Читать книгу Am Anfang des Regenbogens - Rita de Monte - Страница 7
ОглавлениеReinkarnation
Spirituelle Menschen behaupten, dass die Seele sich vor ihrer erneuten Reinkarnation ihre Lernaufgaben selbst aussucht. Da scheine ich wohl viel zu oft „Hier“ gerufen zu haben.
Meine Mutter Erika erzählte immer, dass sie kugelrund war als sie mit mir schwanger war. Es wurde Hochsommer und sie ernährte sich nur noch von Buttermilch und Aprikosen. Später erzählte sie oft davon, dass sie sich die Schnürsenkel nicht mehr selbst binden konnte vor lauter dickem Bauch.
Es war ein wunderschöner, aber heisser Tag im August als meine Mutter mit Wehen ins Krankenhaus eingeliefert wurde. Der diensthabende Gynäkologe hatte an diesem Tag Geburtstag, genauso wie mein Vater Karl. Man wartete und wartete, doch bereits während des Geburtsvorganges hatte ich meinen eigenen Kopf. Ich wollte meinen eigenen Geburtstag und kam einfach einen Tag später per Zangengeburt auf die Welt. Vermutlich hätte ich meine arme Mutter sonst noch länger geplagt.
Angeblich war ich von Anfang an ein quirliges Kind und nicht gerade pflegeleicht. Wenn man alte Fotos betrachtet, dann sieht man darauf, dass ich den Schalk im Nacken hatte und sicher oft schwer zu bändigen war. Heute kann ich mir das gar nicht mehr vorstellen.
Als ich geboren wurde, wohnten meine Eltern in einer Firmenwohnung im ersten Stock. Ich kann mich noch an den langen Flur dieser Wohnung erinnern, er maß dreizehn Meter und war perfekt dazu geeignet auf den Socken zu rutschen. Meine Mutter schüttelte oft nur den Kopf über meinen Bewegungsdrang. Mein Kinderzimmer lag am Ende des Flurs. Es gab sogar eine Verbindungstür zu der anschließenden Wohnung in der zwei ältere Damen lebten. Sie hatten eine verwandtschaftliche Beziehung zum Chef meiner Eltern. Eine der älteren Damen schien mich nachts manchmal besucht zu haben als ich ein Baby war, denn meine Mutter erzählte mir später, dass ich urplötzlich angefangen hatte zu schreien und sie diese ältere Frau dabei erwischt hatte wie sie an meinem Bettchen stand. Meine Eltern schoben dann einen schweren Schrank vor die Verbindungstür damit dies nicht wieder vorkommen konnte.
Unser Wohngebäude stand an einer Kreuzung. Auf der einen Seite eine vielbefahrene Straße, auf der anderen Seite eine kleinere Nebenstraße. Dort war auch der Eingang zum eingezäunten Hofgelände. Hier musste man hindurch, wenn man zu unserem Aufgang wollte.
Über das Hofgelände wachte der Schäferhundmixrüde Arco. Der Hund gehörte dem Chef meines Vaters und im Hof, nahe unseres Einganges, stand seine Hundehütte. Arcos Gelände war auch mein Gelände. Denn ich hatte nur den geteerten Hof als Spielfläche. Wir wohnten ja mitten in der Kleinstadt, da gab es nicht so viele grüne Flächen. Arco jedenfalls war mein bester Freund, und bereits im zarten Alter von zwei Jahren fühlte ich mich zu Tieren sehr hingezogen. Arcos große Hundehütte fand ich toll. Oft kroch ich hinein zu dem Hund, denn er war so warm und kuschelig und schien es auch zu genießen, dass sich jemand zu ihm legte. Als kleines Kind wußte ich natürlich noch nicht, dass es Teile an Tier und Mensch gibt, die sehr empfindlich sind. Ich hatte Arco wohl streicheln wollen und untersuchte auch seine Hoden ganz genau. Vermutlich habe ich zu fest gedrückt, denn er biß mich plötzlich in den Kopf. Er hat sich nur gewehrt, weil es weh tat, es war keine böse Absicht gewesen.
Für mich war dieser Biß nicht weiter schlimm, er wurde mit zwei Stichen genäht und schon war es vergessen. Schließlich hatte ich dem Hund weh getan. Er war trotzdem immer noch mein Freund. Nur durfte ich leider nicht mehr die Treppe hinunter in den Hof zu ihm. Meine Eltern stuften den Hund als Gefahr für mich ein. Vermutlich dachte mein Vater, dass der Hund aggressiv zu mir gewesen war und hatte Angst um mich und meine Gesundheit. Jedenfalls war Arco plötzlich weg und ich konnte wieder im Hof spielen, aber mein Freund fehlte mir sehr.
Mein Vater hatte den armen Hund nachts entführt und mit seiner Pistole, die er noch aus einem kurzen Kriegseinsatz hatte, erschossen. Diese Pistole hat er leider sein Leben lang behalten. Seinen Hundemord beichtete er mir erst sehr viel später, als ich lange erwachsen war und außer Haus wohnte.
Meine Eltern arbeiteten beide in diesem Betrieb. Mein Vater als Maschinenschlosser und meine Mutter als kaufmännische Sachbearbeiterin. Mama arbeitete nur halbtags. Das Büro der Firma war direkt unter unserer Wohnung. Ich konnte also immer im Büro vorbeischauen, wenn ich ein Anliegen hatte. Aber natürlich spürte ich schon damals sehr genau, wenn ich unerwünscht war.
Da ich keine Geschwister hatte und zu diesem Zeitpunkt auch keine anderen Kinder in meiner Nähe wohnten, fühlte ich mich oft sehr einsam und jetzt war leider mein Freund Arco auch weg.
Eines Tages spielte ich alleine im Hof, als eine Horde von Schulkindern draußen am Zaun vorbei ging. Ich fand das Gelärme, das sie veranstalteten toll, machte das Gartentürchen auf und schloß mich ihnen einfach an. Vielleicht hatten sie mich auch ermuntert mitzukommen, das weiß ich nicht mehr. Damals war ich drei Jahre alt.
Meine Mutter erzählte mir, dass ich mich einfach dieser fröhlich lärmenden Gruppe angeschlossen hätte und mit ihnen nach Hause gegangen wäre. Es handelte sich wohl um mehrere Geschwister einer großen Familie. Die Mutter der Kinder reagierte ganz ruhig, legte ein weiteres Gedeck für das Mittagessen auf und fragte mich aus. Meine Mama hatte mir meinen Namen und meine Adresse schon beigebracht und so konnte mich die angerufene Polizei wohlbehalten wieder zu Hause abliefern. Die große Familie hatte mich nicht behalten wollen. Schade, denn der Trubel hatte mir wirklich sehr gefallen. Zum Glück war meine eigene Mutter sehr froh, dass ich wieder zu Hause war. Sie bestrafte mich nicht einmal.
Meine Mama merkte, dass sie mich nicht mehr so alleine zu Hause behalten konnte, da ich mit Sicherheit weiteren Unfug anstellen würde. Also meldete sie mich im nahe gelegenen Kindergarten an. Dieser lag nur zwei Querstraße von unserer Wohnung entfernt. Es war allerdings ein katholischer Kindergarten in dem Zucht und Ordnung, bzw. strenge Regeln herrschten.
Anfangs brachte mich meine Mutter jeden Morgen dorthin und lieferte mich bei der Kindergartentante ab. Doch schon bald ging ich alleine hin.
Obwohl ich neugierig und abenteuerlustig war, zeigte ich das nicht nach außen. Ich wirkte immer eher schüchtern und introvertiert. Da mir die Geschwister fehlten, hatte ich nie gelernt, meine Befindlichkeit verbal auszudrücken. Außerdem kam ich mit mir selbst ganz gut zurecht, und oft fühlte ich mich irgendwie anders und auch ausgeschlossen, weil ich die Sprache der anderen Kinder nicht wirklich verstand. Also beobachtete ich und lernte dadurch. Später wurde mir bewusst, dass mir schlicht und einfach eine gewisse Sozialisierung fehlte. Meine Mutter hatte nie dafür gesorgt, dass ich mit anderen Kindern spielen konnte. Ich kann mich nicht erinnern, dass sie mit anderen Müttern Kontakt gehabt hätte, um sich mit ihnen und ihren Kindern zu treffen. Auch einen Spielplatz gab es bei uns in der Nähe nicht. Also lernte ich einfach mich alleine zu beschäftigen, denn es blieb mir gar nichts anderes übrig, und wenn man nichts anderes kennt, dann empfindet man es auch nicht als schlimm. Bis man eben die ersten Vergleichsmöglichkeiten bekommt. Damals bemerkte ich, dass ich eher nebenher lief und sich bei meinen Eltern alles um sie beide drehte.
Meine Mutter stand sehr früh auf. Bereits bevor sie hinunter ins Erdgeschoß ging um im Büro zu arbeiten, kochte sie das Mittagessen vor. Mein Vater hatte es ja auch nicht weit von seinem Arbeitsplatz bis zur Wohnung und deshalb kam er immer mittags – kurz nach 12 Uhr - nach Hause und da musste das Essen auf dem Tisch stehen.
An unser Wohnhaus war eine Halle angebaut, in der einige Mitarbeiter arbeiteten, doch es gab auch noch ein Betriebsgelände, etwa fünf Minuten zu Fuß vom Wohnhaus entfernt. Dort war die Eisenbiegerei angesiedelt die auch zur Firma Kern gehörte. Mein Vater war handwerklich sehr geschickt und wurde immer dort eingesetzt wo man ihn gerade brauchte. Manchmal fuhr er auch Ware aus, da er auch den LKW Führerschein hatte. Er war sozusagen „Mädchen für alles“ und sein Chef schätze ihn sehr.
Da Geld trotzdem immer knapp war, verdiente sich meine wunderschöne Mutter noch ein bißchen Geld als Mannequin für ein Modegeschäft in unserer Kleinstadt.
An jenem Abend fand ein solches Event statt, nicht weit von meinem zu Hause entfernt. Damals war ich fast fünf Jahre alt und schon recht selbständig. Ich ging bereits alleine zum Kindergarten oder besuchte meinen Vater in der Eisenbiegerei. Manchmal schickte mich meine Mutter mit der Milchkanne zum Milchholen in den kleinen Laden ein paar Straßen weiter. Er war gegenüber des Kindergartens. Diesen Weg kannte ich inzwischen im Schlaf.
Am Tag der Modeschau wollte mein Vater unbedingt seine Angetraute dort sehen. Er brachte mich recht früh zu Bett. Da ich nicht einschlafen konnte, bemerkte ich natürlich, dass er sich aus der Wohnung schlich. Ich wollte ihm nachgehen, doch er hatte meine Kinderzimmertür abgeschlossen. Ich bekam es mit der Angst zu tun. Fieberhaft überlegte ich wie ich herauskommen könnte.
Meine Eltern hatten beim Mittagessen darüber gesprochen, dass meine Mutter abends diese Modeschau laufen würde. Sie hatten auch erwähnt, dass dies im alten Zollamt neben dem Güterbahnhof stattfinden sollte. Ich wusste wo das war, nämlich keine zweihundert Meter von meinem zu Hause entfernt. Ich würde nur über zwei Hauptstraßen gehen müssen. Aber wie sollte ich aus meinem Zimmer kommen, das sich ja im ersten Stock befand?
Kurzerhand zog ich das Laken von meinem Bett ab, nahm es und band es an einen der inneren Holzriegel. Damals gab es noch Holzläden mit Holzriegeln. Nicht unbedingt sehr stabil. Das Leintuch war zwar ein bißchen zu kurz, trotzdem kletterte ich aus dem ersten Stock des Hauses und hüpfte die restlichen 1,5 Meter einfach hinunter.
Es stand eine ganze Traube von Menschen da unten auf dem Gehsteig, doch keiner half mir. Alle gafften nur das kleine Mädchen an, das aus dem Fenster kletterte. Bevor mich jemand aufhalten konnte, rannte ich wie der Blitz über die Hauptstraße zum alten Zollamt. Ihr seht, meine Schutzengel hatten schon damals eine Menge zu tun. Meine Eltern waren nicht erfreut darüber was ich angestellt hatte, aber auch froh, dass nichts passiert war und so bekam ich nicht all zu viel Ärger. Mein Vater bekam allerdings Ärger mit meiner Mutter, weil er mich eingeschlossen hatte.