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Meine Eltern Erika und Karl

Obwohl meine Eltern sich sehr liebten, waren sie doch sehr unterschiedlich. Mein Vater wirkte stets sehr kühl und legte großen Wert auf klare Regeln und dass diese auch eingehalten wurden. Meine Mutter war sehr lebhaft und temperamentvoll. Wenn die beiden miteinander stritten und das passierte leider relativ oft, dann warf meine Mutter durchaus auch hin und wieder eine Pfanne nach meinem Vater, oder sie schlug mit Absicht die Tür sehr geräuschvoll zu. Mein Vater hasste es wenn man sich nicht unter Kontrolle hatte und strafte meine Mutter dann mit tagelangem Schweigen. Dies zermürbte sie dann so, dass sie wieder anfing sich „gut“ zu benehmen. Meine Eltern waren so beschäftigt mit sich selbst, dass ich mich immer mehr in mein eigenes Inneres zurück zog. Ich teilte meine eigene Befindlichkeit niemals mit. War ich traurig, so heulte ich in meinem Zimmer.

Mein Vater Karl, vermutlich schwer traumatisiert durch seine eigene Geschichte und sehr pflichtbewusst, hielt sich an strengen Regeln fest, die auch sein Umfeld befolgen sollte. Meine Mutter dagegen war eher eine labile, unsichere Frau, die viel lieber auf Parties gegangen wäre und sich amüsiert hätte. Sie war immer auf der Suche nach Wärme und Geborgenheit. Mein Vater, durch seine eigene Geschichte geprägt, konnte ihr dies aber nicht in der Form geben, wie sie das gebraucht hätte. Für ihn war eher Sex und Leidenschaft etwas, das er mit Liebe und Geborgenheit verwechselte.

Ich glaube meine Mutter fühlte sich oft sehr eingesperrt, weil mein Vater kein geselliger Typ war, sondern das Geldverdienen und die materielle Sicherheit im Vordergrund standen.

Meine Mutter Erika hatte drei Geschwister. Zwei Schwestern und einen jüngeren Bruder. Sie selbst war die Zweitälteste und musste oft auf die Kleineren aufpassen. Meine Oma Maria war Hausfrau und mein Opa Paul arbeitete in der ZF Friedrichshafen und somit war das Geld auch hier knapp, denn es waren vier hungrigen Mäuler zu stopfen.

Im Krieg schickten manche Eltern ihre Kinder in die Schweiz. Als ausgewählt wurde welches der Kinder weggeschickt werden sollte, fiel die Wahl auf meine Mutter. Sie war damals erst zwölf Jahre alt. Eine Bekannte der Familie wohnte in St. Gallen und hatte sich bereit erklärt, das Kind bei sich aufzunehmen. Diese Dame war weder verheiratet, noch hatte sie eigene Kinder. War also im Umgang mit Kindern etwas unbeholfen auch wenn sie es gut meinte. Meine Mutter erzählte manchmal, wie sehr sie darunter gelitten hatte, von ihrer Familie weggeschickt worden zu sein. Sie hatte zwar genug zu essen, auch oft Schweizer Schokolade, aber sie hatte furchtbares Heimweh. Anscheinend wurde sie regelrecht gemästet und war dann auch ziemlich mollig, als sie mit fünfzehn Jahren wieder nach Hause durfte.

Ihre Eltern meldeten sie in der Kaufmännischen Handelsschule an und als sie diese abgeschlossen hatte, fing sie in der Maschinenfabrik in Ravensburg im Büro an. Dort lernte sie bei einem Betriebsausflug meinen Vater kennen und lieben. Bald darauf kündigten die beiden dort ihre Jobs und fingen nur eine Straße weiter weg bei der Eisenbiegerei Kern in Ravensburg an, weil sie dort eine Betriebswohnung zugesagt bekommen hatten. In dieser Wohnung lebten die beiden, als ich 1961 zur Welt kam.

Mein Vater schwärmte immer davon, dass meine Mutter eine ganz bezaubernde, kurvige Frau gewesen sei. Beim damaligen Betriebsausflug war sie vor ihm einen steilen Hügel zu einer Burg hochgegangen und das Popogewackel hatte in ganz wuschig gemacht. Bald darauf haben sie geheiratet. Meine Mutter war erst neunzehn Jahre alt, als sie vor dem Traualtar stand. Die Eltern meiner Mutter waren nicht begeistert, beugten sich aber diesem Entschluß, als sie bemerkten, dass ihre Tochter heillos verliebt war. Mein Vater war fast zehn Jahre älter. Vielleicht hatte Mama damals einfach ein Gefühl der Sicherheit durch ihn. Aber sicher war es auch eine große körperliche Anziehungskraft, jedenfalls von Seiten meines Vaters. Er liebte meine Mutter bis zum bitteren Ende mit all seiner Leidenschaft.

Meine Mutter war eine sehr schöne Frau. Damals musste man nicht Größe 36 haben um als schön durchzugehen. Sie stylte sich aufwändig und hatte immer ein besticktes Stofftaschentuch, einen Spiegel und einen Kamm in ihrer Handtasche. Vom Grundcharakter war sie ein sehr lebenslustiger Mensch, sehr gastfreundlich und liebenswert. Viel später ist mir bewusst geworden, dass sie sich sicher oft gefangen gefühlt hat. Sie verstand sicher oft nicht, warum mein Vater so reagierte wie er eben reagierte. Sie wurde immer trauriger, in sich gekehrter und schien mich oft gar nicht wahrzunehmen. Vermutlich habe ich damals bereits meine Intuition geschult, denn ich hab immer versucht auszuloten, ob ich sie gerade stören durfte oder nicht.

Nach meiner heutigen Lebenserfahrung würde ich behaupten, dass mein Papa ein schweres Kindheitstrauma und sowohl ein Mutter- als auch ein Vaterthema hatte. Leider habe ich nie viel aus seiner Vergangenheit erfahren. Außer, dass sein Vater (mein Opa Franz-Josef), nachdem er in einem Wirtshaus in betrunkenem Zustand mit einer Waffe herumgefuchtelt und nazifeindliche Parolen von sich gegeben hatte, in eine Art Internierungslager in Sigmaringen kam. Das war im Juni 1938. Man schrieb das Deutsche Reich und der zweite Weltkrieg stand kurz bevor. Von Sigmaringen wurde mein Opa Erwin-Josef de Monte, geboren am 04.06.1898 als Häftling (Quelle: NARA Zugangsbuch des KZs Dachau) am 21.03.1939 ins KZ Dachau überführt. Man nannte das Haftkategorie: Arbeitszwang. Es wurde zwar behauptet, dass er das KZ lebend verlassen hätte, aber es war keinerlei Spur mehr von ihm zu finden. Deshalb denke ich, dass er, wie viele andere auch, im KZ gestorben ist. Ich habe ihn also nie kennengelernt.

Die Ehe meiner Großeltern war scheinbar nicht so gut, denn es ging das Gerücht um, dass meine Oma Paula ihren Mann bereits vor diesem Vorfall hatte vergiften wollen. Als Hebamme hätte sie sicher das nötige ärztliche Wissen dazu gehabt. Dies wurde aber nie weiter verfolgt. Ich weiß also nicht, ob es wirklich stimmt. Ihr Ruf war durch die Tat ihres Mannes so oder so ruiniert. Kurz nach dessen Verhaftung wurde sie von der Polizei mitsamt ihren Kindern zu einem schnell einberufenen Gerichtstermin abgeholt.

Mein Vater erzählte mir, dass seine Mutter und sein Vater bei diesem Termin zwangsgeschieden wurden. Während die Mutter im Gerichtssaal abgeurteilt und zwangsgeschieden wurde, saßen mein Vater Karl und sein jüngerer Bruder Alfons, total eingeschüchtert und voller Angst auf einer harten Bank vor dem Gerichtssaal. Mein Vater war damals sieben Jahre alt. Sein Bruder erst fünf.

Ohne Vorwarnung wurde die Mutter sofort abgeführt und in ein Krankenhaus nach Ostdeutschland abgeschoben. Da sie eine Hebammenausbildung abgeschlossen hatte, war es kein Problem für die Behörden, einen Arbeitsplatz für sie zu finden. Der Beruf der Hebamme war schon immer etwas sehr wertvolles.

Die Kinder – die als einzigen Besitz ihre Kleidung hatten, die sie auf dem Leib trugen - wurden voneinander getrennt und direkt von der Gerichtsbank in verschiedenen Familien untergebracht. Der Bruder Alfons kam in eine gut situierte, liebevolle Familie, während man meinen Vater bei einer Bauersfamilie unterbrachte, die selbst keine Kinder hatten. Die Bäuerin konnte keine Kinder bekommen. Auf diesem Bauerhof musste er sehr viel arbeiten. Sein Ziehvater Hermann war ein sehr strenger Mann, alles musste genau nach seinen Regeln ablaufen, sonst setzte es Schläge. Seine Ziehmutter Rosa war zwar eine sehr liebenswerte Person, aber sie hatte sich ihrem Mann unterzuordnen und getraute sich nicht, sich schützend vor das Kind zu stellen. Schließlich war sie von ihrem Mann abhängig. Sie hatte keinerlei Berufsausbildung.

Papa erzählte oft wie einsam er sich gefühlt hat und dass sein Pflegevater einiges von ihm abverlangte. Den Schulweg musste er ohne Schuhe laufen, denn er hatte schlichtweg keine. Auch im Winter ohne Schuhe und Socken gehen zu müssen kann man sich heute gar nicht mehr vorstellen. Es waren immerhin zwei Kilometer bis zu seiner Schule.

Die anderen Schulkinder hänselten ihn, weil er eben nicht wirklich zum Dorf gehörte und somit hatte er auch keine wirklichen Freunde, bis auf einen. Der hieß Otto. Den habe ich später auch noch kennengelernt und auch dessen Söhne. Leider starb Otto sehr früh an einem Herzinfarkt. Er war ein sehr warmherziger Mensch.

Dass solche Erlebnisse eine zarte Kinderseele traumatisieren und ihre Spuren hinterlassen, dürfte wohl jedem von uns klar sein.

Kurz vor Ende des zweiten Weltkrieges wurde er dann noch zum Wehrdienst eingezogen. Damals war er fünfzehn Jahre alt, kam dann noch kurz in französische Gefangenschaft und wurde dort mehrfach geschlagen und mißhandelt. Seit damals hasste er alle Franzosen. Aus dieser Zeit stammte wohl auch seine Pistole. Er nannte sie immer nur meine Null Acht.

Am Anfang des Regenbogens

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