Читать книгу Schluss, Aus, Vorbei! - Rita Brockmann-Wiese - Страница 10

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Kapitel 3

Dann geh’ ich in den Rhein

In ihrer kleinen braunen Handtasche mit Clipverschluss bewahrte sie Schlüssel und Portemonnaie auf, dazu einen Flakon mit Chanel No. 5, Pfefferminzbonbons und ein Taschentuch mit Häkelspitze. Ihre Handtasche bot ihr Sicherheit. Sie war ihre Waffe, die sie zückte, wann immer es gefährlich wurde, und das wurde es, wenn ihr Mann von Trennung oder gar Scheidung sprach.

Auch der Richter, der sie nur vorsichtig danach fragte, ob denn ihrem Mann nach fünf Jahren Trennung nicht das Recht auf Scheidung zustehe, bekam zu sehen, wie sie die Handtasche halfterte, und zu hören, wie sie ihren ominösen Satz sagte: »Dann geh’ ich eben in den Rhein!«

Mit diesem Satz hatte sie sich vom Leib gehalten, was sie als ultimative Bedrohung empfand: das Ende ihrer Ehe. Ihr Mann hatte aufgehört zu zählen, wie oft sie den Satz mit dem Rhein ausstieß. Mal tränenerstickt, mal gelassen. Sie konnte ihn beiläufig aussprechen als unumstößliche Tatsache, aber auch wuterfüllt oder leise wie zum Abschied. Sie beherrschte die ganze Klaviatur, um ihren Mann an sich zu fesseln, wann immer er sich befreien wollte. Er gab nach. Er lenkte ein. Er bekam es mit der Angst zu tun, sobald sie mit Selbstmord drohte, darauf konnte sie sich verlassen. Der Satz erfüllte seinen Zweck.

Sie kannte ihren Mann lange genug. Seine Stärke bestand darin, dass er sie ertrug. Seine Schwäche bestand in seiner Inkonsequenz. Er traute sich nicht, sie wirklich zu verlassen. Immer wieder nahm er es sich vor, nein, diesmal gebe ich bestimmt nicht klein bei, ich lasse mich nicht erpressen, ich werde das Haus verlassen und ein neues Leben anfangen. Ohne sie. Ohne diesen Satz: »Dann geh’ ich eben in den Rhein!«

Der Ehekrieg und sein mangelndes Durchsetzungsvermögen machten ihn müde, mürbe, wie taub. Nachts lag er wach und erging sich in sentimentalen Monologen: So geht es nicht weiter, ich darf mir nicht so viel gefallen lassen, sie ist ein Monster. Diese Unzufriedenheit, diese schlechte Laune, ihre Lieblosigkeit. Ich erreiche sie nicht mehr, die Frau, die ich geliebt habe. Ich muss hier weg,

Vorsätze, Vorsätze, nichts als Vorsätze. Immer wieder scheiterte er. Die Abstände zwischen ihrem Satz und seinem vergeblichen Vorhaben zu gehen, wurden kurz und kürzer. Seine Not nahm zu, seine Hilflosigkeit erstickte ihn, die Verzweiflung schüttelte ihn. Wie schlimm konnte es noch werden?

Dann, eines Tages und fast ohne Ankündigung, schaffte er es wirklich. Er konnte es selber noch nicht glauben. Er raffte sich auf, als er die Hoffnung schon aufgegeben hatte. Ja, genau in diesem Augenblick gelang ihm, was ihm nie zuvor gelungen war.

Wieder einmal hatte sie ihn mit Vorwürfen überschüttet. Nichts sei er und nichts könne er. Er sei kein guter Ehemann und genüge nicht ihren Ansprüchen, sie habe etwas Besseres verdient. An sie werde er niemals heranreichen, er sei eine Pflaume, ein Versager. Sie lachte ihr unangenehmes Lachen, hoch und keckernd, und schaute ihn herausfordernd aus engen Augen an.

Es war sein Glück, dass ihr Sermon noch länger als sonst andauerte und dass sie noch wütender als üblich auf ihn einhackte. Zu viel Gift, zu viel Häme, zu viel Bösartigkeit.

Sie merkte es sogar, sie sah es ihm an. Er wirkte weniger erloschen als sonst. Etwas ging in ihm vor, das Schreckliche, das ihr Angst machte. Sie erschrak und änderte umstandslos den Ton, fiel in die übliche Jeremiade und sagte ihren Lieblingssatz: »Dann geh’ ich eben in den Rhein.«

Da gelang ihm, wovon er geträumt hatte. Er stand regungslos vor ihr, senkte nicht den Kopf, er sah ihr ins Gesicht. Er sah die Wut und die Angst und dann sagte er, was er sich tausend Mal vorgesagt hatte: »Dann geh’ doch!«

Diese tiefe Genugtuung, die ihn erfüllte! Dieses warme Gefühl, das ihn durchströmte, weil er sich endlich ermannt hatte! Dieser Triumph, weil sie ihn fassungslos anstarrte! Der Schwächling ermannte sich, der Spielball ihrer Launen, dieser Entscheidungsneurotiker, der ihr Mann war, richtete sich auf, anstatt sich zu ducken. Wie konnte das sein? Er machte sich frei von ihr, er entledigte sich ihrer.

Sprachlos stand sie daneben, als er einen Koffer aus der Kammer holte, ihn sorgsam mit Anzügen und Krawatten und Hemden und Unterwäsche und Socken bepackte, andächtig zudrückte und langsam das Haus verließ. Ohne sie zu beachten. Ohne sich zu verabschieden. Kein Wort wollte er sagen, aus Angst vor dem Rückfall. Jede Sekunde der neuentdeckten Entschlossenheit, nach der er sich so inständig gesehnt hatte, kostete er aus. Bedächtig verstaute er den Koffer in seinem Auto, stieg ein, schloss die Tür ohne Hast, ließ den Motor an, legte den Gang ein, betätigte den Blinker und fuhr davon.

Vor siebzehn Jahren hatten sie geheiratet. Sie war Vertreterin einer großen Versicherungsgesellschaft im Außendienst, er ein verbeamteter Bauingenieur und passionierter Jäger. Ihr Selbstbewusstsein bezog sie aus ihrer Herkunft, denn sie entstammte einer adeligen Familie, die allerdings verarmt war und keinerlei Güter oder Herrenhäuser oder andere Immobilien mehr besaß. Geblieben war ihr lediglich der Titel, das »von« zwischen Vornamen und Nachnamen. Darauf legte sie allergrößten Wert.

Der Dünkel war immer da. Hier sie, die Aristokratin mit der distinguierten Verwandtschaft, alte Familie selbstverständlich. Dort er, aus kleinbürgerlicher Familie, traditionslos, aber Geld, ein Parvenu in ihren Augen. Nicht einmal der Umstand, dass er leidenschaftlich der Jägerei frönte, der Kultur des Adels, stimmte sie milde.

Das Problem war, dass sie keine Kinder bekommen konnten. Sie hatten es probiert und probiert, zuerst auf gut Glück, danach konventionell mit Temperatur messen, danach mit Hormonbehandlung und schließlich mit künstlicher Befruchtung. Ärzte empfahlen ihnen dies und empfahlen ihnen das. Sie ließen sich auf jede neue Therapie ein. Es war mühsam, es laugte sie aus.

Schließlich gaben sie auf, fügten sich in ihr Schicksal. Aber der Verzicht machte sie unstet, stürzte sie in Depressionen. Sie fühlte sich nutzlos. Das Leben benachteiligte sie, brachte sie um die Mutterschaft, warum nur? Der von der Natur auferlegte Verzicht höhlte sie aus, raubte ihr jede Energie, machte sie misstrauisch. Was dachten die anderen von ihr? Hielt man sie für eine Versagerin?

Dann wurde sie auch noch arbeitslos. In der Versicherung stand ein Rationalisierungsschub an. So viele Außendienstmitarbeiter wie bisher waren nicht mehr nötig, also wurde ausgesiebt. Sie war oft krank gewesen, sie war unbeliebt, niemand setzte sich für sie ein. Sie bekam eine Abfindung, und das war’s.

Keine Kinder, keine Arbeit. Was passierte da mit ihr? Sie fühlte sich wie Hiob, von Gott aus unbekannten Gründen mit Plagen geschlagen. Sie war katholisch, eigentlich nicht buchstabenfromm, aber jetzt stellten sich ihr letzte Fragen nach Gott und dem, was er mit ihr vorhatte. Warum bestrafte er sie? In welches neue Leid würde er sie noch führen? Und wann endete der Fluch? Sie ging in die Kirche, besuchte Gottesdienste, kehrte zurück zum Glauben ihrer Kindheit, doch der Trost hielt nicht lange vor.

Hienieden war es ihr Ehemann, auf den sich ihr Ungenügen konzentrierte. Sie nörgelte an ihm herum. Sie beschwerte sich über ihn und fand Gefallen daran, ihn mit Worten und Gesten zu demütigen. Er arbeitete, sie nicht, doch der Haushalt blieb ihm überlassen. Sie beschwerte sich über alles, egal was er ihr vorsetzte. Mal war das Essen zu wenig gesalzen, mal zu viel. Mal war es in der Wohnung zu kalt, mal zu warm. Mal sollte er die blaue Krawatte umbinden, hatte sich aber erfrecht, die rote zu tragen. Mal war er ihr Held, mal ein Esel. Sie war die Herrin, er der Knecht.

Freundinnen hatte sie nicht mehr. Weder ins Kino noch ins Theater oder in Konzerte mochte sie noch gehen. Sie verkroch sich in der Wohnung. Unter Leute wollte sie nicht. Sie krümmte sich ein. Sie perfektionierte sich darin, ihn mit Worten zu züchtigen. Er war da und deshalb hatte er Unrecht, prinzipiell und immerfort. Was ihre Seele eigentlich quälte, darüber konnte sie nicht sprechen. Hilfe zu suchen bei einem Psychologen, kam ihr nicht in den Sinn.

Er war kein Mensch großer Gefühle. Auch war er nicht gut darin, sie auf ihren Kummer anzusprechen. Mehrmals fing er damit an, aber sofort blockte sie unwirsch ab und wurde fuchtig, wenn sie sich ihm öffnen sollte. Es war ja offensichtlich, dass die Kinderlosigkeit sie um ihren Job gebracht hatte, weil sie in ihrem Unglück derart mit sich selber beschäftigt gewesen war, dass ihre Leistungen im Beruf nachließen. Als er sah, dass er sie nur noch tiefer in den Kummer stieß, gab er auf. Er gewöhnte sich daran, dass sie ihn schlecht behandelte. Sie tat ihm leid.

Er litt unter ihr, aber er brachte es nach ein paar erfolglosen Versuchen nicht fertig, mit ihr darüber zu reden. Diese Versuche waren ungelenk, ja grob in ihren Augen. Er sagte, sie müssten etwas ändern. So bleiern könne es nicht weitergehen. Noch dachte er nicht an Scheidung, sondern an Ausgehen, an Urlaube, an harmlose Vergnügungen mit ihr, nicht ohne sie. Wenn er davon anfing, fiel sie ihm ins Wort. Im Wunsch nach Veränderung sah sie nur eine Bedrohung. Und in irgendeiner der ständigen Auseinandersetzungen, er wusste nicht einmal, wann das gewesen war, hatte der Satz aus ihrem Munde sein Debüt: »Dann geh’ ich eben in den Rhein!«

Seit seinem Auszug aus der gemeinsamen Wohnung waren fünf Jahre vergangen. Sie trafen sich vor dem Amtsgericht. Er hatte die Scheidung beantragt. Er lebte mit einer anderen Frau zusammen, die er heiraten wollte.

Sie zählte drei Argumente auf, weshalb ihr keine Scheidung zuzumuten sei. Erstens sei sie katholisch erzogen und deshalb sei ihr die Ehe heilig. Zweitens sei sie wegen ihrer Dauerarbeitslosigkeit auf seine Altersversorgung angewiesen; er sei ja Beamter und werde eine ansehnliche Pension erhalten. Drittens sei eine Scheidung eine unzumutbare Härte, an der sie seelisch zugrunde ginge. Wenn sie aber trotzdem geschieden würde, ja dann, sagte sie: »Dann geh’ ich eben in den Rhein!« Das klang diesmal wie eine Selbstverständlichkeit, wie ein unabänderlicher Beschluss.

Ihr Noch-Mann ließ sich nicht beeindrucken und beharrte auf seinem Antrag. Nach Jahr und Tag wollte er klare Verhältnisse. Der Richter hatte ein Einsehen und erklärte die Ehe für geschieden. Endlich war er frei und konnte die Frau heiraten, die von ihm geheiratet werden wollte und ein heiteres Gemüt besaß.

Sie ging nicht in den Rhein. Sie bezog eine kleine Wohnung, die so gemütlich wie möglich eingerichtet war. Selten kam Besuch. Familie gab es nicht mehr, und von den Nachbarn hielt sie sich im alten Dünkel, etwas Besseres zu sein, fern.

Ihre Leiche fand man erst nach Wochen. Den Nachbarn fiel der seltsame, süßliche Geruch auf, der aus der Wohnung drang. Endlich brach die Polizei die Tür auf. Sie hatte ihr schönstes Kostüm angezogen und sich in den alten Ohrensessel unter dem Fenster gesetzt. Leicht zur Seite gesunken, den Kopf im Nacken, sah es aus, als würde sie noch im Tod hochmütig über alle hinwegsehen. Ohrringe, Perlenkette und den Siegelring am Finger. Nur der Ehering lag auf dem Tisch, daneben ein Glas, eine geöffnete Handtasche und eine leere Packung Phanodorm.

Schluss, Aus, Vorbei!

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