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Meine Ausbildung

Da keine Debatte mehr möglich war bezüglich meiner Berufswahl, bewarb ich mich bei Banken, Steuerberatern und für andere kaufmännische Berufe. So hatte ich dann plötzlich zwei Lehrstellen zur Auswahl. Einmal zur Steuerfachgehilfin und einmal zur Industriekauffrau. Vom Berufsbild her war mir Steuerfachgehilfin zu trocken, also entschied ich mich für die Ausbildung zur Industriekauffrau.

Ich war gerade sechzehn Jahre alt geworden, als ich im September 1977 in meiner Ausbildungsfirma anfing. Es handelte sich um eine Fabrik die Babybekleidung herstellte.

Ich kann mich noch sehr gut an den ersten Tag an meinem neuen Arbeitsplatz erinnern. Schon in der Nacht zuvor hatte ich kaum schlafen können. Von unserer Wohnung bis zur Fabrik ging ich etwa zwanzig Minuten zu Fuß, quer durch die Innenstadt. Das langgezogene, große Gebäude der Firma Baby-Schöller stand an einer Durchgangsstraße, die das Bahnhofsviertel von der Unterstadt trennt, und war logistisch somit sehr zentral gelegen.

Durch eine große zweiteilige Glastür betrat man eine Art Foyer und blickte auf ein geschlossenes Glasabteil. Hinter dem aufgeschobenen Fenster saß eine ältere, etwas mollige, blonde Frau. Ich trat zu ihr hin und meldete mich als neue Auszubildende an. Später stellte sich heraus, dass sie ebenfalls Rita hieß.

Kurz darauf kam der Juniorchef persönlich, um mich von dort abzuholen. Er stellte sich als Roger Schöller vor und führte mich durch einen dunklen Flur. Durch eine weitere Glastür betraten wir einen großen Raum, in dem etwa dreißig Schreibtische standen. Es war ziemlich laut dort. Computer sah man damals noch keine, alles wurde von Hand oder mit der Schreibmaschine geschrieben.

Die Büros des Chefs und der jeweiligen Abteilungsleiter waren mit Glasscheiben abgetrennt, so dass sie immer einen Blick auf die Angestellten werfen konnten. Man stand also immer unter Beobachtung.

Herr Schöller nahm mich mit in sein Büro, bat mich Platz zu nehmen und erklärte mir noch einmal den Ablauf meiner Ausbildung in seinem Betrieb. Den etwa siebzigjährigen Seniorchef gab es damals auch noch, aber der drehte nur gelegentlich seine Runden durch den Betrieb.

In einer Art Rotationssystem sollte ich immer einige Monate in den jeweiligen Abteilungen bleiben. Lohnbuchhaltung, Debitorenbuchhaltung, Einkauf, Verkauf, Lager, Zuschnitt, usw. Ich muss zugeben, dass sich das sehr spannend anhörte und ich freudig aufgeregt war.

Anschließend führte mich mein Chef durch das ganze Haus und zeigte mir die verschiedenen Abteilungen. Im ersten Stock war die Näherei mit etwa achtzig Näherinnen untergebracht, sowie das Büro der Directricen, die die Schnitte und Kollektionen entwarfen.

Im zweiten Stock wurden dann die Teile zugeschnitten, und es gab das Stofflager in welchem alle Stoffe und Zutaten gelagert wurden.

Im Erdgeschoß war die Anmeldung, Konferenz- und die Büroräume und im Untergeschoß das Warenlager und die Versandabteilung.

In der Fabrik wurden Kindersachen vom Baby- bis ins frühe Teenageralter genäht. Strampler und alle Waren aus Strick wurden zugekauft und waren somit nur durchlaufende Posten.

Es hörte sich alles sehr spannend an und ich war hochmotiviert. Gut gelaunt führte mich mein Chef in Richtung einer jüngeren Dame, die jedoch etwas streng wirkte. Sie war nicht dick, aber leicht mollig und hatte ihre mausbraunen Haare streng nach hinten hochgesteckt. Das sah vom zuschauen schon fast schmerzhaft aus. Unbewusst zog ich die Schultern ein. Bei Fräulein Boller sollte ich meine ersten drei Monate lernen.

Sie begrüßte mich und wies mir meinen Platz, genau ihr gegenüber, zu. Dann ging sie sofort in den Erklärungsmodus über. Bei Arbeitsschluß rauchte mir der Kopf und ich war froh, dass ich erst einmal Feierabend hatte. So ging das anfangs jeden Tag und vermutlich hatte sie mich bald als hoffnungslosen Fall eingestuft, denn manche Zusammenhänge gingen nicht wirklich in meinen Kopf. Ob es an mir lag oder an ihrem Erklärungsstil, sei mal dahin gestellt.

Ich mochte diese Frau nicht besonders. Sie war giftig und frustriert und ich stellte meine Ohren auf Durchzug. Irgendwie begriff ich das System nicht, mit dem ich den jeweiligen Lohn für die einzelnen Verarbeitungsschritte der Näherinnen berechnen sollte. Jedenfalls war sie sehr bissig zu mir und das wiederum machte mich bockig. Irgendwann gab sie frustriert auf und schickte mich in den ersten Stock des großen Fabrikgebäudes um die Abschnittszettel der Näherinnen zu holen.

Jede Näherin hatte an ihrem Arbeitsplatz einen bestimmten Teil eines Kleidungsstückes zu nähen. Zum Beispiel die Knopfleiste oder den Kragen einer Bluse oder den Reißverschluß in eine Kinderjeans. Jeder dieser Arbeitsgänge hatte einen-Bewertungsschlüssel der dann in Lohn umgerechnet wurde. So nähte eine Näherin an diesem Tag zum Beispiel 500 Reißverschlüsse ein, die andere eben 200 Kragen. Für jeden dieser Arbeitsschritte musste ich die Stückzahlenzettel zu Fräulein Boller bringen, damit sie rechnen konnte. Inzwischen machte sie das nämlich lieber selbst und ich war nur noch ihre Laufbotin. Was mir sehr recht war. So entkam ich ihrer schlechten Laune und konnte das tolle alte Gebäude in dem ich arbeitete weiter erkunden. Allein der Treppenaufgang zwischen den Stockwerken war schon ein Highlight. Die edlen, dunklen und sorgfältig gepflegten Parkettdielen rochen nach Bienenwachs und das wunderschön geschmiedete Geländer war richtig schön verschnörkelt. So etwas findet man heute in Neubauten nicht mehr. Außerdem stand auf der Empore des ersten Stockwerkes ein Kaffeeautomat. Den besuchte ich häufiger.

Ich war gerne oben in der Näherei, denn ich bekam oft Süßigkeiten zugesteckt. Das entschädigte mich für das frustrierte Fräulein Boller. Die Näherinnen nannten mich immer ihren Sonnenschein, weil ich immer lächelte und freundlich war und jede mir erteilte Aufgabe sofort und gewissenhaft erledigte.

Endlich kam der Tag, an dem ich Fräulein Boller hinter mir lassen durfte und in die Abteilung Einkauf versetzt wurde. Dort war es richtig klasse, denn das Team war das Jüngste der ganzen Firma und wir verstanden uns auf Anhieb sehr gut. Hier machte es mir Spaß zu lernen und ich gab mein Bestes. Herr Schöller schien sehr zufrieden mit mir zu sein, denn er gab mir immer wieder kleinere Extraaufträge, die ich pflichtbewusst und gewissenhaft erledigte.

Das Tolle an der Abteilung Einkauf waren nicht nur die netten Kolleginnen und Kollegen, sondern auch, dass ich mit den verschiedensten Stoffen zu tun bekam. Da es sich um Stoffe für Babybekleidung handelte, waren sie oft sehr hübsch gemustert.

Damals gab es noch keine Faxe, sondern so eine Art Telegrafen mit Lochband, den man Telex nannte. Meine Aufgabe war es, als Stoffeinkäuferin die Aufträge zu verschicken. Anfangs war ich allerdings nur für die Stoffe der Musterkollektionen zuständig. Doch da wir auch Stoffe aus dem Ausland bezogen, fühlte ich mich schon ziemlich wichtig. Besonders hochwertige Wollstoffe bezogen wir aus England. Chintz und Cord aus Deutschland und Italien und viele Baumwollstoffe aus Frankreich.

Auch das Babymoden Geschäft unterlag den Saisonen und den gängigen Modetrends. Deshalb gab es zwei Kollektionen im Jahr, nämlich die Sommer- und die Winterkollektion. Genauso wie bei der Haute Couture.

Unsere jungen und inovativen Directricen entwarfen hübsche und ungewöhnliche Schnittmuster und ich besorgte die benötigten Stoffe. Dann ließ ich für unsere dreizehn Außendienstmitarbeiter die jeweilige Musterkollektion nähen. Mit diesen Kollektionen gingen die Vertreter zu den Kunden, um Aufträge an Land zu ziehen. Ein Job der viel Organisationstalent und Teamwork erforderte, denn ich musste immer mit den Abteilungen die Arbeitsabläufe koordinieren. Ich lernte dadurch sehr viel, eben auch, verständlich zu kommunizieren und im Team zu arbeiten. Die Firma war eine Art Ersatzfamilie für mich. Ich fühlte mich dort sehr wohl und gab deshalb mein Bestes. Denn dort erhielt ich Anerkennung und Wertschätzung.

Natürlich mussten die Stoffe auch irgendwo gelagert werden und dies war ganz oben unter dem Dach. Dort war unser Stoff- und Zutatenlager. Zwischen den Saisonen, die wirklich sehr stressig waren, hatten wir eine Zeit, die wesentlich ruhiger war. Dann verzogen wir uns mit einem Kaffee ins Lager um zu tratschen. Im Großraumbüro unten wäre es nicht möglich gewesen, einmal nichts zu tun. Denn unsere Oberaufseher – alle Abteilungsleiter waren Männer – hatten uns ja stets im Blick. Vor allem Herr Richter. Der Leiter der Abteilung Verkauf war ein richtiger Despot und Choleriker. Der konnte durchs ganze Büro schreien.

Einmal gab es eine lustige Begebenheit. Meine Kollegin Kerstin, saß mir schräg gegenüber. Zwischen unseren Schreibtischen war ein größerer Abstand. Ich hatte mir in der Mittagspause eine Tüte Gummibärchen gekauft und wollte Kerstin eines davon zuwerfen. Doch irgendwie kam es vom Weg ab und traf Herrn Richter, der gerade den Gang in unsere Richtung gekommen war, am Kopf. Upps. Da war natürlich die Hölle los. Hinterher lachten wir aber nur und ließen es uns weiter schmecken.

Am Anfang des Regenbogens

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