Читать книгу Arnulf. Der Herr der Elbe - Robert Focken - Страница 12

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Kapitel III

»Ihr seid plötzlich auf Drascos Seite, Weib?«

»Wenn es gegen Sklavenhändler geht, ja!«

»Wenn wir die Kerle wirklich im Holstengau stellen«, sagte Arnulf mit kehliger Stimme, »auf Wolfgers Türschwelle, werden wir ein paar Feinde mehr haben. Richtet euch darauf ein!«

»Wir werden auch mehr Freunde haben! Fast jeder verachtet die Sklavenjagd!«

»Und doch tut niemand etwas dagegen!«

Sie waren einer Meinung, was in letzter Zeit nicht oft vorkam. Manchmal stritten sie über alberne Kleinigkeiten. Aber wenn Arnulf dann in einem ruhigen Moment darüber nachdachte, stellte er immer wieder fest, dass es in Wirklichkeit darum ging, wie sie ihre Herrschaft einrichteten: Brachte es etwas, den immer wieder neuen Bettlern und Habenichtsen zu essen zu geben oder gar ein Lager? Wer ein Handwerk konnte, gar mit einer Waffe umgehen konnte, der durfte auf Arnulfs Milde rechnen. Aber die anderen? Erika hingegen wollte stets Barmherzigkeit walten lassen, »Christentum« eben, wo Arnulf nach Nützlichkeit ging. Sie hatte ein Spinnhaus eingerichtet, in dem elternlose Kinder für eine Mahlzeit am Tag arbeiten konnten – aber oft genug waren solche Kinder bald wieder verschwunden, warum auch immer. Und mitunter ließen sie dabei Dinge mitgehen, die zur Burg gehörten. Dass ein verschenktes Korn keinen Keim mehr treibt, sagte Arnulf manchmal. Das ärgerte sie umso mehr, weil das eine sächsische Wendung war, die auch in ihrer alten westfälischen Heimat gerne benutzt wurde. Die Westfalen bildeten neben den Engern und Ostfalen die Hauptstämme der Sachsen; die Nordelbier mit Holsten, Sturimarn und Diutmarser galten freilich als mindestens so stur und trutzköpfig wie ihre Brüder im Süden.

Die Sklavenjagden in ihrer Nachbarschaft mussten aufhören, darüber waren sie sich einig. Was ihn bei dieser Sache vor allem mitriss, war, dass der Fürst Drasco ihn zum ersten Mal direkt um Hilfe bat. Damit erkannte der Abodrit Arnulfs Stellung als Kriegsherr an der Elbe an! Dies, obwohl Drasco immer wieder den Verbündeten für den König Karl spielte, wenn der gegen die Nordelbier zog oder auf die anderen Slawenstämme östlich der Elbe einschlug!

Die Burg selbst hatte nur einige Dutzend Krieger, die er sofort für die Verfolgung einsetzen konnte. So jagte Arnulf seine Getreuen los, um auf den Außenhöfen und den Rodungslagern weitere Männer herbeizurufen. Arthur wiederum brachte auf Anhieb zwanzig Leute zusammen, denn die meisten seiner Männer lebten in den Mannschaftsbaracken der Burg. So kam es, dass bald eine schwer bewaffnete Kavalkade von Arnulfingern und Abodriten die Festung in nordwestlicher Richtung verließ, noch bevor die Sonne den Horizont berührte. Mit ihren Schuppenpanzern, schwarzen Halstüchern und Spangenhelmen hoben sich Arnulfs Leute von den Abodriten ab, die zumeist Lederpanzer oder Filzpanzer trugen. Nur der Fürst selbst und ein halbes Dutzend seiner wohlhabenderen Getreuen waren mit Kettenhemden angetan.

Roswith winkte ihrem Vater vom rückwärtigen Wehrturm neben dem Tor nach, zusammen mit einigen Kriegerfrauen, deren Männer auszogen. Unten im Tor standen Erika und ihr jüngerer Sohn. Dass Arnulf auch Brun mitgenommen hatte, gefiel ihr nicht, zumal der Mann an Gewaltritte nicht mehr gewöhnt war. Aber sie verstand, warum Arnulf das tat.

»Grimbald? Hast du Vater verabschiedet und ihm Segen gewünscht?«

»Dafür war keine Zeit.« Grimbald wand sich. »Ging alles holterdiepolter, er hat doch nur rumgeschrien!«

»Warum wohl«, bemerkte Erika trocken. »Vielleicht wegen der unbeschlagenen Pferde? Grimmo, gib dir mehr Mühe!«

»Ich gebe mir Mühe«, seufzte Grimbald, sah zu Boden und schoss ein paar Kiesel mit einem Fuß weg.

Die letzten Reiter verschwanden hinter einer Kurve des Wegs, der zum Stutenhof führte. »Da ziehen sie hin«, sagte Grimbald ein wenig verlegen und ließ einen der Ringe, die sonst das Handgelenk schmückten, um den Finger kreisen. Dann setzte er mit beschwingter Stimme ein:

»Hundert Mann mit Ross und Schwert, Männer von fränkisch Blut,

zogen aus unter sax hamar, zu züchtigen der Holsten Brut …«

»Noch nicht, mein Lieber«, stieß Erika mit kehliger Stimme aus. »Mit solchen Versen warten wir besser, bis sie heil wieder zurück sind!«

Der junge Mann hob theatralisch die Hände – was sollte ich hier sonst beitragen?

»Später, Grimmo«, raunte sie mit mehr Wärme in der Stimme. »Nun geh und läute die Glocke mit aller Kraft! Dann wollen wir in der Kapelle zum Herrn beten! Roswith?! Kommt da oben herunter, zu lange winken bringt Unglück!«

Hinter ihr dröhnten nun einige Befehle über den Burghof, die eine seltsam weiche, westfränkische Färbung hatten: Arnulf hatte Gallo, seinen gewichtigen Vorsteher des Handelspostens, vorübergehend als Burgherrn eingesetzt. Erika musterte Arnulfs alten Gefährten und bemerkte, dass er an Masse zugelegt hatte. Sie zögerte, doch dann nahm sie sich ein Herz.

»Gallo? Auf ein Wort!«

Schlagartig verschwand der etwas finster-nachdenkliche Ausdruck aus Gallos Gesicht. Er zog den Saum der Tunika straff, was angesichts des stramm sitzenden Gürtels nicht so leicht war, und kam mit geschmeidigem Lächeln näher.

»Herrin?«

Gallo sprach diese sehr respektvolle Anrede sogar mit einem gewissen Schmelz aus, der auf Anhieb nicht zu dem massigen Kerl mit Walrossbart passte. Ja, gegenüber Erika zeigte er gerne etwas, das sie verstehen ließ, warum er einst in seiner Heimat westlich der Maas von einer Frauengeschichte in die andere gestolpert war – um sich am Ende in den Schutz von Arnulfs Hundertschaft zu flüchten. Dort führte er gelegentlich Krieg, war aber sicher vor seinen persönlichen Verfolgern, den betrogenen Ehemännern.

»Wir müssen einmal über Euer Dirnenhäuschen sprechen, Gallo!«

»Gute Erika, jetzt übertreibt Ihr aber!« Geradezu beleidigt sah er nun aus.

»Meint Ihr?« Leichthin nahm sie seinen Ellbogen und steuerte ihn sanft auf die Kapelle zu, deren Glocke nun einsetzte. »Diese Mädchen sind doch alle Heiden, nicht wahr? Und was sie da abends mit unseren jungen Kriegern anstellen, das ist ja wohl nichts, was unseren Kindern zum Beispiel dienen könnte, nicht?«

»Nun, ich kümmere mich kaum um deren Treiben, Edelfrau. Ihr kennt mich, ich bin einer, der jedem Schaf seine Wolke lässt, wie die Holsten sagen.«

»Veralbert mich nicht, Gallo! Eure Schäfchen, die liegen regelmäßig unter ein paar Hammeln, mit oder ohne Wolken! Und einen Teil von ihrem Erlös geben sie an Euch weiter, stimmt’s?«

»Manchmal fügt sich das so, ja, Edelfrau!« Mit Unschuldsmiene hob Gallo seine Schultern, um sie wieder sinken zu ­lassen. »Die Bälger haben ja nichts, außer … aber meine Idee war das nicht!«

»Aber Ihr zieht Euren Nutzen daraus, Mann.«

Er schwieg, denn er schien zu merken, dass es ihr ernst war. Halb erwartete sie, dass er nun Arnulf ins Feld führen würde: Ihrem Mann waren diese Dinge gleichgültig, das wusste sie. Aber Gallo erwähnte ihn nicht, wofür sie dankbar war. Als sie dann den kühlen, dunklen Innenraum des Gotteshauses betraten, schien er sogar auf ihren Vorschlag einzugehen, die Gelegenheitsdirnen in Erikas Kapelle zu schicken.

»Ihr habt mein Wort: Ich will sie gerne dazu ermutigen!«

Sie drückte seinen Arm, burschikos, wenn nicht mütterlich: »Ermutigt sie einfach so überzeugend, dass sie kommen, liebster Gallo! Ihr schafft das!«

Und so rang sie ihm das Versprechen ab, dass er mit zwei jungen Frauen – von Jungfrauen konnte man nicht mehr mit Überzeugung sprechen – zum morgigen Sonntagsgebet kommen würde.

* * *

Arnulfs Plan war so einfach wie riskant.

Die Schiffe der Sklavenjäger konnten sie nicht einholen. Aber sie glaubten zu wissen, wohin die Beutemacher wollten – wenn es wirklich Wolfger gewesen war, den Brun im Bug des vordersten Schiffes gesehen hatte. Die Horde würde dann ein gutes Stück flussabwärts von der Elbe in die Alster einbiegen und hinaufrudern bis zur Ulzburg, die die Grenze von Holsten- und Sturimarn-Gau markierte. Von dort war es nur noch ein knapper Tagesmarsch zum Hof von Wolfger weiter nördlich. Um die Täter noch einzuholen, bevor ihre Gefangenen verteilt oder verkauft wurden, mussten die fränkisch-slawischen Verfolger sie deshalb irgendwo zwischen Ulzburg und dem Ziel stellen.

Aber dafür mussten sie sich beeilen!

Der normale, halbwegs ausgebaute Weg zu den Alster-Siedlungen verlief nahe des Elbufers. Doch er war auch langwierig, würde zu Pferde mehr als zwei Tage dauern! Deshalb schlug Arnulf dem Abodritenfürsten vor, die kürzestmögliche Strecke zu nehmen, einen Weg also, der direkt von Delbende durch das wald- und sumpfreiche Hinterland auf die Ulzburg zielte.

Während der ersten Meilen ritt Drasco auf Arnulfs Höhe. Er schien begierig zu erfahren, wie viele Höfe zur Burg Delbende gehörten, wie viel Schmiede für Arnulf Schwerter schmiedeten und woher die Männer kamen, die für Arnulf kämpfen wollten. Besonders der letzte Punkt beschäftigte den Slawen, der mit nur drei oder vier Dutzend Bewaffneten in Delbende eingetroffen war. Seine Leibwache, nannte er sie. Beim Erzählen mischte er slawische mit reichlich fränkischen Brocken und verwendete sogar – etwas prahlerisch, wie Arnulf fand – ein paar lateinische Begriffe. Letztere konnte er nur von den fränkischen Heerführern haben, mit denen er bei anderer Gelegenheit gegen seine slawischen Nachbarn gezogen war! Angeblich hatte Drasco – weit weg von seiner Hauptburg Starigard10 im Nordosten – mit einem Vasallen nahe des Elbufers ein Fest gefeiert, die Feier für einen Flussgott – die Slawen hatten mehr Götter als Stroh auf ihren Hütten –, als Wolfgers Männer in ihrer Nachbarschaft zuschlugen. Um den Sklavenjägern mit größerer Streitmacht zu folgen, hätte Drasco nach Starigard zurückkehren müssen, aber ein Einholen der Holsten wäre dann unmöglich gewesen.

Die Gesichtsfarbe des Fürsten hatte einen gelblichen Ton; Arnulf bemerkte bald ein krampfhaft wirkendes Zucken der Kiefernmuskeln. Er wirkte irgendwie getrieben, als gehe es um mehr als ein paar Stammesangehörige. »Der Dorfälteste sagte uns«, fuhr er angestrengt fort, »dass sie mit sechs Schiffen kamen, mit zweihundert Mann!«

»Wir haben drei Schiffe gezählt«, antwortete Arnulf kühl. »Aber wenn man verprügelt wird, dann erzählt man später gerne, dass der Feind viel stärker war als in Wirklichkeit, nicht wahr?«

Drasco schwieg, dann wandte er den Kopf und rief den folgenden Reitern ein paar grimmig klingende Worte in seiner eigenen Sprache zu. Nur um dann wenig später festzustellen: »Ich bin dankbar, dass Ihr mit uns zieht, hamar!«

»Wahrscheinlich laufen die Kerle davon, wenn wir kommen«, sagte Arnulf nüchtern. »Die wollen Beute machen, keine Schlacht schlagen!«

Als hätten diese Worte neuen Mut beim Abodriten gezündet, sagte er fast schon zutraulich: »Mein Schwert brennt auf einen Kampf!« Dabei machte er mit dem Kopf, der von einem silbrig schimmernden Helm geschützt war, eine ruckartige Kopfbewegung nach hinten. Arnulf wurde klar, dass Drasco offenbar ein Wort verwechselt hatte, und drehte sich ebenfalls im Sattel um: Er sah Arthur im lebhaften Gespräch mit einem, der Drasco verdächtig ähnlich sah – hellbraune Haare, und ein kantiges Gesicht mit kräftigem Kiefer, die Züge freilich wirkten offener und unbeschwerter.

Mein Sohn, nicht mein Schwert!

»Mein Sohn brennt auch, Fürst«, sagte Arnulf und fügte nach kurzem Schweigen hinzu: »Die Jungen wollen immer nur kämpfen, was?« Drasco nickte vielsagend. Der Abodrit, erinnerte Arnulf sich, galt eher als Taktierer denn als großer Feldherr.

Längst hatten sie die Jungfrauen-Quelle hinter sich gelassen, die Arnulf noch einmal an den Nachmittag denken ließ: Er hatte sich selbst und das Pferd auf der Burgrunde einem idiotischen Risiko ausgesetzt, natürlich! Und wie zur Mahnung schnaubte sein Pferd – nur dass dies eben nicht das Sachsenross war, sondern sein Kriegspferd Sneo, was Schnee hieß. Arnulfs Schimmel war nicht unbedingt schneller als andere Pferde und sprang auch nicht über höhere Hindernisse. Aber er war klüger, hatte Arnulf irgendwann festgestellt. Sneo, dachte Arnulf manchmal, konnte seine Gedanken lesen.

* * *

In der Dämmerung erreichten sie die Kasseburg, den nördlichen Außenposten von Arnulfs Herrschaft. Es war nicht vielmehr als ein Rund aus Erde, Holzbohlen und Grassoden mit einigen Hütten darin, zwischen denen Gänse und Hühner herumliefen; in der Luft lag der Geruch von Schweinemist, als Arnulf durchs Tor ritt. Der Befehlshaber, ein Franke, kam ihm freudestrahlend entgegen: Erbwin trug noch das schwarze Halstuch Arnulfs alter Hundertschaft.

»Gegen die Holsten, Hauptmann? Bei Gott, nehmt mich mit, wir verrecken hier vor Langeweile!« Allein bis zur Ulzburg, erzählte er dann, würden sie am kommenden Tag zehn Stunden brauchen: »… falls ihr nicht zwischendurch im Stellmoor stecken bleibt, hamar! Besser, ihr umgeht das Moor südlich, etwa so, über die Mellenburg …« Er malte seinen Wegplan mit der Schwertspitze in den Dreck zu ihren Füßen.

»Skizan«, knurrte Arnulf. Er hatte die Entfernung unterschätzt … »Brun?«

»Herr?«

Der Ältere hatte sich im Hintergrund gehalten, nahm aber wie stets genau auf, was um sie herum vorging und wer mit wem sprach.

»Lasst Euch ein paar Decken von Erbwin geben, Hofmeister«, sagte Arnulf. »Wir werden im Freien übernachten! Erbwin, Ihr kommt mit und zeigt uns den Weg bis zur Alster!«

»Und gerne darüber hinaus!«, grinste der andere. »Mein Schwert ist rostig geworden, das ist nicht gut!«

So ritten sie bald zur Überraschung Drascos und seiner Abodriten unter einem heller werdenden Halbmond wieder los, in die Kühle der Nacht.

Das Abendessen fiel aus.

Drasco grummelte, aber Arnulf ging nicht weiter darauf ein. Wenig später bekam er Zustimmung von unerwarteter Seite: »Recht so, Vater!«, stellte Arthur fest, als er im Halbdunkel zu Arnulf aufschloss. »Mit ihren Schiffen sind die Bastarde schneller als wir. Entweder wir beeilen uns oder lassen es ganz sein!«

»Eben«, sagte Arnulf leichthin. »Wir sind ja nicht hier, um Spaß zu haben, was?«

Arthur lachte auf und zog sein schwarzes Halstuch etwas fester, denn es wurde schnell kühler. Arnulf freute sich über Arthurs gute Laune und hätte fast noch erwähnt, dass er mittags sein Ross zu sehr getrieben hatte. Aber nur fast …

»Morgen, Arthur, wenn wir die Kerle stellen, dann tut Ihr nichts, bevor ich den Befehl gebe. Ist das klar?«

»So klar wie die Nacht, Vater«, schnappte der Jüngere und trieb abrupt sein Pferd an, um Abstand zu gewinnen.

Arnulf schüttelte den Kopf.

Er hatte einen Krieger-Sohn und einen Sänger-Sohn, die beide mit ihm haderten. Der eine, weil der Vater ihm nicht genug Spielraum ließ. Der andere, weil Arnulf sich kaum für seine Schöngeistereien interessierte. Des Rätsels Lösung, beschloss Arnulf, hatte mit seinem toten Bruder Konrad zu tun, Grimbalds Oheim. Ein Tintenkleckser war der gewesen, der sich als Kind niemals geprügelt hatte! Aber eben auch ein heller Bursche, der eine Schule besuchte, schreiben, lesen, rechnen und Latein lernte und es bis zum Abt von Hersfeld brachte – ja, solche Talente gab es selbst in Arnulfs Familie. Und ausgerechnet bei seinem jüngeren Sohn tobten sie sich aus!

Die Dunkelheit und die Stille, in der die Männer langsam vorwärts trabten, ließen den Erinnerungen freien Lauf. Bewegt dachte Arnulf an Konrads Tod, damals, beim Sturm der Sachsenkrieger des Herzogs Widukinds auf die hessischen Gaue … Eben diesem Widukind hatte Arnulf zuvor in einem tollkühn-dreisten Akt Erika entrissen, Widukinds Halbschwester, um mit der Geliebten nach Süden in die Sicherheit des Frankenlandes zu fliehen. Niemand anders als Heden, der heute so schmerzlich vermisste Gefährte, war damals dabei gewesen! In Hersfeld hatten sie dann Arnulfs Bruder Konrad wiedergetroffen, denn er war Abt des Klosters. Der Versöhnung mit Konrad folgte wenig später dessen Tod in der Abwehrschlacht, die man gegen die angreifenden Sachsen schlug.

Warum hatte Arnulf nicht besser auf diesen zerbrechlich-kostbaren Gelehrten aufgepasst?

Kurz vor Mitternacht erreichten sie eine Lichtung an einer Weggabelung, die Erbwin mit Luchsaugen angesteuert hatte. Feuer wurden angezündet, Wachen für die Nacht eingeteilt. Arnulf rollte sich ein paar Meter vom Feuer entfernt in eine Erbwinsche Decke und schob das Halstuch unter den Kopf. Er ließ den Schuppenpanzer an, dessen Lederhülle eine gewisse Wärme spendete. Dieser Panzer war robuster als ein Kettenhemd, wenn auch nicht so bequem. So manches Kleingefecht hatte er in den letzten Jahren allein dadurch vermieden, dass einige Dutzend seiner Schuppengepanzerten den Gegnern mit gefällter Stoßlanze frühzeitig Angst einflößten. Morgen, spürte er, könnte es genauso kommen …

Oder auch nicht.

Bevor er die Augen schloss, erkannte er seinen Hofmeister im nassen Gras, gewärmt von Wolldecken, die ebenfalls aus Erbwins Bestand kommen mussten. Der Ältere starrte unverwandt in die Flammen, als brannten dort Antworten auf die Fragen des Lebens.

»Ist Euch wohl, Brun?«

»Ja, Herr.«

»Dann schlaft, morgen wird es anstrengend!«

Er antwortete nicht. Arnulf empfand einmal mehr Mitgefühl für den einzigen Überlebenden seiner Familie. Ein Verstümmelter, das war Brun! Erika versuchte häufiger, ihn zum Christentum zu bekehren – erfolglos.

»Ihr glaubt an Wodan und Donar, nicht wahr? Immer noch?«

»Ich huldige ihnen, ja, Herr. Aber sie sind anders als Eure Gottheiten.«

»Wie meint Ihr das?«

»Ihr Christen, Ihr erhofft so viel von Eurem Herrn Gott und seinem Sohn. Wir Sachsen, wir sind unseren Göttern gleichgültig.«

10 Oldenburg in Holstein

Arnulf. Der Herr der Elbe

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