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Die Hoftür klappte. Sie klappte schon zum dritten Mal. In dem Zimmer mit Blick zum Hinterhof wurde die Herbstoffensive vorbereitet. Das hieß, die Flyer für die einzelnen Versicherungssegmente wurden besprochen. Lisa war geschminkter als sonst und schrieb unentwegt mit. Für das Protokoll, wie es hieß. Konzentriert sah sie auf ihren Schreibblock und vermied Blickkontakt zu irgendeinem der Mitarbeiter. Eine Frau erklärte ihren Entwurf über die Notwendigkeit einer kombinierten Lebensversicherung für Hunde, die eine Haftpflicht einschloss. Frau Unterwasser war eine kleine zierliche Person und - wie ich bald erfuhr - allein erziehende Mutter von zwei Kindern. Sie hatte in Berlin Grafik studiert. Während sie ausführlich begründete, warum sie einen Terrier als Symbol für die Lebensversicherung von Hunden ausgewählt hatte und nicht einen Schäferhund, rutschte Herr Frischauf unruhig auf seinem Stuhl hin und her. Dann verlor er die Geduld und unterbrach sie.

»Wir werben in unserer Firma nicht für eine Sorte Hundefutter, Frau Unterwasser. Es geht bei dieser Versicherung um die Abwendung höchster Gefahr. Es geht um das Leben eines geliebten Tieres, wenn Sie das verstehen. Es handelt sich hier um Liebe, also um einen ideellen Wert, den ein Tier für seinen Besitzer hat. Und dieser Wert ist im Schadensfall durch nichts zu ersetzen. Es geht daher um Verlust durch Unfall, Vergiftung, Nottötung, meinetwegen auch um Diebstahl oder, oder. Unsere Aufgabe ist es, mit Takt eine mögliche Tragödie anzuzeigen, die auf unseren Hundebesitzer zukommen kann. Nämlich ein geliebtes Objekt, vielleicht das einzig, das der Besitzer hat, zu verlieren. Das ist ein großes Unglück für Besitzer und Hund. Wenn Sie das noch einmal überdenken möchten, Frau Unterwasser, und mir am nächsten Montag von Ihren Überlegungen berichten wollen, wären wir Ihnen dankbar.«

Herr Frischauf wandte sich mir zu.

»Womit wir mitten bei den Risikoversicherungen wären, Frau Hausen.«

Er sah mich freundlich an. Dann stellte er mich dem Team, wie er sagte, vor.

»Anna Hausen wird also in Schrift und Bild einen neuen Sound und frische Farben in unser Segment Risikolebensversicherungen bringen. Als Malerin hat sie eine feinen Hang zu Katastrophen. Das zeigen ihre Bilder, die sie nicht nur in Deutschland ausgestellt hat.«

Er legte einen Katalog meiner Ausstellung in Washington auf den Tisch. Den konnte nur Max ihm zugesteckt haben. Herr Frischauf sah mich dann auch wieder an mit diesem Lächeln, das eigentlich Max galt.

»Denken Sie immer daran, Anna, der Kunde tut es aus Liebe zu dem anderen. Er will das Risiko des anderen minimieren. Damit, dass er sich versichern lässt, tut der Kunde Gutes. Er tut es aus Sorge um den geliebten Menschen. Und es ist vielleicht seine letzte gute Tat, die er der liebenden Person zukommen lassen kann. Wer möchte beispielsweise nicht die Absicherung seines Partners, seines Kindes oder, oder. Sie wissen sicherlich schon aus der Lektüre, Frau Hausen, dass der Begünstigte in der Todesfallleistung während der gesamten Laufzeit einer Versicherung geändert werden kann?«

Er sah mich an und wartete auf eine Antwort oder zumindest auf ein Kopfnicken. Da ich nicht reagierte, sagte er:

»Na, Sie werden sich da schon schnell reinfinden. Herr Jungmann wird Ihnen behilflich sein. Er ist unser Experte für das gesamte Segment ‚Risiko’.«

Herr Jungmann, der mir gegenübersaß, nickte mir bedeutungsvoll zu. Er war Anfang fünfzig. Und seine besten Jahre, wenn er je welche hatte, lagen schon hinter ihm. Sein Gesicht war durch zu tief liegende Augenhöhlen ein wenig entstellt. Es fiel mir schwer, ihn anzusehen. Ich ärgerte mich über mich selbst, weil ich an solchen Äußerlichkeiten hängen blieb. Denn ich folgte nicht mehr den Ausführungen von Herrn Frischauf, sondern beschäftigte mich mit der Kopfform dieses Herrn. Sein Kopf war nämlich viel zu groß für die ansonsten eher schmächtige Person, die mir da gegenüber saß. Da kaum noch Haare auf diesem Kopf wuchsen, wirkte der Kopf noch unportionierter. Die Ohren standen ab, aber nicht auf gleicher Höhe, so dass das Gesicht dieses Mannes auch noch etwas Verzerrtes bekam. Ich wollte ihn so nicht sehen, aber ich sah nichts anderes als diesen aus dem Blickwinkel der Symmetrie verunglückten Kopf, der auf einem zu schmalen Oberkörper saß. Ich zwang mich, was ich sah, nicht als Porträtskizze festzuhalten mitten in dieser Sitzung. Aber ich prägte mir eine Skizze ein. Der Experte für ‚Risiko’ war, so schien mir, überhaupt nicht risikofreudig, sondern ängstlich.

»Denken Sie immer auch an die Ambivalenzen der Risiken, die Sie unseren Kunden sichtbar machen sollten, Frau Hausen«, sagte Herr Frischauf und holte mich damit zurück in die Sitzung.

»Ich seh sie schon vor mir«, platzte es aus mir heraus. Ich erschrak, zumal ich diesen Herrn Jungmann wie gebannt anstarrte. Aber der Satz löste ein freundliches Auflachen der Anwesenden aus, in das auch Herr Frischauf einstimmte.

Dann wandte er sich der weiteren Gestaltung seiner Herbstoffensive zu. Die Besprechung zog sich von Versicherung zu Versicherung mehr in die Länge. Der Innenhof lag schon im nachmittäglichen Schatten. Die Blätter der Weinranke, die sich an der Hauswand hochzog, bewegten sich sacht. Ich hatte Mühe, bei dem monotonen Gerede über Versicherungsparagrafen nicht wegzudösen. Plötzlich aber war ich hellwach, denn mir schien, dass ich auf dem Hof ein Squirrel, nein, zwei gesehen hatte. Unwillkürlich griff ich nach meiner Jackentasche, in der noch Erdnüsse waren. Aber dann wurde mir klar, dass ich für einige Sekunden doch geschlafen hatte. Ich hoffte, keiner der hier Anwesenden hatte es gemerkt.

Aber der Himmel war höher

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