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„Er wird dir nie wieder wehtun. Ich verspreche es dir. Er wird dir nie wieder wehtun.“ Selena Goodrichs letzte Worte waren fast ein Flüstern.

Das Publikum begann zu klatschen, und dann fiel langsam der Vorhang. Als er sich wieder hob, trat Selena nach vorne auf die Bühne. Lächelnd ließ sie ihren Blick über das Publikum wandern und nahm den Applaus und die begeisterten Rufe entgegen.

Sie machte eine tiefe Verbeugung, bei der ihr die blonden Locken über die Schultern fielen. Dann richtete sie sich auf und wandte sich den anderen Schauspielern zu. Sie reichte Alison Pearson und Jake Jacoby die Hände – und alle Darsteller, die sich in einer Reihe aufgestellt hatten, verbeugten sich gemeinsam. Die Zuschauer sprangen auf und klatschten und jubelten noch lauter.

„All diese Leute sind gekommen, um mich zu sehen“, dachte Selena glücklich. „Die Bühne ist meine Welt. Endlich weiß ich, wo ich hingehöre.“

Nachdem der Vorhang zum letzten Mal gefallen war, wandte Selena sich ihren Freunden zu. „Ihr beiden wart spitze!“, sagte sie anerkennend.

„Danke, Selena“, murmelte Alison. Sie war ein hübsches Mädchen mit smaragdgrünen Augen und langen, schwarzen Haaren. Bewundernd lächelte sie Selena an. „Aber ich werde nie so gut sein wie du. Du hast fantastisch gespielt!“

„Stimmt, du warst gar nicht mal so übel, Moon“, stimmte Jake zu und klopfte Selena leicht auf die Schulter. Unter Selenas Freunden war er der Einzige, der immer noch ihren Spitznamen aus Kindertagen benutzte. Er zog sie gerne damit auf, weil er wusste, dass sie sich darüber ärgerte. Die meisten anderen Leute wussten nicht einmal, dass „Selena“ aus dem Griechischen kam und frei übersetzt „Mond“ bedeutete.

„Du warst auch nicht schlecht. Wenigstens bist du dieses Mal nicht auf die Nase gefallen“, gab Selena zurück und verdrehte die Augen. „Gehst du eigentlich zu der Party für die Schauspieler?“

Jake zuckte mit den Achseln. „Ich weiß noch nicht“, meinte er. „Irgendwie bin ich nicht so richtig in Partystimmung.“

Trotz der dicken Bühnenschminke auf seinem Gesicht bemerkte Selena, dass Jake dunkle Ringe unter den Augen hatte. Sie wollte ihn gerade fragen, was los war, als der Leiter des Schauspiel-Clubs auf sie zustürmte.

„Meinen Glückwunsch, Selena!“, rief er mit dröhnender Stimme. „Die heutige Vorstellung war ausgezeichnet! Besonders gut hat mir die Sache mit dem Taschentuch im letzten Akt gefallen. Damit hast du sogar mich überrascht!“

„Vielen Dank, Mr Riordan“, antwortete Selena mit einem Lächeln.

Der gut aussehende, grauhaarige Schauspiellehrer stieg auf einen Stuhl und bat um Aufmerksamkeit. „Wir treffen uns dann gleich alle auf der Party bei mir zu Hause!“, verkündete er über das Stimmengewirr hinweg. „Doch bevor ihr geht, möchte ich euch noch an das Vorsprechen für die Frühjahrsaufführung erinnern, das nächste Woche stattfindet. Ihr werdet euch freuen zu hören, dass ich einen Klassiker ausgesucht habe – Romeo und Julia.“

Diese Neuigkeit wurde mit einer Mischung aus Stöhnen und begeistertem Jubel aufgenommen.

„Romeo und Julia!“, dachte Selena aufgeregt. „Das ist meine große Chance, Shakespeare zu spielen!“ Als sie zu ihrem Spind ging, musste sie sich ihren Weg durch die laute, aufgeregte Menge der Schauspieler bahnen, die sich hinter der Bühne tummelten.

„He, Selena!“, rief Danny Morris. „Prima Vorstellung! Du warst echt cool!“

„Danke“, erwiderte Selena kurz angebunden und schob sich an dem stämmigen, blonden Jungen vorbei, der wie sie die Abschlussklasse der Highschool besuchte. Als sie die Enttäuschung auf seinem gebräunten Gesicht bemerkte, spürte sie leichte Gewissensbisse. „Vielleicht sollte ich ein bisschen netter zu ihm sein“, überlegte sie. „Schließlich haben wir uns früher mal sehr gern gehabt. Damals – aber das ist lange her …“

Heute konnte Selena allerdings nicht mehr verstehen, warum alle Mädchen an der Highschool von Danny so fasziniert waren. Inzwischen fiel es ihr sogar schwer, sich vorzustellen, dass sie ganze sechs Monate mit ihm gegangen war. Wie hatte sie seine Angeberei und seinen Egoismus bloß so lange ausgehalten?

„Sprichst du auch für eine Rolle im nächsten Stück vor?“, fragte Danny und baute sich vor ihr auf.

„Natürlich.“ Selena seufzte. Sie versuchte, um ihn herumzugehen, aber er bewegte sich keinen Zentimeter. „Danny, hör mal, ich hab’s eilig …“

„Du wirst bestimmt den Part der Julia bekommen“, sagte Danny beharrlich und ignorierte ihre Versuche, an ihm vorbeizukommen. „Rat mal, für welche Rolle ich vorspreche?“

„Das Ungeziefer im Schloss?“, witzelte Selena.

„Selena!“

Beim Klang der vertrauten Stimme ihrer besten Freundin, Katy Jensen, drehte Selena sich um. Katy, die den schwarzen Overall der Bühnenarbeiter trug, kam auf sie zugelaufen.

„Bis später“, wimmelte Selena Danny ab, als Katy sich näherte.

„Du warst großartig!“, schwärmte Katy. „Sogar noch besser als gestern.“ Begeistert umarmte sie ihre Freundin.

„Heute waren alle Schauspieler großartig“, sagte Selena bescheiden. „Und hinter der Bühne lief es auch perfekt.“

Katy wischte sich mit dem Handrücken über die Stirn. Ihr kurz geschnittenes dunkles Haar war zerzaust und ihr blasses, rundes Gesicht glänzte vor Schweiß.

„Es gab ein Problem mit der Beleuchtung“, erzählte sie. „Hast du es nicht bemerkt?“

„Überhaupt nicht“, erwiderte Selena.

„Einer der Scheinwerfer war nicht richtig eingestellt“, erklärte Katy. „Ich bin sofort raufgeklettert, als ich es gesehen habe.“ Sie zeigte hinauf zu dem schmalen Laufsteg hoch über der Bühne, an dem die Beleuchtungsanlage befestigt war.

Selena blickte nach oben und schauderte. „Wie bringt Katy es bloß fertig, dort hinaufzusteigen?“, fragte sie sich. Allein beim Anblick der schmalen Metallleiter wurde ihr ganz schwindelig.

Katy dagegen machten große Höhen nichts aus. Schon als sie beide noch klein gewesen waren, war sie immer diejenige gewesen, die auf die größten Bäume kletterte, während Selena lieber am Boden blieb.

„Wahrscheinlich ist Katy deswegen auch bei der Bühnenarbeiter-Crew“, dachte Selena und öffnete die Tür des großen Umkleideraums.

Hier hatten sich all ihre Freundinnen versammelt, die in dem Stück mitgespielt hatten. Für die Dauer der Aufführung diente der Raum als Ankleidezimmer für die Mädchen. „Die Spinde müssten auch mal repariert werden“, bemerkte Katy. „Ich glaube, es gibt keinen einzigen, der noch richtig schließt.“

Selena zuckte mit den Achseln.

„Und – bist du bereit für deine nächste Rolle?“, erkundigte sich Katy.

„Wie meinst du das?“, fragte Selena, während sie Alison mitfühlend zulächelte. Die Schwarzhaarige versuchte gerade ebenfalls, sich durch die Gruppe der Mädchen zu drängen.

„Na, komm schon.“ Katy lachte. „Es ist doch klar, dass du die Julia spielen wirst.“

„Das sagen alle. Dabei ist es noch gar nicht sicher, ob ich die Rolle bekomme“, wehrte Selena ab.

Katy schnaubte. „Du könntest genauso gut behaupten, es sei nicht sicher, ob die Sonne morgen wieder aufgeht! Alle wissen doch, dass du die perfekte Besetzung für die Julia bist. Ich meine, es ist das letzte Stück in diesem Jahr. Wenn du nicht die Hauptrolle spielst, wird sowieso niemand kommen.“

„So ’n Quatsch!“ Selena verdrehte die Augen. Warum musste Katy bloß immer so übertreiben? „Es ist ganz allein Mr Riordans Entscheidung“, fügte sie hinzu.

„Was ist meine Entscheidung?“ Mr Riordan hatte sich den Mädchen unbemerkt genähert.

„Wir sprechen gerade über die Rollenverteilung für die Frühjahrsaufführung“, erklärte Selena.

Mr Riordan nickte. „Die Besetzung des nächsten Stücks könnte besonders wichtig werden“, vertraute er ihnen an.

„Warum?“, fragte Katy neugierig.

„Nun, eigentlich ist es ja noch ein Geheimnis, aber … ich habe gerade erfahren, dass der Schauspiellehrer der Northwestern-Universität hier sein wird“, flüsterte Mr Riordan ihnen zu.

„Das ist ein Scherz, oder?“ Selena stockte der Atem. Diese Uni hatte eine der besten Schauspielabteilungen im ganzen Land.

„Nein, es stimmt“, versicherte er ihr. „Er besucht jedes Jahr eine andere Schule in der Gegend, um nach neuen Talenten Ausschau zu halten. Und dieses Jahr hat er sich die Highschool in Shadyside ausgesucht.“

„Wow!“, rief Selena. „Ich habe mich an der Northwestern beworben, aber ich kann dort nur studieren, wenn ich ein Stipendium bekomme.“

„Dann ist das deine große Chance“, sagte Mr Riordan augenzwinkernd. Er drehte sich um und ging auf den Bühneneingang zu. „Ich seh euch beide auf der Party!“

„Du hast mir gar nicht erzählt, dass du zum Studieren weggehen willst“, bemerkte Katy.

„Natürlich möchte ich das“, antwortete Selena. „Aber es ist nur ein Traum. Meine Mom verdient ja nicht mal genug Geld, um mich aufs Junior-College zu schicken.“

„Wenn dieser Schauspiellehrer dich die Julia spielen sieht, bekommst du das Stipendium bestimmt“, prophezeite ihr Katy.

„Das wäre zu schön, um wahr zu sein“, meinte Selena. „Aber ich glaube es erst, wenn es so weit ist.“

Die meisten anderen Mädchen waren inzwischen verschwunden. Selena riss die Tür ihres Spinds auf. Ihr Rucksack hing immer noch dort, wo sie ihn vorhin aufgehängt hatte, aber darunter lag ein riesiger Blumenstrauß, der in blau gestreiftes Papier eingewickelt war.

„Was ist denn das?“, fragte Katy und blickte Selena über die Schulter.

„Cool!“, rief Selena. „Ich wüsste zu gerne, von wem die sind!“

„Mach doch mal auf!“, drängte Katy.

Vorsichtig holte Selena den eingewickelten Strauß aus dem Spind. Sie riss das Papier ein Stück auf, warf einen Blick hinein – und schnappte vor Entsetzen nach Luft.

Fear Street 43 - Lampenfieber

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