Читать книгу Erávior - Das Erbe der Kaiser - - Robert Gevers - Страница 8

„Die Wälder im Westen sie brannten welch Not, die Wüste im Süden gefärbt in blutrot. Der Menschenkönig sein Leben dann ließ, als er tapfer dem Drachen sein Schwert ins Herz stieß. Sie wahrten den Frieden und ritten herbei, die listigen Schatten aus Allachtei. Und hoch von den Bergen, aus Zorndal hinzu, die Krieger der Zwerge, der Feind floh im nu.“

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Alrik kannte das Lied und den geschichtlichen Hintergrund dazu sehr gut. Gebannt hatte er immer wieder den Erzählungen seines Magisters Jamek gelauscht und freute sich bereits darauf, tiefere Einblicke und mehr Wissen an der Akademie des ewigen Wissens zu erlangen. Sofern dies überhaupt noch sein Weg des Schicksals sein möge, dachte Alrik still bei sich und stellte fest, wie passend zum Lied seine Begegnung mit Brodin dem Zwerg und Vasaris dem Schattenläufer war. Die Zusammenkunft der großen Völker. Sicher nur ein Zufall entschied Alrik kurz darauf, diesen Gedanken wieder zu verwerfen und im Augenblick wo seine Aufmerksamkeit wieder den Windheimer Straßen galt, rempelte ihn ein großer Mann an, der ihm auch sogleich einen bösen Blick zuwarf. „Mach Platz Junge, steh nicht so rum!“ Alrik wich einen Schritt beiseite und beobachtete, wie der Mann an einer schweren Kette einen imposanten, schwarzen Bullen mit kräftigen Hörnern hinter sich her zog. Das Tier schnaubte widerwillig aus seinen Nüstern, in denen ein dicker Metallring mit der Kette befestigt war. Nun machten auch die Menschen um Alrik herum mehr Platz und sahen zu, wie der Mann als nächstes auf einen kleinen Sockel stieg und das Wort erhob. „Windheimer und kauffreudige Freunde des Landes hört her, ich biete hier heute mein bestes Tier an. Ein Moorhuser Bulle noch jung und arbeitswillig, kräftig, gesund und fruchtbar. Garantiert aus reiner Blutlinie, ihr werdet nicht enttäuscht sein. Er zieht den großen Pflug allein von früh bis spät, unermüdlich und schneller als vier Gäule. Mehr als Heu und Wasser nimmt er dafür nicht von euch, also eine Investition, die sich lohnt!“ „Sprich, was soll er kosten?“, rief ein einfacher Bauer aus den Reihen der Zuschauer heraus. „Was wäre er euch wert?“, erwiderte der Viehhändler. „Fünfzig Silbertaler.“, ertönte die prompte Antwort des Bauern. „Seht nur, wie mein Tier beleidigt ist und bereits die Hufen schart.“ Einige Menschen um Alrik herum lachten, der Bauer gab sich geschlagen, blickte noch einmal prüfend in seinen Geldbeutel und verließ dann die Szenerie. „Das dreifache!“, rief nun ein weiterer Mann. „Das ist ein Anfang.“, nickte der Viehhändler nun zufrieden. „Einhundert-fünfzig Silberstücke bietet der freundliche Mann mit dem roten Schnauzbart, Einhundertfünfzig zum Ersten, Einhundertfünfzig zum Zweiten und Einhun...“ „Zweihundert!“ „Zweihundert Silberstücke sind nun geboten von der geschätzten Dame vom Viehhof Haron nicht wahr?“ Die Dame nickte mit stolzem Blick. „Ich weiß wohl ihr habt den Hof eures Vaters geerbt, einer meiner treuesten Käufer, ihr wisst von welcher Qualität ich hier spreche und welch feine Tiere ich verkaufe. Also Zweihundert zum Ersten, höre ich mehr? Zweihundert zum Zweiten, was ist Windheimer Bauern? Wollt ihr wirklich ein zartes Weib mit diesem stattlichen Bullen von der Auktion davonziehen lassen? Nun gut, Zweihundert Silbertaler zum Dri...“ „Bietet hier irgendjemand mehr als Fünfhundert!?“, diese kräftige Stimme ertönte nun von einem Mann, der weit über zwei Schritt in die Höhe ragte und direkt hervor trat. Dabei schob er unsanft die Leute vor und neben sich mit seinen muskulösen und komplett tätowierten Armen beiseite. Seine braunblonden Haare fielen ihm in langen Strähnen bis über die breiten Schultern, welche in einer goldverzierten Rüstung mit dem Dreikaiserlichen Wappen steckten. Auf dem Rücken steckte ein prunkvolles Zweihänderschwert. Die Menge verstummte, einige Bauern drehten direkt um und verließen kopfschüttelnd das Geschehen, andere begannen damit leise untereinander zu tuscheln. Der Viehhändler musterte den Höchstbietenden, erkundigte sich nochmals in der Menge, ob es ein Gebot über Fünfhundert Silbertaler gibt, zögerte dann noch einen Augenblick und übergab dann im Tausch, gegen einen prall gefüllten Geldbeutel, die schwere Eisenkette an welcher er den Bullen führte, an den hünenhaften Mann. Die Menschen wichen beiseite und bildeten ihm eine Gasse, welche er im Gefolge seines gerade erworbenen Tieres durchquerte und somit auch bald aus Alriks staunendem Blickfeld verschwand. Fünfhundert Silbertaler ist eine Menge Geld, dafür müssen manche Bauern über ein ganzes Jahr knechten. Offensichtlich war der neue Viehbesitzer aber kein Bauer, eher sah er aus, als wenn er ein Krieger des kaiserlichen Hofes aus Tries wäre. Die Rüstung mit den Goldverzierungen und den Wappen würden dafür sprechen, aber was in aller Götter Namen sollte ein kaiserlicher Krieger mit einem Moorhuser Bullen? So wie viele andere, die gerade Zeugen des seltsamen Ereignisses wurden, fand Alrik auf diese Frage keine Antwort und setzte seinen Weg durch Windheims Straßen fort. Er hatte sich vorgenommen, in einer Seitenstraße des Marktplatzes, einen Händler anzusprechen, ob es vielleicht eine Möglichkeit der Mitfahrt nach Ackerfurth für ihn gäbe. Als Alrik die erste Querstraße des überfüllten Marktplatzes erreichte, kamen ihm zwei Stadtgardisten entgegen. „Bürger und Besucher Windheims sieht euch vor, passt auf Gepäck und Geldbeutel auf, es sind Taschendiebe in der Stadt. Höret, Höret! Bürger und Besucher Windheims seht euch vor, passt auf Gepäck und Geldbeutel auf, es sind Taschendiebe in der Stadt.“ Alrik kam der wiederholten Empfehlung direkt nach und tastete nach seinem Geldbeutel, welchen er an seinem Gürtel befestigt hatte. Alrik atmete durch, alles noch Ort und Stelle. Das Gepäck auf seinem Rücken schnallte er gleich noch etwas fester und dann steuerte er direkt auf den etwas windschiefen Stand einer älteren, freundlich dreinschauenden Dame zu. In Holzkisten lagen Kartoffeln und Wurzelgemüse aus. „Ganz frisch.“, sprach die Alte nun Alrik direkt an. „Hier Junge koste von den Karotten, sind besonders gut für deine Augen.“ Freundlich lächelnd reichte sie Alrik eine Karotte. „Habt Dank gute Frau. Ich werde sie mir gut verstauen und für meinen Weg aufheben.“, sprach Alrik. „Verzeiht mir, aber ich bin nicht hier, um etwas zu kaufen, ich suche nach jemandem, der mich vielleicht mit nach Ackerfurth nehmen könnte.“ „Soso, lass mich mal überlegen“, fuhr die Dame fort. „Vielleicht gibt es da jemanden. Die meisten Händler hier zum großen Markttag sind direkt aus Windheim, oder den umliegenden Dörfern, von Süden her kommen eine Handvoll Händler mit Gewürzen, Schmuck und Waffen. Diejenigen, die nördlich von Windheim liegen, fahren eher auf die Märkte nach Westkron oder natürlich Tries, als hierher zu kommen. Aber am Ende dieser Straße hat der alte Bärenfänger Wladislaus seinen Karren. Er kommt aus Ackerfurth. Mit etwas Glück nimmt er dich heute Abend mit wenn das Treiben hier endet.“ „Habt vielen Dank, das hilft mir sehr weiter, verratet mir bitte noch, woran erkenne ich den Stand von diesem Wladislaus?“ „Kaum zu verfehlen mein Junge. Der ausgestopfte Kopf eines stattlichen Braunbärens hängt an seinem Karren, ist wie sein Markenzeichen weißt du. Früher als die Bärenjagd im Mittelland noch erlaubt war so sagt man, habe er die Tiere mit seinen bloßen Händen gegriffen und erlegt. Über die Jahre machte er sich einen Namen als Pelz- und Trophäenhändler. Mit dem in Kraft treten, des neuen Jagdgesetzes hat er dann aber umgesattelt und das Bierbrauen für sich entdeckt. Ackerfurther Bärenbräu heißt es, also halte Ausschau, nach dem Bärenkopf und Bierfässern, dann bist du richtig. Mögen die Götter dich schützen.“ „Euch ebenso, gute Frau habt noch mal vielen Dank für alles.“ Alrik winkte der Gemüsehändlerin noch zu, zog vorbei an Bäckergesellen, die in einem Steinofen auf offenem Feuer frisches Brot backten und an einem Fleischer, an dessen Stand zahlreiche Fliegen schwirrten und tanzten. Dann erblickte er noch einige Stände vor sich auf der linken Seite einen Bärenkopf. Alrik schob sich zielstrebig durch die Gasse voran und blieb schließlich vor dem mit Bierfässern beladenen Karren stehen, vor dem gerade zwei Männer lauthals miteinander diskutierten und um einen Preis feilschten. Als das Geschäft der Zwei abgeschlossen war trat Alrik hervor und räusperte sich. „Verzeiht werter Herr, mein Name ist Alrik Rodensen, seid ihr Wladislaus der Bärenfänger aus Ackerfurth?“ Nicht ganz ohne Stolz erhob sich der kräftige Mann und streckte seine Brust hervor, so dass sein Leinenhemd zu spannen begann. Er trug einen geflochtenen, langen Bart. Seinen Schädel hatte er zum Teil rasiert und ein paar Haare stehen gelassen, die er zu einem Zopf gebündelt trug. Unter den buschigsten Augenbrauen, die Alrik je gesehen hatte, schauten ihn freundliche Augen an. „Ganz recht Knabe, ganz recht.“, sprach der Mann mit tiefer Stimme. „Das bin ich. Besser gesagt, das war ich, als ich noch etwas jünger war, jetzt bin ich als Wladislaus der Bierbrauer bekannt. Sprich Junge, was ist dein Begehr? Schickt dich ein Wirt um seine Fässer auszutauschen? Ich sage es gleich vorweg, unter fünfzehn Silberstücken rollt hier kein Fass los. Die Ernte war schlecht, der Hopfen weniger ertragreich als im Vorjahr, ich muss die Preise anziehen.“ „Ich bin mir sicher, euer Bier ist jeden Silbertaler wert, vor allem, wenn es aus dem Brauhaus eines so geschichtsträchtigen Mannes kommt, wie ihr es seid.“, versuchte Alrik sich einzuschmeicheln und schien damit bei dem Händler anzukommen. „Mich schickt allerdings kein Wirt, ich stehe hier vor euch, weil ich dringend nach Ackerfurth kommen möchte und da dachte ich mir...“ „Da dachtest du dir wohl Bürschchen, dass ich dein persönlicher Kutscher bin was?“, unterbrach Wladislaus. „Hör zu Junge, nichts auf der Welt ist umsonst und wenn ich dich wirklich mitnehmen soll, bist du mir eine Gegenleistung schuldig. Sechs meiner Fässer müssen bis zur siebten Abendstunde in der Taverne „Zum torkelnden Mann“ abgeliefert werden. Weißt du wo das ist?“ Alrik nickte, schließlich war er dort noch vor gar nicht allzu langer Zeit vorbei gekommen. „Gut, dann beginne am besten schon mal die Fässer zu rollen, wenn du genau wie ich so schnell wie möglich hier los willst. Einverstanden?“ Alrik nahm dankend an und schüttelte zum besiegeln der Abmachung die Hand von Wladislaus, welche sich wie eine Bärenpranke um seine legte und kräftig, schon fast schmerzend zudrückte. Doch den Schmerz vergaß Alrik schnell, denn Freude kam in ihm auf. Sein Plan war aufgegangen. So würde er schon bald in Ackerfurth sein, seinem Ziel ein ganzes Stück näher. Sogleich machte er sich an die Arbeit. „Deine Sachen kannst du hier auf meinem Karren unter der Plane verstauen. Ich passe darauf auf. Keine Sorge um dein Hab und Gut Kleiner, oder glaubst du ernsthaft, dass es jemand wagen würde etwas von Wladislaus Wagen zu stehlen?“ Auch wenn er nicht mehr der Jüngste war, so zeugte Wladislaus Statur immer noch von unbändiger, roher Kraft. Unter seinem Hemd zeichneten sich große, harte Muskeln ab. Alrik war sich ziemlich sicher, dass niemand so blöd sein wird, einen solch starken Mann zu bestehlen und so verstaute er all seine Sachen und begab sich daran, das erste Fass in Richtung Taverne zu rollen. Die Fässer waren aus massiven Holzscheiten und zur Stabilisierung aus metallenen Planken gefertigt. Sie fassten mindestens vierzig Liter Bier und Alrik hatte alle Mühe, das erste Fass überhaupt von der Stelle zu bekommen. So vorsichtig es eben ging legte Alrik das erste Fass behutsam auf die Seite. Unter höchster Anstrengung rollte Alrik schließlich das erste Fass vom Karren. Wären da doch bloß nicht so viele Menschen gewesen, die seinen Weg zur Taverne kreuzten, so könnte man meinen, dass die Arbeit des Fassrollens ab hier leichter würde. Alrik stellte jedoch sehr bald fest, dass dem nicht so war. Mit jedem Meter, den er sich mühselig vorkämpfte, musste er Acht geben, niemandem über die Füße zu fahren und ebenso sorgsam sein, dass das Fass auf den unebenen Wegen nicht beschädigt wird. Es fühlte sich beinahe an wie der Verlauf einer ganzen Stunde, als Alrik verschwitzt und außer Atem die Taverne „Zum torkelnden Mann“ erreichte. Die Vordertür war noch verschlossen, so rollte Alrik das Bierfass hinter die Taverne und pochte kräftig am Hintereingang. Nach einem kurzen Augenblick öffnete sich die Tür und ein rundlicher Mann mit einem schmierigen Poliertuch über seiner Schulter stand vor Alrik und nahm ihm endlich das schwere Fass ab. „Hat der alte Wladislaus wohl nen Laufburschen gefunden hm? Ich hoffe du weißt, dass ich die Fässer alle bis spätestens sieben brauche? Dann strömen nämlich Marktbesucher und all die durstigen Händler zu ihrem Feierabendbier bei mir ein. Also los, hopp hopp nächstes Fass.“ Alrik verspürte Zeitdruck und wollte gerade auf der Stelle umdrehen um loszulaufen und das zweite Fass holen, als ihn der Wirt bremste. „Stopp, Stopp! Nicht so hastig. Du kannst gleich im Austausch die alten leeren Fässer mitnehmen. Sechs volle und sechs leere zurück, so war mein Geschäft mit Wladislaus.“ Der Wirt deutete mit einer Hand auf eine Plane in seinem Hinterhof, unter der er die leeren Fässer lagerte. Alrik tat gewissenhaft, was ihm aufgetragen wurde und rollte Minute um Minute, Stunde um Stunde, Fass für Fass, die leeren bergauf zum Karren von Wladislaus und bergab die vollen zur Taverne. Zum Glück nicht andersherum, dachte Alrik im Stillen bei sich. Die Sonne stand bereits tief im Westen, als Alrik endlich das letzte volle Fass griff. Am Ende seiner Kräfte angekommen erkundigte Alrik sich bei Wladislaus wie spät es sei. Der Bierbrauer mit den bärengroßen Händen hatte sich in all der Zeit offensichtlich nicht ein einziges Mal von seinem schattigen Plätzchen bewegt und lächelte dem keuchenden Alrik zu, während er sich entspannt mit einem Jagdmesser den Dreck unter den Fingernägeln heraus holte. „Du bist zwar nicht der Stärkste, aber tüchtig bist du Junge.“ Wladislaus kramte aus seiner Hosentasche einen Zeitanzeiger an einer derben goldenen Kette hervor. „Die fünfte Abendstunde hat begonnen und du hast bloß noch ein Fass zu rollen. Genügend Zeit also. Mach nun etwas ruhiger und lass dir vom Wirt in der Taverne eine warme Mahlzeit und zu trinken geben. Das Bier soll dort gut sein, hörte ich.“ Der Bierbrauer schmunzelte über seine eigene Aussage, dann steckte er Alrik einen anerkennend einen Silbertaler zu. „Bezahle damit beim Wirt, den Rest darfst du behalten. Komm danach zurück zu mir, wir packen zusammen und machen uns auf den Weg, so dass wir noch vor Einbruch der Dunkelheit auf der Handelsstraße angelangen.“ Alrik spürte Erleichterung. Er hatte befürchtet, dass es schon wesentlich später sei, doch jetzt war er zuversichtlich in der vereinbarten Zeit seine Arbeit zu schaffen. Er mobilisierte nochmals seine Kräfte und wuchtete das letzte Fass auf die Seite und begann es loszurollen. Vorbei an zahlreichen Menschen kam er Meter um Meter seinem Ziel näher. Er bog in die Brunnengasse ab, so wie er es bereits fünf Mal zuvor getan hatte. Von hier an waren es nur noch zweihundert Meter bis zur Taverne. Allerdings die schlimmsten. Die Gasse hatte ein starkes Gefälle und war mit unebenem Kopfsteinpflaster wahrlich keine Freude. Rollte das Fass erst einmal auf diesem Boden, dann war es kaum noch zu halten. Alrik war ab einem gewissen Punkt eher damit beschäftigt, das Fass zu bremsen, als es voran zu treiben. Bei jedem vorhergehenden Fass überkamen Alrik bereits Schreckensszenarien und auch jetzt erging es ihm nicht anders, ganz im Gegenteil.

Was, wenn er von einem unachtsamen Passanten angerempelt wird, ihm das Fass aus den Händen gleitet und sich selbstständig auf den Weg die Brunnengasse hinab macht. Alrik in seiner eigenen Fantasie noch am Boden liegend, kann nur handlungsunfähig hinterher blicken, wie es mehr und mehr an Geschwindigkeit zunimmt, beginnt zu springen und dann eine Handvoll überraschter Marktbesucher überrollt und mit sich reißt. Das ganze Horrorszenario endet mit einem Knall, als das Bierfass kurz vor der Taverne gegen eine Hauswand schleudert und zerspringt. Schäumend und sprudelnd treten vierzig Liter Bier aus und bilden eine große Pfütze in der milden Nachmittagsonne.

Hoch konzentriert, dass genau dies nicht passieren möge, setzte Alrik vorsichtig den einen Fuß vor den anderen und hielt dabei das Fass so fest er konnte, dann blickte er hoch, es war geschafft. Der Wirt stand bereits wartend da und hielt Alrik die Hintertür zur Taverne auf, damit er das Fass hinein bewegen konnte. „Gut gemacht, alle Achtung, hätt ich ja erst nicht gedacht, dass du das schaffst.“, sprach der Wirt anerkennend. „Hier, nun nimm das letzte leere Bierfass und bestell dem alten Wladislaus von mir einen schönen Gruß.“ „Gewiss, das werde ich.“, entgegnete Alrik. „Könnte ich vielleicht vorher noch für diesen Silbertaler bei Ihnen etwas zu Trinken und Speisen bekommen?“ Der Wirt nahm Alrik die Münze ab und nickte ihm zu. Gleich darauf verschwand er in der Taverne. Man hörte ihn bloß noch nach draußen rufen: „Nimm auf den Treppenstufen Platz Junge, ich bringe dir etwas raus.“ Oh, wie Alrik sich auf etwas Warmes im Magen freute und wie sehr es ihn dürstete. Seit seinem Aufbruch von Zuhause hatte er sich nur von Hartwurst, trockenem Brot, ein paar Wildbeeren vom Wegesrand und Wasser ernährt. Sein Bauch knurrte vorfreudig. Dann trat nach einer Weile der Wirt erneut nach draußen und stellte Alrik einen großen Humpen Bier vor die Füße und eine Tonschale daneben, aus der ein säuerlicher Geruch hervor stieg. Alrik hatte noch nie zuvor in seinem Leben Bier getrunken, aber er dachte nicht weiter darüber nach und setzte zu einem großen Schluck an. Irgendwie fühlte es sich in diesem Augenblick sogar etwas erwachsen an. Nach der Arbeit ein Belohnungsbier, wie echte Männer halt. Der Geschmack des Bieres war etwas herb aber äußerst erfrischend. Als Alrik sich dann jedoch dem Tonkrug widmete um sich dem Essen zu widmen, verzog er leidlich sein Gesicht. Aus dem gräulich, rötlichen Brei schauten ihn gleich drei Paar Augen an. „Schweinsaugeneintopf, frisch gekocht.“, bestätigte nun auch der Wirt, was Alrik bereits befürchtet hatte. Als Alriks Großmutter noch lebte hatte sie Zuhause regelmäßig den pampigen Schweinsaugeneintopf gekocht. Das einfache, ländliche Volk, zu dem Alriks Familie nun einmal gehörte, war so erzogen, dass gegessen wurde, was auf den Tisch kommt. Alrik erinnerte sich an die etwas schrille, fast sogar nervige und zittrige Stimme seiner Großmutter: „Zieh nicht so ein Gesicht Junge, iss mein Kind, wir dürfen den Göttern für jedes Mahl und unseren Wohlstand danken. Als ich so alt war wie du, da hatten wir an manchen Tagen Glück, wenn wir uns zu acht einen Laib Brot teilen konnten.“ Einhundertundvier Jahre war sie alt geworden und bis zu ihrem letzten Tag hat sich seine Großmutter mit allen Kräften beim Hof und für die Familie eingebracht. Mögen die Götter ihr einen schönen Platz ausgesucht haben, dachte Alrik still bei sich und blickte erneut in die dampfende Tonschale. Tapfer widmete er sich dem ersten Löffel des Eintopfs und stellte dabei fest, dass der Geschmack beinahe der war, den er von Zuhause kannte. Sein Hunger entschied sich schließlich dafür, dass aus zunächst verhaltenem löffeln, schnell hastiges schlingen wurde. Als kurz darauf die Tonschale fast leer war kostete es Alrik große Überwindung, sich den drei Augenpaaren zu widmen. Diese hatte er sich für den Schluss aufgehoben. Alrik schloss seine Augen, versuchte an etwas Schönes zu denken und führte den Löffel mit dem ersten Schweinsauge langsam zu seinem Mund. Wie eine schleimige Schnecke kullerte das Auge von Wange zu Wange, dann zerbiss Alrik es vorsichtig mit seinen Backenzähnen und er spürte, wie ein geleeartiger Saft ihm über die Zunge lief. Alrik unterdrückte den in ihm aufkommenden Würgereiz und schluckte das Auge so gut wie unzerkaut herunter. Weiterhin mit geschlossenen Augen griff er hastig seinen Bierkrug und spülte gleich kräftig hinterher. Etwas berührte seine Hände und die Tonschale. Alrik öffnete seine Augen, er hatte gar nicht bemerkt, dass sich ihm ein umherstreunender Hund genähert hatte und inzwischen vor ihm stand. Gierig steckte das verzottelte Tier seine Schnauze in die Schale und schlang mit zwei großen Happen die verbleibenden fünf Augen herunter. So verdutzt Alrik auch war, irgendwie fühlte er sich erleichtert und zugleich amüsiert über den unverhofften Helfer in der Not. Ebenso zufrieden zog der Hund so schnell er gekommen war auch wieder ab, als sich auch schon die Hintertür zur Taverne öffnete und der rundliche Wirt prüfend in Alriks Tonschale blickte. „Hat wohl geschmeckt was?“ „Wahrlich köstlich, wie bei meiner Oma, habt vielen Dank.“, schwindelte Alrik etwas, nahm den letzten Schluck Bier und erhob sich von den Treppenstufen. Ein bisschen komisch fühlte es sich um seine Knie an und auch der erste Schritt wirkte etwas unbeholfen. Alrik hatte tatsächlich einen kleinen Schwips, es ging ihm jedoch nicht schlecht und so schnappte er sich das letzte leere Fass, verabschiedete sich vom Wirt und rollte es geschwind die Brunnengasse hinauf, hindurch der zahlreichen Menschen, dann auf die belebte Turmstraße, bis hinter zum Karren von Wladislaus. „Hey Junge, da bist du ja wieder.“, sprach dieser freundlich. „Dann kann es ja bald auch schon losgehen. Viel verkaufen werde ich eh nicht mehr heute. Die Menschen zieht es langsam von den Straßen in die Wirtshäuser. Hinter meinem Karren stehen ein paar Holzkisten mit Selbstgeranntem, lade sie doch bitte schon einmal auf, ich mache derweil die Pferde bereit.“ „Jaa sichaa, kein Problmm, hicks, Schuldigung.“ Alrik erschrak selbst, wie schwer ihm doch das sprechen fiel. Seine Zunge fühlte sich taub und lahm an. Das Bier hatte seine Wirkung gezeigt und während Wladislaus den Pferden die Gespanne anlegte, ging Alrik wie ihm aufgetragen, hinter den Karren, wo drei Holzkisten mit schwerem Deckel standen. Alrik schob neugierig einen Deckel beiseite, weil er sich nichts unter dem Begriff „Selbstgebranntem“ vorstellen konnte. Er blickte auf eingestaubte Flaschen, welche mit einem Korken verschlossen waren. Alrik zog den erstbesten Korken heraus, um am Inhalt der Flasche zu riechen. Ein beißend, brennender Geruch von gegorenen Früchten und hochprozentigem Alkohol wehte ihm entgegen. Alrik verzog angewidert sein Gesicht und beschloss für sich Bier ja, Selbstgebrannter nein. Dann steckte er den Korken wieder auf die Flasche, verschloss die Kiste mit dem schweren Deckel und hob sie auf den Karren. Die zweite gleich hinterher. Die dritte Kiste aber wollte sich nicht so einfach anheben lassen. Kein Wunder, so war sie doch offensichtlich bis über den Rand gefüllt, denn der Deckel lag nicht richtig auf. Auch mit größter Mühe ließ er sich nicht herunter drücken. Selbst die Bierfässer waren nicht so schwer gewesen und so sehr sich Alrik auch anstrengte, es wollte ihm nicht gelingen, die letzte Kiste aus eigenen Kräften auf den Karren zu hieven. Ein anderer Händler hatte die Szene beobachtet und kam Alrik zur Hilfe. „Komm Kleiner, ich packe mit an, bevor du dich noch vor dem alten Wladislaus blamierst was?“ Der Mann staunte selbst nicht schlecht über das Gewicht der Kiste und pustete tief durch, als es ihm schließlich mit Alrik gemeinsam gelang, sie auf dem Karren abzustellen. Alrik bedankte sich bei seinem Helfer und stieg nun selbst auf der Ladefläche auf. Unter der Plane waren seine Habseligkeiten unberührt, so wie er sie abgelegt hatte. Erleichtert blickte er vor zu Wladislaus, der nun auch vorn hinter seinen Pferden Platz genommen hatte und mit den Zügeln in der Hand den Karren sogleich in Bewegung setzte. Schleppend ging es zunächst aus der Turmstraße hinaus, dann etwas zügiger durch die schmale Gasse, die parallel zum Marktplatz verlief und schließlich bis hin zum Nordtor. Hier stoppte Wladislaus noch einmal kurz, steckte der Torwache ein paar Münzen zu und kritzelte seine Unterschrift auf ein Pergament, das ihm die Wache gereicht hatte. Dann setzte er die Fahrt fort und wandte sich zu Alrik um. „Lege dich ruhig etwas hin junger Freund. Mach es dir zwischen den Fässern und den Kisten gemütlich, da muss auch noch irgendwo eine Decke sein. Mach die Augen zu, vielleicht kannst du ja etwas schlafen, so vergeht die Fahrt schneller, glaube mir.“ Nichts lieber als das dachte sich Alrik und folgte dem Rat von Wladislaus. Die Sonne war nun endgültig im Westen verschwunden. Alrik blickte sich ein letztes Mal um. In diesem Moment fuhren sie an der Weggabelung vorbei, wo er in der letzten Nacht sein Zelt aufgeschlagen hatte und es zu der besonderen und seltsamen Begegnung mit dem Zwerg und dem Schattenläufer kam. Wladislaus lenkte fröhlich pfeifend den Karren Richtung Ackerfurth und Alrik schloss zufrieden und völlig geschafft seine Augen. Einige Minuten kreisten seine Gedanken noch um all das was geschehen war und was er bereits bis hierher auf seinem Weg nach Tries erlebt hatte, dann ergriff ihn aber ein tiefer und fester Schlaf, der durch das schaukeln des Karrens, wie bei einem Kind in der Wiege noch unterstützt wurde.

Erávior - Das Erbe der Kaiser -

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