? Wer denn?«
»Remyga.«
»Ich rufe seine Mutter an.«
»Na gut, er hat sie mir nicht geliehen, sondern für Plakate hergegeben.«
»Und woher du diese Plakate hast, das hast du mir auch nicht gesagt.«
»Hab ich doch, die soll ich verkaufen. Für jedes bekomme ich zwanzig Cent.«
»Also, verstehe ich recht, du sollst die verkaufen und hast sie gegen eine Jacke eingetauscht? Wie willst du den Plakatbesitzern denn jetzt das Geld zurückgeben?«
»Ich hab doch schon viele verkauft, da kann ich die Schulden easy bezahlen. Die Philatelisten lassen die Marken links liegen und kaufen diese Plakate.«
Wie am echten Zoll kannste mit solchen Märchen niemanden überzeugen. Im Unterschied zum Staatsdiener lässt sich aber die Hauszöllnerin nicht bestechen. Meine Mum rief also Remygas Mutter an, die kam her, nahm die Jacke mit, und ich kehrte nicht nur auf denselben Level zurück, sondern durfte ne Stufe weiter unten neu anfangen und mir außerdem noch die Moralpredigt anhören, dass mit diesen Plakaten jetzt Schluss ist und noch viel so Gelaber. Noch weniger Luft und der Hausarrest strenger. Aber ich schwieg und verriet nicht, wie Remyga an diese Jacke gekommen war.
So war das, das Regime der lettischen Zöllner ganz und gar unmenschlich und das Business aus – zumindest für ne Weile. Also musste ich vor Ort schauen, wie ich durchkam. Und zwar ohne Panik. Die Ohrringe brachten zumindest so viel ein, wie ich reingesteckt hatte, und auch der Magic Crystal wirkte zwar nicht Wunder, aber immerhin steckte ich nicht mehr bis zum Hals in der Scheiße.
Ein Wunder vollbrachte dagegen unser Trainer. Er organisierte ne Turnierteilnahme. Nicht zu Hause, nicht in Riga, nicht in der Ukraine. Und nicht mal in Polen. In Deutschland! Und nicht in der früheren DDR, sondern im Westen! Leute, es geht nach Hannover!