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ОглавлениеSie nahmen auf der Sesselgarnitur Platz. Zwischen ihnen stand ein Nierentisch mit einem braun-rot-schwarzen Muster aus Bakelit-Quadraten und -Rechtecken. Auf den Whiskygläsern prangte der rot-weiße, dynamische Schriftzug der „BEA“. Feltens Tochter arbeitete als Stewardess bei der britischen Fluggesellschaft. Die Tumbler hatte sie ganz legal entwendet.
Felten hob sein Glas: „Freut mich, dass du wieder unter den Lebenden weilst.“
„Danke. War ein bisschen lang dieses Mal. Dreizehn Monate. Ich dachte schon, ich setze Patina an.“
„Oder wirst mumifiziert.“ Felten lächelte freundlich.
„Das Problem da drin ist, dass sie sich weigern, einem vernünftige Lektüre zu besorgen. Die Gefängnisbibliothek taugt nichts. Aber keiner erlaubt dir, mal in die Öffentlichen Bücherhallen zu gehen oder dort zu bestellen.“
„Was fehlte denn in der Knastbibliothek?“
„Balzac. Menschliche Komödie.“
„Ziemlich umfangreich. Hättest du was gesagt …“
„Kein Kontakt im Brandfall hast du gesagt.“
„Na ja, über drei, vier Ecken wär’s vielleicht gegangen.“
„Das nächste Mal …“
„Wieso ausgerechnet Balzac?“, fragte Felten.
„Es gibt da in diversen Romanen eine Figur, die mich interessiert.“
„Jacques Collin.“
Rinke fühlte sich ertappt. „Stimmt.“
„Weil er dich an deinen Vater erinnert. Ein echter Berufsverbrecher. Ich habe immer bewundert, dass er trotz fehlender bürgerlicher Fassade nie erwischt wurde. Na ja, fast nie.“
„Er liebte den Untergrund.“
„Wie deine Mutter. Ihr seid eine echte Maulwurffamilie.“ Felten nippte an seinem Whisky.
„Meine Mutter war keine Verbrecherin. Sie war im Widerstand.“
„Im politischen. Nicht im kriminellen so wie ich.“ Felten lachte.
„Ja, sie hat gegen die Faschisten gekämpft, macht sie immer noch. Jetzt wieder mit der Schreibmaschine.“
„Artikel für die Deutsche Volkszeitung zu schreiben, gilt hierzulande beinahe schon als Verbrechen.“
„Du übertreibst.“
„Nur ein bisschen. Freut mich, dass deine Mutter sich nicht unterkriegen lässt.“
„Ja“, sagte Rinke leise und starrte vor sich hin.
„Und du?“
Rinke nahm einen Schluck Whisky und zuckte mit den Schultern. „Keine Ahnung.“
„Was bleibt uns denn übrig?“, ereiferte sich Felten. Er breitete die Arme aus: „Die Welt ist ein Schlaraffenland, aber die gebratenen Tauben landen immer in den Mäulern der anderen. Also ist Selbsthilfe gefragt.“
Rinke ließ den Whisky im Glas kreisen. „Ich denke immer mal drüber nach.“
„Über was?“
„Was das soll … Ich meine, einerseits kannst du nicht mitmachen in diesem verlogenen Spiel, in dem die angeblich Gesetzestreuen sich gegenseitig abzocken. Andererseits wird das, was ich mache, immer riskanter. Das nächste Mal brummen die mir fünf Jahre auf. Dann ist es aus mit mir.“
„Lass dich nicht erwischen, Lou!“
„Ja, genau …“ Der Bernsteinglanz des Whiskys machte Rinke melancholisch. „Nach dem nächsten Ding hau ich ab. Endgültig.“
„Ach … Wohin denn?“
Rinke zögerte. „Na ja … also, ich sage immer Marbella. Weil das alle sagen, die wegmüssen.“
„Spanien liefert nicht aus. Ist aber eine faschistische Diktatur.“
„Ja, eben. In Wahrheit will ich woandershin. Karibik.“
„So, so. Wegen der Musik?“
„Musik und Politik.“
„Ah, Kuba!“
„Vielleicht.“ Rinke starrte träumerisch ins Nichts. „Ich bin doch ein halber Spanier … zwei Jahre Katalonien, dann das Exil in Mexiko. Das Hispanische liegt mir vielleicht nicht im Blut, aber in der Seele.“
„Wenn du lieber Rum trinken willst …“ Felten deutete zur Bar.
„Lass uns von was anderem reden, Dimitrios. Die Zeit drängt.“ Rinke schaute nervös auf seine Armbanduhr. Eine Patek Philippe, die sein Vater ihm geschenkt hatte, nachdem er sie in einer Villa in Harvestehude erbeutet hatte. Das Glas war ziemlich zerkratzt.
„Ach was.“ Felten machte eine beschwichtigende Handbewegung. „Es ist alles organisiert. Keine Panik. Aber nun erzähl mal, was ich erwarten kann.“
„Säckeweise Gold.“
„Gold in Säcken?“
„War nur so dahingesagt. Goldbarren natürlich. Kann auch sein, dass Münzen dabei sind oder Schmuck.“
„Barren sind prima. Münzen auch. Aber Schmuck ist immer heikel. Bleibt er erhalten, kann er identifiziert werden. Nehmen wir ihn auseinander, sinkt der Wert. Weißt du ja selbst.“
„Ich mag das Gold auch lieber lose und zur freien Verfügung.“ Rinke grinste. Seine melancholische Phase war vorbei. Er fühlte sich beschwingt. Lag’s am Gold? An der „Malaguena“, die ihm wieder in den Sinn gekommen war? Er klopfte den Flamenco-Rhythmus auf die Sessellehne. Vielleicht fand er ja so eine wie die Valente auf Kuba. Eine, die diese überschäumende Fröhlichkeit verbreitete und trotzdem heißblütig war. Bloß nicht zu kompliziert. Ein einfaches Mädchen mit Rhythmus. Und wallenden schwarzen Haaren. Chic chicco chi ca …
„Und wo hast du die Säcke aufgetan?“, fragte Felten.
„Da liegt ein Frachter im Hafen …“
„Sag bloß.“
„Der hängt fest im Spreehafen und kommt nicht weg.“
„Mit ‘ner Ladung Gold an Bord.“
„Red keinen Quatsch, Dimitrios! Das Gold ist illegal dort. Das ist ja der Witz. Deshalb ist es eine todsichere Sache. Die Polente kann nicht alarmiert werden.“
„Illegale Goldbarren liegen da herum. Im Freihafen. Und der Zoll weiß nix davon?“
„Es ist keine große Ladung. Das Zeug ist in einem Safe. Und da hat noch keiner reingeschaut.“
„Wer erzählt dir denn solche Märchen?“
„Leute, die es wissen.“
„Und die das Zeug nicht selbst da rausholen können?“
„Nicht wollen, weil sie keine Profis sind.“
„Hör mal, Lou. Du willst mir hier irgendwelches dubioses Gold anschleppen … ich hätte schon gerne gewusst woher und wieso …“
„Der Tipp kommt von Freunden meiner Eltern. Kapiert? Da steckt was Politisches dahinter, verstehst du?“
„Nee, gar nicht.“
„Kriegsbeute, okay? Und jemand will das jetzt zu Geld machen. Ein Extrageschäft des Kapitäns. Der hat diese Sonderladung schon seit Piräus im Laderaum, schön vernagelt in einer Bretterkiste. Die Reederei weiß nichts davon. Der Frachter wartet auf neue Ladung. Die kommt mit dem Zug. Maschinen aus dem Sauerland. Dann geht’s ab nach Argentinien. Aber das Gold soll hierbleiben. Ein Hamburger Geschäftsmann mit Verbindungen nach Griechenland hat da seine Hände im Spiel.“
„Wer?“
„Keine Ahnung, es wurde kein Name genannt.“
„Aber du bist dir sicher …“
„… weil meine Informanten ihre Informanten da unten haben.“
„Das klingt mir verdächtig nach Politik.“ Feltens Gesichtsausdruck machte deutlich, dass er es ablehnte, in diesen Gefilden zu fischen.
„Nein! Sieh mal: Eigentlich sollte der Tresor schon in Piräus geknackt werden. Aber dann sind die aufgeflogen. Es gab eine Schießerei mit der Hafenpolizei … na ja, die Sache ist gescheitert. Es hieß dann, greift in Marseille zu. Aber da hat das Schiff gar nicht festgemacht, sondern ist direkt bis Hamburg gefahren. Und hier haben die niemanden.“
„Und da springst du ein?“
„Nicht direkt, ich arbeite mit niemandem zusammen. Ich nutze nur die Gelegenheit.“
„Was hat der Kahn denn sonst noch geladen?“
„Teppiche und Textilien aus Persien waren noch drauf. Ist alles gelöscht. Jetzt warten sie auf die Maschinen. Das dauert noch. Die Besatzung ist in der Stadt. Nur der Steuermann ist an Bord und ein Matrose. Mein Kontakt …“
„Wie kommst du denn an den?“
„Na ja, ein Bekannter meiner Mutter, der da unten im Bürgerkrieg …“
„Also doch was Politisches!“
„Nur indirekt. Und ich doch nicht. Ich will das Gold!“
„Wieso nimmt sich dein Kontaktmann das denn nicht?“
„Der hat keine Ahnung von der Technik. Es handelt sich um einen Bode-Panzer-Tresor aus den Dreißigern. Den haben sie in die Kiste verpackt und mit einem Kran reingehievt. Ein Monstrum aus Stahl und Beton. Zwei Meter hoch und eineinhalb Meter breit. Mit Kombinationsschloss. Den kriegt man nur auf, wenn man weiß, wie’s geht. Mein Vater war Experte für Bode-Panzer. Er hat mir einiges beigebracht.“
„Ein Traditionsunternehmen …“
„Klar, einen Bode zu knacken, ist die hohe Schule.“
„Wie lange brauchst du dafür?“
„Eineinhalb Stunden schätzungsweise.“
„Und bei schwerem Seegang?“
„Was?“
„Der Sturm soll noch zunehmen. Es wird ungemütlich im Hafen. Auf dem Frachter könnte es ein bisschen wacklig werden.“
„Das wäre mir egal, ich werde nicht seekrank. Aber der Tresor steht ja schon im Schuppen.“
„Auf dem Schiff würde ja auch alles auf deinen Verbindungsmann hindeuten.“
„Eben.“
„Vielleicht spielt dir das Wetter in die Hände. Bei Sturm ducken sich alle weg. Und wann erwarte ich dich hier?“
„Übermorgen zwischen vier und fünf Uhr in der Früh. Aber natürlich nur, wenn du mir den Lieferwagen besorgst.“
„Klar. Steht morgen früh bei dir um die Ecke.“
„Am besten dunkel und mit unverfänglicher Beschriftung.“
„Klar.“
„Prima.“ Rinke stand auf und streckte sich. Ein leichtes Kribbeln breitete sich in seinem Körper aus, von den Fingerspitzen in die Hände und über die Arme bis in den Kopf. Und irgendwo weit hinten in seinem Bewusstsein, in der Echokammer seiner Sehnsüchte, rauschte die Flutwelle der Streicher des Orchesters Werner Müller und eine trällernde Stimme erhob sich zum rhythmischen Klappern der Kastagnetten.
„Wie viel darf ich denn erwarten?“, fragte Felten.
„Zwanzig Stück mindestens, nach der Größe des Tresors zu urteilen.“
Felten kniff die Augen zusammen. „Das sind zweihundertfünfzig Kilo oder mehr. Wie willst du das alles tragen?“
„Ich hab einen Esel.“
„Hoffentlich ist der nicht störrisch.“
„Nicht so störrisch wie deine Katze.“ Rinke deutete auf das Sofa, wo die Augen der Siamkatze mysteriös flackerten wie die Szintillatoren einer Röntgenkamera.
„Sie will dich nur darauf aufmerksam machen, dass du deine Gummistiefel wieder anziehen musst, bevor du rausgehst“, sagte Felten.