Читать книгу Arnulf. Der Herr der Elbe - Robert Focken - Страница 16

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Kapitel VII

Die lauten Rufe der Wachen waren auch in der Webstuhlkammer zwischen Mannschaftsbaracken und der Schmiede zu hören. Dort stand Erika mit einigen Frauen um einen neuen, aufwendig gefertigten Webstuhl, der nun erstmals mit Schuss- und Kettfäden versehen wurde. Sie ließ die Frauen – Mägde, die zur Burg gehörten und Weiber der Burgmänner – allein und trat hinaus auf den Hof. Drei Tage zuvor war Arnulf aufgebrochen. Nicht lange genug, als dass sie ihn und Arthur schon wieder erwarten konnte … oder vielleicht doch?

Und wirklich kamen die Rufe nicht vom Tor her, sondern von der Plattform des Wehrturms, der sich über dem Wall auf der Flussseite erhob.

Schiffe also?

Mit leichten, schnellen Schritten lief sie über den Hof. Hühner nahmen Reißaus, dafür folgten ihr sofort die allgegenwärtigen Jagdhunde, nur um am Fuß der Stiege enttäuscht stehen zu bleiben. Sie stieg mit gerafftem Kleid die Trittlücken hinauf, die man in einen Baumstamm geschlagen hatte, und nahm oben gerne die Hand von Gallo, die er ihr entgegenstreckte.

»Unser Vermisster ist wieder da«, grinste der Westfranke. »Schaut ihn Euch an: als hätte die Welt auf ihn gewartet!«

Wie auf eine große Leinwand gemalt, kamen dort unten drei schlanke Schiffe im warmen Nachmittagslicht angesegelt: Eine gute Brise aus Westen machte es möglich, dass Hedens Kiele mit vollen Segeln gegen den Strom die Anlegestelle ansteuerten. Am liebsten hätte sie laut gerufen, aber sie war die Frau des Burgherrn und Gallo neben ihr hätte sich darüber lustig machen können. So begnügte sie sich damit, Arnulfs freiheitsliebendem Bootsführer da unten zuzuwinken. Er konnte sie offensichtlich erkennen, denn er winkte vom Heck des ersten Schiffes aus zurück, mit der Linken eingehakt hinter dem Gürtel, die Bärenfellkappe lässig in den Nacken geschoben.

Als er ihr wenig später mit beiden Händen die Rechte, ja eigentlich den ganzen Arm drückte, unter dem Tor, wo sie ihn empfing, strahlte er wie ein Brautwerber.

»Ihr seid wieder etwas schöner geworden, edle Erika!«

»Und Ihr flunkert wie ehedem, guter Heden!«, lachte sie.

Heden war schlanker und weniger breitschultrig als Arnulf, mit gefälligen Zügen, die auf Anhieb heiter wirkten. Er hatte volle Lippen, die das Gesicht – auf nicht unmännliche Weise – anziehend machten. Diese Lippen waren gerne in Bewegung, Heden sprach meist schnell und eher viel, wobei sein Gesichtsausdruck innerhalb von zehn Worten von heiter bis wolkig und wiederum zu heiter wechseln konnte: Es war diese stetige seelische Bewegung, die Heden interessant machte, die aber auf die Burgherrin immer auch etwas unstet wirkte.

Der Rückkehrer trug eine prachtvolle rote Tunika mit Silberborten, die Beinkleider sahen aus wie sehr aufwendig gegerbtes Leder und um den Hals klingelten zwischen der alten Bärenkrallenkette silberne Anhänger, die früher nicht dort gewesen waren.

»Ich habe herrliche Dinge gesehen, Erika, die Ihr hättet sehen müssen! Und ich hab schöne Sachen für Euch, wartet’s ab!« Er machte eine dramatische Geste, indem er mit der Rechten die Bärenfellmütze schwenkte. Hinter ihm kamen nun seine Männer heran, beladen mit Säcken und Gerätschaften, mit Körben und Krügen, Ballen und Bündeln. Gleichzeitig kam aus Richtung der Schmiede Gallo herbei, blieb mit drei Schritt Abstand vor Heden stehen, stemmte die Arme in die Hüften und tauschte eine Begrüßung aus:

»Der nutzlose Schiffsführer! Wollt Ihr Eure Wettschulden einlösen?«

»Der versoffene Handelsmann! Hatten wir gewettet?«

Grinsend tauschten sie einen kräftigen Händedruck aus.

»Ein Einhorn nicht unter fünf Fuß Zoll, mein Lieber«, frohlockte Gallo, der mit Heden vor der Abreise gewettet hatte, dass er nicht binnen vier Wochen zurückkehren würde – zwei Wochen länger, als von Heden angekündigt. »Bin sehr gespannt drauf!«

Erika räusperte sich. »Nächstes Mal dürft Ihr uns nicht so lange warten lassen, Heden! Der Herr von Delbende verfolgt holstische Sklavenjäger, zusammen mit Drascos Abodriten. Vor drei Tagen sind sie fort!«

Die Lachfalten in Hedens Gesicht glätteten sich, mit einem Anflug von Verlegenheit zog er seine schwarze Bärenfellkappe ab, ein Relikt aus der Zeit als Panzerreiter, und fuhr sich durch das Haar. »Verstehe … Ihr hättet ein paar richtige Schiffe brauchen können. Ich sage seit Jahren, dass wir mehr Kiele brauchen!«

»Das sagt Ihr gerne«, grunzte Gallo. »Aber trotzdem dauern Eure Vergnügungsfahrten zu lange!«

»Blödsinn!« Heden funkelte den alten Gefährten an. »Ihr wisst ja nicht, wen ich dabei habe. Joric! Mann, komm her!«

In dem Pulk herumstehender Männer hob ein untersetzter Kerl mit zerstrubbeltem Kurzhaar den Kopf, dem das Misstrauen aus den Augen leuchtete.

»Joric ist ein Däne! Ich habe ihn einem friesischen Edlen abgekauft, für idiotisch viel Silber! Sie hatten Streit, der Friese wollte ihm die Haut abziehen!«

»Ihr wart also nicht nur in Haithabu15, bei den Nordmännern?«, entfuhr es Erika.

»Wir waren auch in Utrecht, Edelfrau, bei den Wassermenschen! Und siehe da …«

Obwohl Erika und Gallo den Dänen namens Joric mit wachsender Neugier musterten, behielt er seinen unbeteiligt misstrauischen Blick – typisch für Sklaven, die ihrem Herrn jederzeit ausgeliefert waren.

»Und?«, frotzelte Gallo. »Scheißt der Perlen oder so was?«

Auf Hedens Gesicht kehrte das Siegerlächeln zurück, gönnerhaft schlug er Joric auf die Schulter: »Er ist ein Schiffsbauer, Leute! Der hat schon Hundert-Fuß-Boote für dreißig Ruderer gebaut, versteht Ihr? Mit Joric hier können wir unsere eigenen Schiffe bauen! Wir werden eine eigene Flotte haben und uns vor niemandem mehr verstecken!«

* * *

Einen Tag nach Hedens Auftauchen kehrte auch Arnulf zurück.

Der Burghügel lag in mondloser Dunkelheit. Das Rumpeln und Quietschen der Torflügel war laut genug, um Erika hochschrecken zu lassen. Sie hatte noch im unsteten Licht einer Öllampe im Psalmenbuch gelesen, das der Missionspriester Liudger ihr geschenkt hatte.

Eilig warf sie eine Decke über und öffnete die Tür der Kammer, die nur durch eine dünne Lehm-Flecht-Wand von der Kammer der Mädchen getrennt war. Draußen stieß sie fast mit Roswith zusammen. »Sie kommen!«, jauchzte ihre Tochter, die, warum auch immer, noch vollständig angezogen war. Sie eilten aus dem Haupthaus und hielten auf die Masse von Schemen zu, die den Burghof zu füllen begannen. Schon an den ersten Wortfetzen, am Ton der Männerstimmen, erkannten die Frauen: Alles war gut gegangen!

Erika hielt auf Arthurs Stimme zu, die aus dem Knäuel von Männern und Pferden Kommandos gab. Auch dies ein gutes Zeichen: Wenn ihr Mann dem Sohn das Befehlen überließ, dann vertrugen sie sich! Dann hörte sie das satte Klopfgeräusch, das von Männerhänden auf Männerschultern zeugte, sie hörte Gallos Stimme und entdeckte endlich Arnulf.

Im selben Augenblick trat jemand mit einer Fackel an ihre Seite, sodass Arnulf sie ebenfalls erkennen konnte.

Er war unverletzt!

»Gelobt sei Jesus Christus«, stieß sie aus.

»In Ewigkeit Amen«, grinste er und nahm sie in den Arm. Er roch nach Feldzug, nach Pferd, Leder und Lagerfeuer.

»Ging alles gut?«

»Fast zu gut, Liebes! Himmel, ich hab solch einen Hunger!«

»Hunger, mein Herr, sonst nichts?«

»Hunger auf die Herrin!«, sprach er ihr ins Ohr, aber es war eigentlich ziemlich laut gesprochen.

»Willkommen daheim, Vater!« Grimbald hielt die Fackel, bemerkte Erika.

»Heil, Grimmo«, sagte der Vater mit einem müden Lächeln. »Wie ist Euer Abodritisch?«

»Nicht so gut wie mein Latein, Vater!«

»Nun, dann könnt Ihr gerne üben mit einem, der einmal Macht haben wird. Drascos Sohn Scedrag bleibt ein paar Tage bei uns, um die fränkische Art kennenzulernen! Scedrag …? Hierüber! Dies ist mein Weib, Erika, Ihr habt sie, glaube ich, schon kennengelernt …«

* * *

Eine halbe Stunde später erfüllte Lärmen, Lachen und das Schmatzen gieriger Esser die Halle des Hauptgebäudes. Das seit Monaten erste Feuer brannte im Kamin, die Knechte stellten lange Tafeln auf und schafften Bier, Fleisch, Gurken, Käse und die schon etwas trockenen Brotlaibe herbei, die noch vom letzten Backtag übrig waren. Das Bier tat das seine, bald wurden die ersten Geschichten hin- und hergerufen, man prahlte mit seinen Taten und erzählte von störrischen Pferden, sumpfigen Wegen und Männern, die zur falschen Zeit pinkeln mussten.

Arthur saß zur Rechten seines Vaters, was ihn selbst zu überraschen schien. Dort saß normalerweise Heden oder Gallo, oder auch ein Besucher von Rang. Erika, zu Arnulfs Linken, hatte Scedrag an ihre eigene Seite genommen. Er war ein ansehnlicher Bursche, stellte sie fest, der vielleicht ein wenig dadurch gehemmt war, dass er neben der Frau des Kriegsherrn saß: Er zerteilte Brot und Fisch mit sorgfältigen Griffen und aß, ohne laut zu schmatzen. Höflich erkundigte er sich danach, wie Erika in der Burg ohne Arnulf zurechtgekommen war. Von Scedrag erfuhr Erika auch, dass Drasco es offenbar eilig hatte, nach Starigard zurückzukehren: »Wir haben uns an der Kasseburg getrennt. Aber mein Vater grüßt Euch, und – wir stehen in Eurer Schuld! Eure Tochter ist noch nicht verheiratet?«

»Noch nicht«, bemerkte Erika mit heimlicher Erheiterung und prompt drehte Scedrag noch einmal den Kopf nach links, denn sie saß nur zwei Plätze weiter auf der linken Seite. Die Slawen waren dafür bekannt, diese Dinge mit gnadenloser Direktheit anzusprechen. Bevor sie sich mit einer entsprechenden Gegenfrage rächen konnte, schlug Gallos Faust krachend auf die Tischplatte.

»Nun auf, hamar, erzählt! Wo habt Ihr sie gestellt?«

Schlagartig wurde es leiser. Drei bis vier Dutzend Menschen hatten sich in die Halle gedrängt, viele an den Tischen, andere standen. Etwa die Hälfte von ihnen war dabei gewesen, umso neugieriger waren die anderen. Erika wusste, dass Arnulf kein großer Erzähler war: Seine Geschichten endeten meist nach drei Sätzen. Aber er hatte auch gelernt, dass es manchmal nur darum ging, mit einer Erzählung die Menschen hinter sich zu scharen, um ihren Glauben an den Anführer zu stärken.

»Kurz hinter der Ulzburg haben wir sie eingeholt«, begann er und beschrieb die Geschehnisse auf der Lichtung; die Verhandlung mit Wolfger überging er, erwähnte stattdessen Arthurs Einsatz und auch Scedrags Kampfeswut. »Da waren noch ein oder zwei Dänen unter ihnen, aber die sind entkommen. Schätze, die sehen wir irgendwann wieder!«

Worauf Heden – rechts von Gallo, drei Plätze neben Arnulf – lautstark rief, dass man mit der ganzen Seeräuberei Schluss machen würde: »Wir haben jetzt unseren eigenen Bootsbauer!«

Arnulf nickte anerkennend und schnippte eine Fliege aus der kleinen Bierlache vor sich. Schon dachte Erika, dass ihr Mann fertig wäre. Doch zu ihrer Überraschung ging es noch weiter: »Der Rückmarsch, Leute, war der spannendste Teil!«

Alle beugten sich vor und machten einander Zeichen, ruhig zu sein.

Arnulf sah ernst in die Runde. »Wo verbringt man die Nacht im Holstenland, wenn man den Boden gerade verprügelt hat? Mit einer Horde schwächlicher Abodriten, Frauen vor allem, die die Kerle verschleppt hatten?«

»Auf den Bäumen?«, rief ein Scherzbold.

»Im Sattel!«

»Nein, wir lagerten hinter ein paar alten Erdwällen, die unser guter Brun noch kannte, zum Glück. Haben uns da eingeigelt, und Wetten abgeschlossen: Wann kommen sie? Mit wie viel Männern?«

Erika entdeckte Brun an der Tischreihe gegenüber zwischen zwei Kriegern. Er wirkte erschöpft, horchte aber bei der schmeichelhaften Erwähnung sichtbar auf.

Sie hatte ihren Hofmeister vermisst, wurde ihr klar.

»Nach Einbruch der Dunkelheit«, fuhr Arnulf fort, »hören wir die Hufe vieler Pferde. Und im Mondlicht sehen wir sie kommen … Aber nicht Wolfger, sondern Ingobert, den Burgherrn von der Ulzburg. Ein echtes Raubvogelgesicht, Leute. Wer einer Krähe vertraut, kann gut mit ihm, schätze ich!«

Erika spürte jemanden hinter sich und drehte den Kopf. Grimbald lächelte sie an. »Er erzählt wie ein Barde«, flüsterte ihr Sohn. »Viel besser als früher, er hat dazugelernt!« Sie drückte ihm den Arm, nicht ohne Zärtlichkeit. »Wollen wir Vater noch das neue Banner zeigen?«, schob Grimmo nach, aber sie winkte ab: Morgen!

Der Herr von Delbende trank und ließ wiederum den Blick kreisen. »Die Krähe Ingobert hatte sogar Met dabei! Wollte wissen, ob wir einen Pakt mit den Abodriten haben … Ja, Leute, wir haben Eindruck dahinten gemacht, niemand von den nordliuti hat damit gerechnet, dass wir plötzlich mit hundert Gepanzerten durch ihre Wälder toben. Ingobert verzog sich wieder und das war sicher auch besser für ihn!«

Heilsrufe tönten durch den Raum, johlend hoben die Männer ihre Becher, feierten Arnulf und sich selbst.

»Erzählt vom Königsboten, Vater!«, rief Arthur eindringlich und Erika war, als blickte ihr Sohn an Arnulf vorbei zu ihr. Arnulf nickte, setzte noch einmal den tönernen Bierkrug an und fuhr mit der Erzählung fort:

»Am nächsten Tag, als die Sonne hochstand, kam uns ein prachtvoller Tross entgegen. Pferde, Wagen, Fahnen … der königliche Consiliarius Einhard mit Begleitschutz, unterwegs als missus König Karls zu den Edlen der Sachsen!«

Das Gemurmel brandete wieder auf und ein Flackern ging durch Erikas Bauchhöhle, wie fast immer, wenn sie an den König und seine Hofleute dachte. Als Arnulf weitersprach, berührte er sie mit der Linken, als wäre es Zufall. Und in dem Augenblick wusste sie, dass etwas Größeres im Gange war, das nicht mit einem bewaffneten Vorstoß in den Holstengau zu klären war.

»Der Königsbote«, übertönte Arnulf das allgemeine Gebrumm, »will die Sachsenfürsten dazu bringen, keine ­Rebellen mehr aus dem Süden aufzunehmen. Ob ich nicht mit zu den Boden kommen wolle, fragte Einhard mich, als Verstärkung. Ich sagte: Bei denen waren wir gerade, mein Lieber!«

Gelächter und Triumphgeheul füllten wiederum die Halle. Erika aber sah unter den Männern auf den Bänken mindestens drei oder vier langbärtige Kerle, die in den letzten Monaten aus den südelbischen Gebieten gekommen waren!

»Dann wird Einhard auch nach Delbende kommen?«, fragte sie lauter als beabsichtigt.

»Und wenn schon?« Arnulf sah sie an, kämpferisch, als wäre sie nicht sein Weib, sondern ein Herausforderer, und mit demselben Blick streifte er Scedrag zu ihrer Linken. »Der Consiliarius sagte, der Königssohn Karl ist mit einem Heer nach Bardovyk marschiert. Aber« – er sprach wieder zur Halle – »trauen sich die Königlichen über den Fluss, zu uns, heh?«

»Nein, niemals«, brüllten die alten Kämpfer, viele von ihnen mit dem schwarzen Halstuch. In dem Gelärme ging die Frage von Scedrag nach der Größe des Heeres in Bardovyk gänzlich unter.

* * *

Später, als die Halle längst leer war, standen sie beim flackernden Licht einer Öllampe vor ihrem Bett. Sie hatte die Schuhe abgestreift und fühlte das drahtige Haar des Büffelfells unter den Füßen, das den Boden bedeckte. Arnulf hatte seine verschwitzte und verdreckte Tunika in die Ecke geworfen und Erika an sich gezogen.

»Hat Gallo sich benommen?«

Sie nickte lächelnd.

»Hat sich irgendjemand nicht benommen? Außer meinem Sängersohn?«

»Grimmo hatte ein wenig Pech mit einem Maultier, das ihm bei einem Handel flussaufwärts gestohlen wurde, aber sei’s drum! Nein, er hat etwas vorbereitet für Euch, etwas Größeres, im Webhaus. Es wird Euch gefallen!«

»Im Webhaus? Himmel …«

Sie legte ihm einen Finger auf die Lippen. Dann fuhr dieser Finger langsam nach unten, über den Hals mit dem silbernen Kreuz und über das Kräuselhaar zwischen den gewölbten Brustmuskeln, hinunter zu den flachen, harten Strängen der Bauchmuskeln. An einer wulstigen Stelle verharrte ihr Finger, wo einst eine Wunde schlecht verheilt war. »Der Sarazenenpfeil, nicht wahr? Beim Spanien-Zug?«

»Nein«, raunte er. »Ein Pfeil der Falen, ging durch den Panzer … in der Schlacht am Süntel.« Da war ein mokantes Blinzeln: Das wusstest du einmal besser, Weib!

»Solange du es noch weißt, großer Krieger«, flüsterte sie und zeigte mit ihrer Anrede, dass sie keine Rollen mehr einnahmen, sondern nur noch für einander da waren. Schon landete seine Rechte auf ihrem Po. Er drückte sie fester an sich und sie begann, sein Geschlecht zu spüren.

Sie küssten sich. Er roch immer noch nach Feldzug, aber das war nicht einmal das Problem. Etwas anderes hielt sie zurück.

»Was ist?«

»Dieser Scedrag … hast du ihn für Roswith vorgesehen? Soll sie eine Allianz erheiraten mit den Abodriten?«

»Der will bei uns lernen, Schlachten zu gewinnen. Aber wer weiß! Lass uns das morgen besprechen.«

Wieder küsste er sie, drängender nun. Seine Rechte fand ihren Weg durch zwei Stofflagen und landete auf ihrer Scham. Aber ihre Gedanken waren wie Hunde, die an ihren Leinen zerrten.

»Was hat der Königssohn Karl vor, Arnulf? Wenn Einhard sich die Mühe macht, die nordliuti aufzusuchen und ihnen sogar zu drohen, dann …«

»Sch-sch-sch!«, machte ihr Mann, so wie er früher Roswith beruhigte, wenn sie weinte.

»Was genau hat Einhard zu dir gesagt?«

»Weib!« Seine Hand erlahmte, und nicht nur die. »Strategie statt samantwist, ja?«

»Ich wünschte«, sagte sie etwas kleinlaut, »ich könnte meine Gedanken so weglegen wie du.«

Er lachte mit einer Prise Bitterkeit. »Mach nicht alles so schwierig! Drasco steht nun in unserer Schuld, das wiegt mehr als ein Schwur, der gleich wieder gebrochen wird! Und wenn Hedens Schiffsbauer wirklich etwas taugt, dann müssen wir nicht mehr darauf warten, dass Piraten hier einfallen, dann jagen wir sie und räuchern sie aus. Also, es läuft alles für uns!«

Sie streifte das Oberkleid ab und setzte sich aufs Bett. Die Laken rochen frisch, denn sie hatte Arnulfs Abwesenheit für eine Wäsche genutzt. »Ich hatte einen Traum«, sagte sie, ohne ihn anzusehen.

Arnulf gähnte und lehnte sich mit dem Rücken an die Außenwand der Kammer. »Tauchte der Missionar Liudger im Traum auf? Gemeinsames Glockenläuten?«

»Mistkerl!« Sie kroch auf ihre Bettseite und zog die Decke hoch.

»Beim Bonifaz, Liebes, rede!« Er breitete die Arme aus und ließ sie wieder fallen. »Oder sei still, von mir aus …« Kopfschüttelnd zog er sich die letzte Kleidung vom Leib.

Ein halb unterdrücktes Lachen kam in diesem Moment durch die dünne Wand, gefolgt von Geschiebe und Gerumpel.

Auch ihre Kinder schliefen noch nicht.

Arnulf blies das Talglicht aus und legte sich neben sie. Er war dabei, die Schwelle vom Wachsein zum Traum zu nehmen, als ihre Worte ihn wieder zurückholten.

»Als du loszogst, da träumte ich vom König. Von dem Abend in der Pfalz in Ingoldestat. Du warst weg, ich wartete auf dich. Die Königin hatte mir ihr Kleid gegeben. Ein vergiftetes Geschenk … Sie wollte, dass das passiert. Aber das Schlimmste war, dass …«

»Himmel, denk nicht mehr daran!« Er richtete sich abrupt auf einem Ellenbogen auf. »Wir sind ihm entkommen, wir haben über ihn triumphiert!«

»Ich denke auch nicht daran, Mann.« Sie drehte sich zu ihm, sah sein Gesicht nur als dunklen Schemen. »Aber Träume gehorchen uns nicht, man kann ihnen nicht befehlen!«

Sein Atem ging lauter, als würde er Arbeit verrichten. »Also, was war das Schlimmste?«

»Ich riss mich von ihm los …« Sie brach ab, tief ein- und ausatmend, bis sie wieder ruhig sprechen konnte. »Ich bin nach draußen gelaufen. Aber dort, in der Dunkelheit, standen diese Awaren mit ihren struppigen Pferden. Die trugen Schuppenpanzer, als wären sie Karls Soldaten. Sie hatten Fackeln und lange Speere. Und auf den Speeren steckte … dein Kopf. Und der von Arthur.«

Er ächzte und streckte die Hand nach ihr aus.

»Und nun«, fuhr sie mit gepresster Stimme fort, »nun sagst du, der Karlssohn steht nur zehn Meilen von hier mit seinem Heer. Da mache ich mir Gedanken, verstehst du?«

15 Ein großer Handelsplatz nahe der heutigen Stadt Schleswig.

Arnulf. Der Herr der Elbe

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