Читать книгу Arnulf. Der Herr der Elbe - Robert Focken - Страница 14

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Kapitel V

Die Sklavenjäger waren nicht mehr weit vor ihnen – das erfuhren Arnulf und seine Männer von den Kriegern der Mellenburg. Ihr Erdwall war geschickt in eine Schleife der Alster eingebettet und schien nun in einem See zu stehen: Das lag noch an den starken Regenfällen des Frühjahrs. Enten flatterten vom Wasser auf, sogar ein Schwan erschien aus dem Schilf. Der Burgherr, mit dem Arnulf ein- oder zweimal im Jahr Geschenke austauschte, war bei einer Jagd. Aber ja, riefen seine Leute vom Wehrgang hinab, drei Dänenschiffe hätten am Vormittag unterhalb der Burg angelegt – um nach dem Ausbooten vieler Männer und Frauen wieder auf dem Fluss nach Süden zu verschwinden.

Die Dänen, ahnte Arnulf, hatten einen Teil der Verschleppten mitgenommen in ihre Heimat, denn das war der Preis für die Schiffsfahrt! Aber natürlich hatte Wolfger ebenfalls einen Teil der neuen Sklaven für sich behalten, die er nun über Land zu den Holstenhöfen treiben würde.

Arnulf legte den Kopf in den Nacken. »Heißt das, Euer Freund Wolfger zieht nach Norden, zur Ulzburg?«

Die behelmten Krieger steckten die Köpfe zusammen, waren sich nicht sicher, was sie erzählen wollten oder durften. »Er ist nicht unser Freund«, schrie schließlich ein rotgesichtiger Hüne. »Sind das Abodriten?« Er zeigte mit einer Speerspitze auf Drascos Leute, die sich mit ihren schlichten Panzern aus Leder und der eher farbenfrohen Kleidung von den Arnulfingern abhoben.

Arnulf nickte.

»Seit wann führt sax hamar slawisches Gesindel durch das Sturimarn-Land?«

»Seitdem die Sturimarn holstisches Räuberpack hier durchlassen«, antwortete Arnulf und wendete sein Ross.

Krähen hackten einander kein Auge aus.

Sie gaben ihren Pferden die Sporen. Erste Aufregung machte sich jetzt unter den Männern breit, Arnulf merkte es an zu lautem Auflachen hier oder einem gezischten Fluch dort. Ein morastiger Weg führte zu einer Bohlenbrücke über die Alster. Arnulf bildete sich ein, die Fußabdrücke der Geschundenen sehen zu können; die Holsten würden sie mit der Peitsche vorwärts treiben, ohne Unterlass …

Stunden später erreichten sie endlich den breiten Heerweg, der von der Alstermündung bis zur Dänengrenze führte. Häufig kamen ihnen nun Händler entgegen mit langsam kriechenden Ochsenwagen, mit Krügen und Körben bepackte Maultiere, die von Frauen und Kindern angetrieben wurden und einzelne Reiter, die die Kavalkade misstrauisch musterten. Irgendwann fand einer im Dreck am Wegesrand etwas, das wie eine beinerne Handpuppe aussah – nur dass diese Puppe vier bärtige Köpfe hatte, die düster in verschiedene Richtungen blickte. »Swantewit«, murmelten die Abodriten erregt und die Franken ahnten, dass es um eine Gottheit der Slawen ging.

Sie sahen die Ulzburg schon von Ferne, denn der Wald öffnete sich zu einer kleinen Heidefläche, in deren Mitte die Feste saß. Sie lag auf der linken Seite der Straße, Marktstände waren dort zu sehen, buntes, betrunkenes Volk lief umher, der Geruch von gebratenem Fleisch trieb über die Straße. Aber nichts war von den Abodriten zu sehen, die die Räuber angeblich entführt hatten. Statt dessen bellten Hunde sie an und johlende Kinder kamen herbei, um ein Stück neben den Pferden herzulaufen.

Was, wenn Wolfger doch eine andere Richtung genommen hatte?

Irgendwann begann es zu regnen.

»Umkehren«, das Wort war plötzlich hier und da zu hören. Längst waren die Pferde erschöpft und ließen die Köpfe hängen. Arnulf sah Drasco mit seinem Sohn sprechen, in heftigem Ton. Arthur warf seinem Vater einen wissenden Blick zu: Hatte der Fürst noch den Willen, weiterzumachen?

»Drei bis vier Stunden bis zu Wolfgers Hof«, bestätigte Brun auf Arnulfs Nachfrage. Der Alte, der eigentlich gar nicht so alt war, war auf dem Pferderücken zusammengesunken, ausgezehrt von der ungewohnten Anstrengung.

»Mut, Männer!«, trieb Arnulf die Leute mit kräftiger Stimme an. »Wir sind nahe an ihnen dran! Irgendwo müssen sie eine Rast einlegen!«

Und genau diesen Rastplatz fanden sie etwa eine Stunde später.

* * *

Längst waren sie wieder in den Wald eingetaucht. Dann, nach der Überwindung einer größeren Bodenwelle, sahen sie vor sich eine mit Büschen und Haselnusssträuchern durchsetzte Lichtung an einem kleinen Wasserlauf. Menschen, mit Stricken und Ketten verbunden, lagen bäuchlings am Rand des Baches, um zu trinken. Bewaffnete standen mehr oder weniger sorglos herum, dehnten die vom Sattel strapazierten Glieder, kauten Brot oder pinkelten breitbeinig an den Wegesrand.

Arnulfs rechter Arm ging hoch, er zügelte sein Pferd. »Überlasst mir das Reden, Drasco, hört Ihr?! Arthur? Kommt her!«

Ein kurzer Austausch mit seinem Sohn folgte, bei dem Arthur ungläubig den Kopf schüttelte. Und während die Abodriten schon die Schwerter zogen und ein paar Formeln an Swantewit in den Himmel schickten, rief Arthur seine Leute zusammen und verschwand mit ihnen im Unterholz.

Arnulf prüfte die Gängigkeit des Schwertes in der Scheide, trocknete noch einmal den regennassen Griff ab und tastete nach dem Kopf der Streitaxt an seiner rechten Gürtelseite, dort, wo andere Krieger das Kurzschwert führen. Dann wählte er Brun und Erbwin als Begleiter aus und zog Drasco hinzu: zu viert liefen sie langsam auf den Pulk von langhaarigen, langbärtigen Holsten zu, die sich nun wie von selbst um einen Mann zu scharen begannen.

»Wolfger«, flüsterte Brun. »Wenn Ihr ihn umbringt, Herr, kann ich in Ruhe sterben!«

»Mit dem Sterben lasst Euch noch Zeit«, knurrte Arnulf. Seine Linke war unbedeckt, wurde ihm klar, sein Schild hing noch an der Flanke Sneos. Aber zunächst ging es ja ums Reden …

Er hatte diesen Boden namens Wolfger seltsamerweise noch nie zu Gesicht bekommen, bei keinem Thing, bei keinem Fest und keinem Gerichtstag, was Zufall sein mochte. Nach Bruns Erzählungen hatte Arnulf sich den Führer der Holsten anders, bösartiger vorgestellt. Der hochgewachsene Mann mit den rotbraunen, beiderseits des Gesichts zu Zöpfen geflochtenen Haaren war etwa vierzig Jahre alt, eher knochig als kräftig und hatte die Ausstrahlung eines schlecht gelaunten Abtes oder Amtmanns. Die Augenlider hingen etwas herunter, das Kinn schmückte ein Bart, der in kleinen Flechtungen auslief. Sein Schwert hing so tief am Gürtel, dass die Scheidenspitze den Dreck berührte; auf der Stirn war der rote Abdruck vom Helm zu sehen.

»Was wollt Ihr?«, grunzte er ihnen entgegen.

»Euch den Tag verderben«, sagte Arnulf trocken und nahm eine breitbeinige Stellung ein, die Hände am Waffengürtel. »Ich bin Arnulf sax hamar, der Herr von Delbende. Den Fürsten Drasco kennt Ihr, nehme ich an. Ihr habt seine Leute entführt. Lasst sie frei!«

Wolfgers Augen streiften Drasco flüchtig, bevor er Brun hinter Arnulfs kräftiger Gestalt entdeckte; eine gewisse Überraschung war seinem schläfrigen Blick nun anzumerken. Der Holstenfürst beugte den Kopf nach vorn und spuckte aus, geradezu sorgfältig wirkte das. Dann zeigte er auf die aneinandergeketteten Frauen und Halbwüchsigen, die die Ankömmlinge mit aufgerissenen Augen anstarrten.

»Dies ist Holstenland. Die Leute da, die gehören jetzt mir! Also verschwindet, solange Ihr noch gesund ausseht!«

Arnulf versuchte, die Zahl der Bewaffneten einzuschätzen. Etwa fünf Dutzend – die meisten Dänen waren mit den Schiffen zurückgesegelt!

»Wir haben mehr Krieger als Ihr, Mistkerl«, presste Drasco hervor. Doch seine Augen schienen mehr die Gefangenen zu sortieren, als die feindliche Kampfkraft abzuschätzen. »Wo ist Utrag, der Priester? Was habt Ihr mit ihm gemacht?«

Utrag?

Arnulf hatte bisher noch nie von diesem Mann gehört.

Wolfger machte ein hämisches Geräusch, eine Art Schnauben. Er wechselte drei Worte mit einem schwarzhaarigen Speerträger links von ihm, der Arnulf mit einem Jägerblick und gespanntem Grinsen beobachtete – der würde auf Arnulf losgehen, wenn es ernst wurde …

»Deinen kleinen Priester haben wir den Dänen mitgegeben. Teil ihres Fährlohns, wenn du so willst … Die wollten ihn, glaube ich, braten und beim nächsten Wodansfest an ihre Jungfrauen verfüttern.«

»Wohl eher an die Schweine«, spottete ein schlanker, hellblonder Bursche in silbrig gebürstetem Kettenhemd, der zur Rechten von Wolfger Aufstellung nahm. Seine sächsischen Wörter klangen wie gekautes Dänisch. Ein Donar-Hammer glänzte an seinem Hals, an seinem Gürtel erkannte Arnulf einen Ohrriemen: ein Lederband mit Ohrmuscheln, die er besiegten Gegnern abgeschnitten hatte. Auch bei den Franken hatte es solche Riemen früher gegeben – sie waren aus der Mode gekommen. Brun raunte Arnulf von hinten etwas zu, nannte die Familie dieses Mannes, eine Fürstenfamilie scheinbar; Arnulf konnte den Namen nicht einordnen.

»Ihr Slawen habt so viele Götterseher«, fuhr der Däne in seinem herablassenden Ton fort. »Immer, wenn Ihr in Eure Schweineställe geht, zeugt Ihr ein paar neue!«

Drasco war bleich geworden, die Kiefern mahlten, aber sein Zorn wirkte richtungslos.

»Ich bitte kein zweites Mal, Bode«, sagte Arnulf, ohne die Stimme zu heben.

»Ihr seid der Abtrünnige, der früher Karls Heere führte«, sagte Wolfger langsam und riskierte einen Blick auf die Masse der Schuppengepanzerten weiter hinten. Hinter seiner Amtsstirn kam etwas in Bewegung. »Ihr werdet bluten, wenn Ihr diese traurigen Gestalten zurückhaben wollt. Andererseits …«

»Was?«

Wolfger musterte noch einmal die Gefangenen mit dem Blick eines Kaufmanns. »Mein Angebot, hamar: Ihr kriegt die Hälfte der Leute und jeder geht seines Weges, niemand muss sterben.«

»Habt Ihr Angst vorm Sterben?«, knurrte Arnulf.

»Wir können darüber sprechen«, sagte Fürst Drasco zu Arnulfs Überraschung. »Aber wir suchen die Leute aus!«

Arnulf spürte das Blut in seinen Kopf schießen, seine rechte Hand wurde zur Faust.

Wie konnte dieser Fürst sich auf solch einen elenden Handel einlassen?

Mit mühsamer Selbstbeherrschung drehte Arnulf den Kopf zu Erbwin und raunte ihm drei Worte zu. Und während Erbwin daraufhin mit eiligen Schritten nach hinten lief, gefolgt von Brun, begann ein groteskes Gefeilsche zwischen Wolfger, ­Dras­co und dem Dänen.

Keinen Moment ließ der Bursche mit dem Speer Arnulf aus dem Auge! Vielmehr schien er nur auf den Augenblick zu warten, wenn der Bode ihm doch noch das Zeichen gab …

Drasco warf einen zögerlichen Seitenblick auf Arnulf, als man sich geeinigt hatte. »Hört doch, hamar, so verlieren wir keine Krieger!«

Aber unsere ahta verlieren wir!, hätte der Kriegsherr ihm am liebsten ins Gesicht geschrien. Stattdessen atmete Arnulf tief durch und zeigte auf einen untersetzten Sachsenkrieger, der zwei der Gefangenen vom Bach weggeschleift hatte. »Der Bursche da mit den Abodriten, der hat mir mal geschworen … Sato, so heißt er, nicht?«

Wolfger zuckte mit den Schultern. »Und wenn? Ein Sachse sollte keinem Kreuzanbeter dienen!«

»Er lief davon«, fuhr Arnulf fort, »und stahl noch ein Pferd. Er schuldet mir jetzt also zwei: das, das er von mir bekam und das, das er stahl. Gebt uns diese Pferde dazu, Bode!«

»Blödsinn«, knurrte Wolfger, dessen Augen schmaler wurden. »Was soll das?«

»Dann«, sagte Arnulf, immer noch ziemlich ruhig, »klären wir’s auf die schwarze Art.«

»Was soll das sein?«, grollte Wolfger.

Als er diese Worte aussprach, hatte Arnulf schon die Axt aus der Schlaufe gerissen. Bevor Wolfger verstand, was Arnulf auch nur vorhatte, war die Wurfaxt bereits unterwegs: ein tausendfach geübter Wurf, ohne genau zu zielen, einfach dem Gespür folgend …

Der Pferdedieb ging zu Boden, als hätte ein Blitz ihn gefällt.

»Verrat«, brüllte der Däne und riss sein Schwert hervor.

Dann kam der Speer.

Arnulf hatte einen Angriff mit erhobenem Speer erwartet, den der andere ihm in den Oberkörper rammen wollte – denn sax hamar war ohne Schild zur Unterhandlung gekommen. Doch der Holste warf seine Waffe, auf kürzeste Entfernung! Arnulf musste nach links springen, die Speerspitze sirrte an seiner Hüfte vorbei – nur weil er sich darauf vorbereitet hatte, war diese Ausweichbegegung schnell genug. Er riss sein Schwert aus der Scheide, worauf der Speermann mit dem Kurzschwert auf ihn losging. Im letzten Augenblick konnte Arnulf dessen Klingenstoß zur Seite lenken, trotzdem torkelte er vom Aufprall wiederum ein Stück zurück, gleichzeitig stieß er den anderen weg, um Raum zu gewinnen. Die Augen des Burschen waren fischartig, er hob die Rechte mit dem Kurzschwert, die Linke griff eine Ladung Dreck vom Boden, er würde versuchen, Arnulf zu blenden …

Ein sattes Geräusch beendete die Sache: Die Stahlspitze eines Pfeils durchschlug den Lederpanzer des Holsten, die Fischaugen wurden noch etwas größer, dann brach der Mann zusammen.

Hamar! Hamar!, brüllten Arnulfs Krieger, und obwohl dies sein eigener Kriegsname war, spürte Arnulf, wie sein Blut zu singen begann.

Schon klirrten Stahlklingen gegeneinander, Kampfschreie füllten die Luft, durchsetzt von den Schreckensrufen der entführten Frauen.

Arnulf sah den Dänen mit blutendem Arm zurückstolpern, Drasco hatte ihn mit dem Schwert abgewehrt; von einem Augenblick auf den anderen schien der Abodritenfürst vom Zauderer zum Löwen geworden zu sein. Er reckte sein Schwert in die Höhe und brüllte seinen Leuten kehlige Worte zu, die sie lautstark beantworteten.

Die schlauchförmige Lichtung war kaum breiter als dreißig Schritt, sodass die Überzahl der Angreifer sich nicht sofort auswirkte. Erbwin drückte Arnulf einen Schild in die Hand, sofort rammte Arnulf seine Linke durch die Halteschlaufen. »Wo ist Wolfger?«, rief er – den in die Finger zu kriegen, würde alles sofort beenden! Erbwin schüttelte den Kopf, wusste nichts, der Bode der Holsten schien vom Getümmel aufgesaugt; eine Wurf­axt prallte in diesem Augenblick vom oberen Schildrand Erbwins ab, streifte seine Stirn und ließ ihn zwei Schritte nach hinten taumeln, dann war da ein Verrückter mit fliegenden Zöpfen und aufgerissenem Maul vor ihnen, der wohl den Ruhm ernten wollte, den Kriegsherrn sax hamar zu erschlagen. Arnulf wich dem ersten Schwerthieb mit einer raschen Seitwärtsbewegung aus, verpasste dem Mann einen Schildstoß und schlug ihm das Schwert samt einiger Finger aus der Hand. Ungläubig starrte der andere seine verstümmelte Klaue an, worauf Arnulf ihn mit einem Fußtritt fortjagte – denn weiter hinten sah er irgendwo das rotbraune Haar des Boden zwischen den Kämpfern.

Er eilte los. Sah immer mehr Pfeile in die Holsten einschlagen, weil seine Bogenschützen nun von hinten nachrückten, ganz so, wie Arnulf es ihnen beigebracht hatte. Manche zielten sogar über das Getümmel, auf diejenigen, die am anderen Ende der Lichtung zu fliehen begannen, nach Norden …

Aber eben dort versperrten ihnen Arthurs Männer den Weg. Arnulfs Umgehungsplan ging auf: Die Jungmänner packten die Holsten vom anderen Ende her! Das heftige Kampfgebrüll der Jungen verriet allerdings allen, dass nach Norden kein Entkommen war. Und schon sah Arnulf ein, zwei Dutzend der Sachsen auf den Bach zuhalten. Auf der anderen Seite konnten sie rasch im Wald verschwinden!

Arnulf raste in Richtung des Wassers. Er sprang über ein weinendes Mädchen hinweg, das sich vor ihm auf den Boden warf, und stieß einen Bärtigen zur Seite, der ihm die gefesselten Hände hinhielt. Zu viele Gefangene irrten herum und hinderten sie an der Verfolgung! Er schaffte es noch, einen Fliehenden mit einem Schildstoß gegen den Kopf zu Fall zu bringen und einem anderen den Hals zu durchbohren, aber Wolfger sah er nur noch von hinten: der Bode war unter den Holsten, die durch das Wasser eilten, um im Unterholz Zuflucht zu suchen.

»Verfolgen wir die Hunde, hamar?!«

Das Gesicht des Mannes, der Arnulf diese Worte zukeuchte, war mit Blutspritzern bedeckt. Erst auf den zweiten Blick erkannte er Scedrag, Drascos Sohn.

Arnulf schüttelte den Kopf. »Zu gefährlich! Wir haben Eure Gefangenen wieder! Kämpfen können sie sogar auch noch!«

Unmittelbar neben ihnen hatten drei hohläugige Abodriten mit ihren Sklavenketten einen Holstenkrieger zu Fall gebracht, auf den sie nun mit Fäusten und Steinen einschlugen.

Arnulf sah sich um: Wolfgers Flucht so wie die Übermacht der Angreifer ließ den Kampf schnell abebben. Arnulf wischte seine blutige Schwertklinge an der Kleidung eines Toten ab, aus dem zwei Pfeile ragten; kaum hatte er das Schwert wieder in der Scheide, kam mit schnellen Schritten ein robuster, breitschultriger Kerl dazu, der einen Bogen in der einen und ein Kurzschwert in der anderen Hand hatte: Es war Swabo, Arnulfs Anführer der Bogner.

»Heil, Herr«, murmelte er mit einem halben Grinsen, »der Bursche hier zinst heute an mich!«

Rasch beugte er sich über die Leiche und schnitt einen Beutel vom Gürtel des Toten ab; zusammen mit dessen Schwert würden sie die Beute des Bogners ausmachen.

»Jedem das seine, Swabo«, sagte Arnulf. »Euer erster Schuss kam übrigens zu langsam, die Speerspitze juckte schon meinen Nabel!«

»Weil Ihr ungeschickt standet, Herr!«, kam es prompt in einem besonderen Dialekt zurück, denn Swabo war an der Isar aufgewachsen. »Ihr habt den Speermann ja abgedeckt, mit Eurem eigenen Leib!«

»Dreister Bayernschädel!«, knurrte Arnulf gutmütig, denn Swabo hätte sogar recht haben können.

Nun saugten die befreiten Männer und Frauen die Aufmerksamkeit der Befreier auf: Alle riefen plötzlich wild durcheinander und priesen das Schicksal. Der Fürstensohn Scedrag eilte auf eine junge, dunkelhaarige Frau zu, von deren Handgelenken Seil­enden hingen, um sie in die Arme zu nehmen. Schluchzend vor Erleichterung ließ sie sich fallen. Arnulf fiel auf, wie groß ihre Augen und wie schön ihre Lippen geformt waren: volle Lippen von der Farbe einer Rose!

Diese Frau schien mindestens so wichtig wie der Priester zu sein.

* * *

Ausgerechnet Brun, stellte Arnulf fest, hatte bereits darüber nachgedacht, wie man mit den Befreiten wieder sicheres Heimatgebiet erreichen konnte. Er wies Arnulf auf eine halbverfallene Kleinburg hin, die ein Stück östlich der Ulzburg an einem alten Straßenabzweig lag. So zogen also zweihundert Menschen, die Hälfte von ihnen zu Fuß, auf dem Heerweg wieder nach Süden. Erbeutete Pferde der Holsten trugen einige der schwächeren Befreiten; die wenigen Verwundeten wurden auf rasch zusammengefügte Schleiftragen gepackt, die von den Pferden gezogen wurden. Arnulf ließ den Leuten keine Zeit für Wiedersehensfreude und lange Erzählungen: Wolfger konnte mit Leichtigkeit bei den Höfen in der Nähe Verstärkung besorgen und zurückkommen …

Arnulf bildete mit Arthur die Spitze der Kolonne, irgendwann stieß Scedrag hinzu. Auch Scedrag war noch genauso aufgekratzt vom Gefecht und erzählte ähnlich lautstark wie Arthur von seinen Erlebnissen – vielleicht auch, um das peinliche Taktieren seines Vaters vergessen zu machen.

Jede Bewegung von Scedrags Pferd verursachte ein feines Bimmeln: Das waren kleine, bronzefarbene Glöckchen, die am Saum seiner Stiefel und am Gürtel befestigt waren. Die Slawen liebten solche zwonovi, die Arnulfs Männer anfangs als weibisch empfunden hatten.

Dass der verschleppte Priester Utrag ein Sohn des Abodritenfürsten selbst war, von einer Nebenfrau freilich, gab der Jüngere endlich preis. »Utrag steht in Verbindung mit den Geistern der Elbe. Er spricht sogar mit den heiligen Schwänen, heißt es.« Arnulf und Arthur tauschten einen Blick – es war der Miene Scedrags nicht anzusehen, ob er das selbst für möglich hielt.

Dann wandte Scedrag sich an Arnulf. »Darf ich Euch etwas fragen, Arnulf, Herr?«

Arnulf nickte.

»Ihr seid ein großer Krieger und Ihr habt dem mächtigsten Mann unter dem Himmel gedient. Warum habt Ihr Euch von ihm losgesagt?«

»Wenn die Großen sich streiten, Scedrag, geht es immer um drei Dinge: Land, ahta oder Frauen. Die ersten beiden waren es nicht.«

»Aber Ihr habt eine Frau … begehrte der König sie?«

»Ihr habt Mut, das zu fragen – ja, er begehrte sie. Ich kam damals von einem gefährlichen Auftrag zurück«, erzählte Arnulf, als rede er über einen Fremden. »Der König hatte mir Belohnungen versprochen, große Belohnungen sogar.«

»Das klingt nach Eurem ersten Punkt, Herr, dem Land …«

Arnulf lächelte. »Ihr hört jedenfalls gut zu! Machen wir’s kurz: Ich erfuhr, was passiert war, und sagte mich vom König los. Meine Krieger folgten mir. Es ging Schlag auf Schlag!«

Scedrag rutschte im Sattel hin und her, mit leisem Geklingel. »Man sagt, Herr Arnulf, Ihr wolltet den König töten?!«

»Dann wäre er tot«, sagte Arnulf kalt. »Genug davon! Die schwarzhaarige Schöne, ist sie Eure Braut?«

»Agila? Nein. Sie ist von niederem Blut. Wir – wir heiraten nur Fürstenfrauen.«

Arnulf bemerkte etwas Röte unter Scedrags gebräunter Gesichtshaut. Er hatte die Frage nicht wirklich beantwortet.

Aber was ging das Mädchen Arnulf an?

Arthurs Miene freilich verriet, dass er gerade sehr genau zugehört hatte.

Arnulf. Der Herr der Elbe

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