Читать книгу Die Chroniken des Südviertels - Rimantas Kmita - Страница 8

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Wir beschlossen, die Plakate erst mal bei unseren Bekannten loszuschlagen. Dann würden wir schon sehen, wie die drauf reagieren, wer wie viel bezahlen will, und was sie ganz allgemein dazu sagen. Den Preis schraubten wir schamlos hoch, aber niemand machte n Drama draus. Keiner hatte je so n Plakat gesehen und schon gar keins zu Hause hängen. Aber stell dir mal vor: Du kommst ins Zimmer, und da hängt über die halbe Wand Van Damme. N ganz anderes Level als ne Wand voller Poster von der Größe einer Heftseite. Mein Cousin, mit dem wir die Muckis trainierten, nahm gleich n paar. Da leuchtete seine Muckibude sofort, die Wände nicht mehr zugepflastert, sondern alles schön sauber, und die ganze Wand einfach allererste Sahne. Und dann checkste, dass du dich hier nicht wegen der Tussen abplagst, sondern weil du allen zeigen willst, wer hier der Obermacker ist, und auch weil du eigentlich gern selbst mal auf so nem Plakat landen würdest.

Die Nachricht verbreitete sich wie n Lauffeuer, andere sahen welche bei ihren Kumpels. Die erste Lieferung war schon fast ausverkauft, als wir eines Samstags bei den Briefmarkensammlern vorbeischauten. Alle möglichen Abzeichen, Marken, jemand verkaufte alte Zeitschriften, n anderer Flugzeugmodelle, alles voller Ramsch. Da hatten wir mit unserer selbsterklärenden Ware leichtes Spiel – unsere ganzen Restbestände waren im Nu weg, wir kehrten mit den Taschen voller Geld nach Hause zurück, und eines war klar: Kein Grund, sich auszuruhen, ab nach Riga, das Geld bleibt ja vor lauter Freude nicht lange liegen, und wenn das Glücksgefühl weiter anhält, dann sind unsere Taschen schon bald wieder leer.

Außerdem versprach auch das Horoskop nur Gutes. Ich glaube natürlich nicht daran, aber ich lese es doch. Warum nicht n wenig die Laune aufbessern? Hier schrieb ne gewisse Angelina Zalatoriene was über die, die während der Winterstürme geboren sind: Du bist zur Welt gekommen und die Welt braucht dich, kann ganz einfach nicht ohne dich. Du musst nur leben, dich freuen und auf deiner Welle reiten … Ins Schwarze getroffen. Selbst wenn wir auch ohne Horoskop wussten, dass wir nicht lange fackeln und die Welle reiten sollten. Und da die Sterne mit uns waren, flutschte alles nur so. Wir nahmen keine Ware nach Riga mit, sondern fuhren wie Touristen, strahlten über beide Ohren. N seltsames Gefühl, keine Angst und keinen Grund zum Bibbern zu haben. Wenn jemand uns bat, ne kleine Tasche mit Brot für ihn über die Grenze zu bringen, sagten wir, wir haben unser eigenes und es ist nicht sein Bier, wo wir es hingesteckt haben. Und das Tollste daran: Ich hatte schon n wenig Kohle gebunkert, und wenn das so weiterging, dann würde ich mir schon bald ne Lederjacke leisten können.

Was Besseres als ne Lederjacke gibts nicht. Oder ist vielleicht jemand anderer Meinung. Ne Lederjacke ist solide. Da sieht man, dass du seriös bist. Das kennt man doch ausm Film: Agenten, Detektive und ähnliche Typen tragen stets ne Lederjacke. Oder auch eine aus Kunstleder. Die kann man hinstellen und sie steht. Aber beim Kunstleder muss man dauernd auf der Hut sein, dass es nicht bricht oder Risse kriegt. Und was gibts noch für Jacken? Raschelparka? Und die mit den Daunen, na die für die Tundra, aber die sind schon fast aus der Mode gekommen. Konkurrenz machen den Lederjacken allenfalls noch die von den Chicago Bulls oder den Los Angeles Kings. Die gibts jetzt bei uns, sind n Modetrend. Lederjacken aber sind zeitlos. Und die gefallen mir. Die aus echtem Leder kannste einfach nicht abtragen, es sei denn, irgendn Idiot zerschnippelt sie dir. Und das ist die einzige Jacke, die ihren Duft hat, sie riecht nach Wildnis, und davon wird man ganz high. Wenn du weißt, dass du kein Kunstleder, sondern echtes auf der Haut trägst, fühlste dich wie n Jäger. Stimmt, die sind meist aus Schweinsleder, aber wisst ihr – man sagt doch, das Schwein ist das klügste Tier, also kein Grund zum Wiehern. Es lacht ja auch keiner, es laufen doch alle mit Schweinsleder rum, denn für was Besseres fehlt ihnen die Kohle. Und wenn du sie nicht länger befingerst, dann merkste auch keinen Unterschied.

Am folgenden Samstag im Briefmarkensammlerklub dachten wir, das sind komische Vögel hier, aber als wir auch ne Woche später wieder nix losbrachten, dämmerte uns, dass dieser Klub schon mit unseren Plakaten versorgt war, also blieb uns nix anderes übrig, als in die oberste Liga zu wechseln. Wir warfen n Stück Karton am Eingang zum Markt aufn Boden und breiteten die Plakate darauf aus, damit sie nicht nass wurden. Wir hatten keinen Tisch oder was in der Art. Aller Anfang ist schwer, die Leute kamen, fragten, wie teuer, und verdufteten wieder. Und wenn sich bei dir keine Traube bildet, dann gehen alle an dir vorüber, als wärste gar nicht da. Wenn sich aber Grüppchen versammeln, dann kommen immer mehr Gaffer dazu – wie ne Lawine. Offenbar passten die Preise dem Publikum nicht – in drei Stunden wurden wir ganze zwei Plakate los. Aber wir mussten froh sein, dass uns niemand anmachte. Wahrscheinlich dachten sie sich, da stehen nur n paar Milchbubis rum, die sind ganz durchn Wind, die sind schnell wieder weg. Aber die Typen neben uns, die gehörten zu den alten Hasen, wann immer ich zum Markt ging, sah ich sie. Die hätten zu uns sagen können: Packt eure Fetzen zusammen und dann macht die Fliege. Obwohl sie es waren, die Fetzen vertickten, Plakätchen so groß wie zwei Heftseiten, die kosteten natürlich weniger, aber alles nur Mist. Und doch drängten sich die Leute bei ihnen, weil sie ihre Plakate mit abfotografierten nackten Weibern vollgekleistert hatten.

Ich überließ Minde meine Plakate und latschte zu ihrem Tisch, um ihnen über die Schulter zu gucken und nachzusehen, was die dort aus den Taschen hervorzogen. Arbeiten von Meisterfotografen – mehrmals abgelichtete Karten, für die sie das Mehrfache vom Preis unserer Plakate verlangten. Aber ich hätte nie im Leben gefragt, ob ich die Karten in die Hände nehmen darf, und von Kaufen war schon gar keine Rede – wo hätte ich die denn vor meinen Alten verstecken sollen. Alle redeten nur andauernd von Porno, aber irgendwie hatte ich noch nie was in der Art gesehen, niemand hatte mich bisher zu sich eingeladen, um gemeinsam n ausgeliehenes Video reinzuziehen, deshalb glaubte ich, dass hier alle den Anglern glichen, die andauernd mit ihren Fängen angeben, die aber noch nie jemand gesehen hatte. Oder dann hatte ich einfach kein Glück gehabt. Wenn man ne nackte Tusse live sehen wollte, dann musste man am Wochenende oder so zu den Studis ins Wohnheim, wenn dort n paar von ihnen duschten, und sich reinschleichen. Also, einfach n Unglücksrabe. Und was am interessantesten war – die Frauen auf diesen Karten schauten dir zwar direkt in die Augen und man glaubte fast, sie würden dich mitm Zeigefinger zu sich winken, aber sie sahen scheiße und irgendwie falsch aus. Ich konnte nicht glauben, dass sie echt waren. Was heißt hier echt, selbst die, die spät abends auf RTL oder SAT1 übern Bildschirm flimmerten, auch die waren echter.

So oder so, während ich diese Karten anstarrte, wurde mir eins klar: Das Rumfummeln mit den Mädchen aus meiner Klasse hinter dem Schrank gehörte der Vergangenheit an. Auch wenn mich der Gedanke daran ganz sentimental machte. Es gab ne Zeit, da kneteten wir einander dort in jeder Pause durch, jeweils etwa fünf Pärchen. Und in der nächsten Pause Schichtwechsel. Wir lernten die Besonderheiten der weiblichen Unterwäsche kennen, trieben den Blutkreislauf in die Höhe und trainierten gleichzeitig die Muckis, denn alle Mädchen zappelten wie die Fische. Auch sie mussten ja trainieren, nämlich wie man den Typen entkam, die sie umklammerten, auf jede erdenkliche Weise zu küssen versuchten und dabei auch noch nen Haufen Unsinn laberten. Das war ne merkwürdige Abart des Ringens mit eigenen Regeln und eigenem Punktesystem. Die Kerle vergaben sich in Gedanken Punkte, wenn ihre ganze Hand auf die Brust, aufn Po oder irgendwo unter die Kleider auf die Haut wanderte, und natürlich auch für nen Kuss. Das Punktesystem der Mädchen begriff ich dagegen nur im Ansatz. Klar war, dass es ganz viele Punkte dafür gab, wenn sie sich befreiten und hinter dem Schrank hervor ins Klassenzimmer entkamen. Andere Punkte gab es je nachdem, was für ne Strategie und was fürn Ziel die Tusse verfolgte: die Schüchterne zu spielen und sich dann doch befummeln zu lassen, sich zu sträuben und sich dann rauszuwinden oder sich ganz einfach möglichst schnell zu befreien. Da gab es dann Punkte für die Zeit, die sie den Typen hinhielt, die falschen Hoffnungen, die Beherrschung seiner Emotionen und die nüchterne Einschätzung der Lage.

Und beim Judo in der Berufsschule um die Ecke sagte der Trainer manchmal, ich solle mit den älteren Mädchen trainieren. Damit sie sich nicht nur gegenseitig, sondern auch mit den Jungs ausprobierten. Da schloss ich zum ersten Mal Bekanntschaft mit dem Oberkörper der Mädels. Ohne Ringkampf kam man da nicht ran, das war klar. Wir packten einander also am Kimono, der Griff fest genug, damit ich sie auch ganz sicher nicht losließ, und zack, da flog ich auch schon über ihren Hintern und dann legte sie sich auf mich – ich bekam kaum Luft, aber jede Sekunde wurde mir wärmer, und ich wünschte sehnlichst, sich hätte mich für immer so fixiert. Das war natürlich ne ganz interessante Sache. Sollte ich sie mit aller Kraft an den Titten packen und auf die Tatami werfen? Aber du weißt, wenn du oben bist, kontrollierste die Lage und die Zeit, die du damit verbringst, diese ganze wabbelnde Masse in Schach zu halten, die dir so fremd ist und die unterm Kimono auch noch n weißes T-Shirt in Form hält. Deshalb führte uns der Durst nach Erkenntnis auf direktem Weg zum Ziel und es gab keine Zweifel, dass wir das Gute vor uns hatten.

Sowohl die Judokämpferinnen als auch die coolen Mädchen aus unserer Klasse sahen in uns nur Sparringpartner. Sie trainierten mit uns, neckten uns, aber für Ernsteres waren die älteren Kerle zuständig. Von uns Jungs hatte keiner ne Freundin. Wir hatten so was von keine Freundin, dass wir nicht einmal darüber laberten. Höchste Zeit für ne Lösung des Problems, kein Grund, es auf die lange Bank zu schieben. Das Training war okay, der Markt auch, aber ohne Freundin biste nun mal einfach kein richtiger Kerl. Ohne Tussi biste n Kind, auch wenn dein Bart schon sprießt.

So war das, der Bart spross schon, und wir fummelten noch immer nur rum, begnügten uns mit Zungenküssen und so was. Als ich aufm Markt diese Karten anstarrte, kapierte ich, dass ich in meinem Leben was noch nicht geschnallt hatte. Ohne das es einfach nicht ging. Obwohl ich, wenn ich ehrlich war, auch n bisschen Schiss hatte. Aus einem Buch mit dem Titel Im Namen der Liebe, das meine Eltern zum Schein versteckt aufbewahrten, aber so, dass ich auch ohne Absicht drüberstolperte, hatte ich gelernt, dass die Sache ganz schwierig und ernst – und heilig war. Zwar wurde dort das Kommunistische Manifest zitiert, aber sie war heilig, auch ohne Gott. Überhaupt nicht so wie diese Karten. Dort sah alles, wenn nicht einfach, so doch verlockend aus. Und im Buch stand geschrieben, dass n zu früh verführtes Mädchen sich dem Einfluss zufälliger Männerbekanntschaften hingeben könnte und dass n zu häufiger Wechsel der Männer womöglich zu Gebärmutterkrebs führt. Aber ich hatte keine Gebärmutter und in meinem Kopf schwirrte der Gedanke rum, dass ich diese Burg stürmen müsse. Genau, wie n Ritter im Mittelalter. Und wenn mans genauer betrachtete, dann hatten wir was von diesen Rittern. Mutig, stark, gewandt – nur die Mädchen eben in den Träumen und nicht im Bett.

So ging ich denn mit den Plakaten in den Händen und dem Kartenstapel im Kopf nach Hause. Da sah ich aufm Hof Edita. Sie war offenbar auch aufm Heimweg, aber als sie mich sah, hielt sie an. Ich wusste, dass ich was sagen musste.

»Hallo!«, sagte ich.

»Hallo!«

»Weißte noch, am Geburtstag haste mir n Foto von dir geschenkt? Und irgendwie hab ichs auch zum Fotografen geschafft. Kommste kurz rein? Ich schreibe auch ne Widmung für dich drauf.«

Was fürn Stuss, aber was solls. Sie lächelte und wäre wohl mit allem einverstanden gewesen, sogar wenn ich sie dazu eingeladen hätte, bei Kerzenlicht ne tote Seele heraufzubeschwören.

Edita besuchte die Berufsschule, manchmal quatschten wir n wenig. Na, nicht nur manchmal und nicht nur quatschen, wenns dunkel war. Ich spürte, dass sie beinahe in mich verknallt war. Zur von den Rittern besungenen Dame reichte es nicht ganz bei ihr. Ich würde sogar sagen, sie war ziemlich ätzend. Ihre Figur war ganz in Ordnung, aber der Kopf … peroxidblondes Haar, Föhnwelle, die dünnen Lippen blassrosa geschminkt. Und die ganze Zeit n Gesicht wie sieben Tage Regenwetter. Alles wie bei den anderen, aber die Visage passte nicht, da konnte man nix machen. Weit entfernt von denen, die ich gern gehabt hätte – so eine wie auf RTL oder auf den Plakaten. Die laufen dir aber kaum übern Weg und wenn, dann dämmert es dir, die sind nix für dich … Du spürst ihn förmlich, den unüberwindbaren Graben. Aber sich mit dem Gedanken abzufinden, dass das Leben nicht wie auf MTV ist, das fällt dir ziemlich schwer.

Kurz bevor Edita zu mir kam, blätterte ich noch mal in diesem Buch, Im Namen der Liebe, das konnte nicht schaden. Insbesondere wollte ich wissen, was und wie ichs zu tun hatte. Aber es fehlte diesem Buch an Genauigkeit. Hier: »Bezüglich der Scheide, die auf der Illustration der erogenen Zonen fehlt, ist anzufügen, dass meist ihr unterer Teil erregbar ist, insbesondere das untere Drittel der Scheide (ihre Eigenschaften sind dieselben wie die der Klitoris). Nach den Daten des sowjetischen Wissenschaftlers A. Swjadowischtsch ist bei 19 % der Frauen der obere Teil der Scheide besonders empfindlich. Bei diesen Frauen kann man eine erotische Erregung hervorrufen, indem man das hintere Scheidengewölbe rhythmisch drückt.« Was denn fürn Gewölbe? Und dann auch noch ohne Bild. Ich hatte schon langsam das Gefühl, in der Kirche zu sein. Denn hört mal her, was da über die Mucke steht: »Erotische Gefühle kann auch rhythmische Musik hervorrufen, zum Beispiel Ravels ›Bolero‹, Strawinskis ›Frühlingsweihe‹ oder Schtschedrins und Bizets Musik zum Ballett ›Carmen‹ usw. Es gibt Frauen, bei denen nur sehr melodische, sanfte, romantische Musik erotische Gefühle hervorruft. Die jungen Leute, insbesondere die Teenager, erotisieren die Rhythmen der modernen Musik in außerordentlichem Maße. Aber allein symphonische Musik, deren Rhythmus stets der gefühlvollen Melodie untertan ist, wirkt auf den Mann gleichermaßen positiv wie auf die Frau und weckt den von Gefühlen veredelten Erotismus, mit anderen Worten, die harmonische Liebe.« Hätte ich diese Mucke jetzt irgendwo hier rumliegen, ich würde sie ja gern auflegen. Ich mag Klassik, besonders mit Rhythmus, ich habe da so nen Sampler namens Hooked on Classics. Aber wenn du das Mädel unbedingt erschrecken willst oder ihr nen Streich spielen, dann könnteste auch die »Frühlingsweihe« auflegen. Der vom heiligsten Umgang erweckte Augenblick der Verschmelzung, wies im Buch stand, kann natürlich nur im überwölbten Tempel zu den Klängen der »Frühlingsweihe« stattfinden.

Mich überzeugten diese Regeln nicht. Mir kam die Welt von MTV viel echter vor, und um ihr wenigstens n klein bisschen näherzukommen, legte ich ne Kassette ein, auf die ich aus den MTV Top 100 solche, na, romantischen Songs aufgenommen hatte: Whitney Huston, aus dem Film über den Leibwächter, Michael Bolton – von dem kannste fast alles nehmen –, Duran Duran, was weiß ich, so was wie »Come Undone«, was für mich klang wie »Komm, Undine«. Und dann war da noch dieser Dicke, der sich »Fleischklops« nannte, na, alles kann ich hier nicht aufzählen. Natürlich ne Hundertzwanzig-Minuten-Kassette, damit ich sie nicht mittendrin mit einer Hand wenden musste.

Wie Darius und Girėnas mit ihrem über Deutschland gescheiterten Atlantikflug nach Kaunas, so erging es mir mit dieser Edita. Meine Eltern waren auf einer Fete und sollten etwa um Mitternacht heimkommen. Ich hatte sie nicht überreden müssen, zu mir zu kommen. Genau da begann es mir nicht mehr zu gefallen. Ich wusste, dass sies wollte, aber als sie dann einverstanden war, da passte es mir nicht. Mir wäre es lieber gewesen, sie hätte wie die Mädchen aus meiner Klasse oder die Judokämpferinnen n wenig rumgezickt. Und es passte mir auch deshalb nicht in den Kram, weil ich spürte, dass es einfach nicht flutschte. Ich hatte Musik aufgelegt, sollte ihr nun zeigen, wie sehr sie mir gefiel, aber mir ging der Gedanke einfach nicht ausm Kopf, wie armselig ich doch war, dass ich solche Mädchen anbaggerte. Und das alles nur, weil mir so n Gefühl sagte, dass ichs tun soll. Obwohl ich nicht glaubte, dass die Ritter, die für ihre inexistenten Dulcineas sangen, nicht auch mit n wenig einfacheren Jungfrauen in die Büsche verschwanden. Das war mir n Trost.

Ich reichte ihr n Glas Saft und fackelte nicht lange. Keine minutenlangen Zungenküsse, meine Hände gingen flink wie die einer Garderobenfrau zur Sache. Ne theatralische Frage aus Verlegenheit: Wann kommen deine Eltern heim?, aber es ging ohne größere Hindernisse vorwärts. Die Leggings bereiteten mir einige Schwierigkeiten, so schlüpfrig und eng anliegend waren die. Sie hattes nicht eilig, mich auszuziehen, deshalb gab ich mir auch keine große Mühe damit. Als ich sie ganz ausgepackt hatte, versuchte ich mich leicht zitternd daran zu erinnern, was ich in den Aufklärungsbroschüren gelesen hatte. Der Plural ist hier eher unangebracht, denn die physiologischen Dinge kannte ich aus der Enzyklopädie des Haushalts und alles andere, wie gesagt, aus Im Namen der Liebe. Das waren meine sämtlichen theoretischen Kenntnisse, alles andere waren Fantasien und Geschichten aus einschlägigen Heftchen wie Venera (Venus), Tik Vyrams (Nur für Männer) und 20 Centų (20 Cents). Auf letzterem gut sichtbar der Vermerk: »Nur in reifem Alter lesen, kaufen und verbreiten!« Aber wer wollte schon so lange warten?! Ich schlüpfte aus der Hose, und auch der Präser bereitete mir keine großen Probleme, der ging mir einfach nicht ausm Sinn. Condom first! Sonst vergisste ihn noch oder was. Ich hatte das Ganze schon mehrmals durchgespielt und auch schon mehr als einen verschwendet. Aber in den Kioskbuden waren die auch nicht teuer.

Als meine Hand jedoch zum Wesentlichen vordrang, wurden alle technischen Anleitungen mit einem Mal zur schöngeistigen Literatur, während meine Finger in so ne feucht-heiße Pfütze eintauchten, so als hätte ich sie in … was weiß ich denn … in Gehacktes, nur lauwarmes, gesteckt. »Ertasten Sie die Klitoris …« Dann tu das doch, wenn du so schlau bist … Wo denn genau? Das ist alles wie Frischfleisch hier … Und wo ist denn dieses Gewölbe? Wo das untere Drittel der Scheide? Und warum hatte nirgendwo gestanden, dass diese Feuchte so klebrig ist und – Vorsicht! – auch noch so nen unbekannten und schwer zu beschreibenden Geruch verbreitet? Woher sollte ich denn wissen, ob das alles so okay war?

Diese verwirrenden Dinge warfen mich n wenig aus der Bahn, und sie lag da wie n Fisch. Echt ätzend, irgendwas raffte ich wohl nicht. Genau wie ne Puppe – wehrt sich nicht, tut aber auch fast nix zur Sache. Und ich dachte, sie hätte in ihrer Berufsschule schon n bisschen Erfahrungen gesammelt und würde die Initiative übernehmen. Vielleicht hätte ich ja wirklich den »Bolero« auflegen sollen, dort stand doch, dass er sogar frigide Mädchen anturnt. Na ja, der Flöte, die dort ganz am Anfang spielt, gehorchen doch Kobras und andere Schlangen, zumindest hatte ich das in einem Trickfilm gesehen.

Und während ich zu Bon Jovi so meine liebe Mühe hatte, hörte ich, dass jemand die Tür aufschloss. Scheiße, das konnten nur meine Eltern sein. Aber wie denn? Warum? Es war doch erst kurz nach zehn! Was tun? Sie würden sowieso gleich alles kapieren, aber ich sprang wie von der Tarantel gestochen auf, dann blitzschnell in die Hose und zur Zimmertür. Ich schloss sie und blockierte sie mitm Fuß. Was tu ich denn da, bin ich denn völlig bescheuert, aber ne andere Stimme sagte mir: Und-was-verfickt-nochmal-soll-ich-denn-tun? Etwa die Tür weit aufsperren und den Alten sagen: »Oh, guten Abend, hereinspaziert, schaut, was für ne tolle Schwiegertochter ich euch vorstellen möchte!«

Ich hielt also die Tür zu, schaute sie an und verstand die Welt nicht mehr. Die lag einfach so da und hattes überhaupt nicht eilig mitm Anziehen. Hatte die noch alle? Ich konnte ihr ja nix sagen, weder laut noch leise, oder sollte ich sie ankläffen, sodass es die Alten hörten? Etwa so: Komm schon, Tempo, Tempo, anziehen, aber dalli!

Mum klopfte schon an die Tür: »Aufmachen! Wer ist dort bei dir?! Sofort aufmachen!«

»Da ist niemand«, mehr brachte ich nicht hervor. Ich zitterte am ganzen Körper. Aber selbst in diesem Moment starrte ich noch diese Edita an und war ganz baff, weil sie so weiß war. Ich bin ja auch nicht aus Jamaika und sicher genauso käsebleich. Was hatte ich denn erwartet? Was weiß ich denn. Die in der Glotze haben alle Farbe, aber die hier – schneeweiß. Und irgendwie echt, nicht so wie auf den Plakaten oder in den Heftchen, und das passte mir gar nicht in den Kram. Ich fand ihren Anblick beinahe eklig.

Ich konnte mich nicht mehr dumm stellen und »Da ist niemand!« rufen. Also gab ich die Tür frei.

Als sie das Licht anmachten, hatte sie Gott sei Dank schon das Höschen an.

Obwohl das eigentlich kaum was änderte. Aber irgendwie doch …

Ich weiß nicht, ob ich unbedingt weitererzählen muss. Ich staunte zwar nicht schlecht, dass meine Eltern zuerst sie ankläfften – als wäre ich gar nicht hier. Logisch, sie sagten, sie ist die letzte Schlampe, sie werden alles mit ihren Eltern besprechen, ob sie denn noch ganz bei Verstand ist, sie ist älter, aber sie denkt kein bisschen daran, was sie da tut und wie das alles enden könnte. Und immer weiter, bis sie sich ganz angezogen hatte und durch die Tür abrauschte.

Dann knöpften sie sich mich vor.

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