Читать книгу Inspector Swanson und das Geheimnis der zwei Gräber - Robert C. Marley - Страница 12

KAPITEL 3

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Ein paar Häuser weiter, in Nummer 12 Tennyson Road, hörte der große bullige Mann mit dem Walrossbart ihr schweres, rasselndes Husten aus dem Zimmer nebenan und legte den Stift aus der Hand.

Die kleine Ortschaft Friar’s Oak, in der er seinen Helden Rodney Stone, in ein Gespräch mit dessen dandyhaften Onkel Arthur über Faustkämpfe verwickelt hatte, verschwand vor seinem geistigen Auge, und er kehrte in die graue Wirklichkeit zurück. Das geschah jedes Mal, wenn er das Husten hörte.

Im Grunde machte es nichts, dachte er. Die Szene würde er ohnehin streichen müssen. Sie war einfach nicht gut genug.

Er rieb sich müde mit beiden Händen über Augen und Gesicht, massierte seine Schläfen. Er war nicht zufrieden. Ganz und gar nicht. Dieser Tage flossen ihm die Worte nicht so leicht auf das Papier, wie es noch vor einigen Monaten der Fall gewesen war.

Der Grund dafür war die Sorge um Touies Gesundheitszustand. Sie nagte weit kräftiger an seinem Nervenkostüm, als er es sich eingestehen mochte. Da halfen selbst die kleinen Fluchten in die Welt seiner Fantasie nichts. Denn nicht ein Tag verging, ohne einen von Touies alarmierenden Hustenanfällen. Tatsächlich waren sie wieder deutlich schlimmer geworden, seit sie aus der Schweiz zurückgekehrt war, wo er sie für eine Weile in einem Luftkurhotel untergebracht hatte, weil er sich von einer Klimaveränderung eine rasche und nachhaltige Verbesserung ihrer Gesundheit erhofft hatte. Doch sie hatte schreckliches Heimweh gehabt, und so hatte er sie, wider besseren Wissens, zurück nach Norwood geholt. Und die Bauarbeiten an dem neuen Haus in Hindhead, wo die Luft sauberer war, als hier in London, schritten auch nicht so schnell voran, wie er es sich gewünscht hätte. Wenn es so langsam weiterginge, würden sie erst in zwei Jahren umziehen können, dachte er. Er musste wirklich öfter auf der Baustelle vorbeischauen und die Arbeiter zur Eile antreiben, wenn er wollte, dass seine Frau die Fertigstellung des Anwesens überhaupt noch erlebte.

Er stand auf und blickte aus dem Fenster in den Garten hinaus, derweil das Husten nebenan schwächer wurde und schließlich ganz verstummte.

Er lauschte eine Minute in die Stille hinein, während er weiter dastand und in den Garten hinunterschaute. Wenn es so weiter ginge, würde er noch Depressionen bekommen. Nun, womöglich hatte er sie schon. Nichts bereitete ihm mehr Freude. Das war anders gewesen, als er Touie noch sicher verwahrt in der Obhut der Schweizer Ärzte gewusst hatte. Da hatte er wenigstens etwas Freude und Erfüllung in der Arbeit gefunden.

Selbst Jean, die teure und treue Seele, die ihn manchmal besuchte, und die ihn mit ihrer unbeschwerten jugendlichen Naivität aufzumuntern versuchte, mochte er gegenwärtig nicht sehen. Es schmerzte zu sehr, in ihrer Nähe zu sein.

Wenn Touie nicht wäre, dachte er manchmal …

Er hörte, wie sie nach ihm rief. Das tat sie oft, beinahe jede halbe Stunde. Ihre Stimme klang schwach und atemlos.

Er sollte hinüber gehen. Sollte nach ihr sehen. Doch er ertappte sich dabei, wie er hoffte, sie würde kleinbeigeben, würde glauben, er könne sie nicht hören, würde glauben, er habe das Haus verlassen, um Besorgungen zu machen.

Er wandte sich vom Fenster ab, stellte sich vor den ledernen Boxsack, der in der Zimmerecke von der Decke hing, und hämmerte minutenlang Kombinationen von Schlägen in den schwerfällig hin und her schwingenden Sack, bis er schließlich schwitzend und kraftlos die Arme sinken ließ.

Er war wütend, das merkte er jetzt. Wütend auf das Leben, das seiner Frau ein solch schweres Schicksal bescherte, wütend auf die Menschen, die ihm tagtäglich Briefe schickten, in denen sie die Rückkehr von Sherlock Holmes verlangten, und wütend auf sich selbst, weil er so verdammt anständig und gleichzeitig von solcher Schwäche war.

Jean, dachte er wieder. Zarte, verlockende Jean. Ihre Haut war wie Seide, ihr Haar wie fein gesponnenes Ebenholz.

Bloß einmal hatte er sie angerührt, in einem Moment großer Verletzlichkeit. Sie war zu ihm gekommen, nachdem er Touie in die Schweiz gebracht hatte, als er allein gewesen war in dem großen leeren Haus, mit all seinen düsteren Gedanken und den Sorgen um die Zukunft. Sie hatte ihm zugehört, wie niemand sonst es tat, ihm tief in die Augen geschaut, wortlos seine Hände genommen und sie auf ihre Brüste gepresst.

Wenn er an jenen Tag dachte, überkamen ihn noch immer Schuldgefühle. Zum einen, weil er seine Frau betrogen hatte, und zum anderen, weil er nicht zu dem stand, was sein Herz ihm so hartnäckig zuflüsterte. Er liebte seine Frau, das stand außer Frage; auf eine fürsorgliche, warmherzige Weise, die einen Mann seines Charakters zu absoluter Treue verpflichtete. Sie war die Mutter seiner Söhne und würde es für immer bleiben. Doch Jean liebte und begehrte er. Und das mit einer Intensität, die in Worte zu fassen er nicht vermochte.

Er spürte, wie er eine Erektion bekam, als er an jenen Abend und ihren makellosen jungen Körper dachte, auf dessen Rundungen das Licht der Kerzen verführerisch getanzt hatte, während sie sich leidenschaftlich liebten. Eine Tatsache, die der Arzt in ihm mit einer gewissen sachlichen Distanziertheit zur Kenntnis nahm.

Er ballte die Fäuste und schlug abermals mit solcher Kraft in den Boxsack, dass ihm die Fingerknöchel schmerzten.

Er hatte Jean an jenem Abend gesagt, das, was zwischen ihnen geschehen sei, dürfe sich niemals wiederholen, solange seine Frau am Leben sei. Sie hatte zwischen den zerwühlten Laken in seinem Arm gelegen, ihren Kopf mit dem duftenden schwarzen Haar auf seiner nackten Brust, und sie hatte geweint.

Touie rief wieder nach ihm. Ihr Rufen wurde gefolgt von einem heftigen Hustenanfall.

Er schlug noch einmal gegen den Boxsack, halbherzig diesmal, und wischte sich den Schweiß von der Stirn. Dann verließ er sein Arbeitszimmer, klopfte an Touies Tür, ehe er eintrat, und ging zu ihrem Bett.

Sie sah aus wie eine Puppe – zerbrechlich weiß wie Porzellan, und ihr ehemals wallendes blondes Haar lag dunkel und wie angeklebt um ihren Kopf herum. Ihre Finger zuckten in schwachen Krämpfen auf der Bettdecke.

»Du hast gerufen«, sagte er leise und beugte sich über sie. Mit dem Handrücken fühlte er ihre Stirn. Sie war kalt. »Ich bin nicht gleich zu Dir gekommen.« Er seufzte. »Es tut mir leid.«

»Ist schon gut«, sagte sie. Ihre Stimme war nur mehr ein Hauchen. »Ich weiß doch, wie beschäftigt du immer bist.« Sie lächelte schwach.

Das war das Schlimmste für ihn. Ganz gleich, was er tat, sie erzürnte sich nicht, war niemals ärgerlich mit ihm und schien für jede seiner Handlungen Verständnis zu haben.

»Hast du ein wenig geschlafen?«, fragte er. Er zog sich den Schemel heran, der neben ihrem Bett stand und setzte sich zu ihr. Das alte Holz knarzte unter seinem Gewicht. Als er ihre rechte Hand nahm, verschwand sie wie ein Spielzeug in seinen mächtigen Pranken, die ein unsensibler Journalist einmal als westfälische Schinken bezeichnet hatte.

»Ich glaube schon.«

»Ich brühe dir einen frischen Tee auf«, sagte er mit einem Blick auf die unberührte Kanne, die er am Morgen auf ihr Nachtschränkchen gestellt hatte.

»Nein«, sagte sie. »Nein, lass gut sein. Ich kann keinen Tee mehr sehen.«

»Er tut dir gut, Liebes.«

»Du tust mir gut.«

Er drückte ihre Hand. »Ich will in den Ort hinunter gehen. Kann ich dir irgendetwas mitbringen, was dir Freude macht?«

»Komm schnell zurück«, sagte sie. »Das ist mir Freude genug.«

Er nickte, legte ihre Hände behutsam auf die Bettdecke zurück und erhob sich. »Ich bin in einer Stunde zurück«, sagte er. »Kann ich dich solange allein lassen?«

»Ich bin ein großes Mädchen«, erwiderte sie und ein schmales Lächeln kräuselte ihre Lippen. »Mir wird schon nichts geschehen.«

»Ich werde dir trotzdem erst einen Tee aufgießen.«

»Meinetwegen, wenn du es nicht lassen kannst.«

»Ich bin der Arzt hier«, sagte er mit einem Augenzwinkern. »Ich weiß, was gut für dich ist.«

Er ging in die Küche hinunter und setzte den Wasserkessel auf. Während er darauf wartete, dass er kochte, nahm er ein Tablett vom Küchenschrank, stellte eine Schale mit Keksen darauf und pflückte im Garten noch einen kleinen Strauß Margariten, den er, in Ermangelung einer ordentlichen Vase, in ein Wasserglas stellte. Dann goss er den Tee auf und ging wieder nach oben.

Touie schlief und erwachte auch nicht, als er das Tablett ins Zimmer trug. Die Tuberkulose schien Sie heute noch mehr zu schwächen als gewöhnlich.

Er zog sich einen leichten Sommermantel über, hängte sich einen Weidenkorb über den Arm und verließ das Haus.

Als er die Straße hinunterging, sah er einen der Nachbarn auf der gegenüberliegenden Seite auf dem Gehsteig stehen und hektisch mit beiden Armen winkten. Es war Mr Dawson, den er vom Bridgespielen kannte.

»Mr Conan Doyle!«, rief er ihm bereits von weitem entgegen. »Mr Conan Doyle, ich muss Sie dringen sprechen! Es ist wegen der Leute aus Nummer 27, den O’Hanlons.«

Inspector Swanson und das Geheimnis der zwei Gräber

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