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ОглавлениеWenn etwas vernünftig ist, muss man es auch tun
Die Eisenbahntrasse führt am linken Bettbein vorbei. Sie windet sich über die Teppichkante und läuft über eine Hochgeschwindigkeitsstrecke auf den Schrank zu.
Bevor Ben mit seinem Freund Jakob die Eisenbahn aufgebaut hat, haben sie Rebekka zu Carla gebracht. Rebekka ist die kleine Schwester von Jakob. Carla ist die kleine Schwester von Ben. Ben und Carla wohnen ganz in der Nähe von Rebekka und Jakob. Die Kinder sehen sich fast jeden Tag. Ben und Jakob sind in derselben Klasse, Carla und Rebekka gehen zusammen in den Kindergarten.
Jetzt ist Rebekka schon seit drei Stunden weg. In diesen drei Stunden haben zwei Räuber den Zugführer von Bens neuer Lokomotive als Geisel genommen. Einen der Räuber konnten Jakob und Ben schon gefangen nehmen. Jetzt ist der andere dran. Aber gerade als sich ein Polizeitrupp an den entführten Zug heranschleicht, fliegt die Zimmertür auf, und der Vater von Jakob steht mitten auf dem Parkplatz vor dem Bahnhof, wo die Polizeiautos parken, und sagt: „Ben, es ist schon zehn nach sechs. Du musst nach Hause zum Abendessen.“
„Och, jeden Abend dasselbe! Gerade wenn es am spannendsten ist, müssen wir aufhören“, mault Jakob.
„Ja, und du musst auch noch deine Schwester abholen“, setzt sein Vater unnachgiebig hinzu.
„Die will bestimmt auch lieber bei Carla bleiben und mit den Pferden spielen“, wirft Ben ein.
„Genau, und wir können doch den Zugführer nicht einfach mit dem Räuber allein lassen!“, beschwert sich Jakob.
Sein Vater kratzt sich am Kopf: „Nein, das ist allerdings wahr. Aber ihr habt auch nicht die ganze Nacht Zeit, ihn zu befreien. Denn in der Nacht können die Räuber entfliehen. Ihr müsst den Bahnhof sofort erstürmen. Wenn etwas vernünftig ist, dann muss man es auch tun.“
Aber statt den Bahnhof zu stürmen, tauschen Jakob und Ben den gefangenen Räuber gegen den Zugführer aus. Das ist das Vernünftigste, finden sie. Dann steht Ben auf und nimmt seine Lok von den Gleisen. „Die schöne Eisenbahnstrecke. Immer das Gleiche. Wenn wir gerade am besten spielen, müssen wir uns schon wieder trennen.“
Jakob stimmt ihm zu: „Wenn sich zwei Jungs so gut verstehen wie wir und auch dieselben Spiele spielen und wenn beide Schwestern haben, die auch Freundinnen sind, dann wäre es eigentlich viel besser, die beiden Jungen wohnen zusammen und die beiden Schwestern auch.“
Das bringt Ben auf eine Idee. „Wir könnten doch die Geschwister tauschen!“
Jakob blickt ihn fragend an: „Du meinst, meine Schwester Rebekka zieht zu euch und du ziehst zu uns?“
„Ja, genau“, nickt Ben.
„Mensch, das ist eine Superidee! Wir sollten mal mit den Mädchen reden. Die machen bestimmt mit!“, ruft Jakob aufgeregt und fügt hinzu: „Aber dann müssen wir auch noch unsere Eltern überzeugen.“
„Das wird schon gehen“, sagt Ben. „Dein Vater hat doch eben selbst gesagt: ‚Wenn etwas vernünftig ist, dann muss man es auch tun!‘“
Nach dem Abendessen redet Ben mit seiner Schwester Carla. Er ist ganz aufgeregt. Jeden Tag mit Jakob zu spielen, ohne sich immer erst verabreden zu müssen, gemeinsam Abendbrot zu essen und danach weiterzuspielen – das wäre einfach traumhaft! Ben hat ein wenig Sorge, dass Carla nicht tauschen will. Sie ist immer gegen alles, was er sagt. Aber dieses Mal ist es anders. Carla ist sofort begeistert: „Rebekka kommt für immer zu mir? Das ist ja toll! Dann zäunen wir den ganzen Teppich ein und bauen eine Riesen-Ponyfarm!“
Ben kann nur den Kopf schütteln. Er weiß schon, warum er lieber mit Jakob spielt. Pferde sind so was von langweilig. In dem Moment klingelt es an der Haustür. Ben und Carla lauschen, wer so spätabends noch zu Besuch kommt. Sie hören Stimmen aus dem Flur.
„Das hört sich an wie Jakob“, sagt Ben.
„Und wie Rebekka“, ruft Carla und flitzt zur Haustür. Ben folgt ihr. Es sind tatsächlich Jakob und Rebekka. Und hinter ihnen stehen ihre Eltern. Gerade fragt Bens Vater: „Na, was können wir für euch tun?“
„Na ja, für uns eigentlich nichts.“ Jakobs Mutter grinst, und sein Vater zieht die Augenbrauen hoch, als er sagt: „Die Kinder wollen ihre Geschwister tauschen. Und wir dachten, bevor wir euch euren Sohn wegnehmen, kommen wir erst einmal vorbei und reden darüber.“
„Wie – die Geschwister tauschen?“ Vor Überraschung vergisst Bens Mutter, ihre Gäste hereinzubitten.
„Verstehe ich das richtig? Du, Ben, willst zu Jakob ziehen, und Rebekka kommt stattdessen zu uns?“, fragt Bens Vater.
„Genau“, sagt Ben, und die anderen Kinder nicken.
„Und für wie lange soll das sein?“, will sein Vater nun wissen.
„Für immer natürlich!“, ruft Jakob.
Die Eltern blicken sich einen Moment lang an. Ben sieht, dass sein Vater lächelt. „Also von mir aus! Es sind ja Ferien“, sagt er dann.
„Meinetwegen“, stimmt auch Bens Mutter zu. „Aber ich schlage eine einwöchige Probezeit vor. Sozusagen ein Tausch mit Garantie.“
Die Kinder nicken wieder. „Dann kann ich Rebekka ja wieder umtauschen“, sagt Carla, und Ben und Jakob lachen.
„Wann soll es denn überhaupt losgehen?“, fragt Jakobs Vater.
„Na, sofort! ‚Wenn etwas vernünftig ist, dann muss man es auch tun!‘“, sagt Ben.
„Nein, nein, ein Geschwistertausch ist keine Geiselnahme. So etwas darf man nicht überstürzen.“ Der Vater schüttelt den Kopf.
„Ihr wollt doch bestimmt ein paar Spielsachen mitnehmen.
Und zum Packen ist es heute Abend wirklich schon zu spät“, gibt auch Bens Vater zu bedenken. Und das muss Ben zugeben.
„Dann aber morgen“, sagt er.
„Ja, morgen“, stimmen die Eltern zu, und dann verabschieden sich die Familien voneinander.
An diesem Abend dauert das Zubettgehen sehr lange. Immer wieder fangen Ben und Carla an, über den Geschwistertausch zu reden. Als Ben endlich im Bett liegt und seine Eltern ihm eine gute Nacht wünschen, sagt er: „Ihr müsst nicht traurig sein. Rebekka ist auch ganz nett. Man kann zwar nicht so gut mit ihr spielen, und ihre Pferde liegen überall herum, aber sie hilft bestimmt beim Tischdecken.“
Seine Mutter lächelt, und sein Vater fragt: „Meinst du, sie holt sonntags auch die Brötchen für uns?“ Das ist sonst eigentlich Bens Aufgabe. Jeden Sonntag geht er allein zum Bäcker um die Ecke und entscheidet auch allein, was es für Brötchen geben soll. Das ist eine schwierige Sache, weil es beim Bäcker so viele verschiedene Brötchensorten gibt. Ben glaubt nicht, dass Rebekka das allein schafft. Deswegen sagt er: „Die Brötchen kann ich euch doch trotzdem sonntags bringen!“
„Ja, dann bin ich beruhigt“, nickt sein Vater, und seine Mutter sagt:
„So, und jetzt schlaf schön, Ben, morgen haben wir alle viel vor.“ Als die Eltern ihm beide noch einen Kuss geben, drückt Ben sie ganz fest an sich. Später hört er sie noch eine Weile im Wohnzimmer reden. Aber er versteht nicht, was sie sagen. Sie lachen und scheinen gar nicht traurig zu sein. Ben lauscht den gedämpften Stimmen. Er denkt an den Zugführer und an Jakob. Morgen wird er bei Jakob schlafen. „Dann habe ich endlich einen Bruder, mit dem ich so viel spielen kann, wie ich will.“ Und mit diesem Gedanken schläft er schließlich ein.